Kapitel 1
Sollte es einen Himmel auf Erden geben, so war es mit Sicherheit dieses Fleckchen hier. Die Sonne prasselte von einem babyblauen Himmel auf die Anlage des Baia dei Sogni Resorts. Weit und breit gab es nichts als wunderschöne Finkas umrahmt von wahren Kaskaden an prächtig blühenden Büschen, deren Namen ich nicht kannte.
Ich konnte noch immer nicht glauben, dass ich tatsächlich hier war. Einfach so meine sieben Sachen zu packen und in ein anderes Land abzuhauen passte ganz und gar nicht zu mir. Doch wenn ich auf die Geschehnisse der letzten Wochen zurückblickte, war es meine einzige Möglichkeit gewesen.
Zwei Wochen war es erst her. Zwei Wochen seit ich meinen Mann mit der Blondine in unserer Küche erwischt hatte. Zwei Wochen voller Qual und Tränen, in denen Mel wie ein Engel für mich da gewesen war. Ich hatte mich bei ihr einquartiert, denn das Haus in Nymphenburg wollte ich nur wieder betreten, um meine restlichen Sachen zu holen. Das hatte ich mir geschworen.
Und das hatte ich schneller hinter mich gebracht, als ich es mir zugetraut hätte. Hatte dazu feige auf einen Zeitpunkt gewartet, zu dem Stefan für gewöhnlich nicht zu Hause war. Wieder hatte ich meinen Mann unterschätzt. Er hatte mich erwartet. Später erfuhr ich, dass er die ganzen acht Tage, seit ich das Haus verlassen und nicht mehr für ihn erreichbar gewesen war, darauf gewartet hatte, dass ich zurückkommen würde.
Rückblickend konnte ich kaum glauben, wie unerbittlich und hart ich gewesen war. Wie ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn nicht zurücknehmen würde, und wie ich mit Genugtuung den gleichen Schmerz in seinem Gesicht gesehen hatte, den ich selbst fühlte.
„Bitte sag mir, dass du nicht gerade an ihn denkst“, riss Mels Stimme mich aus meinen Erinnerungen.
„Es ist gerade mal zwei Wochen her“, erwiderte ich leise. „Glaubst du wirklich, es wäre so einfach?“
„Das sollte es auf jeden Fall sein“, entgegnete sie unerbittlich. „Schließlich hat es sich dieser Hurensohn auch nicht gerade schwer gemacht.“
Sie war nicht die ganze Zeit so hart und bestimmt gewesen. Als ich an jenem Tag völlig aufgelöst bei ihr angekommen war, hatte sie meinem Gestammel nur mit Mühe entnehmen können, was passiert war, und mich dann in ihren Armen gewiegt wie ein Baby. Volle zwei Wochen hatte sie mich weinen lassen und mich getröstet. Irgendwann hatte sie jedoch beschlossen, dass es so nicht weitergehen konnte, und mich zu dieser Reise überredet.
„Es reicht“, hatte sie gesagt und das Messer, mit dem sie gerade Kartoffeln geschält hatte, frustriert in die Spüle geworfen. „Du hast diesem Arschloch die besten Jahre deines Lebens geschenkt. Jetzt bist du dran!“
Und ohne mir auch nur eine Gelegenheit für eine Erwiderung zu geben, war sie ins Wohnzimmer gestürmt und hatte begonnen, wie eine Besessene auf ihrem Laptop herumzuhacken.
Als ich eine Stunde später zu ihr gestoßen war, um ihr mitzuteilen, dass das Abendessen auf dem Tisch stand, hatte sie mir ebenfalls eine Mitteilung zu machen gehabt. „Ich habe uns eine Reise gebucht, Maddi. Sechs Wochen Sardinien. Das wird dich schon wieder in die richtige Spur zurückbringen.“
Ich hatte protestiert, aber mir waren schnell die Gründe dafür ausgegangen, die Reise nicht antreten zu können. Es gab nichts mehr, was mich in Deutschland hielt. Ich hatte keinen Job, keinen guten Draht zu meiner Familie und seit Neuestem nicht einmal mehr ein Zuhause.
An einem der darauffolgenden Tage war ich ein zweites Mal zu unserem Haus gefahren, während Mel im Büro war. Ich hatte es nicht fertiggebracht, Stefan einfach unwissend zurückzulassen.
