Franca
Mailand, März 1969
„Niemals wieder, hören Sie mich, niemals! Ich will diese Frau nie wieder auf meiner Bühne sehen. Nur über meine Leiche. Haben Sie das verstanden?“
Franca nickte, sah sich dennoch bemüßigt, ihren Kommentar auch zu artikulieren. „Das habe ich, Salvatore. Laut und deutlich.“
Wenn sich Salvatore Grecco, Intendant der Mailänder Scala, aufregte, dann richtig. Der temperamentvolle Neapolitaner war berühmt-berüchtigt für seine Wutausbrüche. Heute konnte sie ihm nicht einmal böse sein, denn ganz unrecht hatte er ja leider nicht. Seufzend hielt Franca den Telefonhörer etwas weiter weg von ihrem leidgeprüften Ohr. „Ich höre jedes Wort, Salvatore. Selbst wenn Sie es nicht glauben, ich verstehe Sie sogar, zumindest ein wenig.“
„Ach, ein wenig. Dass ich nicht lache. Ich habe schon viele kommen und gehen sehen. Größen der Opern- und Ballettwelt. Sie kennen mich, Franca, ich bin ein gerechter Mensch. Ab und an vielleicht ein bisschen impulsiv, manch einer mag es emotional nennen, aber immer gerecht. Das, was sich diese Frau in der letzten Zeit herausnimmt, setzt allem, was ich erlebt habe, die Krone auf.“
Franca drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und konnte sich gerade noch davon abhalten, sofort eine neue anzustecken. „Lassen Sie uns ehrlich sein, lieber Salvatore, so ganz unschuldig waren Sie auch nicht daran, dass sich alles so hochgeschaukelt hat, nicht wahr? Wie haben Sie Marie gleich wieder genannt?“
Ein leises, höchst ungehaltenes Schnauben drang aus dem Hörer. „Ich habe sie als das bezeichnet, was sie nun einmal ist, eine überkandidelte, sich selbst fortwährend überschätzende Hupfdohle.“
Franca war dem Himmel dankbar, dass niemand ihr Lächeln sehen konnte. Sie hätte tatsächlich wer weiß was darum gegeben, wenn sie bei diesem Gespräch Mäuschen hätte spielen dürfen. Noch mehr allerdings dafür, Maries oder vielmehr Antonias Gesicht nach dieser Betitelung zu sehen. Das jedoch würde nie jemand erfahren, auch Salvatore nicht. „Die derzeit beste Primaballerina der Welt eine Hupfdohle zu nennen, mag dann doch etwas gewagt sein, finden Sie nicht, lieber Maestro?“
Das nun lautere Schnauben am anderen Ende der Leitung zeigte klar und deutlich, dass Grecco völlig anderer Meinung war. „Franca, wir kennen uns jetzt schon … wie lange genau? Zwanzig Jahre, wenn ich mich nicht täusche. In all der Zeit ist mir niemand untergekommen, dem sein Ruhm in solchem Maße zu Kopf gestiegen ist wie Marie. Ja, sie ist gut und ich gestehe gerne ein, dass sie – noch – ein Publikumsmagnet ist. Aber lesen Sie sich bitte einmal die letzten Berichte in den einschlägigen Gazetten durch. Ich bin nicht der Einzige, den sie fortwährend an den Rand des Wahnsinns treibt. Sie wissen, wie sehr ich Ihr Urteil schätze und die Zusammenarbeit mit Ihnen. Dieses Mal aber bleibe ich unerbittlich. In der Juni-Aufführung anlässlich der Festspiele wird Marie Celeste nicht dabei sein. Basta, ich sehe es nicht ein, mir von ihr auf der Nase herumtanzen zu lassen. Irgendjemand muss ein Exempel statuieren. Scusa, ma non!“
Franca wusste, wann sie verloren hatte. Es wäre unklug, einen der wichtigsten Partner in der Theaterbranche zu verprellen, vor allem in puncto zukünftige Engagements. „Gut, Salvatore, ich gestehe ein, dass ich sehr traurig über diese Entscheidung bin, werde sie aber selbstverständlich akzeptieren. Ich hoffe, dass diese unerfreuliche Episode unsere zukünftige Zusammenarbeit nicht beeinträchtigen wird.“
Salvatores Lachen klang echt und herzlich. „Ach, Franca, Sie wissen doch, dass ich ohne Sie oft genug verloren gewesen wäre. Sie sind die beste Agentin, die ich kenne, auch wenn ich mich wirklich frage, warum Sie sich nicht endlich dieses undankbare Frauenzimmer vom Hals schaffen.“
Sie wechselte den Hörer in die andere Hand und griff nach ihrer Kaffeetasse. „Das hat etwas mit meinem Gewissen zu tun und damit, dass ich niemanden so leichtfertig fallen lasse. So etwas liegt mir einfach nicht, mag es auch noch so nervenaufreibend sein. Salvatore, ich freue mich auf unser nächstes Treffen.“
Franca legte den Hörer auf die Gabel und lehnte sich seufzend in ihrem wuchtigen Ledersessel zurück. Es war ein warmer Frühlingstag in Mailand und die Sonne drang durch die halbgeschlossenen Fensterläden. Nachdenklich betrachtete sie die Lichtstrahlen, in denen winzige Staubpartikel einen gemächlichen Tanz aufführten. Salvatore mochte richtig liegen, es wäre ihr ein Leichtes, Maries Vertrag zu beenden, sie ihrem selbstverschuldeten Schicksal zu überlassen. Aber dazu war sie einfach nicht fähig. Zu frisch war nach all den Jahren noch immer die Erinnerung an den Tag, an dem sie in dem kleinen Ort Borgonuovo, eine kurze Wegstrecke außerhalb Bolognas, ihren Wagen an der Tanzschule ihrer Freundin Serafina geparkt hatte.
