Leseprobe Tausend erste Male

Kapitel 1

Lola

Loane Maas
Frankfurt to Seattle-Tacoma
SAT MAY 20 2023
LH490
FRA-SEA
Gate: Z20 (GATE MAY CHANGE)
Boarding Time: 20:10
Departs: 20:55
Arrives: 22:30
Seat: K32

Circa 200 Kilometer nach Abflug

Über den Wolken war es still. Gut, nicht wirklich. Die Turbinen brummten, ein gleichmäßiges Rauschen erfüllte die Kabine des Flugzeugs, und dazu mischten sich leise Gespräche und das Flüstern großer Träume. Es war alles andere als still, genau genommen war es sehr laut. Doch tief in mir drin, da war alles ruhig. Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, dieses Ticket zu buchen, obwohl Spontaneität sicher nicht zu meinen Charaktereigenschaften zählte. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich diese Reise führen würde. Zum ersten Mal im Leben hatte ich nicht den blassesten Schimmer. Das war okay, sagte ich mir so lange, bis ich es selbst glaubte.

Zum wiederholten Mal wischte ich mir die feuchten Handflächen an den Leggings ab. Der Sperrbildschirm meines Smartphones zeigte mir die letzten Kommentare an, die unter meinem aktuellen Post eingegangen waren, ehe ich den Flugmodus aktiviert hatte. Kurz vor dem Boarding hatte ich ein instagramtypisches Kaffee-und-Pass-Foto geschossen und es auf dem Account @lolas.firsts hochgeladen. Die Bildunterschrift war allerdings aufgrund meiner vor Aufregung zitternden Finger etwas kürzer ausgefallen als üblich.

lolas.firsts Ich bin achtzehn Jahre alt und sitze zum ersten Mal im Leben in einem Flugzeug. Wenn das nicht denkwürdig ist. Was sagt ihr? #forthefirsttime

travel-the-fucking-world Guten Flug und viel Spaß über den Wolken! :)

isa.bli Wohin fliegst du?

time-to-hug Erzähl uns unbedingt, wie es war!

 

Seit anderthalb Jahren schrieb ich in den sozialen Netzwerken über erste Male: das erste Mal Auto fahren (Adrenalin!), das erste Mal Sushi essen (nicht mein Ding), die erste Abiturprüfung (rückblickend weniger schlimm als gedacht). Inzwischen folgten mir fast eintausend Personen und wenn man einmal von den gelegentlichen Fake-Konten absah, musste ich mir unweigerlich die Frage stellen, was die Leute an meinem Content eigentlich so spannend fanden. Denn das Aufregendste in den letzten Jahren war meine spontane Idee, diesen Flug nach Seattle zu buchen. Und das hatte ich erst vor einer Stunde geteilt. Keine Ahnung also, was ausgerechnet meine Inhalte folgenswert machte. Vielleicht war es auch einfach die Tatsache, dass ich zwischen den ganzen plakativen Accounts so gewöhnlich war, dass sich die Leute mit ihren eigenen langweiligen Leben beinahe aufregend vorkamen.

Ich schob mein Smartphone in die Tasche und lehnte mich gegen das Fenster. Auf der anderen Seite breitete sich eine unwirkliche Wolkenlandschaft aus, die allmählich in das orangefarbene Licht der untergehenden Sonne eintauchte. Die Erde konnte ich nur noch durch vereinzelte Risse in den Wolken ausmachen. Sie schien so weit entfernt. Alles schien so weit entfernt.

Bis zum heutigen Tag war jeder Moment meines Lebens sorgfältig geplant gewesen. Ich hatte mich auf das Abitur vorbereitet, das ich vor wenigen Wochen mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Meine Tage waren eine abstrakte Mischung aus Leistungsdruck und Selbstgeißelung gewesen, bis meine verbissene Routine mit der letzten Abiturprüfung ein jähes Ende gefunden hatte. Dann hatten mich mehrere Monate und eine seltsame Ruhelosigkeit von einem Medizinstudium getrennt. Zusammen mit dem plötzlichen Bedürfnis, etwas zu unternehmen, das nichts mit meinen Lebensplänen zu tun hatte.

Nun saß ich hier und lauschte dem gleichmäßigen Geräusch der Triebwerke, während der Himmel draußen Feuer gefangen hatte. Es war atemberaubend. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich hatte tatsächlich vergessen, Luft zu holen. Keuchend versorgte ich meinen Körper mit Sauerstoff, als links von mir ein raues Lachen ertönte.

»Bist du etwa noch nie geflogen?«, fragte mein Sitznachbar in perfektem Englisch.

Es war das erste Mal, dass ich mich zu ihm umdrehte. Ein denkwürdiger Moment, der eines Posts würdig gewesen wäre. Seit er vor knapp einer Stunde neben mir Platz genommen hatte, hatte ich ihm keine Beachtung geschenkt. Stattdessen hatte ich an der Fensterscheibe geklebt, um den Start des Flugzeugs und den Eintritt in die Wolkenwelt zu beobachten. Jetzt wunderte ich mich über mich selbst, denn der Anblick links von mir war mindestens genauso interessant wie die Aussicht aus dem Fenster.

Der Kerl war vielleicht ein paar Jahre älter als ich. Er hatte dunkelblonde Haare, die gerade lang genug waren, dass er sie in einem Man Bun am Hinterkopf tragen konnte. Einige Strähnen fielen um sein kantiges Gesicht. Grund dafür war vermutlich das Basecap, das er in das Netz auf der Rückseite des vorderen Sitzes gestopft hatte. Das eng anliegende Shirt einer Marke, der ich auf Instagram folgte, ließ genug Spielraum für Fantasie, doch die kurz geschnittenen Ärmel gaben dennoch einen Hinweis auf seinen Oberkörper, denn seine Arme waren wohlgeformt wie die eines Mannes, der regelmäßig trainierte. Er hatte wenig mit meinen ehemaligen Mitschülern gemein, sondern erinnerte eher an ein Model aus einem der Magazine, die die Mädchen aus meiner Jahrgangsstufe stets gelesen hatten.

Er sah gut aus, ohne Frage. Aber es war das Funkeln in seinen Augen und das Zucken um seine Mundwinkel, das ihn mir sofort sympathisch machte. Er ließ den Blick über mein Gesicht gleiten und ihn dann tiefer wandern. In dem Moment wurde ich mir meines unzulänglichen Outfits nur allzu deutlich bewusst, das ich für den mehrstündigen Flug gewählt hatte: Zipper-Hoodie, Tanktop und ausgeblichene Leggings. Ich rutschte auf dem Sitz hin und her und suchte nach einer passenden Antwort. Meine Englischkenntnisse verdankte ich verbissenem Ehrgeiz im Schulunterricht und der Lektüre unzähliger Liebesromane in Originalsprache. Insgesamt hätte ich meinen Wortschatz als sehr gut bezeichnet und vermutlich lag die Tatsache, dass ich keine Antwort fand, nicht an mangelndem Wortschatz, sondern eher an der Attraktivität meines Gegenübers.

»Das ist mein erstes Mal.« Ich hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da wurde ich mir dessen Doppeldeutigkeit bewusst. Röte breitete sich auf meinem Gesicht aus.