Als er von unserem Vorhaben hörte, hatte er verzweifelt den Kopf geschüttelt, als ob er erst da begriffen hätte, wie ernst es mir war. „Hör mir zu, Maddi. Es tut mir so leid, dass du das mitansehen musstest. Wir sind fast zehn Jahre zusammen. Vor dir hat es nie eine andere gegeben, ebenso wenig wie bei dir. Hast du dich nicht auch mal gefragt, wie es wäre?“
Das war der Moment gewesen, in dem ich ihm die widerliche Glastaube an den Kopf geworfen hatte, die seine Mutter uns zu unserer Hochzeit geschenkt hatte.
„Du tust es schon wieder!“, sagte Mel vorwurfsvoll, und ich erwachte aus meinen Gedanken wie aus einer tiefen Trance.
Schuldbewusst sah ich ihr in das gebräunte Gesicht, das von einzelnen Strähnen ihres platinblonden Haares umrahmt wurde, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Mit aller Macht versuchte ich, bei diesem Anblick nicht an die stöhnende Blondine auf meinem Küchentresen zu denken, und rang mir mühsam ein Lächeln ab. „Von jetzt an gehört meine Aufmerksamkeit voll und ganz dir.“
Mel lächelte und strich mir kurz tröstend über den Arm. „Braves Mädchen. Wir kriegen dich schon wieder hin. Wirst schon sehen.“
Sechs volle Wochen blieben uns dafür. Danach würde ich mir überlegen müssen, wie es mit mir und meiner Zukunft weiterginge. Ob ich Stefan verzeihen konnte? Wollte ich das überhaupt? Eines stand jedenfalls fest: Meine Liebe zu ihm war in diesen wenigen Augenblicken in unserer Küche in Milliarden Splitter zersprungen, die seitdem schmerzend in meiner Brust festzustecken schienen. Er hatte gesagt, ich solle mir die sechs Wochen Bedenkzeit nehmen, noch mehr, wenn ich das brauchte. Doch wie konnte ich das tun, wenn mich doch stetig der Gedanke quälte, dass er in dieser Zeit vielleicht die nächste Gespielin finden würde?
Melanie hatte mich dazu genötigt, meinen Ehering in Deutschland zu lassen, sodass meinen Ringfinger nun eine seltsam weiße Stelle zierte, die nur noch mehr an den Verrat erinnerte.
„Du hättest mir ruhig mal helfen können. Langsam frage ich mich, wer von uns beiden die Sprachausbildung gemacht hat“, meckerte Mel und fuchtelte mit zwei Schlüsseln vor meiner Nase herum.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir die Rezeption erreicht hatten. Es war ein imposantes Gebäude auf einer Art Hügel, von dem aus man die ganze Anlage überblicken konnte. Unter uns schimmerte verlockend ein Pool zu mir hoch. In der Ferne konnte ich einen Berg ausmachen, der wie ein mächtiger Korken auf dem Meer zu treiben schien. Und davor strahlten unzählige kleine Finkas wie weiße Diamanten im gleißenden Sonnenlicht. In meiner Brust regte sich ein Gefühl, das ich so lange nicht mehr verspürt hatte, dass es einige Zeit dauerte, bis ich es als Freude identifizierte. Mel hatte recht – jetzt waren wir hier, und wir würden das Beste daraus machen.
„Wie ich sehe, hast du es auch ganz gut ohne mich hinbekommen“, erwiderte ich. „Können wir jetzt endlich in unsere Finkas?“
„Tu was du willst, aber ich schleppe diesen Koffer sicher nicht quer über das Areal. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo genau wir wohnen.“ Damit ließ sie sich ächzend in einem der Korbstühle nieder, die sich zwischen großen Blumenkübeln gruppierten.
Ich warf einen Blick auf eines der kleinen Golfautos, die in der Nähe standen. „Du willst dich allen Ernstes von einem Shuttle kutschieren lassen?“
Sie zuckte die Schultern. „Ist im Preis mit drin. Spar dir die Luft! Da kommt schon jemand.“ Sie deutete auf das Gefährt, das soeben um die Ecke gebrettert kam. Hinter dem Steuer saß ein Mann um die dreißig, der seine Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte und seine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verbarg. Sein strahlend rotes Shirt mit der Aufschrift „Staff“ stand im krassen Kontrast zu seiner düsteren Miene.
Diese schien auch Melanie nicht verborgen geblieben zu sein, denn sie bedeutete mir, dass ich ihn ansprechen sollte.