„Du musst dir dieses Mädchen ansehen, sie ist einfach unglaublich. Sie tanzt wie eine Göttin.“
Serafina tendierte gelegentlich zu Übertreibungen, und so war Franca auf alles Mögliche gefasst gewesen. Nicht aber auf die siebzehn Jahre alte Antonia, die, den Kopf schüchtern gesenkt, den altehrwürdigen Tanzsaal betrat. Das große, sehr schlanke Mädchen mit den dunklen Katzenaugen und den langen, schwarzen Haaren war tatsächlich ein wahres Tanzwunder. Franca war nicht leicht zu beeindrucken, Antonia aber war es von der ersten Sekunde an gelungen. Sie bewegte sich mit einer Grazie, tanzte mit einer Hingabe und Leichtigkeit, die Franca noch nie zuvor erlebt hatte, und sie hatte einiges erlebt. Noch am selben Tag begleitete sie Antonia zu ihrem Elternhaus und sprach mit ihren Eltern. Binnen zwei Stunden war alles besiegelt und Antonias Vater unterzeichnete einen Vorvertag, der es Franca ermöglichte, das junge Mädchen unter ihre Fittiche zu nehmen. Die Freude in Antonias Augen zu sehen, war für Franca ein Ansporn, deren Träume schnellstmöglich wahr werden zu lassen. Schon eine Woche später zog Antonia vom beschaulichen Dorf in eine Künstlerpension im quirligen Mailand. Franca hatte ein wachsames Auge auf das Mädchen und Antonia enttäuschte sie nicht. Mit ihrer natürlichen Begabung und viel Fleiß arbeitete sie sich beständig nach oben. Auf kleine Tanzrollen folgten schon bald größere Parts und Franca achtete mit Argusaugen darauf, dass Antonia den hohen Ansprüchen, die Franca in ihrer Agentur nun einmal hatte, gerecht wurde. Es gelang ihr mit Bravour.
All das war vor elf Jahren gewesen. Aus Antonia Corella wurde Marie Celeste, und sie erklomm die Erfolgsleiter beinahe schon spielerisch. Engagements an der Mailänder Scala waren ebenso selbstverständlich wie an der New Yorker Met oder in Wien, London und Paris. Neun Jahre lang waren sie ein eingespieltes und sehr erfolgreiches Gespann gewesen. Sicherlich, Maries steigende Ansprüche waren auch Franca aufgefallen, aber als Star der Ballettszene durfte sie durchaus etwas kapriziös sein. Der Wandel, der in den vergangenen zwei Jahren mit ihr vor sich gegangen war, war hingegen besorgniserregend. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Jüngere nachdrängten, hungrig nach ersten Erfolgen wie einst Marie, biegsam und anpassungsfähig, stieß Marie so ziemlich jeden vor den Kopf, der ihr in die Quere kam. Franca kam seither aus den Entschuldigungen für ihren Star und deren Höhenflüge kaum mehr heraus. Marie war jedoch nicht nur hart gegen andere, sondern vor allem gegen sich selbst. Sie setzte stets Perfektion voraus und forderte dies auch von ihrem Umfeld. Allein aus diesem Grund hielt ihr Franca immer und immer wieder den Rücken frei und räumte Missverständnisse diplomatisch aus.
So auch heute wieder. Ausgerechnet Salvatore Grecco, der heißblütige Intendant, war Maries auserkorener Lieblingsfeind. Wie kurzsichtig das doch war. Franca erhob sich stöhnend aus ihrem eleganten Sessel. Sie warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster und betrachtete den quirligen Verkehr in der Mailänder Innenstadt. Irgendwie hatte Salvatore recht. Sie wurde schließlich nicht jünger und ihre Geduld mit Marie begann zu schwinden. Es gab andere, die ihren Platz einnehmen konnten, und doch wusste sie nur zu gut, dass sie beispielsweise dieses noble Büro zu einem guten Teil Marie verdankte. In ihre Gedanken versunken, trat sie vor den edlen, in einen antiken Holzrahmen gefassten Spiegel, der ihr vor wenigen Wochen auf einem Trödelmarkt ins Auge gestochen war. Da stand sie nun, Franca di Loreto, Inhaberin der Agentur Di Loreto, ein großer Name in der Branche, ein Name, der für Qualität bürgte. Mochte auch die Fünfzig am Horizont stehen, so waren ihr bis dahin noch vier Jahre vergönnt, und sie hatte sich ihre jugendliche, wohltrainierte Figur bewahrt. Ihr selbst war es nicht möglich gewesen, auf den Bühnen der Welt zu tanzen, auch wenn sie durchaus die Voraussetzungen dafür mitgebracht hatte. Es lag seinerzeit nicht am Talent, sondern schlicht am fehlenden Geld. Was ihr verwehrt geblieben war, das ermöglichte sie nun anderen. Jungen, ehrgeizigen Tänzerinnen und Tänzern, so wie Marie es gewesen war. Es tat ihr in der Seele weh, dass Marie nun ihren makellosen Ruf durch diese Starallüren aufs Spiel setzte. Franca streckte sich und strich den Rock ihres eleganten, dunkelroten Kostüms glatt. Andererseits, wo wäre Antonia Corella heute, hätte sie sie nicht in dieser Tanzschule ausfindig gemacht?