Leider tat mir mein Sitznachbar nicht den Gefallen, so zu tun, als bemerkte er das nicht, und quittierte die Antwort mit einem vielsagenden Grinsen. »Dann solltest du jeden Moment davon genießen«, sagte er mit einer dunklen, samtigen Stimme. Mit der Zunge befeuchtete er seine Unterlippe und zog sie kurz zwischen die Zähne. Das machte der Kerl doch mit Absicht!

Wenn möglich, wurde mir noch heißer. Inzwischen musste der Farbton meiner Wangen röter sein als jener, der die Wolken tränkte. Aber diese Flugzeugsitze ließen keinen Raum für Verlegenheit. Vor allem nicht, wenn man die nächsten zehn Stunden an sie gefesselt war. Mit einem Räuspern versuchte ich, meine Unsicherheit zu überspielen.

»Jedenfalls fände ich es schön, wenn du das Fenster mit mir teilen würdest.«

Ich kniff die Augen zusammen und musterte den Kerl, der mir doch jetzt tatsächlich meinen Platz streitig machen wollte. »Warum sollte ich? Ich habe mich bewusst für diesen Sitz entschieden. Die Mitte«, ich deutete vielsagend auf seinen Platz, »ist aus offensichtlichen Gründen ausgeschieden. Also musste ich zwischen Fenster und Gang wählen, was ungefähr gleichzusetzen ist mit Ausblick und Toilette.«

»Klingt, als würdest du dich die gesamte Flugdauer über nicht bewegen wollen.« Er rieb sich das rasierte Kinn, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Keine Ahnung, wie der Kerl das machte, aber er durchschaute mich.

Der Nachteil am Fensterplatz war der, dass ich, um die Toilette zu benutzen, gleich mehrere Hemmschwellen überwinden musste. Abgesehen von der Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, ob der Toilettengang in knapp zwölftausend Metern Höhe genauso ablief wie am Boden, musste ich meinen Sitznachbarn bitten, mich vorbeizulassen. Einen fremden Menschen ansprechen. Diese Reise unternahm ich zwar, um mich von gewissen Zwängen zu befreien, aber ich musste ja nicht direkt im Flugzeug damit anfangen.

Der äußere Sitz, der auf dieser Reise nicht belegt war, war sehr exponiert. Ich würde mir einreden, die Blicke der anderen Fluggäste auf mir zu spüren. Außerdem wollte ich, wenn ich mich schon in die Obhut eines Fremden begab, zumindest sehen, was er da anstellte. Ein Fensterplatz war die einzig logische Konsequenz, selbst wenn ich von dort aus nicht eingreifen konnte, sollte sich der Pilot verfliegen. Es gab mir wenigstens den Anschein von Kontrolle.

Also hatte ich mich für die einfachste Lösung entschieden: Fensterplatz und den Toilettengang um jeden Preis vermeiden. Denn ich hegte auch nicht das Bedürfnis, herauszufinden, wie es sich anfühlte, durch ein Flugzeug zu laufen, das sich mit achthundert Kilometern pro Stunde durch die Lüfte bewegte. Mir wurden die Knie ja schon im Sitzen durch das gelegentliche Wackeln der Maschine weich.

»Und was, wenn du mal musst?«, fragte der Kerl.

Ich hob eine Schulter. »Wie gesagt, das ist mein erster Flug. Da wollte ich es richtig machen.«

»Wenn du es richtig machen würdest, müsstest du einen Tomatensaft bestellen. Von dem wirst du aber definitiv müssen.«

»Warum ausgerechnet Tomatensaft?«

Der Kerl hob eine Braue, Belustigung im Blick. »Sag bloß, du hast noch nie von dem Trendgetränk in dieser Höhe gehört? Der veränderte Luftdruck beeinträchtigt anscheinend den Geschmackssinn. Hier oben soll Tomatensaft der Shit sein. Wenn du deine erste Flugreise wirklich und wahrhaftig zelebrieren willst, gehört der dazu. Aber ich warne dich, der Hype ist nicht gerechtfertigt. Es schmeckt genauso eklig wie am Boden.«

»Was macht dich zum Experten für erste Flüge?«

»Vermutlich meine jahrelange Erfahrung und meine herausragende Intelligenz.« Er wackelte mit den Brauen, untermauerte so seine selbstbewusste These.

Ich kaschierte mein Lachen mit einem Schnauben. »Oder einfach nur eine große Klappe und der Irrglaube, dich in fremde Angelegenheiten einmischen zu dürfen?«

»Oder weil ich größer und stärker bin als du. Lass mich raten: Du hast vor dem Flug nichts mehr getrunken, damit du nicht aufstehen musst und das Fenster nur für dich allein hast. Ganz schön egoistisch, Miss.«

Nun sorgte er zum zweiten Mal dafür, dass ich errötete und den Blick senkte. Die Art und Weise, wie er mich durchschaute, verunsicherte mich.

»Das war ein Scherz«, rief er auf einmal empört. »Du hast wirklich nichts getrunken?« Ich sah zu ihm auf und bemerkte, dass er mich taxierte, darauf wartete, dass ich ihm antwortete. Als ich das nicht tat, beugte er sich vor. »Wann hast du zuletzt etwas getrunken?«

»Das geht dich nichts an.«

»Bis du neben mir dehydrierst. Und darauf habe ich echt keinen Bock. Also, was willst du trinken?«

»Wie bitte?«

»Ich gleiche deinen Feuchtigkeitshaushalt aus. Dank mir später.«

»Wofür soll ich mich bedanken?«

Er grummelte etwas Unverständliches. Obwohl über uns noch immer das Symbol leuchtete, angeschnallt zu bleiben, bis die finale Flughöhe erreicht war, löste er den Gurt, stand auf und trat in den Gang.

»Was hast du vor?«, rief ich ihm noch hinterher, aber da war er schon auf dem Weg zur Flugbegleiterin. Mit hochrotem Kopf sank ich tiefer in den Sitz und wünschte, mich niemals auf dieses Gespräch eingelassen zu haben. Mein Blick fiel auf die leeren Plätze neben unserer Reihe. Ich hatte mir umsonst Gedanken darüber gemacht, wie ich es vermeiden konnte, meine Mitreisenden während des zehnstündigen Flugs zu stören, indem ich ständig über sie kletterte, um meine Blase zu erleichtern.

Mit einem breiten Grinsen und einer Cola kehrte mein Sitznachbar kurz darauf zurück. Ein Zischen entwich der Dose, als er sie öffnete und mir reichte.

»Die verteilen doch später Essen und Getränke. Wie hast du …?«

»Ich habe behauptet, dass du kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch stehst und dringend etwas Zuckerhaltiges brauchst.«

»Das hast du nicht getan.« Ich duckte mich, als mich der Blick der Flugbegleiterin streifte. »Wie peinlich.«

»Ist es nicht. Die sind viel Schlimmeres gewohnt. Kotzende Passagiere zum Beispiel.« Dann zog er das Basecap aus dem Netzfach vor sich und setzte es verkehrt herum auf.

