Leseprobe Poppy Dayton und das Schweigen von Hellstone Hollow

Prolog

Keuchend stemmte Poppy die Hände in die Seiten und sog die warme Sommerluft ein.

Sie richtete sich auf. Ich bin noch keine vierzig, und trotzdem schafft mich dieser Hügel.

Kurz blitzte der kritische Gedanke über ihre Kondition auf, um sofort vom 360-Grad-Rundblick der Landschaft verdrängt zu werden. Das ist es, was mir den Atem raubt.

Unter der senkrechten Mittagssonne schob sich die Halbinsel, auf halbem Weg zwischen Falmouth und Truro, wie die Kante einer grün schimmernden Pyramide in den River Fal hinein. Poppy blickte von der baumlosen, in blühende Wiesen gehüllten Kuppe auf den Waldgürtel, der zum dunkelblauen Wasser hinab ausfranste.

In den wenigen Lichtungen reflektierten schiefergedeckte Häuser das Licht. Am imposantesten waren die Landsitze von Trelissick und Hellstone Hall mit ihren ausgedehnten Formal Gardens; deutlich bescheidener schmiegten sich die Strohdächer der Cottages von Hellstone Hollow in ihre Gemüsegärten, das Dorf lag am Rand eines fjordartigen Einschnitts und reichte bis zum Fluss hinunter.

Poppy strahlte. Der geballte Charme Cornwalls lag zu ihren Füßen. Die Mischung aus Land und Wasser, aus geometrisch angelegten Parks und wilder Natur, war nach ihrem Geschmack. Sie kniff die Augen zusammen. Nur die Ruinen der alten Kupfermine stören das harmonische Bild, sie ragen wie hohle Zähne aus einem hübschen Mund.

Poppy zog den Kopf ein, als eine Schwalbe dicht an ihrem Ohr vorbeizischte, dann einen Haken schlug und sich wieder dem Schwarm anschloss, der die über den Wiesen wabernde Luftschicht durcheinanderwirbelte und Insekten aufscheuchte.

Sie dachte an London, an ihren Mann Barney und daran, dass sie nicht hier wäre, hätte die Nachricht eines Freundes sie nicht ebenfalls aufgescheucht. Dass sie heute auf diesem Hügel stand, war nicht selbstverständlich. Obwohl die Ereignisse inzwischen mehr als ein Jahr zurücklagen, hatte sie lange Abstand zu Cornwall gesucht und mit der Rückkehr in ihre Herzenslandschaft gehadert. Zwar hatte sie verstohlen die einschlägigen Immobilienanzeigen studiert, doch sie genoss auch das Leben in London mit Barney und mit ihrer Kunst, die sie immer bekannter und erfolgreicher machte.

Als Dr. Trelawneys Anruf sie erreichte, wurden ihre Sehnsüchte schlagartig wiedererweckt, und sie reiste am nächsten Tag an die Küste. Jetzt schaute Poppy auf das Dorf hinunter und schüttelte den Kopf. Über diesem zauberhaften Ort soll ein Fluch liegen?

Sie beschloss, die Schauergeschichten, denen sie am Pub-Tresen des Fox & Hounds gelauscht hatte, auszublenden und sie dem wild-romantischen Flair der Region zuzuordnen.

Der Landstrich hatte eine wechselvolle Geschichte hinter sich: über den Aufstieg vom ärmlichen Hinterland zu sagenhaftem Reichtum bis zum Absturz ins Elend nach Schließung der Bergwerke. Heute lebten die Gemeinden am Fluss vom Tourismus, auch wenn es hier, ein Stück vom offenen Meer entfernt, selbst in der Hochsaison deutlich ruhiger zuging als in den trubeligen Küstenstädten.

Vielleicht ein bisschen zu ruhig, schien Torry zu denken. Dem Terrier-Mischling war langweilig. Da weit und breit kein Kaninchen auszumachen war, legte er Poppy ein Stöckchen vor die Füße und blickte schwanzwedelnd zu ihr auf. Sie folgte der Aufforderung, griff danach und warf es in die Wiese. Torry stürzte hinterher und verschwand für kurze Zeit zwischen den gelb leuchtenden Ginsterbüschen. Als er zwei Heckenbraunellen aufscheuchte, die wütend zwitschernd ihr Nest verteidigten, pfiff Poppy ihn zurück.

„Komm, wir gehen ins Dorf. Es ist heiß hier oben. Ich könnte einen Sprung ins Wasser vertragen.“ Wasser verstand Torry, hechelnd leckte er sich über die Schnauze, aber gleichzeitig zog er bei dem Wort den Kopf ein. Er verabscheute die offene See, die ihn verschlungen hätte, wäre Poppy nicht in letzter Minute aufgetaucht. Seit sie ihn aus einem Gezeitenstrudel an der Mündung des Helford River gezogen hatte, waren sie unzertrennlich.

 

Kaum hatten sie das Hochplateau hinter sich gelassen, schloss sie dichter Wald ein. Erst säumten Kiefern in sandigen Mulden den Weg, dann haushohe Kastanien, Ahorn und Buchen.

Jetzt, im August, waren die Brombeeren reif und die von den Früchten schweren Zweige ragten weit in den Pfad hinein. Poppy pflückte eine Handvoll und war überrascht, dass sogar Torry ein paar von den prallen schwarzen Geschmacksbomben annahm.