Es war müßig, darüber nachzusinnen. Zum einen musste sie Marie Greccos Entscheidung mitteilen, zum anderen wusste Franca genau, dass sie ihren Star nie und nimmer von heute auf morgen auf die Straße setzen konnte. Das brächte sie nach all den Jahren schlicht nicht übers Herz.
Sie nahm ihre Tasse vom Schreibtisch, durchquerte ihr geräumiges Büro und öffnete die Tür. Sofort schossen drei Köpfe in die Höhe.
„Franca, was können wir für Sie tun?“
Es ging doch nichts über motivierte Mitarbeiter. Lächelnd stellte sie ihre Tasse auf dem Schreibtisch direkt vor sich ab.
„Zwei Dinge, bitte: frischen Kaffee, und zwar stark, denn sonst bin ich nicht für Teil zwei gerüstet.“
Pia, ihre langjährige rechte Hand, lächelte wissend. „Das Telefonat mit Marie Celeste?“
„Himmel, woher wissen Sie das alle schon wieder? Aber ja, ich muss sie anrufen. Sobald ich meinen Kaffee habe, verbinden Sie mich bitte mit ihr. Sie müsste planmäßig in London gelandet sein und sollte in diesen Minuten im Savoy eintreffen.“
Pia erhob sich und eilte in Richtung Küche.
„Pia, Sie müssen sich eigentlich nicht allzu sehr beeilen. Es ist ja nun nicht so, dass ich dieses Gespräch kaum mehr erwarten kann.“
Marie
London, 1969
Müde lehnte sie ihren Kopf an das weiche Polster. Die Limousine, mit der man sie am Flughafen abgeholt hatte, war, ihren Ansprüchen entsprechend, bequem und mit allem Luxus ausgestattet. Hier in London wusste man mit wahren Stars umzugehen. Sie war sich darüber im Klaren, dass man ihr unterstellte, so etwas nicht genügend zu honorieren. Eine rundweg falsche Annahme. Noch heute freute sie sich über kleine Beweise der Wertschätzung. Derartige Unterstellungen verärgerten sie, denn schließlich war ihr Erfolg hart erarbeitet.
„Marie, möchten Sie, dass ich nach dem Besuch des Theaters ein Essen im Hotel arrangiere oder möchten Sie die Einladung des Intendanten annehmen und mit ihm und dem Regisseur zu Abend essen?“ Nicolos Blick ruhte fragend auf ihrem Gesicht, von dem er derzeit kaum allzu viel sah.
Seufzend nahm sie ihre große Sonnenbrille ab und schob das seidene Tuch, das sie sich um ihr Haar geschlungen hatte, etwas zurück. Ihr fleißiger und einfühlsamer Sekretär verdiente eine vernünftige Antwort und dass sie ihn dabei anblickte.
„Ein Essen im Hotel würde ich bevorzugen.“
„Es wäre diplomatischer, die Einladung von Sir Jacob anzunehmen.“ Sie konnte sein unsicheres Zögern gut deuten, lediglich weigerte sie sich, es auf sich zu beziehen. Nachdem er einmal tief Luft geholt hatte, fuhr Nicolo fort. „Bitte missverstehen Sie mich jetzt nicht, Marie, aber nach den letzten Schlagzeilen in der Presse wäre dieser Termin, bei dem Reporter und Fotografen anwesend sein werden, durchaus anzuraten.“
Sie rümpfte die Nase. „Anzuraten. Nicolo, ich bin doch keine Furie, die es dringend nötig hat, ihren Ruf wieder aufzupolieren.“
Ihr junger Sekretär schwieg einen Hauch zu lange und fuhr sich nervös durch den schwarzen Lockenschopf. „Um der Wahrheit Genüge zu tun: Es könnte nicht schaden, wenn Sie heute Abend lächelnd an der Seite der beiden Macher des Ballettabends erscheinen. Wenn wir möchten, dass London uns weiter gewogen bleibt, sollten wir mögliche Problempunkte beizeiten ausräumen.“
Marie zog sich die cremefarbenen Lederhandschuhe von den Händen und strich eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares, die sich aus dem strengen Dutt am Hinterkopf gelöst hatte, wieder unter das Tuch. „Sollten wir das? Lass mich aufrichtig sein. Mir erschließt sich nicht, warum ich andauernd Zugeständnisse an andere machen soll.“ Sie bemerkte, dass Nicolo verzweifelt nach Worten suchte, und erlöste ihn. „Schon gut. Bitte, organisiere das Essen mit den beiden Herren. Ich möchte aber vor Mitternacht wieder im Hotel zu sein. Morgen stehen anstrengende Proben auf dem Programm.“ Seufzend setzte sie ihre Sonnenbrille wieder auf.
