Leseprobe Rising Star

Kapitel 5

Emily

Am nächsten Morgen hatte mich ein Fahrer pünktlich am Dumont abgeholt. Im Gegensatz zu David Porter hatte er mir seinen Namen nicht verraten und war insgesamt äußerst wortkarg, kein Vergleich zum gestrigen Tag und zu dem höflichen David.

Die Fahrt zum Lincoln Center dauerte nur kurz an. Ich hatte kaum Zeit, die vorbeiziehenden Straßen zu bewundern. Später würde ich mir alles eingehend und in Ruhe ansehen. Momentan fühlte ich mich von den vielen, neuen Impressionen der fremden Stadt überfordert. Geschätzt die Hälfte der Informationen und Eindrücke versickerten ohne jede emotionale Verarbeitung.

Was mir gar nicht gefiel.

Wir stoppten direkt vor einem großen Gebäudekomplex. Sara stand davor und hielt ihr Tablet vor der Brust.

Ich stieg aus dem schwarzen Escalade. »Guten Morgen, Sara.«

»Hallo, Emily. Hast du gut geschlafen in deiner ersten Nacht in New York?« Ohne auf Antwort zu warten, fuhr sie fort: »Ich stelle dich gleich deinen Kollegen vor. Komm bitte mit.« Und damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stöckelte vor mir her. Wieder einmal.

Puh.

Ich folgte ihr in ein länglich geschnittenes und modernes Atrium, in dem Stehtische mit weißen Hussen verteilt standen. Dabei kamen wir an einem vertikalen Garten vorbei, eine große Wandfläche, die über und über mit grünen Pflanzen bepflanzt war. Sehr beeindruckend!

Sara führte mich zu einer kleinen Gruppe von Personen, einer Mischung aus Darstellern aus dem Haupt- und Nebencast, wie sich herausstellte. Sie stellte mich vor – und ging danach wortlos weg.

Verblüfft schaute ich ihr nach, wurde jedoch direkt abgelenkt.

»Hi, ich bin Ricardo. Ricardo Luna. Aber alle nennen mich eigentlich nur Ricky«, begrüßte mich einer der Schauspieler, während er näher an mich herantrat und mir seine Hand entgegenstreckte.

Ein breites und charmantes Lächeln, das vermutlich so manch ein Frauenherz höherschlagen ließ, umspielte seine Lippen. Er zählte mit seinen dunklen Augen unter den dunkelbraunen Locken definitiv zu den attraktiveren Artgenossen der männlichen Spezies.

»Hey, ich bin Emily.«

»Ich weiß! Bist du neu hier?«

»Wenn du wüsstest, wie neu!« Ich lachte. »Das ist mein erster Film.«

»Tatsächlich?!« Er grinste zurück. »Meiner auch!«

»Was hast du bisher gemacht?«

»An ein paar Theatern erste Erfahrungen gesammelt.«

»Dann sitzen wir im selben Boot!«

Ich verstand mich von der ersten Minute an blendend mit dem Argentinier. Ricky hatte einen total witzigen Humor und war genauso froh wie ich, dass er auf jemand Unerfahrenes traf, mit dem er sich austauschen konnte.

Nathaniel Hansen hatte sich sehr knapp vorgestellt – er wünschte, Nathan oder Nate genannt zu werden –, und war für die Rolle des Antagonisten namens Malagant Drashi gecastet worden. Man munkelte, dass zunächst Charlie Hunnam für diese Rolle im Gespräch gewesen war. Sein Management hatte aber abgelehnt, und so war Hansen in die nähere Auswahl gerückt und im endgültigen Cast gelandet. Unter anderem mit Sicherheit wegen der optischen Ähnlichkeit.

Dann tauchte April Hastings auf. »Hallo, ihr Süßen! Ach, wie schön, euch endlich kennenzulernen«, trällerte sie.

April war eine Schauspielerin, die schon Erfahrung im Filmbusiness gesammelt hatte. Ich kannte sie aus den Medien.

Ohne Zweifel war sie eine hübsche Frau, doch alles an ihr schien unecht, vor allem ihr Lächeln. Und schon bald stellte sich heraus, dass sie auch eine unmögliche Person war. Ihr gehörte die Welt, und das ließ sie jeden mit ihrem eingebildeten, von sich überzeugten und überaus schnippischen Verhalten wissen. April hatte zwar bisher nur kleinere Rollen in verschiedenen Filmen gespielt, dadurch aber den Status eines B-Promis erlangt. Mit Stars wie Julian Baker oder Nathaniel Hansen konnte sie dennoch nicht mithalten.

Jeden von uns begrüßte sie persönlich und verteilte fleißig flüchtige Wangenküsschen. Als sie bei mir ankam, betrachtete sie mich mit einem skeptischen Blick von oben bis unten.

»Nun gut«, meinte sie, lächelte gekünstelt und küsste mich noch flüchtiger als die anderen rechts und links. Und ließ mich ohne ein Wort wieder stehen.

Völlig irritiert blinzelte ich Ricky an. Er versteckte sein Lachen hinter vorgehaltener Faust und rollte mit den Augen. Das war eindeutig.

Ich grinste zurück.

Diese Frau war eine Nervensäge und ging mir tierisch auf den Keks! Jetzt schon.

Was nahm sie sich heraus? Ich hatte schließlich die Hauptrolle ergattert, nicht sie.

Aber vielleicht war genau das ihr Problem …

Kapitel 6

Julian

Die Pressekonferenz fand im nahegelegenen Lincoln Center an der Upper West Side statt. Auf der Fahrt dorthin passierten wir die Südspitze des Central Parks. Was würde ich jetzt darum geben, dort eine Runde zu joggen. Aber zum Teufel, nein, ich musste auf diesen verfluchten Pressetermin.

