Leseprobe Teestunde mit Todesfolge

Kapitel 1

„Courtney also, ja?“, fragte ich mit einem, wie ich hoffte, einladenden und unverfänglichen Lächeln, während ich eine Tasse mit meiner neuesten Teemischung, die ich für die Weihnachtszeit entworfen hatte – frische Minze und ein paar andere geheime Zutaten –, auf dem Küchentisch abstellte. Ich nannte sie „Zuckerstangen-Zauber“ und hoffte, dass meine Kundschaft sie ebenso beruhigend wie erfrischend finden würde. „Was kann ich für Sie tun?“

Courtney sah mich nicht an, als sie nach ihrem Tee griff. Sie war jung, jünger als ich, und extrem hübsch, obwohl sie aussah wie etwas, das die Katze hereingeschleppt hatte. (Und glauben Sie mir, damit kenne ich mich aus. Nachtschatten, mein schwarzer Kater, hatte mir im Laufe der Jahre mehr als nur ein paar Geschenke gemacht.) Courtneys lange blonde Locken waren zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zurückgebunden, und unter ihren geschwollenen, kobaltblauen Augen lagen tiefe Schatten. Außerdem war sie sichtlich schwanger.

„Also, Mrs. Kingsley“, begann sie, aber ich unterbrach sie schnell.

„Miss Kingsley, aber bitte nennen Sie mich Charlie.“ Sie mochte jünger sein als ich, aber SO viel jünger nun auch wieder nicht. Vielleicht war es an der Zeit, meine morgendliche Make-up-Routine etwas ernster zu nehmen.

Sie verzog die Lippen zu einem schwachen Lächeln. „Dann also Charlie. Ich hatte gehofft, dass Sie mir einen Liebestrank brauen können.“

Schnell wandte ich den Blick ab und schob ihr den Teller mit den Weihnachtsplätzchen zu, die ich vorhin gebacken hatte, damit sie meinen Schock und meine Besorgnis nicht sehen konnte. Sie war schwanger und wollte einen Liebestrank. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Ich braue eigentlich keine Liebestränke“, erwiderte ich. „Sondern kundenspezifische Tees und Tinkturen.“

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Aber so viele Leute schwärmen davon, wie sehr Sie ihnen geholfen haben. Mrs. Witmore schwört, dass Sie ihre Schilddrüsenprobleme geheilt haben.“

Ich unterdrückte einen Seufzer. „Meine Tees und Tinkturen haben einen gesundheitlichen Nutzen, das ist wahr. Bestimmte Kräuter und Blumen können bei gewöhnlichen Beschwerden helfen. In der Tat gab es lange Zeit keine verschreibungspflichtigen Medikamente, sodass sich die Menschheit mit Kräutern und Blumen behelfen musste. Aber ich kann keine Heilung versprechen.“

„Was ist mit Ruthie?“, fragte Courtney. „Sie behauptet, diese Herztinkturen, die Sie kreiert haben, seien der Grund dafür, dass Bob sie endlich bemerkt hat.“

Ich presste die Zähne zusammen. Als sich Ruthies Vater von einem Herzinfarkt erholte, erstellte ich einige Tees und Tinkturen für ihn. Ruthie, die seit Jahren in ihren Kollegen Bob verknallt war, sehnte sich anscheinend so sehr nach seiner Aufmerksamkeit, dass sie eines Tages beschloss, eine meiner Tinkturen mit zur Arbeit zu nehmen (ich weiß nicht genau, welche) und sie ihm ins Getränk zu mischen. Und offenbar sprach Bob sie kurz darauf an und lud sie schließlich zu einem Date ein.

Erschwerend kam hinzu, dass Jean, Ruthies Mutter, behauptete, meine Tinkturen hätten ihr Liebesleben mit ihrem Mann wiederbelebt, was Ruthie wahrscheinlich erst auf die Idee brachte, sie an Bob auszuprobieren.

Das war natürlich ein unbeabsichtigter Vorteil.

„Ich habe Ruthie keinen Liebestrank gegeben, sondern ein paar Tinkturen und Tees für ihren Vater gemischt, die gut für sein Herz sind“, sagte ich.

Courtney schaute mich aus ihren klaren, blauen Augen an, die mich an eine kaputte, abgenutzte Puppe erinnerten. „Ist das nicht der Ursprung der Liebe?“

„Kann sein“, erwiderte ich. „Aber meine Absicht war es, das Herz ihres Vaters zu heilen, nicht jemanden dazu zu bringen, sich in einen anderen zu verlieben.“

„Aber es hat funktioniert“, sagte sie. „Können Sie mir nicht einfach dieselbe Mischung geben? Ich habe Geld. Ich kann zahlen, was immer Sie verlangen.“

„So einfach ist das nicht“, wandte ich ein. „Ich muss Ihnen wirklich ein paar Fragen stellen. Außerdem ist es immer ratsam, mit Ihrem Arzt zu sprechen.“

Sie biss sich auf die Lippe und schaute hinunter auf die Tasse in ihren Händen. Sie sah so verloren und allein aus, dass sie mir leidtat.

„Warum erzählen Sie mir nicht ein wenig über die Person, für die der Liebestrank sein soll?“, schlug ich vor. „Das würde es mir leichter machen herauszufinden, wie ich Ihnen am besten helfen kann.“

Sie antwortete nicht sofort, sondern hielt den Blick gesenkt. Gerade als ich dachte, sie würde gar nichts mehr sagen, öffnete sie den Mund. „Er ist für meinen Mann“, murmelte sie, kaum lauter als ein Flüstern.