Nicolo nickte erleichtert. „Natürlich, Marie. Ich werde Sie um elf Uhr mit der Limousine abholen, ist das in Ihrem Sinne?“
„Ja, damit werde ich wohl leben können.“ Ihr Blick wanderte hinaus in den dichten Berufsverkehr Londons. Wie konnte man sich nur daran gewöhnen, auf der falschen Straßenseite zu fahren? Aber bitte, solange sie sich nicht damit herumquälen musste. Marie streckte sich in dem weichen Lederpolster, eine kleine Bewegung nur, und dennoch schoss der Schmerz ihr in Hüfte und Knöchel. Es fiel ihr zunehmend schwer, solche Schmerzattacken vor Nicolo zu verbergen. Er war einfach zu oft an ihrer Seite, kannte sie langsam zu gut.
„Marie, ist Ihnen nicht wohl? Haben Sie Kopfschmerzen von der Reise?“
Dankbar betrat sie die ihr von ihm gebaute Brücke. „Ja, schon seit der Landung in Heathrow. Hast du meine Tabletten zufällig griffbereit?“
Bedauernd schüttelte ihr Sekretär den Kopf. „Leider nein, aber sobald wir im Hotel sind, kümmere ich mich sofort.“
Dem Himmel sei Dank erreichten sie in diesem Augenblick die nicht sehr glamouröse Auffahrt des Luxushotels. Die Limousine stoppte äußerst sanft. Marie liebte Rolls-Royce!
Die Tür zum Fond des Wagens wurde geöffnet, und nachdem Nicolo ins Freie geklettert war, streckte sich ihr eine behandschuhte Hand entgegen.
„Madame, willkommen im Savoy. Bitte lassen Sie mich Ihnen behilflich sein.“
Die Begrüßung wiederholte sich in der großzügigen, eleganten Hotellobby. Der Empfangschef verbeugte sich leicht. „Madame Celeste, es ist uns eine große Ehre, Sie heute wieder im Savoy begrüßen zu dürfen.“
Sie reichte ihm ihre Rechte. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich pflege die Aufenthalte in Ihrem Haus sehr zu genießen.“
„Stets zu Ihren Diensten, Madame. Sie haben auch dieses Mal die Savoy Suite, und ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet.“
Sie lächelte erfreut, offenbar hatte sie hier keinen allzu schlechten Eindruck hinterlassen. Während Nicolo die Formalitäten erledigte, nahm sie ihre Sonnenbrille ab und ließ den Blick durch die edle Halle schweifen. Ja, hier konnte man sich wohlfühlen. Luxus mit Stil und Charme, eine Kombination, die in Hotels dieser Klasse nicht immer gegeben war. Maries Blick fiel auf einen schönen, alten Holzaufsteller, in dem ein Plakat eingespannt war. Neugierig trat sie näher. Beim Anblick des Gesichtes, das ihr ernst und gemessen entgegenblickte, tat ihr Herz einen Hüpfer. Frederico! Das Plakat kündigte eine Sonderaufführung der Oper Rigoletto im Royal Opera House an. In der Titelrolle des Rigoletto: Frederico Alisi. Erfreut sog Marie den Anblick in sich auf. Frederico war eine wahre Augenweide. Als sie vor einigen Jahren das erste Mal sein Gesicht auf einem Plakat erblickt hatte, glaubte sie zuerst, den jungen Robert Taylor vor sich zu haben, so ähnlich waren sich der Tenor und der schöne Hollywoodstar. Wie stolz war sie gewesen, als Frederico sie das erste Mal wahrnahm und ihr Blumen schickte. „Sie tanzen wie eine Göttin.“
Welch ein Lob aus seinem Mund. Vor einigen Wochen hatte er sie in Rom zum Lunch eingeladen, ehe er nach New York fliegen musste. Wie sehr hatte sie seine Gegenwart und auch das Blitzlichtgewitter der sich vor dem Restaurant drängelnden Fotografen genossen. Nicht, dass sie öffentliche Aufmerksamkeit nicht gewohnt gewesen wäre, die schiere Masse an Paparazzi allerdings, hatte sogar sie nachhaltig beeindruckt. Und nun war er auch hier in London, welch ausgesprochen schöner Zufall.