Mein Fahrer setzte Eddy und mich direkt vor dem Center ab. Auf dem Weg ins David Rubenstein Atrium passierten wir die berühmte Wasserfontäne, kurz danach kam Eddy abhanden.

Ich schmunzelte leicht. Der Kerl schaffte es immer wieder, mich zu überraschen. Er war in der Tat der beste Assistent, der jemals für mich gearbeitet hatte. Kein Wunder: Im Gegensatz zu all den Pfeifen davor hatte ich Eddy höchstpersönlich eingestellt. Seitdem war er mir ein treuer Begleiter. Er kümmerte sich um meinen Kram und verwaltete meine Termine. Eddy war mein zweites Gehirn für all die Dinge, für die ich keine Kapazitäten übrighatte. Und er verfügte über ausgezeichnete Spionage-Fähigkeiten. Eddy war wirklich klasse und mir mittlerweile ans Herz gewachsen. Aber natürlich würde ich ihm das so niemals sagen!

Im Atrium suchte ich mir ein abgelegenes Plätzchen etwas abseits der Meute. Mit verschränkten Armen ließ ich meinen grimmigen Blick über die kleinen Grüppchen schweifen, die aufgeregt miteinander tuschelten.

Ich entdeckte viele mir bekannte Gesichter. Einige Kollegen und Kolleginnen des Filmteams hatte ich bei früheren Filmen kennengelernt, ihnen nickte ich grüßend zu.

Reagan stand auf der leicht erhöhten Bühne und beantwortete die Fragen einer Reporterin.

Mitten aus der umherstehenden Menge steuerte ein Mann auf mich zu. »Hallo, Bruder«, begrüßte Ryan mich, ehe er in meinen ausgestreckten Arm griff. Unser Begrüßungshandschlag.

»Hi, Ryan.« Ich lächelte ihn an.

Mein Bruder war zwölf Jahre älter als ich und überragte mich um ein kleines Stück, aber wir hatten die gleichen dunklen Haare. Nur bei ihm ergrauten sie mittlerweile an den Schläfen, und im Gegensatz zu mir hatte er braune Augen.

»Bereit für den großen Auftritt?«

Ich schnaubte. »Hör bloß auf, Mann! Ich habe so dermaßen keinen Bock, für Reagan die Marionette zu spielen.«

»Jules, Dad versucht nur, deine Karriere zu pushen. Willst du nicht endlich ernsthafte Rollen spielen? Oder reicht es dir, in unbedeutenden Teenie-Romanzen mitzumachen?«

Ich seufzte. »Du hast ja recht. Aber die Tatsache, dass Reagan da seine Finger im Spiel hat, geht mir einfach sowas von gegen den Strich. Ich würde es gern auch allein schaffen.«

»Das verstehe ich. Aber wenn der Film erfolgreich wird – wovon ich ausgehe –, hast du es geschafft, egal wie. Dann steht dir absolut jede Tür offen, und du kannst selbst entscheiden, welche Rollen du annimmst«, stellte er tadelnd fest. »Jane Burke hat mit dem Drehbuch eine hervorragende Arbeit geleistet.«

»Ich weiß, ich hab’s gelesen.«

»Mr. Hayes? Mr. Baker? Darf ich vielleicht ein Foto von Ihnen beiden machen?«, unterbrach uns ein Journalist, der mit seiner Kamera vor uns stand.

Selbstverständlich durfte er, immerhin war das eine Pressekonferenz. Und lehnten wir ab, würde das nur zu negativen Schlagzeilen führen.

Lässig fuhr ich mir mit der Hand durch meine etwas längeren Deckhaare, die so gestylt waren, dass sie gewollt ungewollt in alle Richtungen abstanden. Der Quiff Cut war laut der Stylistin der neueste Trend. Whatever. Hauptsache pflegeleicht und modern.

Ryan und ich positionierten uns nebeneinander und lächelten leicht. Kurz darauf hörte man das stakkatoartige Klicken der großen Spiegelreflexkamera. Der Pressemann überprüfte kurz die Bilder auf dem Minibildschirm und nickte uns zu. »Vielen Dank, meine Herren!«

Ryan redete direkt wieder auf mich ein, kaum dass der Typ weg war. »Die Rolle von Prinz Naeric passt einfach perfekt zu dir, Jules. Und vor allem unterscheidet sie sich komplett von deinen bisherigen Filmrollen. Sie könnte wirklich dein großer Durchbruch werden. Dann ist der Ruf des Teeniestars endlich Geschichte.«

Ich brummte und presste die Zähne aufeinander. Das würde eine äußerst anstrengende Zeit werden. Ich hatte Bock auf die Rolle, aber die Aussicht, mit meinem Vater zusammenzuarbeiten, verdarb all die Freude.

In diesem Augenblick kam besagter Vater durch die Menge auf uns zu, ein aufgesetztes Lächeln auf den Lippen. »Julian, mein Sohn! Wie geht es dir?«

Ich vergrub die Hände tief in den Hosentaschen und hob beide Augenbrauen. »Interessiert dich das wirklich oder fragst du nur, weil Reporter und Kameras in der Nähe sind, Reagan?«

Mit seinen längeren, nach hinten gegelten Haaren und der Designerbrille auf der Nase wirkte er auf mich wie Matthew McConaughey für Arme. Dieses schmierige Gesamtkonzept wurde durch einen maßgeschneiderten Tom Ford-Anzug abgerundet. Ein Styling, auf das ich selbst nur zu besonderen Anlässen zurückgriff und nicht zu einer stinknormalen Pressekonferenz.