Mir wurde schwer ums Herz. Das war noch herzzerreißender, als ich vermutet hatte. „Sie glauben, dass Ihr Mann Sie nicht mehr liebt?“

„Ich weiß es“, sagte sie. „Er hat eine Affäre.“

„O Courtney“, seufzte ich. „Es tut mir so leid, das zu hören.“

Sie nickte knapp und nahm einen Schluck von ihrem Tee.

„Haben Sie beide darüber gesprochen?“

Energisch schüttelte sie den Kopf.

„Weiß er, dass Sie es wissen?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht wäre das ein guter Anfang“, sagte ich mit sanfter Stimme. „Zunächst einmal das Gespräch mit ihm suchen.“

„Das wird nichts bringen“, erwiderte sie leise.

„Woher wollen Sie das wissen, wenn Sie es nicht versucht haben?“ Sie antwortete nicht, sondern starrte nur in ihren Tee. „Haben Sie über eine Eheberatung nachgedacht?“

„Er würde nicht hingehen“, sagte sie mit fester Stimme.

„Haben Sie ihn gefragt?“

„Ich weiß es. Er hat schon mal gesagt, dass er Therapie für Geldverschwendung hält.“

„Okay. Aber Sie beide erwarten ein Kind“, entgegnete ich. „Sie müssen in der Lage sein, über Dinge zu reden. Ich verstehe, dass es schwierig ist, über so etwas zu reden, aber …“

„Er ist in seine Affäre verliebt“, platzte sie heraus. Als sie den Kopf hob, sah sie so verzweifelt aus, dass es mir für einen Moment den Atem raubte.

„Aber woher wissen Sie das, wenn Sie nicht mit ihm darüber gesprochen haben?“

„Ich weiß es einfach“, sagte sie. „Wenn man verheiratet ist, weiß man solche Dinge. Man spürt, wenn der Ehemann einen nicht mehr liebt. Deshalb brauche ich unbedingt einen Liebestrank. Ich muss seine Liebe zurückgewinnen. Sie sehen ja, wie dringend das ist.“ Sie deutete auf ihren Bauch. „In ein paar Monaten bekommen wir ein Baby. Ich muss ihn dazu bringen, sich wieder in mich zu verlieben.“

O Mann, das lief nicht gut. „Ich verstehe, warum Sie denken, dass das einfacher wäre, aber das Problem ist, so etwas wie einen Liebestrank gibt es nicht.“

„Können Sie mir bitte einfach das verkaufen, was Sie für Ruthies Dad gemacht haben? Damit ich es wenigstens versuchen kann?“

„Was auch immer zwischen Ruthie und Bob geschehen ist, hatte nichts mit einer meiner Tinkturen zu tun“, sagte ich mit Nachdruck. „Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Ich glaube wirklich, dass es das Beste ist, mit Ihrem Mann ein offenes und ehrliches Gespräch über die Affäre zu führen.“

Sie war sichtlich enttäuscht. Es gefiel mir gar nicht, der Grund für die Enttäuschung zu sein, die förmlich aus jeder ihrer Poren strömte, aber ich wollte ihr auch nichts verkaufen, was als „Liebestrank“ missverstanden werden könnte. Nicht nur um ihretwillen, sondern auch um meinetwillen. Das Letzte, was ich brauchte, waren liebeskranke Frauen, die vor meiner Tür auftauchten, um etwas zu kaufen, das es gar nicht gab.

„Okay“, sagte sie leise und neigte den Kopf, sodass ich ihr Gesicht nicht ganz sehen konnte. „Kein Liebestrank. Wie wäre es mit dem Gegenteil?“

Ich sah sie verwirrt an. „Dem Gegenteil?“

„Ja. Etwas, das ihn umbringen würde.“

Mir blieb der Mund offen stehen. „Wa… Tut mir leid, könnten Sie das wiederholen?“ Ich musste sie falsch verstanden haben. Sie sprach immer noch so leise, ganz zu schweigen davon, dass sie ihr Gesicht verbarg.

Courtney blinzelte und sah zu mir auf. „Wie bitte?“

„Ich habe nicht verstanden, was Sie gesagt haben. Können Sie es bitte wiederholen?“

„Oh. Ach, gar nichts.“ Sie schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln.

„Nein, wirklich“, sagte ich. „Ich dachte …“ Ich lachte ein wenig verlegen. „Ich dachte, Sie hätten nach etwas verlangt, das Ihren Mann umbringt.“

Sie blinzelte erneut. „Oh. Ja. Das war nur ein Scherz.“

„Ein Scherz?“

„Ja. Ich meine, Sie wissen schon. Manchmal wollen Verheiratete einander an die Gurgel. Ist doch keine große Sache.“ Jetzt stieß sie ein kleines Lachen aus. „Waren Sie jemals verheiratet?“

Ich fröstelte und legte die Hände um meine Tasse, um mich daran zu wärmen. „Nein.“ Was auch stimmte. Ich war nie offiziell verheiratet gewesen, aber das hieß nicht, dass mein Liebesleben nicht … kompliziert war.

Es bedeutete auch nicht, dass ich nicht genau wusste, wovon sie sprach.

„Also, wissen Sie, manchmal werden Eheleute einfach sehr wütend und wollen sich im Eifer des Gefechts sogar umbringen“, erklärte sie. „Aber sie meinen es nicht so. Das liegt nur daran, dass Sie sich einfach zu sehr lieben. Und manchmal sieht diese Leidenschaft dann nach etwas anderem aus. Im Streit kann man alles Mögliche sagen, was man nicht so meint. Aber natürlich würde man so etwas nie tun.“

„Natürlich“, sagte ich und beschloss, nicht zu erwähnen, dass sie gerade, als sie das sagte, nicht mit ihrem Mann stritt. Auch, dass sie vielleicht ein bisschen zu sehr protestierte, brachte ich nicht auf.