»Muss ich dir jetzt dankbar sein, dass du mir keinen schwachen Magen angedichtet hast?«

»Nein, diesen Joker behalte ich für später.«

Ich gab einen empörten Laut von mir.

»Entspann dich. Ich habe einfach nett gefragt, mehr nicht. Immerhin sind wir zahlende Passagiere.« Er beugte sich an mir vorbei und sah aus dem Fenster. Sein Duft traf mich unvorbereitet. Angenehm und herb.

»Wenn du Plätze tauschen möchtest, meldest du dich, ja?«, fragte ich mit einer Stimme, die fremd in meinen eigenen Ohren klang, aber der Kerl schien die unterschwellige Botschaft entweder nicht zu bemerken oder ignorierte sie absichtlich. Nach unserem Schlagabtausch vermutete ich eher Letzteres.

»Mhm«, machte er stattdessen und war mir dabei so nah, dass mich sein Atem streifte. Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Nackenhärchen aufrichteten. »Ein Blick auf die Wolken und man kommt sich so unbedeutend vor.« Die Unbeschwertheit wich etwas anderem, Dunklerem. Er schluckte schwer und ich beobachtete, wie sein Kehlkopf hüpfte. Ich wollte fragen, was er damit meinte, aber gleichzeitig spürte ich die unsichtbare Grenze, die er in dem Moment zog, als er in seinen Sitz zurückglitt. Erst da wagte ich wieder, mich zu bewegen, und griff alibimäßig nach der Cola.

Nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, nahm er mir die Dose aus der Hand und tat es mir gleich. Die Selbstverständlichkeit, mit der er die Lippen auf jene Stelle drückte, die ich zuvor berührt hatte, ließ mich stutzen, während er sich über diese Intimität keine Gedanken zu machen schien. Als er mir die Dose zurückgab, starrte ich auf die schmale Öffnung, um die sich dunkle Flüssigkeit gesammelt hatte.

»Ich habe keine Krankheiten oder so«, meinte er in einem amüsierten Unterton. Die Melancholie war aus seiner Miene gewichen, stattdessen begegnete ich Belustigung.

Es schien ihm Spaß zu machen, mich in Verlegenheit zu bringen, aber diese Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Ich straffte die Schultern und setzte mich aufrechter hin. »Fliegst du nach Hause?«

»Wie man’s nimmt«, antwortete er nach einem kurzen Moment. »Aber ich komme nicht aus Amerika, falls du das meinst.«

»Nicht? Dein Englisch ist so perfekt.«

Das Lächeln meines Sitznachbarn vertiefte sich. »Mit sechs hatte ich einen heftigen Crush auf Misty und in den Niederlanden lief Pokémon nur auf Englisch. Hab also früh angefangen.«

»Bei uns wurde es ins Deutsche synchronisiert. Zum Glück. Oder eher Pech? Ich war nämlich in Ash verknallt.«

Grübchen zeichneten sich deutlich auf seinen Wangen ab und er reichte er mir die Hand. »Ich bin Matt.«

Matt. Ein kurzer, prägnanter Name. Ich mochte ihn. Den Namen. Und den Typen dazu irgendwie auch.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Matt.« Ich konnte nicht widerstehen, seinen Namen laut auszusprechen, ehe ich die Geste erwiderte. Seine Finger waren warm und rau, als sie über meine Hand strichen. Von dort, wo er mich berührte, breitete sich ein angenehmes, irgendwie vertrautes Gefühl in mir aus. »Ich bin Loa …«

Fast hätte ich ihm jenen Namen genannt, den ich in den vergangenen Jahren mit peinlicher Genauigkeit oben rechts auf jeden Prüfungsbogen notiert hatte. Jenen Namen, der für mein durchgeplantes Leben stand. Diese fünf Buchstaben hatten in den nächsten Wochen jedoch Pause. Ich war eine andere Version meiner selbst.

»Ich bin Lola«, korrigierte ich mich und nannte ihm damit den Spitznamen meiner Kindheit. Auf Instagram benutzte ich ihn, aber im echten Leben hatte mich so schon lange niemand mehr gerufen. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass er sich in diesem Moment richtig anfühlte.

»Lola«, wiederholte Matt und bereitete mir damit eine Gänsehaut. »Das gefällt mir.« Er verlagerte sein Gewicht, sodass sich unsere Knie berührten. Unter normalen Umständen hätte ich Abstand zwischen uns geschaffen, aber das hier waren keine normalen Umstände. Einerseits hatte ich mein altes Ich in Deutschland zurückgelassen, andererseits fühlte sich die Nähe zu diesem fremden Mann auf eine verwirrende Weise vertraut an. »Und was ist dein Plan?«

»Mein Plan?« Seine Frage entlockte mir ein fast schon hysterisches Kichern, woraufhin Matt mit zuckenden Mundwinkeln antwortete, ehe ich hinzufügte: »Mein Plan ist es, keinen zu haben.«

Matt fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, doch anstatt es zu ordnen, löste er weitere Strähnen aus seinem Knoten, die sein Gesicht umspielten. Er sah verwegen aus und auf eine mir unbekannte Art sexy. »Das ist mir sehr sympathisch.«

Ich lachte. »Sympathisch? Ist das ein Synonym für waghalsig?«

»Ein bisschen Wagemut hat noch niemandem geschadet.« Er grinste schief.

»Vermutlich bin ich bis zur Landung derselben Meinung. Ich sehe mich schon verloren durch die Straßen irren, weil ich das Emerald Inn nicht finden kann.«

»Dein Hotel?«

»Zumindest für die erste Nacht. Keine Ahnung, wie es danach weitergeht.« Ich schüttelte den Kopf und ignorierte das dumpfe Gefühl von Angst, das sich in meinem Bauch regte, wann immer ich daran dachte, was ich in Amerika tun sollte.

»Die schönsten Momente des Lebens beruhen auf spontanen Entscheidungen, Lola. Das kann nur gut werden, vertrau mir.«

Ich sah ihn an und obwohl ich ihn nicht kannte, glaubte ich ihm.

»Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Schon mal gehört?«

»Das war der Grund, warum ich einen Flug in die USA gebucht habe.« Und genau das war es, was mir nach den durchgetakteten letzten Jahren so verdammt viel Angst machte.

Draußen hatte sich das Orange in ein tiefes Rot verwandelt und die Sonne war inzwischen verschwunden. Ein Ruck ging durch das Flugzeug und das Gefühl in meinem Bauch erinnerte mich an jenes auf einer Achterbahn, wenn diese sich in die Tiefe stürzt. In einem Freizeitpark ganz angenehm, auf knapp zwölftausend Metern eher beängstigend. Augenblicklich verkrampfte ich mich und krallte die Finger in das Sitzpolster.

Matts Arme ruhten auf den Lehnen, seine Miene war glatt und vollkommen sorglos. »Vielleicht ein Luftloch«, sagte er. »Entspann dich. Wenn wir abstürzen, kannst du ohnehin nichts tun.«

»Das beruhigt mich ungemein«, knurrte ich.