»Jules!«, zischte Ryan.

Währenddessen scannte Reagan mit erschrockener Miene die Umgebung nach irgendwelchen Lauschern und lachte affektiert auf: »Aber, aber, wo denkst du wieder hin?!« Und in einem leiseren Tonfall fauchte er: »Sei verdammt noch mal froh, dass ich dir diese Rolle besorgt habe, du undankbarer Bastard! Andere Schauspieler würden für diese Möglichkeit über Leichen gehen.«

»Du meinst, so wie du?«

»Ich habe dich gestern schon gewarnt. Treib es nicht zu weit, Sohn. Wenn ich dir das Zeichen gebe, bewegst du deinen Arsch auf die Bühne, beantwortest die Fragen und führst die Show deines Lebens auf! Haben wir uns verstanden?«, herrschte er mich wütend an.

»Du lässt mir ja keine andere Wahl. Dad«, gab ich gepresst zurück.

»Nein, da hast du recht, Julian. Und ich rate dir, mich nicht weiter zu provozieren. Sonst lernst du mich von einer ganz anderen Seite kennen.« Er warf mir einen letzten grimmigen Blick zu, nickte dann kurz Ryan zu, der kein einziges Wort mehr gesagt hatte, und stapfte mit wütenden Schritten zurück in Richtung Bühne.

»Dein Ernst, Julian? Ich dachte, auch ich hätte mich gestern und eben klar ausgedrückt.«

»Ryan.« Er reagierte nicht. »Ryan, verdammt!«, rief ich ihm hinterher, aber er ignorierte mich und steuerte ebenfalls die Bühne an.

Na, großartig!

Wieder einmal hatte Ryan Partei für Reagan ergriffen. Klar, Reagan war auch sein Dad. Aber es hatte einen Grund, warum Ryan den Nachnamen unseres Vaters trug, ich dagegen den Familiennamen unserer Mutter angenommen hatte.

Ryan sah leider nicht, was für ein Arschloch Reagan war.

Ein Mann, der seine Ehefrau mit einem Neugeborenen sitzengelassen hatte, um deutlich jüngere Frauen zu vögeln. Während ich bei einer alleinerziehenden Mutter in Boston aufwuchs, die sich Nacht für Nacht in den Schlaf geweint hatte, in der Hoffnung, Reagan würde irgendwann zu ihr zurückkehren, hatte Ryan bei Reagan in Hollywood gelebt und war in den Genuss einer Vaterfigur gekommen.

Die Hoffnung auf ein Happy End hatte Mom bis heute, knapp fünfundzwanzig Jahre später. Und dafür hasste ich meinen Vater. Für alles, was er meiner Mom angetan hatte. Und letztlich mir.

Ich kannte Reagan lange Zeit nur von den monatlichen Schecks, die er meiner Mom nach der Scheidung regelmäßig zukommen ließ. Immerhin. Irgendwann hatte er dann angefangen, mich in den Ferien für ein paar Wochen zu sich zu holen. Aber anstatt etwas mit mir zu unternehmen und die verlorene Zeit aufzuholen, hatte er lieber seine Dates gefickt und mich beim Hausmädchen geparkt, das sich liebevoll um Ryan und mich gekümmert hatte. Für mich war dieser Mann wie ein Fremder.

Ryan war es stattdessen gewesen, der Zeit mit mir verbracht hatte, obwohl er sich als Teenager sicher Aufregenderes vorgestellt hatte, als sich um seinen zwölf Jahre jüngeren Bruder zu kümmern. Aber dafür war ich ihm echt dankbar. Und früher hatte er stets zu mir gehalten und mich in Schutz genommen.

Doch seit Ryan ein erfolgreicher Agent in Hollywood war und mich vertrat, saß er oftmals zwischen den Stühlen. Vor allem, wenn es um die Firma unseres Vaters ging.

Aber wenn ich es mir mit meinem Bruder verscherzte, konnte ich meine Karriere direkt zum Fenster hinausschmeißen.

»Hallo, Julian«, flötete in diesem Augenblick eine sinnliche Stimme neben mir.

Oh nein. Diese Stimme kannte ich.

Und ich mochte sie nicht.

Frauen wie April Hastings waren ein rotes Tuch für mich: Sie schliefen sich die Karriereleiter hoch und rochen Geld und Macht schon zehn Meter gegen den Wind. Und anscheinend hatte sie die Fährte aufgenommen.

Ich sah die aufgetakelte Blondine ausdruckslos an und rückte ein Stück zur Seite. »Hi, April.«

»Wie geht es dir, Honey?«, säuselte sie, bevor sie mit ihren falschen Wimpern einen verführerischen und filmreifen Augenaufschlag inszenierte.

»Gut«, entgegnete ich knapp.

»Julian, was hältst du davon, wenn wir beide uns mal ganz privat treffen?«, schnurrte sie.

Wow. Die kam ja schnell zur Sache.

»Lass mich überlegen. Ich denke eher nicht, nein.« Ich sah sie mit hochgezogenen Brauen an.

»Aber warum denn nicht? Wir beide wären ein unschlagbares Team. Wir hätten ganz viel Spaß miteinander«, entgegnete sie kichernd. Dabei wickelte sie geschickt eine ihrer platinblonden Strähnen um den Finger.

»Sorry, aber ich fange nichts mit Kolleginnen an.«

Ihre Miene verzog sich zu einer wütenden Grimasse. »Das hat dich bei Jenna auch nicht gestört!«, fauchte sie.

Verdammt!

Das ging sie mal wirklich gar nichts an.