Ich musterte sie eindringlich, während ich an meinem Tee nippte.

Sie hielt ihren Blick fest auf den Tisch gerichtet, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. „Habe ich Ihnen schon gesagt, wie wunderbar diese Mischung ist?“, fragte sie. „So erfrischend. Erinnert mich an eine Zuckerstange.“

„Danke. Tatsächlich heißt sie ‚Zuckerstangen-Zauber‘. Ich habe sie für die Feiertage kreiert“, sagte ich.

„Sie ist köstlich.“ Sie nahm noch einen hastigen Schluck und stellte die Tasse auf den Tisch, und ein bisschen Tee schwappte über. „Verkaufen Sie die Mischung? Kann ich etwas davon haben?“

„Sicher“, sagte ich und erhob mich. „Geben Sie mir einen Moment. Ich hole Ihnen eine Packung.“

Sie nickte, als ich die Küche verließ, um nach oben in mein Büro bzw. Arbeitszimmer zu gehen. Auch wenn es, um ehrlich zu sein, so klein war, dass es nicht ungewöhnlich war, im ganzen Haus getrocknete Kräuter oder Pflanzen zu finden. Ich nahm eine Packung und ging zurück in die Küche. Als ich hereinkam, war Courtney bereits aufgestanden und fummelte an ihrer Handtasche herum. Ich hatte sofort das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht war es ihre Haltung oder die Art, wie sie den Hals krümmte, aber irgendwie wirkte sie schuldbewusst.

„Ah, da sind Sie ja“, sagte sie und holte ihr Portemonnaie hervor. „Wie viel schulde ich Ihnen?“

Ich sagte es ihr, und sie zog ein Bündel Bargeld heraus und reichte mir einen Zwanziger.

„Ich hole schnell etwas Wechselgeld“, sagte ich.

„Nicht nötig“, erwiderte sie und nahm die Packung. „Sie haben mir sehr geholfen, und außerdem muss ich jetzt gehen.“

„Aber das ist viel zu viel“, protestierte ich. „Lassen Sie mich nur mein Portemonnaie holen.“

Sie winkte ab, als sie die Küche verließ und zur Haustür ging. „Ach, Unsinn. Sie waren wirklich sehr hilfreich. Behalten Sie das Wechselgeld.“ Sie schlüpfte in ihren Mantel, ohne sich die Mühe zu machen, ihn zu schließen, öffnete die Haustür und verschwand hinaus in die Kälte.

Ich schloss die Tür hinter ihr und beobachtete sie durch die Fensterscheibe, als sie die Einfahrt hinuntereilte und in ihren Wagen stieg. Sie schien nicht sehr sicher auf den Beinen zu sein, und ich wollte sichergehen, dass sie unversehrt zu ihrem Fahrzeug kam. Nachdem sie weggefahren war, ging ich zurück in die Küche und sah mich um.

Alles schien an seinem Platz zu sein. Es sah nicht danach aus, als ob sie nach etwas gesucht hatte (zum Beispiel nach etwas, mit dem sie ihren Mann töten konnte).

Trotzdem wurde ich das ungute Gefühl nicht los.

Ich ging zum Tisch, um das Geschirr abzuräumen. Während ich mir selbst gut zuredete, schlenderte Nachtschatten herein.

„Bestimmt hat sie es nicht so gemeint“, sagte ich zu ihm. „Wahrscheinlich war sie nur verärgert. Ich meine, sie hat ihren Liebestrank nicht bekommen, und es ist ihr offensichtlich unangenehm, das Gespräch mit ihrem Mann zu suchen. Obwohl man eigentlich denken müsste, dass das ja ein Warnsignal wäre.“

Nachtschatten setzte sich hin und musterte mich aus seinen dunkelgrünen Augen.

„Das geht mich natürlich nichts an“, fuhr ich fort. „Sie ist wütend auf ihn, und das zu Recht. Wer wäre das nicht? Auch wenn sie in diesem Augenblick nicht wirklich gescherzt hatte, wollte sie sicher nur Dampf ablassen.“

Nachtschattens Schwanz zuckte.

„Vielleicht war das sogar das erste Mal, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hat“, sagte ich, während ich zur Spüle ging. „Und dabei hat sie jetzt erkannt, wie furchtbar das, was sie gesagt hat, ist. Natürlich würde sie so etwas niemals tun.“ Ich drehte mich zu meinem Kater um. „Oder?“

Nachtschatten war damit beschäftigt, sich zu putzen.

„Du bist wirklich eine große Hilfe“, murmelte ich und wandte mich wieder der Spüle zu, um den Abwasch zu beenden.

So seltsam diese Begegnung auch war, hatte sich das Thema wahrscheinlich erledigt. Zumindest hoffte ich das.

Kapitel 2

„Hast du schon in die Zeitung geschaut?“

„Guten Morgen, Pat“, sagte ich ins Telefon. „Wie schön, von dir zu hören. O ja genau, ich hatte ein wunderbares Weihnachtsfest. Wie war deins?“

„Hol deine Zeitung rein, ich bin gleich da.“ Ein Klicken ertönte, und das Gespräch war beendet.

Ich legte den Hörer auf, blieb aber erst einmal sitzen. Ein Schauer jagte mir über den Rücken. Ich hatte den leisen Verdacht, dass mir das, was in der Zeitung stand, nicht gefallen würde.