Sie blieb stehen und lauschte. Nach Vogelgezwitscher und dem Schwirren der Schwalbenflügel über den Wiesen war es hier auffallend ruhig.

Liegt es an der Mittagshitze? Trotz der hohen Temperaturen fröstelte Poppy plötzlich.

Torry trottet gleichmütig neben dir her und wartet auf die nächste Brombeere. Sie tätschelte seinen Kopf, hinterließ einen dunkelblauen Fleck auf seiner Stirn und musste grinsen.

Alles in Ordnung, oder? Sie sah sich um. Bewegt sich da etwas zwischen den Bäumen? Nein, es ist bloß deine Fantasie, angeregt von der gruseligen Kneipengeschichte um spurlos verschwundene Dorfbewohner.

Die Gedanken ließen sich nicht verscheuchen und klebten in ihrem Kopf wie die kastanienbraunen Strähnen auf der verschwitzten Stirn. Sie raffte ihre Locken zusammen und bändigte sie mit einem Haargummi, als sich das Verhalten des Hundes, der ein Stück vorausgerannt war, änderte.

Er wurde langsamer und knurrte.

Poppy schloss zu ihm auf. „Was hast du, mein Freund? Bist du nervös, weil ich es bin?“

Ohne auf sie zu achten, lief er hoch aufgerichtet weiter.

„Nein, mit mir scheint das nichts zu tun zu haben.“ Poppy stöhnte. „Mach mich nicht verrückt!“

In Habachtstellung positionierte sich Torry am Wegrand und starrte zwischen Bäumen und Unterholz hindurch talwärts. Auf das Knurren folgte ein kurzes, heiseres Bellen, und die Nackenhaare sträubten sich.

„Was hast du? Ist uns ein Wildschwein auf den Fersen?“ Das war durchaus eine reale Gefahr, aber nach wie vor herrschte absolute Stille um sie herum, nicht das leiseste Knacken war zu hören. Als eine Stechmücke an ihrem Ohr surrte, schlug Poppy zu, zu heftig, wie sie fand, und rieb sich bedauernd die Wange.

Torry hob witternd die Nase, dann lief er los und sprang über den sandigen Wall am Wegrand. Sofort verschluckte ihn das dichte Grün.

„Torry!“, rief Poppy energisch und ein wenig atemlos. „Hiiierher! Komm zurück!“

Es nützte nichts. Etwas hatte seinen Jagdinstinkt geweckt, und obwohl er für einen Terrier relativ gehorsam war, kam keine Reaktion.

Minutenlang war nichts mehr von ihm zu sehen oder zu hören.

Poppy versuchte das aufkommende Gefühl von Panik zu verdrängen. Sie neigte nicht dazu, aber die Erlebnisse im letzten Jahr waren alles andere als verarbeitet und drohten unangenehme Bilder wachzurufen. Wie es ihrem optimistischen Naturell entsprach, wollte sie es nicht so weit kommen lassen, und sie beschloss, aktiv zu werden.

Leise fluchend kämpfte sie sich zwischen den Brombeerranken hindurch und rutschte die steile Böschung hinab. Nach kurzer Zeit waren ihre Arme und Beine von Dornen zerkratzt, die weißen Shorts und die hellgrüne Bluse, die so gut zu ihren Augen passte, nahmen die Farben des Waldbodens an.

Poppy richtete sich auf und rief nach Torry, doch es kam nur ein Flüstern aus ihrem Mund. Sie atmete tief ein und aus. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Dann rief sie ein weiteres Mal nach Torry, und diesmal brüllte sie fast.

Die Reaktion kam sofort, ein Bellen, nicht weit entfernt.

„Was machst du da? Komm her!“

Er tauchte zwischen den Heidelbeerbüschen auf. Seine Augen glitzerten, und Poppy wusste sofort, dass die Aktion noch nicht zu Ende war. Tatsächlich lief er nur kurz zu ihr, stupste mit seiner feuchten Nase an ihren Unterschenkel und verschwand erneut. Widerstrebend folgte sie ihm.

Erleichtert stellte sie fest, dass der Wald lichter wurde, kniehohe Heidelbeerbüsche waren weniger hemmend als die Dornenranken.

Ein Stück weiter sah es so aus, als ob etwas die Vegetation breitflächig zu Boden gedrückt hatte. Etwas Großes, dachte Poppy bang und blieb stehen.

Surren erfüllte die Luft. Es roch süßlich, wild, aber nicht unangenehm. Wieder hörte sie Torry bellen, jetzt viel näher. Sie ging um eine große entwurzelte Eiche herum.

Poppy erstarrte, dann machte sie zwei Schritte zurück. Sie musste sich zwingen, dem spontanen Fluchtreflex zu widerstehen und noch mal hinzusehen.

 

In der Nische zwischen Stamm und Waldboden lag ein riesiger Körper.

Der Schreck, der Poppy in den Gliedern saß, wurde nur wenig von der Erkenntnis gemildert, dass er nicht menschlich war.

Torry baute sich schwanzwedelnd zwischen ihr und dem Tier auf, das sich in seiner Exotik dramatisch von der südenglischen Waldlichtung abhob.