»April, du bist sicher ein sehr nettes Mädchen, aber …« Ich grinste hämisch. »Wenn du jemanden für einen Fick suchst, versuch es doch am besten mal dort drüben. Da wirst du sicherlich mehr Erfolg haben als bei mir.« Aprils Blick folgte meinem ausgestreckten Zeigefinger, der auf Reagan wies, und sie starrte mich geschockt an. Volltreffer!

»Ah, Jules! Ich habe dich schon überall gesucht!« Auf einmal tauchte Eddy neben uns auf. »Ryan will mit dir noch etwas aus deinem Vertrag besprechen. Du entschuldigst uns, April?!« Freundlich lächelte er sie an.

April schnaubte, aber Eddy hatte mit seiner Masche mehr Erfolg. Ohne Protest schlenderte sie von uns weg.

»Danke, Mann. Du hast mir das Leben gerettet!«

»Das tue ich doch immer!«, erwiderte er grinsend, während er seine Augenbrauen schelmisch hüpfen ließ.

»Was will mein Bruder von mir?«

Eddy winkte ab. »Gar nichts. Das war nur ein Ablenkungsmanöver.«

Schmunzelnd blickte ich meinen Assistenten an. Er war ein wirklich ausgesprochen aufmerksamer Mensch.

»Hast du sie schon entdeckt?« Er klang ein bisschen aufgeregt. Von wem sprach er?

»Wen?« Stirnrunzelnd blickte ich zu ihm.

»Na, wen schon?! Emily natürlich!«

Ich schüttelte den Kopf. „Keinen Plan.“

»Dort drüben.« Eddy zeigte auf eine kleine Gruppe in der Mitte des Atriums, aus der in diesem Moment ein glockenreines Lachen zu hören war.

Es war ein attraktives Lachen.

Das schönste Lachen, das ich jemals gehört hatte.

Sie musste gemerkt haben, dass wir sie beobachteten. Denn urplötzlich hielt sie inne und drehte sich zu uns um.

Und unsere Blicke verhakten sich ineinander.

Kapitel 7

Emily

Ein zaghaftes Kribbeln breitete sich auf meinem Rücken aus. Meine Nackenhärchen sträubten sich, und ich konnte förmlich spüren, wie sich Blicke in meinen Rücken bohrten.

Eindringliche Blicke.

Dieses Gefühl war so intensiv, dass ich kurz die Hand hob, um Ricky zu unterbrechen. Mit ihm hatte ich mich bis eben ganz wunderbar unterhalten, doch nun …

Als ich mich umdrehte, sah ich geradewegs in Julian Bakers Augen. Intensiv musterte er mich.

Er fixierte mich auf eine Art, die mir eine leichte Hitze ins Gesicht trieb.

Ich blinzelte und wandte mich wieder Ricky zu. »Können wir uns später weiter unterhalten? Ich würde gerne Julian begrüßen«, erklärte ich und deutete mit einer Kopfbewegung hinter mich.

»Alles klar. Dann bis später!« Er schien mir den Abbruch unseres Gesprächs nicht übel zu nehmen.

Ich bewegte mich langsam in Julians Richtung, hielt aber seinem undurchdringlichen Blick stand und fand mich nach einer gefühlten Ewigkeit intensiven azurblauen Augen gegenüber.

Beängstigend und faszinierend zugleich.

Die Iriden seiner Augen waren mit kleinen, silbernen Sprenkeln durchsetzt, wie die Gischt einer stürmischen See.

Er hatte wahrhaftig überwältigende Augen.

Augen, wie ich sie bislang nie vorher bei einem Menschen gesehen hatte. Augen, in denen man sich verlor, wenn man nicht aufpasste.

Kein Vergleich zu dem Werbeplakat am Flughafen.

Keine Fotografie dieser Welt war in der Lage, dieser Realität gerecht zu werden.

Ausgeprägte Wangenknochen und ein Bartschatten auf Kinn und Wangen rundeten das außergewöhnlich hübsche, fast symmetrische Gesicht ab. Das Lächeln, das sich auf seine Lippen gestohlen hatte, hatte definitiv seine Augen erreicht – und außerdem unwiderstehliche Grübchen hervorgezaubert.

Vermutlich war Julian Baker der schönste und attraktivste Mann, der mir jemals begegnet war.

Und ganz sicher band man ihm das niemals auf die Nase.

Ich wappnete mich gegen Arroganz oder unwiderstehlichen Charme. Eins von beidem würde er mich gleich spüren lassen. Und genau aus diesem Grund lächelte ich ihn freundlich an.

»Hi. Ich bin Emily James, dein Co-Star. Aber das wusstest du mit Sicherheit schon.«

Obwohl in meinem Inneren ein Sturm aus Nervosität tobte, streckte ich ihm selbstbewusst meine Hand hin. Aber es war nicht die Tatsache, dass er gut aussah, die mich verunsicherte. Nein, vielmehr lag es daran, dass Julian alles erreicht hatte, was ich mir bislang nur in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Doch mit der ergatterten Filmrolle war ich meinem Ziel ein Stückchen nähergekommen.

Julian erwiderte meinen Händedruck, und ein leichter Stromschlag durchzuckte mich. Schnell zog ich meine Hand zurück und lachte auf. Julian räusperte sich.