Deshalb ließ ich mir Zeit, bevor ich sie holen ging. Ich kochte Wasser für eine frische Kanne Tee auf und stellte ein paar Muffins auf den Tisch, die ich am Vortag gebacken hatte, neben meine neuen Weihnachtsteller und Servietten. Obwohl es hier nur Nachtschatten und mich gab, hatte ich das Haus geschmückt, vor allem die Küche. Normalerweise war hier alles mit Sonnenblumen-Deko verziert, die ich aber komplett gegen weihnachtliche Dekorationen ausgetauscht hatte, vervollständigt durch einen kleinen Baum in der Ecke.

Die Weihnachtszeit war für mich bittersüß, insbesondere der 1. Weihnachtstag am fünfundzwanzigsten. Weihnachten war immer meine Lieblingszeit gewesen, aber ich vermisste meine Nichte Becca und meine Neffen, vor allem CB. Mein Verhältnis zu meiner Schwester Annabelle war immer noch etwas unterkühlt. Also war es einfacher, mit ihnen am Telefon zu sprechen.

Nach unserem Telefonat am Vortag hatte ich einen großen Teil des Tages mit Backen verbracht, bevor ich zu Nancys Weihnachtsessen aufbrach. Nancy, der das Redemption Inn gehörte, hatte auch keine Familie in der Nähe, und so verbrachten wir die Feiertage üblicherweise gemeinsam bei ihr, so konnte sie auch das Inn im Auge behalten.

Die Küche war bereit für Pat, und ich wollte gerade die Zeitung holen, als mir auffiel, dass ich vielleicht etwas anderes anziehen sollte als die alte graue Jogginghose mit dem passenden Sweatshirt, die ich gerade trug. Ich schlüpfte in eine Jeans und einen meiner Weihnachtspullover, rot mit einem grünen Baum in der Mitte, und kämmte mein widerspenstiges, braun-blondes Haar glatt. Je nach Luftfeuchtigkeit schwankte es zwischen lockig und kraus, und heute war es definitiv auf der unbändigen Seite, also fasste ich es viel lieber zu einem Pferdeschwanz zusammen, als mich damit auseinanderzusetzen. Ich warf einen kurzen Blick in den Spiegel und betrachtete meine Augen, die eine interessante Mischung aus Grün, Braun und Gold waren, dazu meine vollen Lippen und mein schmales Gesicht, und dabei überlegend, ob ich mich auch ein wenig schminken sollte. Ich beschloss, dass ich nicht genug Zeit für Make-up-Experimente hatte, und machte mich stattdessen auf den Weg zur Haustür.

Draußen war es kalt und grau. Noch lag kein Schnee, was enttäuschend war, denn weiße Weihnachten wären schön gewesen. Aber es sah so aus, als könnte es jeden Moment anfangen zu schneien. Die Zeitung lag in der Mitte der Einfahrt, was bedeutete, dass ich Schuhe brauchte. Gerade als ich meine Turnschuhe gefunden und geschnürt hatte, kam Pat die Auffahrt herauf. „Würdest du die Zeitung mitbringen, wo du schon mal da bist?“, rief ich ihr zu.

Sie starrte mich mit offenem Mund an. „Du meinst, du weißt es noch nicht?“

„Es ist Boxing Day, Pat“, sagte ich. „Den wollte ich mir nicht ruinieren.“

„Ich weiß nicht mal, was Boxing Day bedeutet“, erwiderte Pat, während sie sich die Zeitung von der anderen Seite der Einfahrt schnappte.

Ich schloss die Haustür, da ich wusste, dass sie sich selbst hereinlassen würde, und ging zurück in die Küche, um den Tee aufzugießen. Ich hörte, wie die Haustür auf und zu ging, bevor Pat in die Küche kam. Ihre Nase und Wangen waren rot von der Kälte.

„Ich kann nicht glauben, dass du nicht alles hast stehen und liegen lassen, um die Zeitung zu holen“, grummelte sie, warf die Zeitung auf den Tisch und schnappte sich einen Muffin. Pat war ein gutes Jahrzehnt älter als ich, und das beste Wort, um sie zu beschreiben, war „rund“. Sie war eher mollig, hatte ein rundes Gesicht, eine runde, schwarz umrandete Brille und kurzes braunes Haar, das langsam grau wurde. Sie war eine meiner ersten Kundinnen gewesen, die Nancy mir vermittelt hatte, und inzwischen war sie auch eine gute Freundin geworden.

„Willst du es selbst lesen, oder soll ich es dir sagen?“, fragte sie und biss in ihren Muffin. Wie ich trug auch sie einen Weihnachtspulli, nur dass auf ihrem eine Familie von Schneemännern abgebildet war, die Liederbücher in der Hand hielten und allem Anschein nach Weihnachtslieder sangen.

Ich stellte die Teekanne auf den Tisch und nahm die Zeitung in die Hand. „Weder noch“, entgegnete ich. „Wie ich schon sagte, ist heute ein Feiertag. Na ja, zumindest in Kanada und im Vereinigten Königreich. Wir sollten uns an die Planung eines Einkaufsbummels machen, statt unschöne Nachrichten in der Zeitung zu lesen.“

Pat verdrehte die Augen. „Glaub mir, das willst du sehen“, sagte sie mit vollem Mund. „Und falls du es noch nicht gemerkt hast, wir leben weder in Kanada noch in Großbritannien.“

Seufzend entfernte ich das Gummiband und rollte die Zeitung auf.

Mord an Heiligabend, sprang mir die Schlagzeile entgegen. Mann tot aufgefunden. Vergiftetes Geschenk vermutet.