»Sieh es mal so: Du würdest in bester Gesellschaft sterben.«

Das mochte zwar mein erster Flug sein und viel Zeit, um mich darauf vorzubereiten, hatte ich nicht gehabt. Aber gestern Abend hatte ich trotzdem nach Flugunfall-Statistiken gegoogelt. Nur um sicherzugehen. Und eigentlich standen meine Chancen ganz gut.

Ich kniff die Augen zusammen und funkelte ihn durch die Schlitze meiner Lider hindurch an. »Ein Absturz passt nicht in meinen Lebensplan.«

Matt knuffte mich sanft gegen die Schulter. »Für meinen Geschmack klingt das nach viel zu wenig Risikobereitschaft.«

»Sagst du der Frau, die vor einer Woche nicht einmal wusste, dass sie nach Amerika fliegen würde.«

»Du hast meinen tiefsten Respekt«, zog er mich auf.

»Und was führt dich nach Seattle?«

Matt drehte das Basecap mit dem Schirm nach vorn und sank zurück in seinen Sitz. »Ein Versprechen.« Seine Augen blieben mir verborgen, aber ich erkannte, dass der Zug um seinen Mund etwas Hartes annahm.

»Entschuldige, das geht mich nichts an.« Ich wandte mich von ihm ab und versuchte erneut, mich auf die Wolkenwelt zu konzentrieren, durch die das Flugzeug glitt. Doch nun musste sie sich meine Aufmerksamkeit mit meinem Sitznachbarn teilen. Aus den Augenwinkeln sah ich seine langen Beine, die er ausgestreckt hatte, soweit es die Vorderreihe zuließ. Eine Weile verging, in der das konstante Hintergrundgeräusch der Triebwerke und die gedämpften Gespräche unserer Mitreisenden alles war, das das Schweigen zwischen uns durchbrach.

Irgendwann seufzte Matt. »Ich will den Pacific Coast Highway runterfahren«, sagte er so leise, als würde er mir ein Geheimnis verraten.

In Gedanken rief ich die Landkarte der USA ab und runzelte die Stirn. Dann drehte ich mich zu ihm. Halb saß, halb lag er auf seinem Sitz, sodass ich auf ihn hinabschauen musste. »Das ist eine ordentliche Strecke.«

»Knapp vierzehnhundert Meilen.«

»Und in Kilometern?«

»Zweitausendzweihundert Kilometer, schätze ich.«

»Zweitausendzweihundert?«, wiederholte ich und presste mir gleich darauf die Hände vor den Mund, weil ich so laut gesprochen hatte, dass sich die Reisenden der mittleren Sitzreihe zu uns umdrehten. »Das ist verdammt weit«, fügte ich flüsternd hinzu.

»Ich will das nicht alles an einem Tag fahren.«

»Hm«, machte ich und nagte an meiner Unterlippe. »Besser lernt man ein Land wohl nicht kennen. Weißt du schon, wo du halten wirst?«

»Abgesehen von ein paar Spots, halte ich, wo es mir gefällt.«

»Guter Plan.«

»Gar kein Plan.«

»Das mag ich.« Kaum zu glauben, dass ich es war, die das laut aussprach. »Wie lange bist du unterwegs?«

»Solange es eben dauert.«

»Hast du zu Hause keine Verpflichtungen?«

Matt verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Das ist ein wirklich hässliches Wort.« Demonstrativ schüttelte er sich.

»Verstehe.« Ich lachte. »Spontaneität und Verpflichtungen passen nicht zusammen.«

Etwas blitzte in Matts Augen auf, das ich nicht zu deuten wusste. Den Blick davon abwenden konnte ich aber auch nicht. »Diese Wörter sollte man niemals in einem Satz nennen, Lola«, neckte er mich, ehe er ernst wurde. »Zu Hause warten einige Verpflichtungen auf mich, denen ich noch nicht nachgehen kann. Oder will.«

Mein Herz zog sich zusammen und gleich darauf regte sich ein schlechtes Gewissen in meinem Innern. Meine Eltern waren alles andere als begeistert gewesen, als ich ihnen von meinem Nicht-Plan, ein paar Wochen in Amerika zu verbringen, erzählt hatte. »Aus demselben Grund mache ich diese Reise.«

»Definitiv ein guter Grund.« Matt hielt mir seine Faust hin, um mit meiner anzustoßen, und vertrieb damit meine trüben Gedanken. Lächelnd kam ich seiner Aufforderung nach.

»Lass uns über etwas anderes reden«, schlug ich vor und rieb mit dem Daumen über die Knöchel, die Matt berührt hatte.

»Gute Idee. Meine Verpflichtungen habe ich nämlich hinter mir gelassen, als ich in dieses Flugzeug gestiegen bin. Vor mir liegen über tausend Meilen Freiheit.«

***

Circa 2000 Kilometer nach Abflug

In dem Gang zwischen der Fensterreihe und dem mittleren Sitzblock hing ein Flatscreen, der die Route dokumentierte. Unser Flugzeug bewegte sich als kleiner Punkt über dem Meer und bei diesem Anblick kam ich mir derart unzulänglich vor, dass ich mich abwenden musste.

Gleichmäßige rotierende Geräusche drangen durch den Bauch der Maschine und beruhigten meine Nerven. Oder war es die Gegenwart meines Sitznachbarn?

Mein Ich-habe-keinen-Plan-Plan war es, dem Jetlag entgegenzuwirken, indem ich im Flugzeug ein paar Stunden schlief. Matt machte ihn mir vollkommen zunichte. Durch seine lockere Art fiel es mir leicht, mich mit ihm zu unterhalten. Er fragte mich über meinen Abschluss aus und im Gegenzug erklärte er mir das niederländische Schulsystem. Wir stellten fest, dass mit Linkin Park, Lauv und 5 Seconds of Summer unser Musikgeschmack weitestgehend gleich war. Matt setzte mir Kopfhörer auf und spielte ein paar Songs mir unbekannter niederländischer Bands, während er mich aufmerksam musterte, als würde mein Urteil über den weiteren Verlauf unseres Gespräches entscheiden. Ich wollte nicht, dass es endete, aber lügen musste ich auch nicht. Mir gefielen die Stücke, die er ausgewählt hatte.

Als die Flugbegleiterinnen wenig später Abendessen verteilten und ich sämtliche Gurken von meinem Sandwich schubste, schob sich Matt eine nach der anderen in den Mund und zwinkerte mir zu.

»Magst du Oliven?«, fragte ich, während ich die Brotscheiben wieder zusammenklappte.

Matt, der gerade kaute, hielt kurz in der Bewegung inne. Er schluckte geräuschvoll. »Der Oliven-Check, dein Ernst?«

Natürlich hatte ich das nicht gefragt, um herauszufinden, ob wir zusammenpassten. »Keine Sorge, über diesen Flug wird unsere Beziehung wohl kaum hinausgehen. Du bist nicht mein Typ.« Das war gelogen, aber das musste er nicht wissen.

»Autsch.« Matt krümmte die Faust über dem Herzen. Dann biss er von seinem Sandwich ab und antwortete mit vollem Mund: »Ich hasse Oliven.«

Dass mein Herz dabei einen kleinen Satz machte, konnte ich nicht verhindern. Aber ich gab mich gelassen und nickte bloß.