„Was hat dich denn hierhergeführt?“ Poppy flüsterte, noch im Schock, aber auch aus Respekt vor dem Wesen, das offenbar erst vor kurzer Zeit gestorben war. Die weit geöffneten, bernsteinfarbenen Augen zeigten noch einen Abglanz von Leben. Es waren keine Verwesungsspuren erkennbar, nur der Fliegenschwarm, der über dem Kadaver kreiste, kündigte sie an.

Spontan berührte Poppy den kurzen, goldfarbenen Kranz um den kantigen Schädel. Selbst im Tod wirkte er noch erhaben. Sie machte einen Schritt zurück und betrachtete ehrfürchtig den drahtigen, muskulösen Körper mit dem matt glänzenden Fell.

„Wie schön du bist“, sagte sie leise, und spürte, wie ihr die Tränen kamen.

Es war eine ausgewachsene Löwin, die ihren Kopf auf beide Pranken gebettet hielt, als ob sie ruhte.

 

Ein Knacken wie von trockenen Ästen ließ Poppy zusammenzucken.

Torry, der sich stolz neben dem Kadaver aufgebaut hatte, nahm Habachtstellung ein und fiepte. Rasch bückte sich Poppy zu ihm hinunter und nahm ihn an die Leine. „Noch mal zischst du mir nicht ab.“ Doch der Terrier machte keinerlei Anstalten, sich selbstständig zu machen, er blieb dicht bei Fuß. Als das Knurren nachließ und in ein ängstliches Jaulen überging, kroch Poppy eine Gänsehaut über den Rücken.

„So habe ich dich ja noch nie erlebt“, flüsterte sie.

Wieder ein Knacken. Beide starrten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Poppys Herz klopfte wie rasend, mühsam atmete sie gegen die warme, stickige Luft an.

„Hallo?“ Ihr Ruf endete in einem Krächzen. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und nahm einen neuen Anlauf. „Wer ist da? Kommen Sie heraus!“ Die eigene, überraschend starke Stimme zu hören, tat ihr gut.

Bis auf das unablässige Summen der Fliegen blieb alles still, und Poppy tat ein paar Schritte vorwärts. Sie beobachtete, wie Torry erst dicht bei ihr blieb, um dann in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Als Poppy den Stamm der umgestürzten Eiche umrundet hatte, krallte sie sich im letzten Moment an einem Ast fest und sank zu Boden.

Ihre Beine baumelten über dem Rand einer Öffnung, die sich am Abhang unter ihr auftat. Panisch zog sie die Füße an und trat ein paar Kiesel los. Ohne einen Laut verschwanden sie im abgrundtiefen Schwarz der gigantischen Höhle, aus der ein schwefliger Geruch aufstieg.

5

Nachdem Poppy den Morris vollgetankt hatte, verließen sie Falmouth in nordwestliche Richtung. Die Landstraße verlief im weiten Bogen um die Täler des Kennall und Carnon Rivers, die oberhalb der Hafenstadt in den Fal mündeten.

Diesmal hatte Poppy keine Augen für die rollenden grünen Hügel mit ihren Schafherden, die Getreidefelder und die malerischen Dörfer. Bei der Durchfahrt von Penryn hupte sie ungeduldig, als ein Wohnmobil nicht sofort auf Grün reagierte.

Obwohl sie für die Strecke von zwanzig Kilometern keine halbe Stunde benötigte, kam es ihr länger vor.

Sie dachte an Barneys Reaktion auf ihre Nachricht. Schon zuvor hatte er ihr ausdrücklich versichert, dass er sie unterstützen würde, wenn es so weit sei. Sie hatte ihn für sein vorbehaltloses Bekenntnis noch mehr geliebt, aber auch den Hintergedanken registriert, dass es am Ende doch nicht dazu käme, angesichts der astronomischen Immobilienpreise.

Aber jetzt?

Wieder und wieder hielt Poppy die Nase hoch in den Fahrtwind, in der Erwartung, zu erwachen, und das Ganze als Teil einer therapeutischen Trance-Reise abhaken zu müssen. Außerdem ging ihr der Name des Verkäufers, Tornycroft, im Kopf herum, doch es gelang ihr nicht, ihn unterzubringen. Vor der Abfahrt hatte sie den Namen gegoogelt, aber auf den ersten Blick gab es zu viele davon, mal mit und mal ohne h hinter dem T geschrieben.

Hinter Carnon Downs führte die Straße nach Osten und näherte sich erneut dem tief eingeschnittenen Flusstal. Poppy folgte einem verwitterten Hinweisschild und bog auf die Trevilla Road ein. Hier gab es weniger Felder, die Hügel wurden steiler und bewaldeter. Die Qualität der Straße ließ deutlich nach, und als sie das Ortsschild von Hellstone Hollow erreichte, bestand der Belag fast nur noch aus Schlaglöchern. Außerdem wies ein Schild mit der Aufschrift „Sackgasse, keine Durchfahrt nach Trelissick Garden“ eindeutig darauf hin, dass sie sich auf keinem Touristenpfad befanden.