„Vergiftetes was?“, murmelte ich und las die Schlagzeile erneut. „Meinen die das ernst?“

„Vergiss die Überschrift“, sagte Pat. „Lies einfach den Artikel.“

Ich überflog den Bericht.

Dennis Fallon, neununddreißig Jahre alt, wurde an Heiligabend tot in seinem Haus aufgefunden.

Seine Frau, Courtney Fallon, fünfundzwanzig Jahre alt und im sechsten Monat schwanger, fand ihn und tätigte den Notruf …

Die Worte verschwammen vor meinen Augen. Courtney Fallon … im sechsten Monat schwanger.

Hatte sie mir ihren Nachnamen gesagt? Ich erinnerte mich nicht. Aber das konnte unmöglich dieselbe Person sein.

Vor meinem geistigen Auge tauchte das Bild der jungen Frau auf, die vor einigen Wochen in meiner Küche gesessen, meinen Zuckerstangen-Tee getrunken und um einen Trank gebeten hatte, mit dem sie ihren Mann umbringen konnte.

Das hier musste jemand anderes sein.

Ich überflog den Artikel auf der Suche nach einem Foto von Dennis und seiner Frau, als sich mir plötzlich der Magen umdrehte.

Dort, ganz unten. An ihrem Hochzeitstag.

Keine Frage, es war dieselbe Courtney.

Ich schaute auf und sah, wie Pat den Tee ausschenkte und mir eine Tasse reichte. „Den wirst du brauchen, auf jeden Fall. Oder hast du vielleicht etwas Stärkeres?“

Ich griff mit schlaffen Fingern nach der Tasse und ließ mich auf einen der Stühle fallen. „Pat, bin ich womöglich dafür verantwortlich?“

Pat zog einen Stuhl heraus und setzte sich mir gegenüber. „Ich weiß es nicht. Bist du diejenige, die ihm den vergifteten Brandy geschickt hat?“

„Vergifteter Bra… Er wurde wirklich vergiftet?“

„Du hast den Artikel nicht zu Ende gelesen, oder?“

„Nein, ich habe nur nach einem Bild gesucht.“

Pat warf mir einen Blick zu. „Wie viele Courtneys, die noch dazu im sechsten Monat schwanger sind, leben wohl in Redemption?“

Ich griff nach meinem Tee und nahm einen Schluck. Er war heiß und brannte mir auf der Zunge, aber ich trank ihn trotzdem. „Ich kann nicht glauben, was hier passiert.“

Pat nahm sich einen weiteren Muffin. „Oh, glaub es ruhig. Willst du einen Muffin? Oder soll ich ein paar Weihnachtsplätzchen holen? Ich weiß, dass du hier irgendwo welche gebunkert hast …“

Obwohl mir der Appetit vergangen war, griff ich nach einem Muffin.

Vielleicht hatte Pat recht und Zucker würde helfen.

Nachdem Courtney an jenem Tag gegangen war, konnte ich nicht aufhören, an sie zu denken. Sosehr ich auch versuchte, das Geschehene als Frustration ihrerseits abzutun – sie wollte ihren Mann nicht wirklich umbringen –, wurde ich das Gefühl nicht los, dass etwas anderes dahintersteckte.

„Meinst du, ich sollte es jemandem sagen?“, hatte ich Pat bei Tee und Keksen gefragt.

Sie starrte mich verblüfft an. „Wem denn?“

„Ich weiß es nicht. Der Polizei?“

Sie blinzelte. „Der Polizei?“

„Sollte man die nicht verständigen, wenn man Informationen über ein Verbrechen hat?“

„Charlie, was genau glaubst du zu wissen? Eine Person ist zu dir gekommen und hat dich um einen Liebestrank gebeten, weil sie schwanger ist und ihr Mann sie betrügt, und als klar war, dass sie keinen bekommen würde, fragte sie nach etwas anderem. Wir sprechen hier von einer Schwangeren, die verärgert ist, weil ihr Mann eine Affäre hat. Es gibt wahrscheinlich viele Frauen in dieser Situation, die darüber nachdenken, ihren Mann zu töten. Würdest DU das nicht auch tun?“

Ich nagte an meiner Unterlippe. „Vermutlich schon.“

Was Pat gesagt hatte, ergab Sinn. Die Wahrscheinlichkeit, dass Courtney es tatsächlich so gemeint hatte, war ziemlich gering.

Und doch …

Als ich Courtneys schüchternes Lächeln auf der Titelseite der Zeitung betrachtete, kamen meine Zweifel zurück.

„Also, willst du mir erzählen, was passiert ist, oder muss ich den Artikel lesen?“

Pat brach ein Stück von ihrem Muffin ab. „An Heiligabend kam ein Päckchen für den Herren an. Es schien ein Geschenk von einem seiner Cousins zu sein, der die Feiertage zufällig im Ausland verbrachte. In der beigefügten Nachricht stand so etwas wie: ‚Öffne mich zuerst, für einen Genuss an Heiligabend.‘ In dem Paket war eine Flasche seines Lieblings-Brandys, und natürlich genehmigte er sich einen Schluck. Anscheinend war das alles, was es brauchte.“

„Wo war Courtney, als das alles passiert ist?“

„In der Küche. Sie gab an, sie hätten beschlossen, einen ruhigen Weihnachtsabend zu Hause zu verbringen, nur sie beide, und sie habe den Nachmittag damit verbracht, ein köstliches Abendessen zu kochen. Als er nicht zum Essen erschien, suchte sie nach ihm und fand ihn tot auf dem Boden seines Arbeitszimmers liegend vor.“