„Ich spreche kaum Italienisch“, zischte ich.
Sie winkte ab. „Du machst das schon.“
Ich sah zu dem Mann, der finster zurückstarrte und keine Anstalten machte, zu uns herüberzukommen. Wütend auf Mel und den Fremden stapfte ich zu ihm und kramte die Brocken längst vergessenes Italienisch hervor, die ich während einiger spärlicher Abendkurse vor Jahren gelernt hatte.
„Buongiorno. Äh … Dové …?“ Hilflos hielt ich meinen Schlüssel hoch, an dem ein Anhänger mit der Nummer meiner Finka baumelte.
Der Mann gab ein verächtliches Schnauben von sich, nahm den Schlüssel wortlos an sich und begann, unsere Koffer auf die Gepäckablage seines Wagens zu werfen.
„Was für ein unfreundlicher Kerl! Ich dachte, Italiener seien so warmherzig“, beschwerte ich mich bei Mel, die den Mann auf Englisch fragte, ob wir einsteigen sollten. Da er eine Sonnenbrille trug, war ich mir nicht ganz sicher, doch ich glaubte zu sehen, wie er ungeduldig die Augen verdrehte, ehe er nickte.
„Der ist doch unmöglich!“, regte ich mich auf, als wir eingestiegen waren.
Er fuhr so scharf an, dass mein Kopf unsanft gegen die Lehne knallte, und ich warf ihm im Rückspiegel einen wütenden Blick zu, ehe ich mich abwandte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Süße, jetzt entspann dich. Wir sind ihn gleich los, und dann beginnen sechs Wochen am so ziemlich schönsten Ort der Welt.“
„Ich habe einfach genug von rücksichtslosen Männern“, brach es aus mir heraus.
„Nicht alle Männer sind wie Stefan oder dieser Typ. Wir sind hier, um Spaß zu haben. Schau dich doch mal um!“ Sie zeigte auf die gepflegten Rasenflächen voller prächtiger Sträucher und niedlicher Finkas. Gelächter hallte aus jeder Richtung zu uns. Es roch nach Sonnencreme und einem schweren Blumenduft.
Ich lächelte das erste Mal seit meiner Ankunft aufrichtig und frei. „Du hast recht. Tut mir leid.“
Dennoch atmete ich erst auf, als wir vor unseren Finkas zum Stehen kamen. Während der Fahrer ausstieg, um unsere Koffer abzuladen, rannten wir ungestüm in die Unterkünfte. Ich hörte, wie Mel ausstieß, was mir selbst durch den Kopf schoss, als ich den schönen klimatisierten Raum betrat. „Heilige Scheiße! Der Herr im Himmel meint es gut mit uns!“
Es war in der Tat ein kleines Paradies. Ein großes Himmelbett beherrschte den Raum. Gegenüber befand sich ein helles Sideboard mit kleinem Fernseher, und an der Wand bei der Tür stand ein großzügiger Kleiderschrank. Das angrenzende Bad war hell und freundlich und verfügte über eine geräumige Dusche.
Ein Geräusch hinter mir ließ mich zusammenzucken. Der Mann war mit meinem Koffer erschienen. Er hatte eine Präsenz, die den ganzen Raum einzunehmen schien. Ich spürte, wie er mich hinter seiner Sonnenbrille taxierte.
„Grazie“, sagte ich und hoffte, dass er bald verschwinden würde. Hinter ihm war Melanie in der Tür erschienen, die das Geschehen argwöhnisch beobachtete.
Da sprach er das erste Mal, völlig unverhofft und in einem nahezu perfekten Deutsch. „Zum Strand können Sie das Shuttle nutzen. Rufen Sie einfach bei der Rezeption an. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“
Ich glaube, in diesem Moment klappte uns beiden die Kinnlade herunter. Er hatte also jede meiner Beleidigungen ihm gegenüber verstanden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Der Gedanke ließ Melanie verlegen lachen. Mich machte er rasend vor Wut. „Hätten Sie uns nicht einfach sagen können, dass Sie Deutsch sprechen?“
„Sie haben nicht gefragt, Signora“, erwiderte er kühl. „Sie waren zu beschäftigt damit, mit Ihrem Italienisch zu brillieren. Benvenuti.“ Er tippte sich mit einem sarkastischen Grinsen an die Mütze und ließ uns stehen.