„Marie! Telefon für Sie.“
Verärgert, aus ihren schönen Träumen gerissen zu werden, wandte sie sich Nicolo zu. „Muss das sein? Kannst du das bitte übernehmen?“
Der Empfangschef hinter dem Tresen machte ein trauriges Gesicht. „Madame Celeste, ich bedauere. Die Dame wünscht explizit, mit Ihnen zu sprechen. Franca di Loreto, Ihre Agentin. Darf ich verbinden?“
Hier blieb ihr keine Wahl. Franca abzuwimmeln kam nicht infrage. Ihre Agentin und beste Freundin war der einzige Mensch, den sie nie belügen könnte. „Ja, bitte. Tun Sie das.“
Der Mann nickte sichtlich erleichtert. Er zeigte mit einer kleinen Verbeugung nach rechts, wo sie diverse Telefonkabinen erblickte. „Bitte sehr, Madame, Kabine eins. Ich stelle durch.“
„Das kann doch nicht sein Ernst sein. Franca, ich bitte dich! Er kann mich nicht so einfach rauswerfen.“ Marie musste sich auf den samtbezogenen Hocker in der Kabine setzen. Ihre Knie drohten nachzugeben und ihre Hände zitterten. Das konnte und durfte Grecco nicht, das war unmöglich. Francas Antwort jedoch war ebenso eindeutig wie endgültig.
„Salvatore hat uns eine klare Absage erteilt. Er wünscht, zumindest vorerst, keine weitere Zusammenarbeit. Beruhige dich, Marie. Dies sind keine guten Neuigkeiten, das weiß ich selbst. Ich denke, ich muss dir nicht erzählen, dass ich alles versucht habe.“
Ein Glas Wasser wäre in diesem Moment gut, allerdings wollte sie nicht, dass man sie in diesem aufgelösten Zustand erblickte. Marie schöpfte tief Atem und versuchte, ihren galoppierenden Herzschlag in den Griff zu bekommen. Die Mailänder Scala warf sie aus dem Programm. Ein Desaster! Dieser selbstherrliche, überhebliche Mensch. Was glaubte er, mit wem er es zu tun hatte?
„Franca, was bedeutet das für die beiden Aufführungen im Herbst? Bin ich etwa nicht im Ensemble?“
Sie ahnte die Antwort, ehe Franca dazu ansetzte. Tatsächlich waren alle ihre Auftritte in der Scala abgesagt. Welch ein Schlag ins Gesicht. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass diese Aktion keine weiteren Kreise ziehen würde.
„Franca, wenn das öffentlich wird, ist mein Ruf angeschlagen, ich …“
Ihre Agentin war immer ehrlich und aufrichtig zu ihr gewesen, darüber war sich Marie im Klaren, daher schmerzten Francas Worte sie umso mehr. „Du erntest, was du säst, meine Liebe. In den letzten beiden Jahren hast du dir mehr und mehr Menschen zum Feind gemacht. Du bist ungerecht, fordernd, egoistisch und unflexibel. So kann es nicht weitergehen, Marie. Salvatore ist nur der erste Dominostein, der gefallen ist. Wenn du so weitermachst, werden weitere folgen. Ich muss dir nicht erzählen, wie die Branche funktioniert. Du musst achtsamer sein. Pass auf deine Worte auf. Sie können sehr verletzend sein, und einmal ausgesprochen, nur schwer zurückgenommen werden.“
Es stimmte ja, aber sah denn niemand, dass Greccos Reaktion vollkommen überzogen war? Ja, sie war manchmal kurz angebunden, hatte ihre Vorstellungen und Wünsche. Schließlich hatte sie wie eine Wahnsinnige gearbeitet, um dort zu sein, wo sie heute war. An der Spitze; die beste Tänzerin auf den Bühnen der westlichen Welt. Selbst in Moskau hatte man sie bejubelt. Und nun sollte ein einziger Mann das, was sie sich mühsam aufgebaut hatte, zum Einsturz bringen? Verdammter Salvatore Grecco, verdammte Scala.
Sie schaffte es, das Gespräch sehr gefasst zu beenden. Allerdings brauchte sie eine Weile, ehe sie die Kabine wieder verlassen konnte. Niemand durfte ihre Tränen sehen.
Kaum trat sie hocherhobenen Hauptes wieder in die Halle, vernahm sie seine wunderschöne Stimme.
„Marie! Sie sind es wirklich. Welch eine Freude, Sie hier zu sehen.“ Frederico Alisi stand mit ausgebreiteten Armen neben der Rezeption und strahlte sie an.
Vergessen war das unerfreuliche Telefonat, und sie eilte erfreut auf den Startenor zu. „Frederico, welch eine Überraschung. Ich wusste nicht, dass Sie hier sein würden.“
Lächelnd umarmte der große, breitschultrige Mann sie. „Rigoletto ohne mich? Das kann ich nicht zulassen. Ich hoffe doch, ich werde Sie im Publikum sehen?“
„Wenn es in irgendeiner Weise machbar ist. Ich tanze in zwei Tagen die Tatjana in Onegin. Wann ist Ihr Auftritt?“
Sein Lächeln vertiefte sich. „Morgen Abend, meine liebe Marie. Das bedeutet, dass Sie sich die Oper ansehen können. Ich sorge dafür, dass Sie einen exzellenten Platz erhalten. Was sagen Sie?“
Natürlich sagte sie ja, was auch sonst?