Meine Augen weiteten sich. „Ernsthaft?“

Pat nickte. „Ja. Irgendwie seltsam, nicht wahr?“

„Das kann man wohl sagen. Warum sollte er alleine in seinem Arbeitszimmer trinken, wenn sie den Weihnachtsabend zusammen verbringen wollten?“

„Gute Frage.“

„Und sie hat ihn nicht fallen hören?“, fragte ich. „Man sollte meinen, wenn ein erwachsener Mann zusammenbricht, hätte sie das gehört.“

„Vielleicht lief Weihnachtsmusik.“

„Vielleicht.“ Ich runzelte die Stirn. „Es wäre trotzdem seltsam. Also, nachdem sie ihn gefunden hat, was dann? War sie diejenige, die die Polizei gerufen hat?“

„Jap. Und sie haben ihn noch am Tatort für tot erklärt.“

„Das klingt wirklich so, als hätte sie es getan“, sagte ich. „Na klar, sie war es.“

„Wurde sie verhaftet oder angeklagt oder so?“

„Das stand nicht in der Zeitung“, erwiderte Pat. „Ich denke aber, dass sie zumindest ein Auge auf sie haben.“

„Vielleicht sollte ich mit ihr reden“, überlegte ich, während ich erneut Courtneys Hochzeitsfoto studierte. Sie sah unglaublich jung aus in ihrem wunderschönen Hochzeitskleid und ihrem zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckten, fülligen blonden Haar. Ihr frisch gebackener Ehemann strahlte sie an. „Und was willst du zu ihr sagen? ‚Hey, hast du letztendlich doch beschlossen, deinen Mann zu vergiften?‘“

„So etwas in der Art, aber vielleicht nicht ganz so unverblümt.“ Ich konnte meinen Blick nicht von ihrem Ehemann losreißen. Allein sein schütter werdendes Haar und sein Bauchansatz verrieten, dass er viel älter war als sie.

Aber es waren die Liebe und Bewunderung in seinem Blick, die mich so an die Zeitungsseite fesselten.

„Ich verstehe das nicht“, sagte ich.

„Was?“

„Warum er sie betrügen sollte.“ Ich drehte Pat die Zeitung zu, um ihr zu zeigen, was ich meinte. „Zum einen ist da der Altersunterschied. Sie ist jung und hübsch, er ist ein Mann mittleren Alters.“

„Weil er also mittleren Alters ist, würde er sie nicht betrügen?“

„Nein, aber warum sollte er? Sie scheint die perfekte Vorzeigefrau zu sein, falls es das ist, was er wollte. Aber abgesehen davon, sieh doch nur, wie er sie anschaut.“ Ich tippte auf das Foto in der Zeitung. „Das sieht nicht nach einem Mann aus, der seine Frau nicht liebt.“

Pat betrachtete das Bild. „Vielleicht hat er sich entliebt. Wir wissen nicht, wann sie geheiratet haben.“

„Sie ist immer noch ziemlich jung. Es kann noch nicht so lange her sein.“

„Vielleicht ist er einer dieser Typen, die nie Kinder wollten. Und jetzt, da seine Frau schwanger ist, hat er das Interesse verloren.“

„Möglich wäre es.“

Pat schaute auf und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. „Was willst du damit sagen? Du glaubst nicht, dass er sie betrogen hat?“

Ich dachte an Courtneys Besuch, wie erschöpft und deprimiert sie ausgesehen hatte, und wie traurig sie hinsichtlich ihrer Ehe war. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie mir etwas vormachte, sie schien aufrichtig zu glauben, dass ihr Mann sie betrog.

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte ich. „Ich meine, Courtney schien wirklich davon überzeugt zu sein. Aber vielleicht hat sie sich geirrt. Vielleicht war er ihr nicht untreu.“

„Wie kann sie sich bei so etwas irren? Wie hat sie es herausgefunden?“

„Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Ich habe nicht gefragt. In dem Moment schien das nicht wichtig zu sein. Aber ich weiß, dass sie nie darüber gesprochen haben. Es ist also möglich, dass sie dachte, er würde sie aus irgendeinem Grund betrügen, obwohl das nicht der Fall war.“

„Mann, wäre es nicht schrecklich, wenn sie ihn wegen eines Missverständnisses vergiftet hätte?“

„Was für ein Albtraum.“ Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und wickelte meinen Pferdeschwanz immer wieder um die Hand. „Ich muss mit ihr sprechen. Ich meine, entweder hat er sie betrogen, was bedauerlich und irgendwie seltsam wäre, da sie eine Vorzeigefrau zu sein scheint. Oder er hat es nicht getan, aber aus irgendeinem Grund dachte sie, er wäre ihr untreu. Was genauso seltsam ist.“

„Oder“, sagte Pat und warf mir einen schiefen Blick zu, während sie ein weiteres Stück Muffin in die Hand nahm, „sie hat die ganze Betrugs-Sache nur erfunden.“

Diese Theorie hatte ich noch nicht in Betracht gezogen. War es möglich, dass Courtney sich das alles nur ausgedacht hatte? Ich dachte daran, wie sie hier an meinem Küchentisch saß, ihre schönen blauen Augen voller Traurigkeit und Kummer. Der Gedanke, dass sie mir etwas vorgemacht haben könnte, jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Ich musste die Wahrheit erfahren. Oder mich zumindest bemühen herauszufinden, was vor sich ging. Ich ignorierte die leise Stimme in mir, die mich ermahnte, dass mich das wahrscheinlich nichts anging und ich Besseres zu tun hatte. Ich schwang mich vom Stuhl. „Willst du mich zu einem Besuch bei der trauernden Witwe begleiten?“

Pat schob sich den letzten Bissen Muffin in den Mund. „Machst du Witze? Das will ich um nichts in der Welt verpassen.“

Kapitel 3

Courtneys Haus befand sich in einer ruhigen Sackgasse am anderen Ende der Stadt in der Nähe des Sees. Es war ein großes, zweistöckiges Haus im Kolonialstil mit roten und weißen Ziegeln, weißen Zierleisten und einem riesigen Garten mit vielen Bäumen. Im Sommer war es wahrscheinlich ein echter Hingucker, aber mit dem abgestorbenen Gras und den kahlen Bäumen sah es trostlos und deprimierend aus.