»Ich bin Julian Baker.«

»Ich weiß …«

»Und ich bin Edward. Edward Mackenzie. Aber alle nennen mich eigentlich nur Eddy.« Er drängte sich geschäftig an Julian vorbei, um mir seine Hand entgegenzustrecken, die ich fest schüttelte. »Ich bin Julians Assistent.«

»Hi, Eddy. Freut mich, dich kennenzulernen! Mackenzie, hm?« Ich musterte ihn von oben bis unten und wies mit dem Kinn zu seinen kupferroten Wuschelhaaren. »Schottische Wurzeln?«

»Aye! Man sagt, mein Urururgroßvater sei Jamie Fraser gewesen«, witzelte er, indem er einen perfekt schottischen Akzent imitierte.

Seine herzliche Art bewirkte, dass ich laut zu lachen begann. »Oh, ich glaube, seit Outlander nennt sich wohl jedermann Jamie Frasers Nachfahre.«

»Du kennst Outlander?« Mit Augen groß wie Unterteller schaute Eddy mich an, als hätte ich ihm soeben eröffnet, dass ich erst kürzlich ein Mittel gegen Krebs entdeckt hatte.

»Natürlich! Ich stehe auf sture, selbstlose und humorvolle Männer in Kilts!« Frech grinste ich, war aber gleichzeitig irritiert, dass Julian unser Gespräch lediglich schmunzelnd verfolgte, ohne aber einen Mucks von sich zu geben.

Eddy wandte sich ihm zu und setzte einen ziemlich niedlichen Hundeblick auf. »Können wir sie adoptieren? Bitte, bitte, bitte?«

Mit einem schiefen Lächeln schüttelte Julian den Kopf. »Meinst du wirklich? Wir wissen doch gar nicht, ob sie stubenrein ist«, kommentierte er trocken.

Ich lachte auf. Das war witzig. Wer hätte das gedacht?

»Stellt euch vor, ich kann nicht nur die Zeitung holen, sondern auch daraus vorlesen«, mischte ich mich frech ein.

Während Eddy losprustete, zeichnete sich ein breites Lächeln auf Julians Lippen ab. Die silbernen Sprenkel in seinen Iriden funkelten um die Wette.

»Und schlagfertig ist sie auch noch«, murmelte er.

Mit dem Ellenbogen stieß Eddy ihn in die Seite. »Ich sag doch, sie ist die ideale Verkörperung der Asheena!«

Ach, ist das so?!

»Ich fasse das mal als Kompliment auf!« Ich grinste.

»Freust du dich schon auf die Rolle? Das muss sicherlich eine gewaltige Umstellung für dich sein. Du kommst vom Theater, richtig?«, fragte Julian mit ehrlichem Interesse.

Das kam für mich völlig unerwartet. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht damit. Seine Aura strotzte weder vor Arroganz, was sie normalerweise in den Medien tat, noch versuchte er mich mit seinem grenzenlosen Charme um den Finger zu wickeln. Im Gegenteil: Julian war freundlich, aufmerksam und zeigte Humor. Dadurch machte er es mir leicht, ihn sympathisch zu finden. Sein hübsches Gesicht, die unwiderstehlichen Grübchen, die sich zeigten, sobald er lächelte, und diese nahezu unmenschlich azurblauen Augen taten ihr Übriges. Nicht, dass ich ihn das merken ließ. Dazu gab es keinen Grund.

Ich atmete tief ein und zuckte mit den Schultern. »Das stimmt. Ich muss gestehen, bislang ist das alles noch ein bisschen surreal für mich. Aber das wird sich sicherlich ändern, sobald wir das Drehbuch durchgehen oder ich das erste Mal die Filmklappe zuschnappen höre.«

»Du wirst dich schneller daran gewöhnen, als dir lieb ist.«

»Und ehe ihr euch verseht, ist der Dreh vorbei, und ihr beide steht zur Premiere auf dem roten Teppich«, warf Eddy wissend ein, ehe Julians Blick immer wieder zur Bühne huschte.

»Ich unterbreche unser Gespräch nur ungern, Leute. Aber die Pflicht ruft. Die verdammte Fragerunde beginnt gleich«, kündigte Julian seinen nahenden Aufbruch an.

»Klar, kein Thema«, antwortete ich verständnisvoll, runzelte aber die Stirn, weil sich ein scharfer Unterton in seine Stimme geschlichen hatte. Anscheinend konnte er sich nichts Unangenehmeres als dieses Interview vorstellen.

»Bis später.«

Er bedachte mich mit einem kurzen, aber intensiven Blick, bevor er uns zunickte und in Richtung des Podiums verschwand. Je näher er der Bühne kam, desto mehr verkrampften sich seine Rückenmuskeln. Obwohl ich ihn nur für diese wenigen Minuten kannte, war selbst mir das aufgefallen.

War Julian Baker etwa angespannt?

Kapitel 8

Emily

Ich blieb bei Eddy stehen, um die Pressekonferenz anzusehen. Julian ging auf die Bühne.

Alle schauten ihn an. Ich bewunderte ihn ein bisschen für seine Präsenz, aber wirklich interessiert an ihm war ich selbstverständlich nicht.

Die einzige Person, die ich wahrhaftig und aus tiefstem Herzen anhimmelte, war dummerweise tausende Meilen weit entfernt und hetzte vermutlich in diesem Moment in seinem schicken, weißen Arztkittel durch das St Thomas’ Hospital in Lambeth.

Mein Luc. Mein Ein und Alles. Ich vermisste ihn sehr.

Erst heute Morgen hatte ich mein Smartphone wieder angeschaltet und einige verpasste Nachrichten und Anrufe entdeckt. Ich hatte allen getextet, dass ich wohlauf war und sie vermisste. Das tat ich wirklich. Ich verspürte tatsächlich so etwas wie Heimweh.

Später würde ich Luc und Brooke anrufen. Soweit ich den Zeitplan von Hayes Studios im Kopf hatte, stand heute nichts mehr an.