Ich fühlte mich wie eine dumme Gans. Fassungslos drehte ich mich zu Melanie um. „Was für ein unmöglicher Widerling!“
Doch meine Freundin hatte sich bereits vergnügt grinsend abgewandt, um sich in meinem Badezimmer umzusehen. „Reg dich ab, Maddi. Du hast keinen Grund, so rumzuzicken. Verdammt, dein Badezimmer ist doppelt so groß wie meins!“
Ohne dass ich es hätte verhindern können, breitete sich ein Lächeln auf meinen Zügen aus. „Ich nehme an, dass ich es einfach verdient habe.“
„Ach, halt die Klappe“, sagte sie lachend und warf einen prüfenden Blick zur Uhr. „Kurz nach vier. Die perfekte Zeit, um den Pool abzuchecken.“
„Wollen wir nicht erst mal auspacken?“, fragte ich, doch sie winkte ab. „Das können wir machen, wenn die Sonne untergegangen ist. Vorausgesetzt, dass ich da nicht mit einem heißen Italiener in meinem Bett liege.“
Da sie bei dem Satz keine Miene verzog und es sich eben um Melanie handelte, musste ich davon ausgehen, dass das ihr Ernst war. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir sind gerade erst angekommen!“
Sie nickte. „Und es ist an der Zeit, etwas Spaß zu haben. Gott, wie lange hatte ich diese Art von Spaß nicht mehr! Und ganz ehrlich, Süße, für dich wirds auch mal wieder Zeit.“
„Okay, okay. Gehen wir zum Pool“, sagte ich schnell, ehe sie auf noch mehr dumme Gedanken kommen konnte, zerrte Handtuch und Bikini aus dem Koffer und machte mich daran, mich umzuziehen.
Am Pool angekommen, fiel aller Ballast von mir. Zahlreiche Liegen gruppierten sich um die große Wasserfläche. Da noch keine Sommerferien waren, war nur gut die Hälfte von ihnen mit Urlaubern besetzt, hauptsächlich handelte es sich dabei um junge Paare oder ältere Leute. Es herrschte eine freundliche, gediegene Atmosphäre. Ein Hauch von lateinamerikanischer Musik wehte von der Poolbar zu uns herüber.
Wir suchten uns zwei Liegen mit Blick aufs Meer. Während Melanie den Schirm aufspannte, ließ ich mir den Wind sanft durchs Haar streichen und sah auf den Ozean hinaus, der hinter dem Resort zwischen den Bergen funkelte. Wieder fiel mein Blick auf den einen im Wasser treibenden Berg, über dem watteweiche Wolken hingen, und ein Zauber erfasste mich. Sein Anblick ließ meine Probleme plötzlich vollkommen nichtig erscheinen, gab mir das Gefühl, dass nichts anderes zählte als dieser Moment.
„Ich glaube, ich muss dir danken“, sagte ich, nachdem Mel sich ebenfalls auf ihrer Liege niedergelassen hatte.
„Glaub mir, Süße, ich tue das nicht allein für dich“, erwiderte Mel mit einem trägen Lächeln, schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und lehnte sich zurück.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und genoss die Gegenwart einiger lachenden Kinder, denen ich dabei zusah, wie sie sorglos im Pool spielten. Ein riesiges aufblasbares Einhorn trieb in ihrer Mitte. Mit angenehm leerem Kopf und leichtem Herzen lehnte ich mich schließlich zurück. Ehe ich mich versah, hatte der Schlaf mich überwältigt.
Kapitel 2
Laute Musik ließ mich hochschrecken. Da es das erste Mal seit dem traumatischen Erlebnis in meiner Küche gewesen war, dass ich traumlos hatte schlafen können, sah ich mich verärgert nach der Lärmquelle um und erwartete, einen Halbstarken mit seinem Handy zu entdecken. Als ich richtig wach wurde, erkannte ich jedoch, dass die Musik aus großen Boxen direkt vom Pool kam, wo sich einige Leute in orangefarbenen T-Shirts versammelt hatten.
Mel, die immer für Aufregung zu haben war, richtete sich auf wie ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hatte. „Die scheinen etwas aufführen zu wollen.“
Ich stöhnte. „Muss das sein? Ich fühle mich wie ein Party-Tourist.“
„Du klingst eher wie eine verbitterte alte Ziege.“ Ihr Grinsen entschärfte ihre Worte, doch ich wusste, dass sie meinte, was sie sagte.