Konzentriert lenkte Poppy den Oldtimer über die holprige Main Road. Die ersten Häuser waren teilweise verlassen, manche nur noch Ruinen, aber in Richtung der kleinen Kirche aus Granitquadern verbesserte sich das Bild. Die typischen Bergarbeiter-Cottages waren restauriert, dazwischen lagen die ebenfalls renovierten Villen der Ingenieure und Verwalter. In den umliegenden Gärten blühten Hortensien, Oleander, Lavendel und Rosen in allen Farben. Ein Geheimtipp ist das nicht mehr, dachte Poppy.

Die Straße verbreiterte sich zu einem Platz. Hohe Buchen rahmten die Kirche ein, Stufen führten hinauf zum örtlichen Pub.

Kein Mensch war zu sehen, nur eine schwarze Katze lag auf der ersten Treppenstufe. Sie verschwand maulend, als Torry aus dem Wagen sprang. Poppy nahm ihn an die Leine, und beide steuerten das Fox & Hounds an.

Am späten Nachmittag saßen nur zwei Gäste im Schankraum, vertieft in ihr Getränk. Poppy schenkten sie nur einen kurzen Blick.

Sie ging direkt an den Tresen und gab beim Wirt die Bestellung auf. „Eine Flasche Wasser und davor einen Single Malt. Ich brauche jetzt etwas Starkes.“

„Ich habe einen zehn Jahre alten Lagavullin.“

„Passt.“

„Dann wollen Sie bleiben?“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Die Straßen hier sind kurvig und mit dem Whisky im Blut …“

Der bärtige Wirt grinste und zeigte zwei Reihen makellos weißer Zähne. Die Knollennase in der Mitte verlieh dem Gesicht eine clowneske Note. Er streckte eine Hand über den Tresen. „Kirk Myrow. Alle nennen mich hier Captain Kirk.“

„Ich bin Poppy Dayton. Dann sind Sie unterwegs auf Entdeckung unendlicher Weiten?“

„Meine Tage bei der Navy sind schon eine Weile her. Aber wenn Sie damit unser bescheidenes Hellstone meinen, dann bin ich am Ziel, seit zehn Jahren schon.“ Er stellte ein hohes, bauchiges Glas vor ihr ab und füllte es zwei Fingerbreit mit der goldfarbenen Flüssigkeit. Der aromatische Alkohol lief langsam am Rand herunter und hinterließ breite, fast ölig schimmernde Streifen.

„Nice legs.“ Poppy nickte anerkennend.

„Und Sie? Wonach suchen Sie?“

„Ich bin auf der Durchreise. Erst mal brauche ich nur eine Bleibe für die Nacht.“

„Durchreise ist nicht, Lady, Hellstone Hollow ist eine Sackgasse.“

Als Poppy darauf nicht reagierte, musterte er sie noch eingehender. Die Frage, die ihm auf der Zunge zu liegen schien, verschluckte er und zuckte mit den Schultern. „Kein Problem, die drei Zimmer oben sind alle frei. Nichts Besonderes, dafür sauber und mit einem hübschen Blick auf die Kirche.“

„Das hört sich gut an. Ich genieße erst diesen wunderbaren Malt, dann bringe ich meine Tasche hoch, und anschließend frage ich Sie nach dem Weg zu Almas Cottage.“

Nicht nur der Wirt blickte sie überrascht an. Auch die zwei Gäste, ein Mann und eine Frau mittleren Alters sahen zum ersten Mal von ihren Biergläsern hoch.

„Almas Cottage? Da ist keiner. Die alte Lady ist schon zwei Jahre tot.“

„Davon hörte ich. Ich interessiere mich für das Haus.“

„Das tun viele. Vergessen Sie’s.“ Barsch winkte Kirk ab. „Der Besitzer will nicht verkaufen, obwohl er schon die unglaublichsten Angebote für die Hütte erhalten hat.“

Poppy verschluckte sich und hustete. Diese Auskunft passt nicht zum Angebot und noch weniger zum Preis. Was meint er damit?

Sie leerte das Glas mit Mineralwasser, und ohne auf den ersten Teil seiner Bemerkung einzugehen, fragte sie so beiläufig wie möglich: „Ist die Hütte denn in einem schlechten Zustand?“

„Keine Ahnung, aber das Haus steht leer, da wird schon einiges instand zu setzen sein.“

„Das sind wir hier in Hellstone Hollow gewohnt.“ Die Frau am Tisch stand auf, trat an den Tresen und prostete Poppy zu. „Ich bin Jane Parson. Willkommen in unserer aufblühenden Gemeinde.“ Poppy gefielen ihre blauen Augen und die kurz geschnittenen blonden Haare.

Der schwielige Händedruck fühlt sich warm und nach Arbeit an.

