Leseprobe Puppenmörder

KAPITEL EINS

Amy starrte ihre E-Mails an und murmelte leise vor sich hin: „Was ist das für eine Scheiße?“ In letzter Zeit hatte sie sich mit vielen Problemen auseinandersetzen müssen. Der Verlust ihres Vaters war verheerend genug gewesen, und die Entdeckung ihrer wahren Herkunft hätte jeden umgehauen. Aber das … Gerade als sie dachte, es würde sich alles wieder einrenken, kam der Dirigent ihres Elends vorbei, um so zu tun, als hätte er ihr einen Gefallen getan. „Sei nett“, hatte DCI Pike gesagt, als sie angerufen hatte, um die Nachricht von Donovans Besuch zu überbringen. Sie würde nett sein, darauf konnte sich ihre DCI verlassen. Sie runzelte die Stirn, als sie den Rest der E-Mail las, in der sie über zukünftige Pläne informiert wurde.

Es klopfte leise an ihre offene Tür. Als sie den Blick hob, wurde ihr Gesichtsausdruck teilnahmslos. „Du bist zu früh.“

Donovan sollte erst am Montag anfangen, obwohl er DCI Pike in der letzten Woche über die Schulter gesehen hatte. Nachdem er von der Polizei von Essex zur Met gewechselt war, hatte man ihn ausgewählt, um DCI Pikes Stelle zu übernehmen. Amys und Pikes Verhältnis war zerstört, aber der Vorschlag in Donovans E-Mail, ein Fernsehteam einzuladen, verhieß nichts Gutes für seinen ersten Tag im neuen Job.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen“, antwortete er, nicht im Geringsten von ihrer Antwort überrascht. „Ich wollte dir nur sagen, dass eine E-Mail auf dem Weg zu dir ist.“ Seine Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, der oberste Knopf seines Hemdes stand offen. Bei jedem anderen hätte es Amy geärgert, dass er keine Krawatte trug, aber in Wahrheit fiel es ihr schwer, ihren Blick von ihm abzuwenden. Donovan war durchtrainiert und muskulös. Da war wohl jemand fleißig im Fitnessstudio gewesen.

„Ich lese sie gerade.“ Sie schenkte ihm ein höfliches Lächeln. „Also, wenn das alles wäre –“

„Wenn das alles wäre?“ Donovan stützte sich lässig auf die Lehne ihres Bürostuhls, seine blauen Augen unverwandt auf sie gerichtet. „Wir haben viel zu besprechen, findest du nicht auch?“

„Du fängst erst Montag offiziell an.“ Amy zeigte auf ihren Schreibtischplaner. „Ich habe dich für eine Besprechung um vierzehn Uhr eingetragen.“

Donovan nahm Platz und lächelte, doch sein Lächeln verblasste, als Amy eine Augenbraue hob, um zu antworten.

„Ist das dein Ernst?“, fragte er überrascht.

Amy nickte. „Pikes Abschiedsrede beginnt in ein paar Minuten. Ich bin sicher, unser Meeting kann warten.“ Die Ruhestandsfeier von DCI Hazel Pike hatte vor einer Woche stattgefunden, aber Molly hatte Geld vom Team eingesammelt, um Blumen und Wein zu kaufen. Amy hatte ihre eigene Rede vorbereitet und versuchte so nett zu sein, wie sie es unter diesen Umständen konnte. Es hatte keinen Sinn, einen Groll zu hegen. Pike ging, und das war das Beste für alle.

„Sie ist weg. Konnte es nicht ertragen, sich zu verabschieden. Sie bat mich, dir ihren Dank auszurichten, aber sie hasst Abschiede.“

„Oh.“ Amy nahm ihren Stift zur Hand und strich den Termin in ihrem Planer durch. Sie erhob sich von ihrem Stuhl. „Dann sollte ich es den anderen sagen.“

„Schon geschehen. Sieht aus, als hätten wir doch noch Zeit für unser Meeting.“

„Wenn du darauf bestehst.“ Amys Drehstuhl knarrte, als sie sich wieder hinsetzte.

„Ah, da ist sie ja.“ Donovan lächelte, als Molly hereinkam, die ein Tablett in ihren Händen balancierte. Darauf standen zwei Tassen Kaffee und ein Teller mit Jam Tarts, alles bezahlt mit der Kaffeekasse.