»Das könnte jetzt wirklich lustig werden«, meinte Eddy und unterbrach damit meine Gedanken. Den Blick hatte er starr auf das Podium gerichtet. Ich tat es ihm gleich.

»Warum?«

»Wirst du gleich sehen.« Abwartend verschränkte er die Arme vor der Brust.

Reagan Hayes eröffnete in diesem Moment die Pressekonferenz, sodass alle laufenden Gespräche im Saal verebbten. Er begrüßte die anwesenden Personen und hielt eine Ansprache über den Film. Da ich die Storyline mittlerweile auswendig kannte, nutzte ich die Gelegenheit, um mir Mr. Hayes näher anzusehen. Reagan Hayes war genau der Typ Mann, auf den Mum wohl abgefahren wäre. Zumindest, wenn ich Dads Erzählungen aus Mums früheren Beziehungen Glauben schenken durfte. Reagan war groß und athletisch gebaut, und seine leicht ergrauten und nach hinten frisierten Locken kringelten sich im Nacken. Auf seiner Nase saß eine modische Brille, durch die wache Augen blitzten, die ihre Umgebung aufmerksam scannten. Abgerundet wurde diese attraktive Gesamterscheinung durch seinen sonnengebräunten Teint und das charmante Lächeln, das mit seinen vollen Lippen verwachsen zu sein schien. Damit war auch klar, woher Julian sein gutes Aussehen hatte.

Nachdem Reagan mit der Vorstellung des Films fertig war, stellte er Miranda Bright, die Casting Director, unseren Regisseur Jerry Williams sowie den Co-Produzenten Alan Schneider – einen der Geldgeber von Goldwing & Schneider – vor. Goldwing & Schneider waren neben Hayes Studios in die Produktion des Fantasy-Streifens eingestiegen. Ein Verfahren, das im Filmgeschäft üblich war, um den Film entsprechend finanzieren zu können. Laut Sara standen die beiden Produktionsfirmen für den Filmverleih momentan sogar mit Warner Bros. in Verhandlungen.

Jerry und Miranda lobten die ausgezeichnete Auswahl der Darsteller und das überaus gelungene Drehbuch. Namentlich wurde der komplette Cast nicht vorgestellt. Das erfolgte erst in einer Pressekonferenz nach den abgeschlossenen Dreharbeiten. Im Vorfeld hatte mir Sara mitgeteilt, dass so die Schauspieler vor den Paparazzi geschützt werden sollten.

Zuletzt tauchte auf der Bühne eine Person auf, die ich nicht kannte.

»Wer ist denn die Frau, die eben auf die Bühne kam?«

»Das ist Jane Burke. Sie ist die Drehbuchautorin und Executive Producer. Du wirst sie morgen beim ersten Table Read kennenlernen«, entgegnete Eddy in gedämpftem Ton.

Immer wieder schweifte mein Blick zu Julian. Hinter seinem aufgesetzten Lächeln sah ich Wut und Abneigung in seiner Mimik. Sein Vater, Mr. Hayes, sprach jedoch in höchsten Tönen von seinem Sohn.

»Was ist da zwischen Reagan Hayes und Julian?«

»Julian hasst ihn.«

Das erklärte Julians angespannte Haltung.

Mr. Hayes beantwortete einige Fragen der Presse und übergab dann das Wort an Julian. Geduldig sprach der mit den vielen Reportern. Die waren jedoch nicht nur an The Nighthawk Tales interessiert, sondern stellten auch gezielt Fragen zu seinem Privatleben.

Immer wieder buhlten sie um seine Aufmerksamkeit. »Julian hier!« oder »Mr. Baker, wir hätten auch noch eine Frage!«, während die Kameras unentwegt klickten und die Personen auf der Bühne in ein wirres Blitzlichtgewitter hüllten.

Das ging eine Weile so weiter, bis Mr. Hayes den Fragenansturm unterbrach. »Meine Damen und meine Herren, im Namen von Hayes Studios, Goldwing & Schneider und der gesamten Filmcrew bedanke ich mich bei Ihnen, dass Sie heute anwesend waren! Gerne beantworten wir weitere Fragen zu einem späteren Zeitpunkt. Ich wünsche allen einen guten Nachhauseweg!«, sagte er.

Julians Miene hatte mittlerweile wieder die arroganten Züge angenommen, die man von ihm gewohnt war.

»Ich glaube, jetzt haben wir dieses Affentheater überstanden«, sprach Eddy und atmete gequält aus.

Affentheater?

»Aber so eine Pressekonferenz ist doch ganz normal bei anstehenden Filmen, oder?«

»Ja, das schon«, wandte sich Eddy mir zu und musterte mich. »Aber das hier war eine reine Marketingstrategie für Hayes Studios. Julian und sein Dad haben kein sehr gutes Verhältnis. Aber Reagan versucht, aus Julians Erfolg Profit zu schlagen und erhofft sich durch ihn in der Hauptrolle hohe Besucherzahlen in den Kinos und gute Filmkritiken. Schmücken mit fremden Federn. Nenn es, wie du willst.«

Puh, was sollte man dazu sagen?

Dass Eddy diese Tatsache so offen äußerte, wunderte mich. Julian machte ebenfalls keinen Hehl daraus, was er von seinem Vater hielt. Was immer auch dahintersteckte.

Reagan Hayes schien ein berechnender Kerl zu sein. Welcher Vater würde Profit aus dem Erfolg seines eigenen Kindes schlagen?

Die Menge im Atrium löste sich allmählich auf und strömte Richtung Ausgang. Ricardo verabschiedete sich von seiner Gruppe und gesellte sich zu uns.