Gewiss wäre es vernünftig gewesen, nach der Generalprobe am frühen Abend zu Bett zu gehen, ihre Füße zu schonen und dafür zu sorgen, dass sie am nächsten Tag in Topform war. Aber wer wollte bei solch einem Mann schon vernünftig sein?
„Sehr gerne, Frederico. Ich freue mich auf einen Abend, der dank Ihrer Stimme gewiss einfach wundervoll sein wird.“
„Schmeichlerin, aber machen Sie gerne weiter so. Auch mein Ego muss schließlich gepflegt werden.“
Erneut umarmte er sie, wobei sie genüsslich den Duft seines herben Männerparfums in ihre Lungen sog. Sein heller Trenchcoat raschelte an ihrem Ohr. Als er sich von ihr löste, sah sie für einen Augenblick in seine dunkelblauen Augen, die einen interessanten Kontrast zu seinen schwarzen Haaren darstellten. Ja, Frederico Alisi war mit absoluter Sicherheit einer der schönsten und faszinierendsten Männer dieser Welt.
„Meine liebe Marie, und schon bin ich wieder auf dem Weg. Ich werde Ihnen Ihre Karte hier hinterlegen. Ich freue mich sehr.“ Ein letztes Lächeln, und weg waren er und seine ihn stets umschwärmende Entourage.
Glücklich ergriff sie ihre Handtasche, die noch immer neben Nicolo auf dem langgezogenen Empfangstresen stand.
„Kommen Sie, Nicolo, lassen Sie uns gehen, der Tag ist noch jung.“
Die Freude über das Treffen mit Alisi trug Marie durch den Tag. Gut gelaunt und eloquent, wie man sie von früher kannte, plauderte sie mit Sir Jacob, ließ sich erläutern, wie das Bühnenbild aussehen würde, und inspizierte die Bühnenkleidung. Sie liebte ihre Kostüme sofort. Nur ein Hauch von Stoff, ein wunderschöner, ihr auf dem Leib geschneiderter Traum aus Samt, zarter Baumwolle, Seide und Spitzen.
Sie war die Freundlichkeit in Person.
Allein der Gedanke, dass Alisi sie in dieser Aufführung sehen könnte, ließ ihr Herz schneller schlagen. Heute bekamen die Fotografen ihre Bilder, und Sir Jacob und Dean Bartram, der Regisseur, lagen ihr zu Füßen. Warum konnten die Tage nicht immer so sein?
Weil die Realität einen stets einholte. Spätestens als Nicolo sie zum vereinbarten Zeitpunkt in dem noblen Restaurant abholte und sie sich von ihren zufriedenen Gastgebern verabschiedete, war es auch für Marie so weit.
„Meine Füße bringen mich um.“
Nicolo half ihr, als sie den Aufzug des Savoy verließ. Nach einem Blick in beide Richtungen nahm er sie kurzerhand auf die Arme und trug sie zu ihrer Suite. Seinem besorgten Blick standzuhalten, forderte ihr einiges ab.
„Marie, Sie müssen sich schonen. Ich weiß doch, dass die Schmerzen nicht einfach so verschwinden. Machen wir uns nichts vor.“ Behutsam stellte er sie vor der Tür zu ihrer Suite wieder auf dem weichen Teppich des Hotelflurs ab.
„Nicolo, was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“
„Es gibt Spezialisten für so etwas. Hervorragende Spezialisten, das wissen Sie, Marie.“
Sie verzog ärgerlich das Gesicht. „Ja, ich weiß jedoch auch, dass, sobald mein Zustand ans Licht käme, meine Karriere wahrscheinlich beendet wäre.“
„Sie sagen es: wahrscheinlich. Ist es das wirklich wert? Ist es wert, diese unglaublichen Schmerzen zu ertragen? Marie, Sie vergiften sich mit den starken Medikamenten.“
Sie musterte ihn prüfend und lächelte. „Nicolo, ich danke dir von Herzen. Ich weiß deine Sorge zu schätzen, glaub mir. Noch aber bin ich nicht gewillt, aufzugeben. Viel zu lange und zu hart habe ich gearbeitet, um dahin zu gelangen, wo ich heute stehe. Nein, noch ist all das erträglich.“
Sie nahm das Döschen mit den Schmerzpillen entgegen und ignorierte seinen tadelnden Blick. Wie konnte ein so junger Kerl nur schon dermaßen anklagend schauen?
„Gute Nacht, Nicolo. Lass uns darüber schlafen. Wenn ich die Füße hochlegen kann, dann erhole ich mich rasch.“
Sie musste ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass er ihr kein Wort glaubte.