Kirk grinste. „Bei der sind Sie richtig, Mrs …“

„Dayton.“

„Richtig, Dayton. Jane ist die Vorsitzende des Bürgervereins und Pionierin der Wiederbelebung dieses toten Minen-Dorfs.“ Poppy fiel auf, dass Kirk und Jane intensive Blicke austauschten. „Sie war es auch, die meine Frau und mich hergeholt hat, um den Pub zu betreiben. Wir haben es nicht bereut und inzwischen leben wieder ein paar Hundert Seelen im Hollow.“ Er griff nach dem Lagavullin und füllte Poppys Glas nach. „Der geht aufs Haus. Almas Cottage können Sie sich aus dem Kopf schlagen, aber es gibt noch genug Ruinen, die auf romantisch veranlagte Investoren warten.“

„Romantisch?“ Das verächtliche Prusten des zweiten Gastes war nicht zu überhören. Auch er stand auf und kam auf wackeligen Beinen näher. Der Mann war groß und spindeldürr, auf dem Kopf trug er eine braune Cordkappe über strähnigen grauen Haaren, die Hände steckten in den Taschen eines Monteur-Overalls. „Zum Teufel mit Romantik! Bloß weil ihr reichen Städter ein paar Dächer repariert habt und gut im Rasenmähen seid, wird hier noch lange keine glückliche Gemeinde draus.“

Kirk langte über den Tresen und klopfte dem Mann begütigend auf die Schulter. „Lass gut sein, Archie, du verschreckst unseren Besuch.“

Archie ließ sich nicht beirren und trat so nahe an Poppy heran, dass sie dem scharfen Schweißgeruch nicht entgehen konnte. Rasch nahm sie einen Schluck Whisky, und das torfige Aroma besetzte erfolgreich ihre Nase. Torry sah von seiner Schale mit Wasser hoch und knurrte vernehmlich.

„Sie sind eine intelligente Lady, wie mir scheint.“ Archie versuchte erst Poppy zu fixieren, als es ihm nicht gelang und er zu dem Hund hinunterschielte, schwankte er bedenklich. „Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Fahren Sie dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind.“

„Warum? Leben Sie nicht gerne hier?“

„Ich bin der letzte Ureinwohner. Wo soll ich hin? Ich habe kein Geld. Wenn ich könnte, würde ich sofort meine Sachen packen.“

„Archie, es reicht.“

„Ist schon gut, Captain.“ Er zog sich an seinen Tisch zurück. Als er saß, stützte er den Kopf auf beide Hände. „Dieses Nest ist verflucht, und das nicht erst, seit die Bergbaufirma pleite ist. Der feine Herr von Hellstone Hall bringt uns nur Unglück. Habt ihr nicht die Schreie letzte Nacht gehört? Er holt unsere armen Seelen, eine nach der anderen.“ Seine Augen blickten trübe, in einem Rundumschlag warf er sein Getränk um. Bier schwappte über den Tisch, das Glas rollte auf den Boden und zersplitterte. Rasch kam Kirk hinter dem Tresen hervor und packte ihn am Arm. „Du hast genug für heute, geh nach Hause.“ Von einem Augenblick zum anderen schien Archie alle Kraft zu verlassen, mit hängenden Schultern ließ er sich hinausführen.

Jane schüttelte den Kopf. „Der arme Kerl. Eigentlich ist Mr Peachum nett und ein patenter Handwerker, aber wenn er etwas getrunken hat …“

„Hat er verflucht gesagt?“, fragte Poppy. „Was meinte er damit?“

„Keine Ahnung. Um die alten Dörfer in Cornwall ranken sich tausend Geschichten, und hier in Hellstone sind es halt noch ein paar mehr. Beim Bergbau kam es zu vielen Unfällen, auch Kinder verschwanden spurlos in den Minen. Doch das ist eine Ewigkeit her.“

„Und die Schreie?“

„Ich habe nichts gehört. Aber auf Hellstone Hall gibt es eine Art Privatzoo. Kann gut sein, dass sie von dort kamen.“ Sie legte ihre Hand auf Poppys Arm. „Ich bin Jane. Darf ich Poppy zu dir sagen?“ Poppy nickte. „Sieh dich bei uns um und mach dir ein eigenes Bild.“ Jane leerte ihr Glas, legte eine Fünf-Pfund-Note auf den Tresen und platzierte ihre Visitenkarte vor Poppy. „Das ist meine Adresse, es ist nur hundert Meter die Main Street runter. Komm einfach vorbei. Ich stell dir ein paar von uns vor. Wir kämpfen gegen den Aberglauben und für die Renaissance dieser wundervollen Gemeinde.“

Nach dem zweiten Whisky überfiel Poppy ein Bärenhunger, und Kirk versorgte sie mit einem voluminösen Club-Sandwich. „Das ist für zwischendurch“, erklärte er. „Heute Abend gibt es eine Fischsuppe mit Cod und Hummer. Kommen Sie um acht wieder. Dann ist es hier voll, und Sie lernen ein paar mehr von uns kennen. Für Ihren Hund habe ich einen Lammknochen, wenn er so was verträgt.“

Mit dem Sandwich in der einen und ihrer Tasche in der anderen Hand kletterte Poppy leicht schwankend die schmale Stiege hinauf. Torry folgte ihr zögernd. „Komm mit, oder hast du noch das Wort Lammknochen im Ohr?“

Das Zimmer war winzig und spärlich möbliert. Der Wirt hat weder zu wenig noch zu viel versprochen, für ein oder zwei Nächte ist es prima. Poppy zog die zerschlissenen Spitzenvorhänge zur Seite, und es staubte. Hustend öffnete sie das Fenster, beugte sich weit hinaus und überraschte ein Schwalbenpaar, das im löcherigen Reet der Dachgaube nistete. Die Vögel ließen ihre zeternde Brut allein, stoben davon und umkreisten den Kirchturm.