»Das kannst du nicht machen. Du kannst das nicht für dich behalten, ich muss es auch wissen.«

Mein Kichern steckte ihn an, bis wir in Gelächter ausbrachen und erneut die verärgerten Blicke der anderen auf uns zogen.

»Entschuldigen Sie.« Eine der Flugbegleiterinnen hielt vor unserer Sitzreihe. »Es freut mich, dass Sie sich so gut amüsieren, aber es wäre schön, wenn Sie ein bisschen leiser sein könnten.« Sie zwinkerte uns zu, dann lief sie durch den Gang zu einem Mann, der nach ihr gewinkt hatte.

»Ich liebe Oliven«, sagte ich und sah aus dem Fenster, hinter dem sich inzwischen die Nacht mit sternenreicher Schwärze ausgebreitet hatte.

Dass er lächelte, hörte ich an seiner Stimme: »Nichts anderes habe ich erwartet, Lola.«

Wenig später wurden ein paar Decken verteilt und die Lichter im Innern der Maschine gedimmt. Matt kippte unsere Sitze, nachdem er die Familie, die hinter uns saß, um Erlaubnis gebeten hatte.

»Die wichtigste Flugzeugregel: Niemals den Sitz kippen, ohne das Einverständnis des Hintermanns einzuholen.« Dann schob er die Armlehne hoch, die unsere Plätze voneinander trennte, und breitete eine Decke über mir aus. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich um mich kümmerte, wärmte mein Herz. Ich zog die Beine dicht an den Körper und kuschelte mich in den Sitz. Das gleichmäßige Brummen der Flugzeugmotoren hätte vermutlich die Macht gehabt, mich in den Schlaf zu begleiten, doch in Matts Gesellschaft würde ich keine Sekunde vergeuden. Unsere gemeinsame Zeit war begrenzt und ich wollte sie voll und ganz auskosten.

Ich spürte seinen Blick auf mir wie ein sanftes Streicheln und wich ihm aus, indem ich die Lider senkte. »Und was muss ich noch beachten?«, fragte ich und betrachtete das Muster der Decke, als gäbe es nichts Interessanteres.

»Nicht auf deinem Sitznachbarn einschlafen«, antwortete Matt prompt und grinste. »Na schön, in unserem Fall wäre das wohl okay, aber unter anderen Umständen könnte das unangenehm werden.«

»Warum ist es zwischen uns okay?« Neugierde, was ich in seinem Gesicht lesen würde, ließ mich den Kopf heben und ihn ansehen, aber ich begegnete gespielter Ernsthaftigkeit.

»Du bist kein dicker alter Mann, der nach Zwiebeln und getragenen Socken riecht. Und ich bin auch ganz okay.«

Diesmal war ich es, die laut loslachte. Sofort legte mir Matt eine Hand auf den Mund.

»Du willst doch nicht, dass sie uns in zwölftausend Kilometer Höhe rausschmeißen.«

Kapitel 2

Lola

Circa 5000 Kilometer nach Abflug

Ich musste Pipi. Das unangenehme Druckgefühl hatte ich schon eine ganze Weile, aber so langsam kam ich nicht mehr drum herum: Wenn ich nicht bald die Toilette aufsuchte, würde ich mir in die Hose machen. Ein Blick auf den Screen verriet mir, dass es noch fast vier Stunden dauern würde, ehe wir in Seattle landeten und ich eine Toilette auf festem Untergrund benutzen konnte.

Als ich leise stöhnte, pausierte Matt den Film auf seinem Tablet, den wir uns gemeinsam angeschaut hatten, und sah mich mit gehobener Braue an. »Sag bloß, dir gefällt Pulp Fiction nicht. Das ist ein Klassiker.«

»Das ist es nicht.«

»Wie kann es sein, dass du immer noch rot wirst, nachdem wir uns eine Coke geteilt haben und du gerülpst hast – o doch, tu nicht so, ich habe es genau gehört und ich finde, auf dieses Geräusch kannst du echt stolz sein.« Matt kniff mir leicht in den Oberarm.

Ich verbarg mein Gesicht mit beiden Händen und schüttelte den Kopf. »Du bist unmöglich.« Dann biss ich mir auf die Unterlippe und fügte ein wenig leiser hinzu: »Ich muss aufs Klo.«

Matts Mundwinkel zuckten und gaben einem breiten Grinsen nach. »Bei zwei Cokes hätte es mich gewundert, wenn nicht.« Er schälte sich aus seiner Decke.

»Was machst du da?«, wollte ich alarmiert wissen.

»Dich rauslassen, damit du für kleine Mädchen kannst.«

»Nein!« Ich packte ihn am Unterarm und zwang ihn, innezuhalten. »Ich meine, noch nicht.«

»Worauf willst du warten? Dass es dir zur Nase rauskommt?«

»Gott, du bist so eklig.« Ich schnitt eine Grimasse und schüttelte mich demonstrativ. Dann ließ ich ihn los, sodass er aufstehen und mich vorbeilassen konnte.

»Du kriegst das schon hin!«, rief er mir nach, während ich auf wackligen Beinen zwischen den Sitzreihen hindurchlief. Das Licht war gedimmt, die meisten Fluggäste schliefen, einige wenige guckten Filme. Es war das erste Mal seit Stunden, dass ich meinen Platz verlassen hatte. Das Gefühl, im Flugzeug zu laufen, war befremdlich und mit Matts Blick im Nacken mehr als unangenehm.

Als ich ankam, war die Toilette besetzt, und weil ich nicht bis zum anderen Ende des Flugzeugs wanken wollte, beschloss ich, zu warten. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte ich mich an die gegenüberliegende Wand. Die Angst, die seit der Entscheidung, nach Amerika zu reisen, nicht von mir abgelassen hatte, war nur noch ein leises Echo tief in meinem Innern. Ich hätte nie gedacht, dass mich so ein schöner Teil dieses Abenteuers bereits im Flugzeug erwarten würde, und wurde mit der Gewissheit, dass wir irgendwann landen würde, wehmütig.

»Sie sind ein bezauberndes Paar.«

Dass die Flugbegleiterin mit mir gesprochen hatte, wurde mir erst bewusst, als sie meine Schulter berührte und mich anlächelte. »Wie bitte?«

»Sie und Ihr Freund.« Sie nickte vage in die Richtung, in der Matt saß. »So harmonisch.«

»O nein«, beeilte ich mich, zu sagen. »Wir kennen uns überhaupt nicht.«

Die Flugbegleiterin blinzelte, dann ließ sie ihre Hand sinken. »Ach so?«

In dem Moment wurde die Tür zur Toilette geöffnet. Ich machte eine entschuldigende Geste und schlüpfte an der Frau vorbei in die enge Kabine.

Zugegeben, ich hatte mir mehr Gedanken gemacht als notwendig. Wie so oft in meinem Leben. Das erste Mal Pipi über den Wolken war zwar keinen Post wert, aber immerhin verlief der Toilettengang reibungslos. Sobald ich fertig war, schrubbte ich mir sicherheitshalber zweimal die Hände, dann öffnete ich die Tür – und prallte gegen ein Hindernis.