Nicolo
Der Gang zur Apotheke war für ihn zur lieben Gewohnheit geworden. Die Unsummen, die er hinblättern musste, um die neuesten und teuersten Schmerzmittel, die legal verfügbar waren, zu bekommen, beunruhigten ihn weitaus weniger als die Gesundheit seiner Arbeitgeberin. Mochte Marie Celeste auch ab und an schwer zu ertragen sein, so überwog seine Bewunderung für diese starke Frau dies doch bei weitem. Seit einigen Monaten jedoch konnte er seine Sorge kaum mehr verbergen. Lange Zeit schon hätte sie in die Hände eines erfahrenen Spezialisten gehört. So konnte und durfte es nicht weitergehen. Mit den starken Mitteln vergiftete sich Marie schrittweise. Er wusste nicht mehr, wie oft er ihr das schon gesagt hatte. Wenn sie doch nur auf ihn hören würde! Mit einer weiteren Packung der stärksten Schmerzmittel, derer er hatte habhaft werden können, eilte Nicolo zurück zum Savoy. Als er an einem kleineren Hotel vorbeilief, erhaschte sein Blick die Meldung im Glaskasten des altehrwürdigen Hauses: „Ärztekongress – Degenerative Knochenerkrankungen“. Neugierig geworden, trat Nicolo näher und spähte ins Innere. Es war sehr früh am Morgen und die Tagung der Mediziner hatte offenbar noch nicht begonnen. Die Flügeltüren des Konferenzraumes waren weit geöffnet und einige Männer in dunklen Anzügen fachsimpelten mit ernsten Mienen. Nur selten erklang ein Lachen. Nicolo nahm seinen Mut zusammen und trat an einen der Herren heran.
„Bitte verzeihen Sie, dürfte ich Ihnen wohl eine kurze Frage stellen?“ Sein Auftreten und seine ausgewählte Höflichkeit zahlten sich aus. Er durfte.
Nur kurze Zeit später klopfte er an Maries Zimmertür, und wenig später hatte er ihr seinen Plan erläutert.
Marie war absolut nicht seiner Meinung. „Nicolo, bitte versteh das nicht falsch, aber hast du den Verstand verloren? Was denkst du macht es für einen Eindruck, wenn ich bei einem Ärztekongress auftauche und mich mit einem Professor treffe, der auf degenerative Knochenerkrankungen spezialisiert ist? Unmöglich!“
So kam sie ihm heute nicht davon. Eine solche Chance würde sich wohl nie wieder bieten.
„Gut, dann hole ich ihn hierher. Auch eine internationale Koryphäe wie er lässt es sich nicht entgehen, eine Marie Celeste zu treffen.“
Marie schien noch nicht ganz überzeugt. „Das wird sich zeigen. Ich bewege mich auf jeden Fall nicht aus dem Hotel.“
Eine gute halbe Stunde später betrat Nicolo gemeinsam mit dem deutschen Arzt Professor Dr. Franz Schadbeck das Savoy. Ihm war gewiss nicht wohl bei dieser Sache, aber Maries Gesundheit durfte nicht weiter leiden. In der Kürze der Zeit hatte er im Gespräch einiges über den Professor in Erfahrung bringen können. Er war in Deutschland und der Schweiz nicht nur Dozent für Medizin, sondern auch an diversen Forschungsprojekten für degenerative Knochenerkrankungen federführend beteiligt. Genau hier setzte Nicolo nun an. Bei einem neuen, erfolgversprechenden Medikament, das der Professor an deutschen Unikliniken laut eigener Aussage bereits sehr erfolgreich testete. Er musste glauben, was der erfahrene Mediziner ihm erzählte, eine andere Wahl hatte er nicht, ebenso wenig wie Marie.
„Bitte, Herr Professor, nehmen Sie einstweilen hier in der Lobby Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee oder Tee bringen lassen, während ich Madame Celeste auf Ihren Besuch vorbereite?“
Der Professor musterte ihn mit amüsierter Miene. „Junger Mann, Sie sehen mir sehr ängstlich aus. Verstehe ich das richtig, dass Madame Celeste kein einfacher Mensch ist?“
Nicolo atmete tief durch. „Herr Professor, Sie ahnen ja nicht, wie nahe Sie der Wahrheit kommen.“ Er sorgte noch in aller Eile dafür, dass der Professor seinen Kaffee erhielt, und lief so rasch er konnte zu Maries Suite.
„Gut, Nicolo, du sollst deinen Willen haben. Bringe diesen Professor zu mir. Aber ich bitte um absolute Diskretion. Über den Besuch dieses Arztes darf nichts an die Öffentlichkeit gelangen, hast du mich verstanden?“
Er nickte erleichtert. „Selbstverständlich, Marie, ich habe ihn unter dem Siegel der ärztlichen Schweigepflicht hierhergeholt. Er ist sich dessen bewusst.“
Marie benahm sich gegenüber dem Professor mustergültig. Vielleicht auch schlicht aufgrund der Tatsache, dass Schadbeck eine eindrucksvolle Persönlichkeit war, dem seine langjährige Erfahrung und sein Wissen im Umgang mit Patienten deutlich anzumerken waren.