»Hey, Ems. Wollen wir gehen? Ich denke, das war’s für heute.«

»Ja, sehr gerne!«

»Hast du dein Hotel auch in der Turtle Bay? Ein paar andere sind wie ich im Village untergebracht.«

»Äh, weder noch. Ehrlich gesagt, ist mein Hotel in Lenox Hill.«

Ricky hob erstaunt die Augenbrauen. »Lenox Hill? An der Upper East Side?«

»Ja. Wieso?«

»Ich kann mir schon denken, warum …«, gluckste Eddy amüsiert neben mir.

Bevor ich ihn fragen konnte, stieß Julian wieder zu uns. Mit einem kurzen Nicken grüßte er Ricky.

»Wir sollten gehen«, sagte er zu Eddy.

»Okay, dann mal los!« Eddy klatschte enthusiastisch in die Hände.

Ich grinste. Der Kerl war echt witzig, ich mochte ihn.

»Kann ich euch irgendwohin mitnehmen?«, fragte Julian und sah uns an.

»Also ich muss in die Lexington Avenue«, meinte Ricky.

»Sorry, dann wird das nichts. Ich muss nur zur Upper East Side, nicht weit von hier.«

»Etwa Lenox Hill?«, fragte Ricky mit hochgezogenen Augenbrauen.

Julian runzelte die Stirn. »Ja, zum Hotel Dumont. Warum?«

Ricky schwieg, und auch Eddy gab keinen Mucks von sich.

»Kann mir mal jemand sagen, was hier los ist?«, wollte Julian wissen. »Was ist so spannend an meinem Hotel?«

»Weil dann wohl ich eine Mitfahrgelegenheit habe«, schaltete ich mich ein und kassierte damit einen fassungslosen Blick von Julian.

Kurz überlegte er, dann zuckte er mit den Schultern. »Du kannst gerne mitfahren, wenn du willst.«

Na, das konnte ja heiter werden.

Vor dem Lincoln Center warteten einige SUV, die uns wieder in unsere Hotels bringen sollten. Reporter standen vereinzelt hinter den Absperrungen und schossen fleißig ihre Fotos.

Unter den wartenden Autos stach mir eins besonders ins Auge. David, mein gestriger Fahrer, hatte sich davor postiert und wartete auf seine Fahrgäste. Und das war ausgerechnet der Wagen, den Julian schnurstracks ansteuerte.

»Guten Tag, Ms. James.«

»Hallo, David«, grüßte ich ihn freundlich, ehe sich Eddy und Julian erstaunt zu mir umdrehten.

»Ihr kennt euch bereits?«, fragte Letzterer mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ich habe Ms. James gestern vom Flughafen abgeholt und ins Hotel gebracht«, erklärte David, bevor ich etwas sagen konnte, und hielt mir die hintere Wagentür auf. Eddy steuerte die Beifahrertür an, während Julian neben mir Platz nahm.

»Sara hat zwar gestern bei Julian angefragt, ob sie sich Jules’ Fahrer borgen dürfte, weil alle anderen Fahrer der Firma beschäftigt waren. Wir wussten aber nicht, wen David fahren würde«, begann Eddy.

»Tja, das war dann wohl ich. Ist das etwa dein eigener Wagen, Julian?«

»Ja.«

Ich blinzelte.

»Ich fahre dann direkt zum Hotel, Mr. Baker.«

Julian brummte nur als Zustimmung und hatte einen undurchdringlichen Ausdruck aufgelegt. Er starrte aus dem Seitenfenster. Seine ganze Haltung war total angespannt.

»Jules, soll ich dir schon mal etwas zum Essen bestellen?«, fragte Eddy, während er zeitgleich auf seinem Tablet herumtippte, das er kurz vorher aus seiner Umhängetasche gezogen hatte.

»Nein.«

Die Luft im Wagen war zum Zerreißen gespannt. Die Pressekonferenz schien Julian übel zugesetzt zu haben, wenn man bedachte, welche Laune er jetzt hatte. Um der düsteren Stimmung entgegenzuwirken, versuchte ich, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Stimmt es, dass du an der Juilliard studiert hast, Jules?«

Mit einem Ruck fuhr sein Kopf zu mir herum. Finster funkelte er mich von der Seite an. »Nur Freunde nennen mich Jules.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und wir sind keine Freunde.«

»Sorry, ich wollte dir nicht zu nahetreten!« Ich hob sofort abwehrend die Hände. Eddy sprach ihn dauernd so an, dementsprechend hatte ich angenommen, dass er so genannt werden wollte. Ich hatte mir echt nichts dabei gedacht.

Eddy unterbrach sein Getippe und drehte sich abrupt und mit aufgerissenen Augen zu uns um. »Also wenn du so weitermachst, wird es auch dabei bleiben, Julian«, schnaubte er abfällig.

Julian seufzte auf und rieb sich angestrengt mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel. Er schloss die Augen. »Nein, schon gut. Mein Fehler. Es war heute einfach ein verdammt anstrengender Tag.«

»Kein Problem«, wiegelte ich ab.

»Doch, ist es!«, entgegnete Eddy empört. »Emily hat nur nett gefragt, Jules!«

Julian atmete tief ein und seufzte erneut. »Ja. Um deine Frage zu beantworten.« Dann blickte er mich von der Seite abwartend an. Sein Blick war undurchdringlich, in seinen Augen flackerte es auf.