„Jederzeit“, meinte Molly, bevor sie wieder verschwand. Sie hatte sich sofort mit Donovan angefreundet. Von allen Teammitgliedern würde Molly DCI Pike am wenigsten vermissen.

„Sie ist nicht hier, um Kaffee für dich zu kochen, weißt du.“ Amy hob ihre Tasse vom Tablett. „Warum fragst du nicht Paddy oder Gary? Denkst du, nur weil sie eine Frau ist, dass sie –“

„Immer mit der Ruhe“, antwortete Donovan. „Ich habe sie nicht gefragt, sie hat es angeboten.“ Er ließ die Worte einsickern, bevor er fortfuhr. „Also, warum sagst du mir nicht, was dich wirklich stört?“

„Ist das nicht offensichtlich?“ Amy blies in ihren heißen Kaffee, aus dem Dampf aufstieg, bevor sie einen Schluck nahm.

„Ist es das Fernsehteam? Vertrau mir. Wir haben mit ihnen in Essex zusammengearbeitet, und das hat unseren Bekanntheitsgrad ungemein gesteigert. Es wird Wunder für das Team in London bewirken. Es könnte dir sogar Spaß machen.“

„Du hast leicht reden“, brummte Amy. „Du wirst nicht diejenige sein, der man eine Kamera ins Gesicht hält.“ Sie schob ihm einen Untersetzer zu, als er seine Tasse auf ihrem Schreibtisch abstellte.

Donovan stellte die Tasse auf den Untersetzer und lächelte. „Es wird nicht einfach werden, der Öffentlichkeit zu entkommen, also kannst du dich ihnen genauso gut stellen. Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.“

„Wenn du meinst …“ Amy starrte in das trübe braune Gebräu, das sich Kaffee schimpfte.

Donovan wurde von seinen ehemaligen Kollegen bei der Polizei von Essex sehr respektiert, und ihr Team konnte sich glücklich schätzen, ihn zu haben. Aber um ehrlich zu sein, schlug Amy um sich, weil sie verletzt war. Hätte sie gewusst, dass er ihr DCI werden würde, hätte sie letztes Jahr niemals versucht, mit ihm befreundet zu sein. Sie hatte sich ihm anvertraut, ihm von ihrem Privatleben erzählt. Es war schon schlimm genug, dass er dem Team beitrat, aber als DCI? Man hatte ihr gesagt, dass dieser Rang überflüssig sei, aber es schien, dass im Budget doch noch genug Spielraum dafür war. Warum hatte man ihr den Job nicht angeboten? Es war einfacher, die Schuld auf das bevorstehende Zirkustheater mit dem Fernsehteam zu schieben, als sich ihm weiter anzuvertrauen und sich verletzlich zu machen.

Donovan stürzte einen Schluck Kaffee hinunter, wobei er nie den Blick von Amy abwandte. „Die Öffentlichkeit liebt dich.“ Er stellte seine Tasse zurück auf den Untersetzer. „Du bist die Geheimwaffe der Met. Wir müssen jetzt handeln, die Chance nutzen und das Beste daraus machen.“

Aber Amy war in Gedanken versunken. Die Berichterstattung der Zeitung war gut gelaufen. Der zweiseitige Artikel in einem der führenden Blätter des Landes hatte über ihre Verbindung zu Lillian Grimes in einem positiven Licht berichtet. Es wurde viel über Amys Fähigkeit berichtet, sich in die Psyche von Serienmördern hineinzuversetzen. Der Artikel beschrieb sie als

Psychopathenflüsterin. Das britische Äquivalent zu John Douglas von Mindhunter“. Sie wurde gefeiert. „Als Leiterin eines Eliteteams macht sie Jagd auf die brutalsten Mörder Großbritanniens. Sie versteht, wie sie ticken. 

Warum man sich auf ihr Aussehen und ihre Größe von 1,57 m bezog, wusste sie nicht. Trotz ihres ernsten Gesichtsausdrucks war ihr Foto einigermaßen schmeichelhaft ausgefallen, und sie hatte daraufhin eine lächerliche Menge an Fanpost erhalten. Der einzige Vorteil, den Amy daraus zog, war, dass sie wusste, dass es ihre leibliche Mutter im Gefängnis zur Weißglut getrieben hatte.