Vor mir stand Matt, die Arme links und rechts an den Türrahmen gelehnt, und blockierte den Weg. Er war so groß, dass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen. Zuvor war mir lediglich der gemütlich aussehende Sweater aufgefallen, den er vorhin über das Shirt gezogen hatte, nicht aber, dass er einen außergewöhnlich guten Kleidungsstil hatte. Die Hosenbeine seiner grauen Used-Jeans hatte er hochgekrempelt, sodass mir sofort die Nike Air Max und Socken in der Farbe seines Pullovers auffielen. Um sein Handgelenk spannte sich ein Armband aus Holzperlen und am Zeigefinger trug er einen großen schwarzen Ring, der willkürlich gewähltes Detail oder aber Familienerbstück sein konnte. Das Outfit war lässig und sollte vermutlich zufällig wirken. War es aber nicht. Die perfekt aufeinander abgestimmten Farben und die ausgewählten Accessoires entlarvten seine Intention.

»Vorsicht du walten lassen musst, mein junger Padawan«, ermahnte er mich mit einem betont ernsten Ausdruck.

»Besten Dank auch, Meister Yoda.«

»Dafür, dass du diese Anspielung sofort verstanden hast, müsste ich dir eigentlich einen Heiratsantrag machen.«

»Besser nicht, wir haben hier heute schon für genug Aufruhr gesorgt.«

»Und, alles klar?« Matt deutete mit dem Rucken des Kinns vage in Richtung der Toilette.

»Natürlich«, murrte ich und wollte mich an ihm vorbeischieben.

»Es hat so lange gedauert, da wollte ich nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«

»Das Grinsen auf deinem Gesicht enttarnt dich als Lügner.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Lässt du mich durch oder willst du den restlichen Flug auf der Toilette verbringen?«

Matts Blick verdunkelte sich und glitt an mir vorbei ins Innere der Kabine. »Ist das eine Einladung? Sex im Flugzeug steht nämlich noch auf meiner Life-Bucketlist.«

Ich schüttelte mich, dann duckte ich mich unter seinem Arm hinweg in die Freiheit. Es war nicht der Gedanke an Sex mit ihm, der mich ekelte, vielmehr war es die Vorstellung, es in dieser stinkenden Kabine zu machen. Dafür gab es deutlich angenehmere Orte.

»Sorry, das sollte nicht so aufdringlich rüberkommen«, murmelte Matt und ließ sich kurz nach mir zurück in den Sitz sinken. »Alles cool zwischen uns?«

»Nur, wenn ich den nächsten Film aussuchen darf.«

Die Entscheidung für High School Musical bereute ich mindestens so sehr, wie Matt es tat, mir nachgegeben zu haben. Und zwar keine fünf Minuten später, nachdem der Film angelaufen war, und er begann, alles, was auf dem Bildschirm geschah, zu kommentieren.

***

Circa 7000 Kilometer nach dem Abflug

Ich wollte nicht, dass dieser Flug jemals endete. Die letzten achteinhalb Stunden zählten zu den besten meines Lebens. Das lag nicht an der Tatsache, dass ich a) das erste Mal überhaupt mit einem Flugzeug reiste und b) mich auf dem Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten befand, sondern Matts Gesellschaft so sehr genoss. Wie sollte ich den Seattle Airport verlassen und mein Abenteuer beginnen, nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte? Bei dieser Vorstellung wurde mir flau im Magen. Es war verrückt, aber nach unseren Gesprächen hatte ich nicht das Gefühl, mich von einem Fremden zu trennen, sondern von einem guten Freund. An Liebe auf den ersten Blick glaubte ich nicht. Matt bewies mir allerdings, dass Freundschaft auf den ersten Blick durchaus möglich war. Etwas, das eines Postings definitiv wert war.

Je näher der Abschied rückte, umso größer wurden die Pausen zwischen unseren Unterhaltungen. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich immer wieder zu einem Lächeln zwingen musste. Als das zu anstrengend wurde, wandte ich mich zum Fenster und beobachtete die blinkenden Lichter am Flugzeugflügel, die die Nacht durchbrachen.

»Hey, Lola, geht es dir gut?« Sanftheit und Sorge machten Matts Stimme ganz weich.

Wieder kroch die Röte über meine Wangen. Weil das in den letzten Stunden so häufig passiert war, hatte ich nicht mehr das Bedürfnis, mich vor ihm zu verstecken. Die Wahrheit konnte ich ihm allerdings auch nicht sagen, ohne einen verzweifelten Eindruck zu hinterlassen. Also machte ich eine möglichst beiläufige Geste. »Ich bin einfach müde.«

»Soll ich dich schlafen lassen?«

Uns blieben noch ungefähr anderthalb Stunden zusammen. Die Zeit lief, dessen war ich mir bewusst. »Bloß nicht«, sagte ich ein bisschen zu schnell.

Ein warmes Lächeln zupfte an Matts Mundwinkeln und er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Das trifft sich gut, denn eigentlich hatte ich das auch nicht vor.«

»Gut, dann erzähl mir von deiner Life-Bucketlist.«

Matt hob eine Braue. »Meiner …«

»Du hast sie vorhin erwähnt.«

»Natürlich. Ich erinnere mich.« Er zauste sich das Haar. Dann streckte er sich und richtete den Blick auf die Gepäckablage über uns. »Life Goal Number One ist vermutlich schon klar: ein Roadtrip durch die USA.«

Ich nickte und zog mir die Decke enger um die Schultern. Inzwischen war die Temperatur merklich gesunken – oder ich war so erschöpft, dass die Kälte leichtes Spiel mit mir hatte. Schlafen wollte ich nicht. Um keinen Preis. »Und danach?«

Matt massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Seine Augen waren geschlossen, auf einmal wirkten seine Züge angespannt. »Ich habe gelogen«, sagte er sehr leise, aber dennoch hörte ich ihn. Jedes seiner Worte brannte sich mir ins Gedächtnis. »Life Goal Number One ist nicht der Roadtrip.«

»Nicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte er und sagte eine Weile gar nichts, starrte einfach auf die Rückseite des Vordersitzes, als könnte er dort mehr sehen als ich. »Ich möchte frei sein.«

Das Echo seiner Worte hallte durch meinen Geist und schürte in mir die Erinnerung daran, wie es war, sich eingesperrt zu fühlen. Eingesperrt durch die Erwartungshaltung anderer, durch die eigenen Ansprüche und den Druck, mehr leisten zu müssen. Immer mehr, bis nichts mehr von mir blieb. Ich war in einem Hamsterrad gefangen, das sich wieder drehen würde, sobald ich nach Hause zurückkehrte.

Blinzelnd bemühte ich mich, aufsteigende Tränen zu bekämpfen. Zum Glück hatte Matt die Augen noch immer geschlossen, sodass ich meine unauffällig trocknete. Wie war es möglich, dass er laut aussprach, was ich mir nicht einmal zu denken erlaubte?