Das tat sie immer, darum schätzte ich sie so sehr. Und das Schlimmste war – sie hatte meistens recht. Zum Glück blieb es mir erspart, weiter darüber nachdenken zu müssen, denn in diesem Moment wurde Ed Sheerans „Shape of you“ gespielt und die Animateure begannen zu tanzen.
„Hier wird einem ja richtig was geboten“, kommentierte Mel beifällig und ließ ihre Blicke ungeniert über die männlichen Animateure gleiten. Mel war bereits Ende dreißig, sodass die meisten der Männer eigentlich zu jung für sie wären, doch ihre guten Gene ließen meine Freundin nie im Stich, und wir gingen fast immer als gleichaltrig durch, obwohl ich gerade mal siebenundzwanzig war. Da ich mich in letzter Zeit jedoch fühlte, als hätte ich mein Leben bereits hinter mir, wirkte ich nach außen wahrscheinlich nicht gerade jung und dynamisch.
„Mamma Mia!“, riss Mel mich aus meinen deprimierenden Gedanken.
Als mein Blick zum Pool wanderte, war mir sofort klar, was den Ausruf ausgelöst hatte. Die Animateure hatten ihre Shirts ausgezogen und ihre trainierten, schokoladenbraunen Körper entblößt. Es machte mich immer verlegen, Männer so anzustarren. Oft beschwerte ich mich, dass Mel über Männer redete wie über ein Stück Fleisch. Aber da mein eigener Mann offenbar mit der Hälfte der Münchener Frauen vögelte, gönnte ich mir heute ganz demonstrativ einen besonders langen Blick auf einen der Männer, der mir besonders gefiel.
Als hätte er meine Aufmerksamkeit gespürt, fuhr er zu mir herum und musterte mich mit einem wohlwollenden Grinsen. Er tanzte nicht weit von uns und sah mir dabei mit einer Intensität in die Augen, die mir die Schamesröte in die Wangen trieb.
Schnell wandte ich den Blick wieder ab. Als ich vorsichtig wieder aufsah, starrte er mich noch immer an. Er hatte ein attraktives Gesicht, und in seinen tiefbraunen Augen las ich eine stumme Herausforderung. Seine Haut erinnerte an Milchkaffee, und sein lockiges schwarzes Haar glänzte in der Sonne.
Mel rammte mir den Ellbogen in die Seite. „Die Sahneschnitte hat ein Auge auf dich geworfen.“
Das war eine unleugbare Tatsache. Ich schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase und erwiderte: „Dafür bin ich sicher nicht hier.“
„Und ob du das bist, Liebling“, widersprach Mel. „Wenn du ihn dir nicht angelst, tu ich es, obwohl du mit deinen Killer-Beinen eindeutig die besseren Chancen bei ihm hättest.“
Mel war von jeher neidisch auf meine langen schlanken Beine gewesen, obwohl ich selbst fand, dass ich damit wie ein Storch wirkte. Ich hatte meine Haare bis knapp über den Po wachsen lassen und trug sie stets offen, um diesen Eindruck abzuschwächen.
„Da bin ich anderer Meinung“, erwiderte ich. „Tu dir also keinen Zwang an.“
Trotzdem konnte ich die Augen nicht von ihm lösen. Sein Lächeln schien zu sagen, dass er mich ganz und gar durchschaute, selbst wenn er gar nicht zu mir sah. Sein kurzes lockiges Haar verlieh ihm trotz der muskulösen Statur etwas wild Romantisches. Sein Körper sah aus, als hätte Gott jeden Winkel davon genauestens bemessen.
Mamma Mia, dachte ich. Das trifft es wirklich.
Als die Vorstellung vorbei war, nahmen einige der Animateure die umstehenden Kinder bei der Hand, um sie zum Fußballspielen in den Mini-Club mitzunehmen.
Der Mann, der mich beobachtet hatte, baute die Musikanlage ab und klemmte sich die Boxen unter die Arme. Als er an uns vorbeikam, warf er mir ein Grinsen zu, das jeder Frau die Knie hätte weich werden lassen.
„Buongiorno, Signora“, sagte er mit einer Stimme, die perfekt zu seinem sinnlichen Aussehen passte.
„Buongiorno“, erwiderte ich heiser. Er nickte auch Mel zu und war dann ebenfalls verschwunden.
„Der legt dich flach, ehe die zweite Woche um ist“, kommentierte Mel neben mir.
„Hör schon auf mit dem Unsinn“, erwiderte ich gereizt.