„Amy? Hast du mich gehört? Die Dokumentation …“

„Die Doku, ja, ich habe dich gehört. Das ist ein richtiger Gamechanger!“ Amys graue Augen leuchteten, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Donovan richtete. „Und nenn mich Winter, wie alle anderen auch.“

Donovan schüttelte den Kopf. „Oh, um Himmels willen, entspann dich, ja?“

„Mich entspannen?“ Amy stieß ein humorloses Lachen aus. „Du wusstest, wie sehr ich Publicity hasse, und trotzdem hast du die Initiative ergriffen, um den Job zu bekommen. Wir waren Freunde. Du hast mich verraten.“

„Freunde? Kaum sind wir uns nähergekommen, hast du kalte Füße bekommen und die Flucht ergriffen. Komische Art, seine Freunde zu behandeln.“

„Sei leiser“, flüsterte Amy scharf und spähte hinaus, um sicherzugehen, dass sie nicht belauscht wurden. „Ich habe dem Kommandoteam bereits gesagt, dass ich bei deiner kleinen Initiative mitmachen werde. Aber ich muss es nicht mögen.“ Fast hätte sie gesagt, dass sie ihn auch nicht mögen musste, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie mochte ihn mehr, als sie zugeben wollte, und deshalb war ihre Reaktion so verbissen.

„Okay. Wenn du nicht darüber reden willst, dann habe ich noch Besseres zu tun.“

„Was glaubst du, wo du hingehst?“, fragte Amy, als Donovan sich auf den Weg zur Tür machte.

„Wie bitte?“

„Wir haben viel zu besprechen, hast du das nicht gerade erst gesagt?“

Verwirrt kehrte Donovan zu seinem Platz zurück. „Du bist einmalig, weißt du das?“

Amy lächelte. „Du bist nicht der Erste, dem das auffällt. Sieh mal. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin froh, dass du hier bist. Es ist diese Doku, über die ich mich ärgere. Ich werde mit der Zeit darüber hinwegkommen.“

„Wenn du die Idee so sehr hasst, rede ich mit dem Kommandoteam und sehe, ob wir eine Alternative finden können.“

Amy schüttelte den Kopf. „Ich habe diese ganze Publicity verursacht, also muss ich das jetzt klaglos hinnehmen. Die Zeitungen haben in einem Punkt recht. Wir sind ein Eliteteam. Und wenn die Öffentlichkeit hinter uns steht, dann bekommen wir vielleicht gerade genug Geld aus dem Budget, um unsere Arbeit zu machen.“

„Und es ist okay, dass du mir unterstellt bist?“

„Ich, dir unterstellt? Sei nicht dumm.“ Amy schnaubte. Dies war ihr Team, und sie hatte das Sagen. „Lass dich von meiner Größe nicht täuschen. Ich habe hier das Sagen.“

Donovan schüttelte den Kopf. „Das wird interessant werden.“

KAPITEL ZWEI

„Uh, ich verstehe, was hier vor sich geht. Ein Schaufensterbummel entlang der Brautmodengeschäfte?“ Amy konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre ältere Schwester zu necken, während sie die Londoner Oxford Street entlangliefen. „Denkst du, Paddy wird dir bald einen Antrag machen?“ Es war einer ihrer seltenen freien Samstagnachmittage, und es gab niemanden, mit dem Amy ihn lieber verbringen würde als mit Sally-Ann.

„Seine Scheidung ist noch nicht offiziell, aber es ist gut, informiert zu sein. Nur für alle Fälle.“ Sally-Ann grinste verschmitzt. „Außerdem, was ist mit dir und diesem gutaussehenden DCI Donovan? Ich habe ihn letztes Jahr in einer Polizeidoku gesehen. Puh, ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen“

Paddy.“ Amy rollte mit den Augen, als sie Sally-Anns Informanten auf Anhieb erriet. „Er hat wieder aus dem Nähkästchen geplaudert, nicht wahr?“ Paddy war Sally-Anns Lebensgefährte und ein Sergeant in Amys Team. Amy wusste, dass sich die beiden manchmal über ihre persönlichen Angelegenheiten unterhielten.