»Freiheit ist ein gutes Life Goal«, murmelte ich schließlich mit reichlich Verzögerung. Doch ich verriet ihm nicht, dass es mir damit genauso erging. In seinen Worten lag eine Ernsthaftigkeit, die ich den gesamten Flug nicht an ihm erlebt hatte. Auch nicht in jenen Momenten, da etwas Dunkles in seinen Augen aufgeblitzt war. Ich wollte die Bedeutung seines Geständnisses nicht herabwürdigen, indem ich ihm nachplapperte. Selbst wenn es die Wahrheit war, dass auch ich mich nach Freiheit sehnte.

»Was steht noch auf deiner Bucketlist?«

Matt rieb sich den Nacken. Eine Geste, die zweifelsohne einem langen Flug geschuldet sein könnte. Oder dem Umstand, dass ihm das Thema unangenehm war.

»Weißt du, Lola, ich fühle mich wohler, wenn ich dich in Verlegenheit bringe und nicht umgekehrt.«

»Schade, ein bisschen Röte steht dir.«

»Seit wann bist du so schlagfertig?«

»Seit du verlegen bist.«

Matt schnaubte. »Ergötzt du dich etwa an der Schwäche deiner Mitmenschen?«

»Nur an deiner. Und jetzt lenk nicht vom Thema ab.«

»Du hast Glück, dass wir hier festsitzen, sonst würde ich einfach abhauen.« Ein Geräusch drang aus seiner Brust, das eine Mischung aus Seufzen und Stöhnen war. Dann legte er den Kopf schief und sah mich an, als könnte er in meinem Gesicht die Antwort auf die Frage finden, die ich ihm gestellt hatte. »Ich will etwas bewirken. Spuren in dieser Welt hinterlassen. Ist das albern?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte ich genauso leise wie er. »Und ich bin sicher, dass du das wirst.« Er war schon dabei. Ich würde diesen Flug – und ihn – niemals vergessen.

»Du kennst mich doch gar nicht.«

»Man muss nicht alles über einen Menschen wissen, um ihn einschätzen zu können, Matt.«

»Und wie schätzt du mich ein?«

»Du hast ein großes Herz und du versteckst deine Sorgen hinter einem Lachen.«

Matt blinzelte. Dann huschte ein unsicheres Lächeln über sein Gesicht. »Du hast keine zehn Stunden gebraucht, um das über mich herauszufinden? Wird Zeit, dass wir landen und dieser seelische Striptease endet.«

***

Wenige Kilometer vor Ankunft

Der Höhenverlust bescherte mir ein unangenehmes Gefühl im Bauch und Schweißausbrüche. Zum wiederholten Mal wischte ich mir mit dem Ärmel des Hoodies über die Stirn, als das Flugzeug einen weiteren Satz nach unten machte.

»Ist das normal?«, piepste ich. Meine Knöchel waren weiß, so fest klammerte ich mich an die Armlehnen des Sitzes.

Matt streckte die Hand nach mir aus, löste behutsam meine linke und verflocht unsere Finger miteinander. In einem anderen Moment hätte ich mich vielleicht einem angenehmen Schauder oder einem wohligen Herzklopfen hingegeben, aber gerade hätte ich am liebsten geweint. Ich erwiderte seinen Händedruck, bis ich glaubte, ihm wehzutun. Er ließ es trotzdem geschehen.

»Ganz sicher«, sagte er. »Du musst keine Angst haben. So fühlt es sich jedes Mal an.«

»Dann ist das der erste und letzte Flug in meinem Leben.«

»Und wie willst du wieder nach Hause kommen?«

»Entweder gar nicht oder per Schiff.«

»Dann bist du aber eine Weile unterwegs.«

»Mir egal.« Ich stöhnte und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter, wo ich seinen Duft einatmete. Er beruhigte mich, obgleich ich ganz genau wusste, dass er das nicht sollte. Eigentlich kannte ich Matt nicht. Doch nach den letzten Stunden fühlte sich das nicht so an.

Er wuschelte mir in dem Moment durchs Haar, da das Flugzeug erneut absackte. Auch ein paar der anderen Reisenden wurden unruhig, ein Kind weinte. Ich war kurz davor, es ihm gleichzutun, denn mein Magen zog sich unangenehm zusammen, als wollte er sich des Flugzeugessens wieder entledigen.

»Ich glaube, jetzt ist es so weit«, verkündete ich und richtete mich kerzengerade auf.

»Was?« Die Belustigung in Matts Stimme war nicht zu überhören, und am liebsten hätte ich ihn dafür geschlagen.

»Ich muss mich übergeben.«

»Bloß nicht.« Matt zog mich zurück in seinen Arm. Mit einer Hand an meinem Kinn zwang er mich, ihn anzusehen. »Atme, Lola, atme. Oder soll ich das für dich übernehmen?« Er spitzte demonstrativ die Lippen und ich boxte ihm sanft in den Bauch, stieß aber gegen harte Muskeln. Matt lachte. Dann lehnte er seine Wange an meinen Kopf, während meiner an seiner Brust ruhte, und in dieser Position verharrten wir die nächsten Minuten. Seinen Herzschlag dicht an meinem Ohr, rückten alle anderen fremden Geräusche in den Hintergrund, bis meine Gedanken lauter wurden. Widersprüchliche Gefühle hatten die Euphorie der ersten Flugstunden vollkommen verdrängt. Sie schärften mein Bewusstsein dafür, dass ich nach der Landung auf mich allein gestellt war. Ohne Plan. Dabei war es das gewesen, was mich zu dieser Reise ermutigt hatte. Mich selbst jenseits meines ambitionierten Lebens kennenlernen. Verdammt, was hatte ich mir nur gedacht? Dass ich über achttausend Kilometer von meinem Zuhause entfernt ein anderer Mensch sein würde, der keine Angst hatte?

Ja, das hatte ich. Vor allem durch Matts überraschende Gegenwart, auf deren trügerische Sicherheit ich nach der Landung würde verzichten müssen.

Erst als sich die Sicht aus dem Fenster veränderte, löste ich mich von Matt. Unzählige Lichter blitzten in der Schwärze der Nacht auf und kündigten unser Reiseziel an: Seattle.

Kurz darauf fuhr ein Ruck durch die Maschine, als sie aufsetzte. Die Berührung der Reifen mit dem Boden vibrierte in meinem Körper und eine unsichtbare Kraft drückte mich zurück in Matts Umarmung. Das aufgeregte Quietschen eines Kindes markierte das Ende der Reise und die Stimmung an Bord veränderte sich, wurde ausgelassener.

Meine nicht.

Die Lautsprecher über unseren Köpfen knisterten und der Pilot meldete sich mit einem Räuspern. »Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in Seattle-Tacoma. Entschuldigen Sie die Landung eines jungen und dynamischen Piloten. Es ist wohl ein bisschen mit mir durchgegangen. Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis wir die endgültige Parkposition erreicht haben und das Anschnall-Symbol über Ihnen nicht mehr leuchtet. Denn auch wenn die Landung einen anderen Eindruck erweckt hat, fliege ich viel besser, als ich mit dieser Maschine fahre.« Daraufhin erklang Gelächter und auch Matts Brust bebte, ehe er von mir abließ.