Wie zu erwarten gewesen war, entlockte ihr diese Reaktion nur ein breites Grinsen. „Als ob dir andere Gedanken durch den Kopf gegangen wären, als du ihn gerade gedanklich ausgezogen hast. Jetzt gib es doch wenigstens zu, wir sind unter uns, Maddi. Vor mir musst du nicht die Unnahbare spielen.“
„Schön!“, stieß ich hervor. „Ja, ich finde ihn attraktiv. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir miteinander im Bett landen werden.“
Sie legte sich wieder zurück, stützte ihren Arm auf und sah mich aufmerksam an. „Und wenn doch, wäre das so schlimm?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann jetzt einfach nicht über so etwas nachdenken.“
„Warum denn nicht, um Himmels Willen?“, fragte sie fassungslos. „Jetzt ist der beste Zeitpunkt für dich, um über genau so etwas nachzudenken. Aber lass mich raten, du geißelst dich lieber weiter mit dem Gedanken daran, wie dein Mann dieses Flittchen vögelt.“
„Wenn ich hier mit dem Erstbesten ins Bett springe, bin ich nicht besser als er“, fauchte ich. „Außerdem hast du doch gesagt, ich soll nicht mehr über Stefan nachdenken!“
„Als ob du das nicht schon die ganze Zeit auch ohne ein Wort von mir getan hättest“, erwiderte sie besorgt. „Madleen, deine Situation hier kann man mit seiner gar nicht vergleichen. Du bist auf dem Weg zur Scheidung, es wäre also kein Ehebruch.“
Ich schwieg, sah demonstrativ in Richtung des großen Berges im Wasser und hoffte inständig, dass sie das Thema fallen lassen würde. Was sie natürlich nicht tat.
„Das bist du doch, oder?“ Zweifel und Fassungslosigkeit ließen ihre Stimme höher klingen.
Ich brachte es nicht fertig, sie anzusehen, weil ich mich in diesem Moment für mich selbst schämte. „Er hat mich mehrmals gebeten, mir Zeit zu nehmen und noch einmal über alles nachzudenken.“
„Sag mir nicht, dass du ihm das zugesichert hast“, flüsterte sie wütend.
Mir war klar, dass sie nur so leise sprach, um sich selbst davon abzuhalten, mich anzuschreien. Ich biss mir auf die Lippe, ehe ich beherrscht erwiderte: „Ich führe eine Ehe, Mel. Ich kann nicht beim kleinsten Streit aufgeben.“
Wie sollte sie es auch verstehen, sie hatte nie geheiratet. Nein, sie machte es sich leicht und suchte Liebe auf Zeit, ohne jegliches Risiko. Ich war so wütend, dass ich ihr all das ins Gesicht geschrien hätte, hätte ich zuvor nicht in ihre Augen gesehen. In diese grünen Katzenaugen, in denen ich hinter der Sonnenbrille eine seltsame Art der Bewunderung lesen konnte.
„Ist deine Liebe denn so stark?“
In meiner Kehle stieg ein Kloß auf, den ich nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. „Sie war es auf jeden Fall mal. Darum ist sie mir heilig. Ich möchte glauben, dass es die Sache wert ist zu kämpfen.“
Ich dachte an Stefans Augen voller Tränen und den Zwiespalt in seinem Gesicht. Er hatte es nicht nur dieses eine Mal getan, hatte er mir gestanden. Sondern oft und mit verschiedenen Frauen. Fremden, Bekanntschaften aus Partynächten, in denen er mir gesagt hatte, er müsse länger arbeiten. Sogar mit Prostituierten. Er hatte das Leben erfahren, sich ausprobieren müssen, hatte er gemeint. Warum er das nicht mit mir zusammen hatte tun können, konnte er mir nicht erklären.
Meiner besten Freundin hatte ich nur von dieser einen Frau erzählt. Um ihn zu schützen oder eher mich selbst? Mich selbst und meine ausweglose Hoffnung und die Angst vor einem Neuanfang ohne den Mann, von dem ich bis vor vierzehn Tagen noch geglaubt hatte, dass er die Liebe meines Lebens war.
„Ich werde für dich da sein, egal, wofür du dich entscheidest.“ Mels Hand lag beruhigend auf meinem Arm. Ich wusste, was sie diese Worte kosten mussten.
„Danke“, flüsterte ich. „Noch muss ich gar nichts entscheiden.“