Pat und ich gingen die Einfahrt hinauf. Das Haus war weihnachtlich geschmückt, mit einem Plastikweihnachtsmann in einem Schlitten und einer Familie von Schneemännern, die bei Nacht wahrscheinlich festlich und fröhlich aussahen, mitten an einem bewölkten grauen Tag allerdings nur zur vorherrschenden Trostlosigkeit beitrugen.

Ich klingelte und wartete. An der alten Holztür prangte ein hübscher, rot-grüner Kranz. Ich fragte mich, ob all diese festlichen Dekorationen Courtneys Idee waren und ob sie das Haus auch im nächsten Jahr schmücken würde. Ich hoffte es, um ihres ungeborenen Kindes willen. Ohne Vater aufzuwachsen, würde so schon schwer genug für es werden, da sollte es nicht auch noch auf Weihnachten verzichten müssen.

„Womöglich ist sie nicht zu Hause“, sagte Pat, stampfte mit den Füßen und vergrub die Hände in den Manteltaschen.

„Wir hätten vielleicht vorher anrufen sollen“, sagte ich und wollte gerade erneut klingeln, als die Tür aufflog. Erschrocken zuckte ich zusammen.

„Mrs. Kingsley … Ich meine, Charlie! Was machen Sie denn hier?“

Courtney sah furchtbar aus. Ihre Nase war knallrot, und ihr Gesicht war geschwollen, als hätte ich sie gerade mitten in einem Heulkrampf unterbrochen. Nur ein Teil ihrer blonden Haare war zu einem Pferdeschwanz hochgebunden – der Rest hing ihr in einer strähnigen, verfilzten Matte um die Schultern. Sie trug ein fleckiges, graues Sweatshirt und eine Jogginghose.

„M-mein Beileid zu Ihrem Verlust“, stammelte ich unbeholfen. Ich schämte mich, denn mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich Courtney in ihrer Trauer stören könnte. Ich hatte unablässig daran gedacht, wie sie mich um etwas bat, mit dem sie ihren Mann umbringen konnte, und jetzt fragte ich mich, ob ich dabei wirklich Kälte in ihren Augen gesehen hatte. „Ich wollte nur vorbeischauen und fragen, ob Sie etwas brauchen, aber ich hätte wohl vorher anrufen sollen, anstatt einfach so hereinzuplatzen.“

Sie schniefte laut und wischte sich mit einem feuchten, zerknüllten Taschentuch über die Wangen. „Wollen Sie reinkommen?“

Ich schaute Pat an. „Äh … sicher. Wenn es Ihnen keine Umstände macht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass das Haus ein bisschen unordentlich ist.“

Ich trat ein, machte sie mit Pat bekannt und reichte ihr einen Korb voll Muffins. Sie schniefte erneut, als sie ihn entgegennahm.

„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Ach, das ist nicht der Rede wert“, sagte ich und wünschte, ich hätte mir die Zeit genommen, einen Auflauf oder etwas Herzhafteres als meine übrig gebliebenen Muffins mitzubringen.

Sie ging in die Küche, während Pat und ich uns in das tadellos aufgeräumte Wohnzimmer begaben. Ich war mir nicht ganz sicher, was Courtney mit Unordnung gemeint hatte. Das Einzige, was auch nur annähernd unordentlich aussah, war der Couchtisch, auf dem sich Papierkram stapelte. Das Zimmer war in sanften Pastellfarben gehalten – Gelb, Rosa und Babyblau. Das Sofa und die dazugehörigen Sessel waren cremefarben, mit Kissen und Überwürfen in ähnlichen Akzenten, und der Parkettboden wurde von einem dazu passenden geflochtenen Teppich bedeckt. In der Ecke neben dem Kamin stand ein riesiger Weihnachtsbaum, unter dem bunt verpackte Geschenke lagen.

„Hier muss sie aber einiges noch kindersicher machen“, sagte Pat kopfschüttelnd, während sie sich vorsichtig auf dem Sofa niederließ.

In diesem Moment kam Courtney herein und ersparte mir die Antwort. „Oh, wie unhöflich von mir! Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee oder Tee vielleicht? Ich habe noch etwas von dieser wunderbaren Mischung, die ich bei Ihnen gekauft habe, oder …“

„Danke, uns fehlt es an nichts, Courtney“, sagte ich sanft. „Warum setzen Sie sich nicht?“

Sie sah ein wenig verloren aus, als hätte sie sich darauf eingestellt, uns etwas zu trinken zuzubereiten, und jetzt, wo diese Aufgabe wegfiel, war sie sich nicht sicher, was sie tun sollte. Nach einem Moment ließ sie sich auf einen Stuhl sinken.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte ich und spürte, wie mein Gesicht rot wurde, weil die Frage unglaublich dumm war. „Ich meine, mit dem Baby und allem“, fügte ich hinzu.