Poppy betrachte den gedrungenen Bau mit der gotischen Spitze und schaute über das Tal. Zwischen den hohen Bäumen waren die Stroh- und Schieferdächer kaum zu sehen, Richtung Norden, den Abhang hinauf, ragten die Ruinen der ehemaligen Industriebauten aus dem dichten Laubwald.

Wie könnte ich das hier gruselig finden? Poppy kam Archies Aufforderung, den Ort zu verlassen, in den Sinn. Ich denke gar nicht daran. Sie setzte sich aufs Bett. Brummend rückte Torry, der bisher die fadenscheinige Tagesdecke zentral besetzt hielt, zur Seite.

Mit einem Seufzer ließ sich Poppy nach hinten fallen. Weder störte sie das Quietschen noch spürte sie den Widerstand der Sprungfedern in der durchgelegenen Matratze. Sie starrte an die Decke. Das Licht der tief stehenden Sonne projizierte die jagenden Schwalben wie einen Zeichentrickfilm auf den rissigen Putz.

Poppys Nasenflügel weiteten sich, sie sog die warme Luft ein. Es riecht nach Mottenkugeln und alten Polstern, aber darüber liegt der Duft nach Muscheln und Tang. Bestimmt ist unten gerade Ebbe. Almas Cottage liegt nah am Fluss …

Sie richtete sich auf und beobachtete, wie das Schwalbenpaar mit frischer Insektenbeute im Schnabel auf dem Nest landete.

Ich kann es nicht erwarten, das Haus zu sehen. Die Konsequenzen machten Poppy zugleich euphorisch und nachdenklich. Jetzt wird es ernst. Zwei Londoner Stadtpflanzen bauen sich ein neues Nest, wühlen in ihrem Bauerngarten herum und gründen gar eine Familie. Wie wird das ausgehen?

6

Der Pub war bis zum letzten Platz gefüllt. Kirk sah Poppy auf dem Treppenabsatz stehen und winkte. „Kommen Sie zu mir an den Tresen, von hier aus können Sie unsere Dörfler betrachten – und umgekehrt.“ Er grinste. „Es hat sich rumgesprochen, dass Sie da sind. Und bevor die sich vor lauter Neugier ihre Hälse ausrenken, stelle ich Sie einfach mal vor.“

Bevor Poppy etwas einwenden konnte, erhob er die Stimme. „Leute, hört mal her! Das sind Poppy Dayton und ihr Hund Torry. Mehr weiß ich auch nicht von ihr, außer, dass sie unser beschauliches Dorf interessant zu finden scheint. Sprecht selbst mit ihr.“ Er hob die Hand. „Aber erst nach dem Essen. Jetzt kommt die Suppe auf den Tisch.“

Die Schwingtür zur Küche flog auf, und eine attraktive, kräftige Frau mit roten Locken schob den Servierwagen mit zwei riesigen emaillierten Kochtöpfen herein.

„Das ist Mona, meine Frau.“

Poppy hörte den Stolz in seiner Stimme und nickte ihr freundlich zu, worauf Mona einen eher abschätzigen Blick zurückwarf. Kirk hatte es bemerkt. „Sie ist schrecklich eifersüchtig. Aber ein Wirt muss doch mit der Kundschaft kommunizieren, oder?“

Poppy vermied einen Kommentar, auch, weil Mona sie gerade bediente und mit der Kelle die Suppe so schwungvoll in den Teller schüttete, dass eine Miesmuschel heraussprang und auf ihrem Schoß landete.

„Sorry“, murmelte Mona ohne Überzeugung und schob den Wagen weiter in Richtung der Tische. Die zwanzig Personen wurden bedient, und bis auf ein paar genüssliche Mmhs und Ahs gehorchten alle dem Schweigebefehl des Wirts. Nur Poppy konnte sich nicht beherrschen. „Fantastisch! Wie eine Bouillabaisse, nur cremiger. Was ist da drin? Cod, Hummer, Muscheln, und das sieht aus wie Zander.“

„Stimmt, es sind Salz- und Süßwasserfische. Und ein paar kornische Kartoffeln.“

„Eine geniale Kombination.“

Kirk nickte, wartete, bis Mona wieder in der Küche verschwunden war. „Danke“, sagte er schließlich, „das ist lieb von Ihnen. Ich war mal Schiffskoch. Tatsächlich stammt das Grundrezept aus Toulon, in der Marine-Zeit war ich dort mit meiner Fregatte stationiert.“ Er schielte zur Tür, die langsam auspendelte und kam nah an Poppys Ohr. „Die französischen Köche denken gar nicht daran, ihre Rezepte zu verraten, aber die Mademoiselles schon.“ Er bekam einen verträumten Blick. „Das war lange vor Mona“, murmelte er, als die Tür wieder aufschwang.

Zum Nachtisch gab es einen soliden Schokoladenpudding. Jetzt wurde es lauter, und die Gäste hielten sich nicht mehr zurück. Ein Paar um die dreißig mit zwei Kindern im Grundschulalter stand auf und kam zu Poppy.

„Wir sind die Gouldings, Tracy und Richard, und das sind unsere Kinder Pete und Patty.“

„Wir sind Zwillinge“, erklärten die beiden im Chor.