Sally-Ann konnte ihr Lächeln kaum zurückhalten. „Anscheinend stimmt die Chemie zwischen Donovan und dir.“

„Nun, du kannst Paddy sagen, dass er weit danebenliegt.“

„Es ist so einfach, dich aus der Reserve zu locken!“ Sally-Ann gluckste und hakte sich bei Amy ein. „Komm, lass uns sehen, was es mit dem ganzen Aufruhr auf sich hat.“

Sie sah die Menge vor dem Kaufhaus. Da es Februar war, hatte die Kette den Valentinstag als ihr Schaufensterthema aufgegriffen. Ein halbes Dutzend Leute hatte sich versammelt, die Handys in die Luft gereckt, um die Brautkleider von Vera Wang und Vivienne Westwood zu dokumentieren. Als Amy vor dem Schaufenster innehielt, betrachtete sie ihr Spiegelbild und erschrak über die Ähnlichkeit zu Lillian Grimes. Der Berufungsprozess ihrer leiblichen Mutter war in vollem Gange, und überall, wohin sie blickte, sah sie das Gesicht dieser Frau.

„Wow“, keuchte Sally-Ann im Einklang mit der Menge, und ihre Augen leuchteten, als sie die Schaufensterauslage in Augenschein nahm. „Sieh dir das an!“

Eine realistisch wirkende, blasse Schaufensterpuppe, die auf einem luxuriösen, rot gepolsterten und mit Gold verzierten Thron saß, strahlte auf jeden Fall den Wow-Faktor aus. Luxus, wie für eine Königin gemacht. Es herrschte ein Gefühl der stillen Ehrfurcht auf diesem belebten Londoner Bürgersteig, als die Käufer die Auslage betrachteten. Ein perlenbesetztes Diadem saß oben auf dem blonden Haar der Schaufensterpuppe. Die in den Stoff des Brautkleides eingenähten Diamanten und Perlentropfen sorgten für einen schillernden Effekt. Es war, als wäre sie in Eis getaucht worden. Amy blickte in ihr gefrorenes Gesicht und betrachtete dann den Strauß roter Rosen, der in den elfenbeinfarbenen Händen der Schaufensterpuppe steckte. Langsam verflüchtigte sich ihr Lächeln.

„Verflixt“, kicherte Sally-Ann. „Hast du jetzt auch das Brautfieber?“

Aber es war nicht das Kleid, das Amy interessierte. Sie reckte den Hals und drängte sich weiter nach vorne, um es besser sehen zu können. Sie drückte ihre Hand gegen das Fenster und untersuchte jeden Zentimeter der Auslage. Die Blumen waren frisch, die Finger der Schaufensterpuppe um die Stiele geschlungen. Aber Amy hatte noch nie eine Schaufensterpuppe mit einem blauen Schimmer unter den Fingernägeln gesehen. Und ihr Mund … Unter dem leuchtend roten Lippenstift und dem Rouge, das ihre Wangenknochen färbte, hatte ihre Haut einen lila-grauen Farbton. Bitte sag mir, dass ich mich irre, dachte sie, während ihr Atem das Glas beschlug. Aber die Puppe hatte eine tödliche Blässe, die sie von klein auf kannte. Amys Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den leeren Blick und den Streifen doppelseitigen Klebebands bemerkte, der die Augenlider offenhielt, die nur allzu lebensecht aussahen. „Das ist keine Schaufensterpuppe.“ Sie wandte sich an ihre Schwester, während sie ihr Handy aus der Tasche zog und den Notruf wählte. „Sie ist echt.“

Ein Tropfen roten Blutes trat aus dem Mundwinkel der Dame aus und lief an ihrem Kinn hinunter. Bewundernde Blicke verwandelten sich schnell in Entsetzen, als ein Schrei durch die Menge ging. Als die Disponentin antwortete, nannte Amy ihre Dienstnummer und ihren Standort und forderte eine Streife und einen Krankenwagen an. Trotz der bizarren Umstände nahm die Disponentin es sehr gelassen auf.

„Kannst du die nehmen?“ Als sie sich durch die Menge drängte, drückte Amy ihrer Schwester ihre Einkaufstüten in die Hände, sodass sie keine andere Wahl hatte.