»Alles in Ordnung?« Lachfältchen rahmten seine Augen, als er sich zu mir beugte.

Ich holte tief Luft, kämmte mit den Fingerspitzen durch mein Haar und nickte. Aber ich war unfähig, etwas zu sagen. Ich war sicher, dass mir ein Schluchzen entwichen wäre, sobald ich den Mund aufgemacht hätte. Wir waren da. In Amerika. Mein Nicht-Plan ging in dieser Sekunde auf und ich hätte nicht unglücklicher sein können.

Während wir über die Landebahn rollten, starrte ich aus dem Fenster und versuchte, meine Angst vor dem zurückzudrängen, was mich außerhalb dieses Flugzeugs erwartete. Matt sagte etwas, aber in meinen Ohren rauschte es so laut, dass ich ihn nicht verstand. Und schließlich blieb das Flugzeug mit einer banalen Endgültigkeit stehen. Nachdem wir uns so schnell darin um die Welt bewegt hatten, war dieses Gefühl eher ernüchternd.

Um mich herum ertönte das Klicken der Gurte und ich begriff, dass das Symbol über uns erloschen war. Ich machte jedoch keine Anstalten, es den anderen gleichzutun. Auch Matt neben mir regte sich nicht. Aber als sich das Flugzeug allmählich leerte, konnten wir den Umstand, dass unser Abschied immer näher rückte, nicht länger ignorieren. Schließlich beendete ich das unbehagliche Schweigen mit einem Räuspern.

»Amerika wartet auf uns.« Ich brachte es nicht über mich, noch einmal in Matts blaue Augen zu sehen. Stattdessen starrte ich auf meine Hände.

Matt antwortete nicht, sondern schnallte sich ab. Ich hob den Blick und beobachtete, wie er aufstand und sich streckte. Dann öffnete er das Gepäckfach über unseren Köpfen und hob meinen Rucksack heraus. »Deiner?«

Ich nickte und nahm ihn entgegen. Sah ihn noch immer nicht direkt an und gab mich damit beschäftigt, meinen Kram zusammenzupacken.

Matt schulterte seinen eigenen Rucksack. Unsere Mitreisenden schoben sich bereits auf die Ausgänge zu und er schlüpfte in eine Lücke zwischen zwei Familien. Ich ergriff die nächste Gelegenheit, verlor ihn kurz aus den Augen, weil vor mir ein hochgewachsener Mann aufragte. Mit pochendem Herzen schloss ich mich der Schlange Richtung Vordertür an. Die Flugbegleiterinnen, der Pilot und die Co-Pilotin verabschiedeten uns, doch ich war wie betäubt und nicht imstande, einen netten Gruß auszusprechen.

Das erste Mal amerikanische Luft zu atmen, nahm ich kaum wahr. Wie betäubt trat ich aus der Tür und stieg die Stufen nach unten, wo wir auf mehrere Busse verteilt wurden. Während der Fahrt zum Hauptgebäude betrachtete ich meine neue Umgebung durch angelaufene Fensterscheiben, die jedoch hauptsächlich aus parkenden Flugzeugen und schmucklosen Gebäuden im Scheinwerferlicht bestand.

Matt lotste mich kurz darauf durch mehrere Gänge zur Gepäckausgabe. Schweigen begleitete unsere Schritte. Erschöpfung und die Angst vor dem Ungewissen ließen meinen Blick verschwimmen. Jeder Schritt fiel mir schwer. Als ich über meine eigenen Füße stolperte, schloss sich eine feste Hand um meinen Oberarm.

Ich hob den Kopf und sah direkt in Matts Augen. Ich schluckte.

»Alles in Ordnung?« Seine Stimme klang kratzig, anders als in den letzten Stunden.

Ich nickte kaum merklich und versuchte mich an einem Lächeln. Nicht sonderlich erfolgreich, denn er hob eine Braue.

»Ist dir immer noch schlecht?«

Dankbar für diese Vorlage zog ich die Nase kraus. »Fliegen muss ich wohl noch üben.«

Matts Mundwinkel hoben sich, ein Schatten der Heiterkeit, die er hoch über den Wolken versprüht hatte. »Ich finde, du hast das schon sehr gut gemacht.«

Wärme breitete sich in meinem Bauch aus und ich erwiderte sein Lächeln, ehe mich das begeisterte Quietschen eines Kindes ablenkte, das einen Miniaturkoffer in Form eines Einhorns hinter sich herzog.

Vor uns surrte das Förderband, um das die anderen Reisenden von Flug LH490 versammelt waren. Nacheinander nahmen sie ihre Koffer in Empfang und als meiner auftauchte, schob ich mich zwischen einen älteren Herrn und die Familie, die hinter uns gesessen hatte, um ihn vom Band zu hieven. Tage zuvor hatte ich ihn akribisch genau gepackt, um sicherzugehen, das auf dem Flug erlaubte Gewicht einzuhalten.

»Natürlich ist das deiner.« Matt grinste schräg, als ich zu ihm zurückkehrte, und betrachtete die pinke Hartschale.

Ich ließ mich nicht beirren. »Immerhin finde ich meinen Koffer sofort zwischen allen anderen wieder. Ein entscheidendes Kaufargument. Wo ist deiner?«

Mit dem Daumen wies er in Richtung des Förderbandes. »Dort.«

Ein einziges Wort, das unser Geplänkel beendete. Mir brach kalter Schweiß aus, als Matt den riesigen Backpackrucksack aufsetzte und das Handgepäck über die Schulter hängte. Der Abschied rückte näher.

Wir passierten die Einreisekontrolle, und ich konnte mich kaum über den Stempel in meinem Pass freuen. Nacheinander durchliefen wir Zoll und Gepäckkontrolle und schließlich erreichten wir das Ende der Schleuse, die sich zum Terminalgebäude hin öffnete.

Die Silhouette der in der Dunkelheit funkelnden Stadt ragte hinter den Fenstern auf und hieß die Menschen mit Koffern willkommen, die durch die gläsernen Türen nach draußen strömten.

Da war er also, der Moment des Abschieds. Wie sollte ich mich jetzt verhalten? Ihn um seine Nummer bitten? Ihm alles Gute für sein weiteres Leben wünschen?

Matt nahm mir die Entscheidung ab, indem er mich an sich zog. Die Arme um meinen Rücken drückte er mich so fest, dass nichts mehr zwischen uns gepasst hätte. Dann neigte er den Kopf und raunte mir ganz leise ins Ohr: »Ich bin sicher, dass du Amerika bezaubern wirst.« Er stockte, schien nach Worten zu suchen. »Pass auf dich auf, Lola.« Im nächsten Moment löste er sich von mir und bevor ich wusste, was ich ihm sagen sollte, drehte er sich um und ging.

Er ging und ließ mich mit plötzlich wiederaufflammender Angst zurück. Ich war allein. Und sogleich befielen mich jene Zweifel, die in den letzten Tagen immer lauter geworden waren: War meine Reise in die USA eine gute Idee? Ich war doch gar nicht der Typ Mensch für spontane Abenteuer. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

Und warum zum Teufel hatte Matt unsere gemeinsame Zeit nicht ebenso viel bedeutet wie mir?