„Das ist nicht zu übersehen.“ Poppy zwinkerte ihnen zu. „Gibt es denn hier eine Schule?“

Tracy schüttelte den Kopf. „Leider nicht mehr. Der Schulbus bringt die Jungs nach Penryn. Aber wenn immer mehr Familien hierherziehen … Haben Sie Kinder?“

„Nein. Noch nicht“, sagte Poppy nach kurzem Zögern. Sie schüttelte den Gedanken ab und stieg vom Barhocker herunter.

In der mit dunklen Eichenpaneelen getäfelten Schankstube beschienen nur ein paar Messingleuchter die Gesichter, die ausnahmslos auf Poppy gerichtet waren.

Sie lernte die Nichols kennen, ein Paar mittleren Alters. „Wir sind vor zehn Jahren mit den Kindern hergezogen. Jetzt sind sie im Internat in Bristol, nur am Wochenende besuchen sie uns.“

„Ich bin Claire Latour.“ Die Frau saß allein am Tisch. Poppy schätzte ihr Alter auf etwa vierzig, obwohl die roten, gelockten Haare, die grünen Augen und ihre sehr helle Haut sie jünger erscheinen ließen. „Ich komme aus London, ich war Redakteurin bei der Times. Jetzt bin ich als freiberufliche Journalistin unterwegs.“

„Und dann sind Sie in Hellstone? Sehr viel ist hier ja nicht los.“

„Täuschen Sie sich nicht“, sagte Claire leise. „Es kursieren hier die seltsamsten Geschichten und Gerüchte.“

Poppy lächelte. „Solange sie im Reich der Märchen und Sagen bleiben.“ Sie nickte freundlich und wollte weitergehen, da hielt Claire sie fest. „Schön wär’s, ist aber nicht so. Wenn Sie mal Zeit haben, erzähle ich Ihnen …“

„Danke, ich komme bestimmt darauf zurück.“

Am nächsten Tisch saß wieder ein Paar. Beide über achtzig, schätzte Poppy, er mit einem weißen Haarkranz und gutmütigen braunen Teddyaugen, sie mit wachem Blick unter dichten, grauen Locken mit Stich ins Lila. Sie wollte Poppys Hand nicht loslassen. „Wir sind Hope und John McCabe. Uns gehört das Haus neben der alten Schule. Die wollen wir wiederbeleben, für die Goulding-Twins und die anderen Kinder im Dorf.“ Plötzlich drehte sie sich zur Seite und ihre Stimme bekam einen scharfen Unterton. „Leider stehen bei unserer Obrigkeit Tiere höher im Kurs als Menschen, nicht wahr?“

Die scharfe Bemerkung beendete das Gemurmel im Saal, und alle Blicke wandten sich in Richtung der dunkelsten Ecke im Raum.

An dem Tisch dort saßen zwei Männer. Sie beendeten ihr Gespräch, einer von ihnen, ein Hüne mit großen Händen und Glatze, stand auf und verließ grußlos den Pub.

Der andere löffelte in Ruhe seinen Pudding aus. Poppy schätzte ihn auf über siebzig. Die weichen Gesichtszüge, die hohe Stirn und der straßenköterfarbene Haarschopf ließen ihn jünger erscheinen, aber die müden Augen unter schlaffen Lidern, und die gelbliche Haut verrieten sein wahres Alter. Er tupfte sich die schmalen Lippen mit der rot-weiß karierten Serviette ab, faltete sie sorgfältig und legte sie neben den Teller.

„Mrs McCabe, warum stören Sie mich beim Essen?“ Obwohl er spürbar genervt war, klang er gerade noch freundlich, fand Poppy „Wir können gerne noch mal über Ihr Projekt sprechen.“ Er schaute in die Runde, aber die meisten vermieden seinen Blick. „Nur nicht hier und heute.“ Er winkte zu Kirk hinüber. „Captain, einen Kaffee nach Navy-Art und die Rechnung, bitte.“

Poppy verabschiedete sich von den McCabes und setzte ihre Runde fort, das Gemurmel wurde wieder lauter. Auch am nächsten Tisch saß eine einzelne Person, ein hagerer Mann um die fünfzig mit schütterem Haar und Nickelbrille. „Jim Phelps“, sagte er. „Ich bin Historiker.“

„Das passt doch perfekt. Vielleicht können Sie Mrs Latour helfen, die bösen Gerüchte hier auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen?“ Poppys Bemerkung war gut gemeint, schien jedoch einen empfindlichen Punkt zu treffen. Phelps warf dem Mann in der Ecke einen flüchtigen Blick zu, dann zog er seinen langen Hals ein. „Ich arbeite eher im PR-Bereich“, sagte er, es klang wichtigtuerisch und unterwürfig zugleich.

Als Poppy sich dem letzten Tisch näherte und der Mann aufstand, entging ihr nicht, dass alle anderen sie genau beobachteten.

„Mrs Dayton? – Richard Tornycroft.“ Der Händedruck fiel flüchtig aus. Zitterten seine Finger? „Bitte, nehmen Sie Platz.“

Der Wirt kam und brachte den Kaffee. „Mit einem Schuss Rum, wie gewünscht.“

Tornycroft nickte ihm zu. Poppy fiel auf, dass eines seiner Augen blau, das andere grau war. Bewegungslos ruhte sein Blick auf ihr, saugte sich fest und ließ nicht los, auch nicht, nachdem sie Platz genommen hatte. Als ob er etwas suchte und auf keinen Fall verpassen wollte, dachte Poppy irritiert. Sie ließ sich nichts anmerken. „Der Besitzer von Almas Cottage! Was für ein netter Zufall.“ Bei Poppy riefen Name und Gesicht immer noch keine Erinnerung hervor.