Ich blinzelte. Erst nach ein paar Sekunden reagierte ich: »Und wie war es dort so?«

Julian überlegte kurz. »Anstrengend, kräftezehrend, aber unglaublich aufregend und auch schön. Dort zu studieren, ist hart, denn die Lehrer fordern dich. Und wenn sie dein Talent erkennen, versuchen sie, dich zu fördern und das Beste aus dir herauszuholen. Und dabei ist es unerlässlich, positiv zu bleiben, sonst zieht man den Kürzeren. Denn es herrscht ein unfassbar hoher Konkurrenzdruck. Aber das ist dir sicherlich nicht unbekannt. Dennoch war es die beste Zeit meines Lebens.«

Oh wow …

Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Stattdessen war ich davon ausgegangen, dass er mir wieder irgendeine einsilbige und wortkarge Antwort geben würde. Umso mehr überraschte mich dieser Wortschwall.

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Ging mir genauso.« Ich schwelgte lächelnd vor mich hin.

»Ich hab schon gehört, dass du auf LSD warst«, stellte er amüsiert fest. Seine Stimmung hatte sich schlagartig geändert, und seine tiefazurblauen Augen blitzten vergnügt auf.

Ich stöhnte auf und verdrehte die Augen.

Den Witz mit der LSDA und der Partydroge LSD gab es schon seit den 1960er Jahren. Viele Alumni wurden noch Jahre später damit aufgezogen. Ich hatte diesen blödsinnigen Running Gag auch schon vor Julian einige Mal zu hören bekommen.

Aber irgendwann war der Witz einfach dreimal um die Ecke. Und schätzungsweise genauso nervig, wie wenn man dauernd zu hören bekam, dass man ein Aprilscherz sei, nur weil man zufällig am ersten April Geburtstag hatte.

»Ernsthaft?«, fragte ich Julian mit hochgezogenen Augenbrauen.

Als Reaktion lachte er nur. Laut und schallend, ehe sich auf seinen Wangen wieder diese entzückenden Grübchen bildeten und seine Augen schelmisch funkelten.

Ich stellte fest: Dieses Lachen mochte ich. Es war ehrlich.

Und mir wurde klar, dass hinter dieser arroganten Oberfläche mehr steckte, als Julian bereit war, der Öffentlichkeit zu zeigen.

Scheinbar öffnete er sich nur wenigen Personen. Eddy zum Beispiel. Oder in diesem flüchtigen Moment mir.

Womöglich lag es an der Tatsache, dass ich ihn eben nicht anhimmelte und bei jeder Gelegenheit versuchte, ihm um den Hals zu fallen. Nein. Ich war glücklich vergeben und würde nach Ende des Drehs meinen Verlobten heiraten. Meinen besten Freund.

»Was machst du heute noch so?«, wollte Eddy von mir wissen.

»Ich möchte mit meiner Familie telefonieren«, sagte ich lächelnd und trieb damit weiter meinen Gedanken hinterher.

Wie sehnlich ich Luc schon jetzt vermisste, war unfassbar.

»Das klingt nach einem tollen Plan«, antwortete Eddy.

»Das ist es wirklich.« Ich warf einen wehmütigen Blick aus dem Fenster.

Na ja. Um ehrlich zu sein: So toll war das nun auch wieder nicht. Telefonieren oder facetimen war einfach nicht dasselbe, als neben der Person aufzuwachen, die man liebte. Luc und ich hatten uns fast jeden Tag gesehen. So oft es sein Job, der Schichtdienst und die vielen Nachtschichten zugelassen hatten, waren wir am Abend nebeneinander eingeschlafen. Meistens bei mir, weil wir da mehr Privatsphäre hatten als in der Villa von Archibald und Laura Grimshaw, Lucs Eltern.

Zudem wurde Brooke manchmal von Albträumen geplagt, und da war es besser, wenn ich direkt nebenan war. Denn dann mussten Trost und Eiscreme her. Das hatten wir vorsorglich immer im Kühlschrank. Für Brooke. Nicht für mich, ich hasste Eis. Eiscreme musste bei ihr für alles herhalten: Liebeskummer, schlechte Laune, wenn ihr zu heiß war. Oder zu kalt. Gut, dass Brooke ausgebildete Tänzerin war und hart trainierte.

Luc war in diesen Situationen äußerst verständnisvoll gewesen. Er hatte ihr sogar einmal geraten, eine Therapeutin um Hilfe zu bitten. Er konnte da nicht aus seiner Haut, er war Arzt. Brooke hatte ihm nur wütend vorgeworfen, er wisse nicht, wovon er spreche, und danach hatte sie nie wieder ein Wort darüber verloren.

»Wir haben unser Ziel erreicht, Mr. Baker«, informierte uns David, und wir verließen den Geländewagen.

»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich zu Julian, als wir die Lobby des Dumonts betraten.

»Kein Problem. Da wir eh jeden Tag denselben Weg vor uns haben, kannst du mitfahren, wenn du willst«, schlug er vor, ehe wir die Aufzüge anstrebten, die uns nach oben brachten.

»Danke, das ist nett.«

Als sich die Aufzugtür im obersten Stock öffnete, nickte er mir zum Abschied kurz zu und eilte in die Richtung seiner Suite, ohne sich ein weiteres Mal zu mir umzudrehen. Eddy lächelte mir freundlich zu und eilte Julian hinterher.

Ich wurde aus dem Kerl echt nicht schlau.

Im Auto war er relativ offen gewesen, wenn man seine Art überhaupt als offen bezeichnen konnte. Und jetzt konnte er nicht schnell genug von mir wegkommen?

Unsere Figuren Asheena und Prinz Naeric aus The Nighthawk Tales würden sich im Laufe der Geschichte näherkommen.

Der Dreh mit ihm würde also interessant werden.