„Madame Celeste, Sie wissen, dass Sie sich und Ihren Gelenken bleibenden Schaden zufügen? Ihre Knochen haben begonnen, sich zu verformen. Sie wissen, was in Ihrem Fall eine Deformierung Ihres Fußes nach sich zieht? Auf lange Sicht heißt das, sich vom Spitzentanz zu verabschieden. Sie sind sich, so hoffe ich doch, darüber im Klaren, dass Sie über kurz oder lang um eine Operation nicht herumkommen?“
Marie schwieg Nicolo fast schon zu lange und er befürchtete schon eine harsche Entgegnung, als sie sehr leise antwortete. „Ja, Herr Professor, ich weiß das nur zu gut. Doch ehe ich mit Ihnen weiter darüber spreche, bitte ich Sie, mir eine Frage zu beantworten. Ehrlich und rundheraus, versprochen?“
Nicolo sah dem Mediziner sein Erstaunen an, doch dieser nickte. „Bitte, Madame, fragen Sie.“
Maries Stimme war noch immer leise, aber sehr fest. „Sagen Sie mir, was ist Ihnen Ihr medizinischer Erfolg wert? Wie lange und wie hart haben Sie dafür gearbeitet, um sich dort wiederzufinden, wo Sie heute stehen? Was würden Sie alles in Kauf nehmen, um das Erreichte zu schützen? Wie gesagt, eine aufrichtige Antwort, bitte.“
Professor Schadbeck fuhr sich durch seinen grauen Haarschopf und Nicolo sah das verständnisvolle Lächeln auf dessen Lippen. „Eine kluge und weise Frage, Madame Celeste. Ja, ich würde viel darum geben, meine Arbeit, meine Forschung und meinen Erfolg zu schützen. Ich weiß nur zu gut, worauf Sie abzielen. Bitte glauben Sie mir, ich verstehe Sie wahrscheinlich besser, als Sie sich vorstellen können. Dennoch bitte ich auch um Ihr Verständnis, dass ich Sie als verantwortungsvoller Mediziner warnen muss. Sie wollen nicht die beschwichtigende Antwort eines Scharlatans, Sie wollen die Wahrheit, sehe ich das richtig?“
Marie nickte, wenn auch zögerlich. „Ja, das will ich. Wahrheit gegen Wahrheit, das ist nur fair.“
Der Professor griff nach Maries Hand. „Hören Sie mir gut zu. Ich verordne Ihnen ein Medikament, das Ihr Sekretär an der Uniklinik hier in London abholen kann. Es beinhaltet starke Entzündungshemmer, die von schmerzstillenden Komponenten unterstützt werden. Somit wird es Ihrer Entzündung entgegenwirken und die Schmerzen um ein Vielfaches verringern. Allerdings muss ich Sie eindringlich ermahnen: Nehmen Sie das Medikament nur nach einer Mahlzeit. Einem reichhaltigen Frühstück, einem guten Mittagessen oder einem vernünftigen Imbiss. Trinken Sie viel, gerne klares Wasser. Zu dem Medikament verordne ich Ihnen eine Salbe, mit der Sie sich jeden Morgen und jeden Abend ihre Füße und die Knöchel massieren.“ Er warf Nicolo einen auffordernden Blick zu. „Junger Mann, ich darf annehmen, dass Sie hierfür Sorge tragen werden?“
Er nickte eilig. „Selbstverständlich, alles, was Madame hilft.“
„Gut, dann verlasse ich mich darauf, dass Sie meinen Anweisungen folgen werden.“ Professor Schadbeck setzte sich an den Sekretär und zog einen Rezeptblock aus seiner unauffälligen Aktentasche. „Besorgen Sie das Medikament schnellstmöglich, dann sollte einer beinahe schmerzfreien Tatjana nichts im Wege stehen.“ Lächelnd reichte er Nicolo das Rezept. Er erhob sich, schob seine randlose Brille etwas nach unten und wandte sich erneut an Marie. „Zu Ihnen, Madame, kann ich nur sagen, bitte hören Sie beizeiten auf die Signale Ihres Körpers. Denn ansonsten wird der Tag kommen, an dem schmerzstillende und die Entzündung eindämmende Mittel von starken Opiaten abgelöst werden müssen. Bitte, lassen Sie es nicht so weit kommen. Ihr Sekretär hat meine Karte. Ich kann Ihnen eine Operation in Deutschland anbieten, einen Eingriff, der gänzlich ohne großes Aufsehen durchgeführt wird. Niemand wird davon Kenntnis erhalten, Sie verstehen? Und ich darf Ihnen versichern, dass sie sich nach der Operation wieder schmerzfrei bewegen können.“
„Bewegen oder tanzen? Sie wissen, was für mich auf dem Spiel steht.“
Schadbeck runzelte nachdenklich die Stirn. „Madame Celeste, Sie wollten die Wahrheit, und die lautet nun einmal: Ich kann Ihnen keine Garantie geben.“
Marie ergriff die Hand des Professors. „Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Ihre Aufrichtigkeit und Ihren Rat. Ich verspreche, mich zu melden, wenn ich Ihre Hilfe benötige.“
Nicolo begleitete den Arzt noch bis zum Aufzug. „Achten Sie auf Madame Celeste, sie selbst hat das schon lange verlernt.“
Professor Schadbecks Abschiedsworte wollten Nicolo so gar nicht gefallen.