„Nicht ganz.“ Er lächelte, was seine Anspannung nicht zu mildern schien. „Mr Hammett hat uns zusammengebracht. Er rief mich an, und sagte, dass Sie heute nach Hellstone Hollow fahren wollten, und da das Fox & Hounds hier die einzige Möglichkeit ist, ein anständiges Bett zu bekommen …“

„… und ein noch anständigeres Essen!“

„Sie sagen es, Mrs Dayton. Da kam ich einfach vorbei, um Ihnen den Schlüssel zu bringen. Waren Sie schon am Haus?“

„Nein, mein Mann bat mich, mit ihm zusammen hinzugehen. Er kommt morgen aus London.“

„Das ist schön. Es ist fünf Minuten zu Fuß von hier. Hinter dem Friedhof die Treppe hinunter, und dann nach links bis zum Ende der Cliff Road.“

„Gibt es viel zu renovieren? Der Preis ist sehr fair, und wir haben uns gefragt, wo …“

„… der Haken ist? Es gibt keinen. Wissen Sie was? Unser gemeinsamer Freund Peter Hammett hat mir von Ihnen erzählt, und dass Sie eine große Cornwall-Verehrerin sind. Außerdem sind Sie drüben in Falmouth fast schon so etwas wie eine Berühmtheit, Sie und Ihr Hund waren sogar schon in der Zeitung und im Fernsehen.“

„Danke, ein zweifelhaftes Vergnügen, ich hatte mir die Umstände nicht ausgesucht.“

„Umso mehr freue ich mich, dass Sie das nicht abgeschreckt hat, und Sie unserem schönen Landstrich die Treue halten.“ Er machte eine Pause, faltete die Serviette auseinander und legte sie wieder zusammen. „Als mir Peter noch sagte, dass Sie Künstlerin sind, und über keine Reichtümer verfügen …“

„Das hat er nett auf den Punkt gebracht.“

„… habe ich mich dazu entschlossen, den Preis entsprechend anzupassen. Ich bin vermögend, Mrs Dayton, mehr als das.“ Er vollführte eine große Geste mit der Hand. „Die halbe Gegend gehört mir. Da freue ich mich, wenn das Cottage meiner Mutter Alma in gute Hände kommt. Sie war auch eine Künstlerin, obwohl sie sich selbst nie so bezeichnet hätte. Sie war eine bodenständige Frau, aber sie hat wunderschöne Keramiken geschaffen. Ein paar davon stehen noch im Schuppen neben dem Cottage. Dort war ihr Brennofen. Vielleicht können Sie die Räume als Atelier verwenden?“

Poppy folgte seiner Erklärung mit zunehmender Begeisterung. „Was für eine schöne Geschichte! Und ein sehr großzügiges Angebot! Ich war ernsthaft auf der Suche nach dem Haken, und dann hörte ich heute Nachmittag noch ein paar Schauergeschichten.“

Tornycroft sah auf die Uhr, legte die Schlüssel vor Poppy auf den Tisch und stand abrupt auf. „Entschuldigen Sie mich, ich muss nach meinen Tieren sehen.“ Er starrte in das Zwielicht der Abenddämmerung hinaus. „Sehen Sie sich alles in Ruhe an. Bei Interesse werden meine Anwälte den Verkauf mit Ihnen regeln.“ Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch mal um. „Ein paar Gespenster gibt es hier noch“, sagte er leise und langsam, wie mit schwerer Zunge. Dann klarte seine Miene auf. „Aber das muss Sie nicht kümmern, im Gegenteil. Jetzt, wo Sie hier sind, werden die letzten von ihnen verschwinden, da habe ich ein gutes Gefühl. Bis bald, Mrs Par… pardon, Dayton.“ Er verschwand mit einer angedeuteten Verbeugung.

Poppy sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Komischer Kauz.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass es im Pub vollkommen still war. Sie blickte in die Runde; in den lauernden Augen glitzerte das Kerzenlicht. Als ob ich in ein Schlangennest schaue, dachte sie und schauderte.

Hope McCabe brach das Schweigen als Erste.

„Sie scheinen den Herrn zu kennen, Mrs Dayton.“

„Nein, überhaupt nicht, ich bin ihm eben zum ersten Mal begegnet.“

Hope blickte skeptisch. „Wie dem auch sei. Bestimmt haben Sie gemerkt, dass er nicht unser Freund ist.“

„Das ist mir nicht entgangen.“

John legte seine Hand auf Hopes Unterarm. „Lassen wir die Lady in Ruhe, sie weiß nichts von all den Dingen.“

„Du hast recht, Johnny.“ Die alte Dame ließ Poppy nicht aus den Augen. „Dann dürfen wir hoffen, dass Sie unsere Freundin werden, nicht wahr?“

Eine unangenehme Pause trat ein, bis Kirk die Schiffsglocke über dem Tresen läutete und rief: „Darauf trinken wir! Die nächste Runde geht aufs Haus!“