„Geh, tu, was du tun musst.“ Sally-Ann winkte sie davon, da ihr das Leben mit einem Partner bei der Polizei nicht fremd war. „Ich rufe Paddy an und sage ihm Bescheid.“

„Du bist ein Schatz“, rief Amy, bevor sie sich auf den Weg ins Kaufhaus machte. Für den Moment hatte sie drei Aufgaben: die Bude schließen, das Opfer überprüfen und für die öffentliche Sicherheit sorgen. Als ihre Polizeiinstinkte einsetzten, wurde ihr Fokus gestochen scharf. In ihrem Herzen wusste sie, dass die Braut im Schaufenster tot war, aber sie musste trotzdem versuchen, sie zu retten.

„Ihre Schaufensterpuppe“, sagte Amy und schnappte sich eine erschrocken dreinblickende, blonde junge Frau, auf deren Namensschild „Brianna“ stand. „Soll die Schaufensterpuppe bluten? Ist das Teil eines bizarren Stunts?“ Die Frage klang verrückt, aber größere Kaufhäuser beschäftigten oft Designer, um ihre Auslagen möglichst eindrucksvoll zu gestalten.

„Bluten?“ Brianna sah Amy an, als ob sie verrückt wäre. „Nein, natürlich nicht!“

„Dann bringen Sie mich in die Auslage. JETZT!“ Amy kramte ihren Dienstausweis aus der Tasche und zeigte sie Brianna. Wenn sie bedachte, dass sie ihn fast vergessen hatte, als sie heute einkaufen gegangen war, wurde ihr ganz mulmig. Der Dienstausweis war ihr wichtigstes Accessoire. Bei der Polizei war man immer im Dienst und musste ihn immer bei sich tragen. Den Vorfall zu ignorieren, wäre nicht nur für Amy befremdlich, sondern auch eine Pflichtverletzung. CCTV war allgegenwärtig; sie wusste, dass Beamte strenge Verwarnungen erhielten, weil sie in Situationen, die eine polizeiliche Reaktion rechtfertigten, ihren Job nicht machten.

Dienstausweis hin oder her, nichts würde sie davon abhalten, in diese Schaufensterauslage zu gelangen.

„Sie können da nicht rein!“, kreischte die junge Frau, als Amy nach einem Eingang suchte.

„Hören Sie mir zu“, antwortete Amy autoritär. „Rufen Sie Ihren Manager und sagen Sie, dass es einen Zwischenfall mit der Auslage gab und dass die Polizei und ein Krankenwagen unterwegs sind. Sperren Sie alle Zugänge ab und schließen Sie das Kaufhaus. Niemand außer den Rettungsdiensten darf den Laden betreten oder verlassen. Haben Sie Rollläden?“

Die junge Frau nickte stumm, den Mund halb geöffnet, während die Farbe aus ihrem Gesicht wich.

„Wenn Sie nicht aus den falschen Gründen auf Twitter trenden wollen, sollten Sie sich jetzt beeilen.“

Amy zerrte an der Schaufenstertür und trat von hinten in die Auslage ein, wobei sie in ihrer Eile fast über die erhöhte Plattform stolperte. Das weckte das Interesse der wachsenden Menge, die jeden ihrer Schritte filmte. „So viel zum Thema Anonymität“, murmelte sie leise vor sich hin, als sie sich der stummen Braut näherte. Sie hoffte, dass sie sich irrte, dass ihr Instinkt sie im Stich gelassen hatte. Sie konnte es verkraften, wie eine Närrin dazustehen, wenn das bedeutete, dass es doch eine Attrappe war. Doch der Duft des Todes stieg ihr in die Nase, als sie tief einatmete, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Verstorbene im Fenster war noch nicht starr, aber eiskalt, und das Blut, das ihr aus dem Mund tropfte, war zu dunkel und klebrig, um von einer lebenden Seele zu stammen. Nachdem sie nach einem Puls gesucht hatte, der längst erloschen war, trat Amy zurück, um die Sanitäter durchzulassen. Sie schüttelte den Kopf, um ihnen mitzuteilen, dass sie zu spät waren. Endlich informierte sie das laute akustisches Geräusch von Metallrollen, dass die Rollläden sich senkten. Amys Magen drehte sich vor Abscheu um, als sich die Zuschauer darunter duckten, um einen besseren Blick zu erhaschen. Was faszinierte die Menschen so sehr an einem Mord? Und warum hatte man das Opfer öffentlich zur Schau gestellt?