„Dem Baby geht es gut“, sagte sie und schnäuzte sich. „Mir geht es den Umständen entsprechend. Es gibt nur so viel zu tun, und ich weiß nicht, wo alles ist. Dennis hat sich immer um alles gekümmert, aber er ist nicht hier, also …“ Sie verzog das Gesicht und wischte sich erneut mit dem Taschentuch darüber. „Es tut mir so leid. Im Augenblick bin ich noch emotionaler als sonst, dabei bin ich ohnehin nah am Wasser gebaut. Und das hier ist das genaue Gegenteil. Nochmals danke, dass Sie gekommen sind. Das ist so nett von Ihnen. Außer der Polizei und meiner Mutter hat sonst noch niemand vorbeigeschaut.“

Ich warf Pat einen Blick zu, die die Augenbrauen hochzog. „Es ist noch niemand vorbeigekommen, um sein Beileid zu bekunden?“

Courtney schüttelte den Kopf. „Das liegt wahrscheinlich an den Feiertagen. Die Leute sind mit ihren Familien beschäftigt und haben andere Verpflichtungen. Bestimmt schauen sie vorbei, sobald sich die Lage in ein paar Tagen beruhigt hat.“

„Ganz sicher liegt es nur daran“, stimmte ich ihr zu und hoffte, dass sie recht hatte und die Leute nicht deshalb fernblieben, weil alle dachten, sie hätte ihren Mann vergiftet. „Möchten Sie überhaupt über das reden, was passiert ist?“

Sie putzte sich die Nase. „Wir wollten an Heiligabend auf eine Party gehen, aber mir war nicht danach. Den ganzen Dezember über waren wir auf einer Feier nach der anderen eingeladen. Ganz zu schweigen von den Geschenkkäufen und dem Dekorieren … Das war ermüdend. Dennis sagte, wir sollten es ausnutzen, dass das Baby noch nicht da war, und so viel wie möglich ausgehen, da wir den nächsten Dezember wahrscheinlich zu Hause verbringen würden. Zunächst stimmte ich zu, denn was er sagte, ergab Sinn. Aber im Laufe des Monats wurde es einfach immer anstrengender. Für den ersten Weihnachtsfeiertag war so viel geplant, wir waren zum Mittagessen bei meiner Mutter und zum Abendessen bei seiner Familie eingeladen, und ich bezweifelte, dass ich noch einen Tag länger durchhalten würde. Also habe ich gefragt, ob wir zu Hause bleiben und Heiligabend zu zweit feiern können. Ich wollte uns ein leckeres Abendessen kochen und schlug vor, dass wir anschließend ein Feuer im Kamin anzünden, die Lichter des Weihnachtsbaums einschalten und einen schönen ruhigen Abend verbringen könnten.

Er war einverstanden, und so war ich an diesem Nachmittag in der Küche beschäftigt. Als es an der Tür klingelte, war ich gerade dabei, das Beef Wellington zuzubereiten, also rief ich nach Dennis, damit er aufmachte. Kurz darauf kam er in die Küche und zeigte mir, was Arthur ihm geschickt hatte. Das Geschenk war wunderschön verpackt … eine rote Schachtel in goldenem Papier. Er sagte, es sei zu schön, um es auszupacken, und wir sollten es besser nicht anfassen, aber andererseits wollte er unbedingt wissen, was es war, vor allem, nachdem er die Karte gelesen hatte: ‚Öffne mich zuerst, für einen Genuss an Heiligabend‘. Die Worte haben sich in mein Gehirn eingebrannt.“ Sie holte tief Luft. „Jedenfalls sagte Dennis, nachdem er die Karte gelesen hatte, so etwas wie: ‚Arthur weiß immer, wie er die Party zu einem nach Hause bringt.‘“

„Arthur ist Dennis’ Cousin?“, fragte ich.

Courtney nickte. „Er schickt oft Dinge aus heiterem Himmel, vor allem, wenn er auf Reisen ist. Er reist sehr viel.“

„Geschäftlich oder …?“

„Ja, geschäftlich, aber auch zum Vergnügen. Ich glaube, aktuell ist er in Frankreich … oder vielleicht in den Schweizer Alpen. Meistens behält man nur schwer den Überblick darüber, wo er sich gerade aufhält.“ Sie hielt inne, als wäre der Gedanke, einen Cousin zu haben, der aus heiterem Himmel Geschenke schickte und schwer zu erreichen war, die perfekte Möglichkeit, jemandem unvermutet Gift zu verabreichen.

„Was meinten Sie mit: ‚die Party zu einem nach Hause bringen‘?“, fragte Pat.

Courtney biss sich auf die Lippe. „Dennis war nicht glücklich darüber, die Party an Heiligabend zu verpassen“, sagte sie leise. „Er hat sich nicht groß dazu geäußert, aber ich weiß, dass er enttäuscht war. Auf diese Feier hatte er sich ganz besonders gefreut. Sein Kunde Harry war für seine ausschweifenden Partys berüchtigt. Das wäre wahrscheinlich unsere letzte Gelegenheit gewesen, daran teilzunehmen, bevor das Baby kommt. Und …“ Sie verstummte und schüttelte sich kurz. „Ach, ist ja auch egal.“

„Was?“

Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Er war enttäuscht, dass wir nicht zu der Party gegangen sind. Das ist alles.“

Ich schaute Pat an und sah dieselbe Frage in ihren Augen, die mir durch den Kopf ging. Was verschwieg Courtney uns? „War er wütend auf Sie?“, fragte ich.

Sie sah mich verblüfft an. „Wütend? Nein, ganz und gar nicht. Er sagte, er verstehe das. Er wusste, dass die Feiertage schwer für mich waren. Es war einfach … bedauerlich. Schlechtes Timing. Ich hätte früher etwas sagen sollen, dann hätten wir stattdessen einige der anderen Partys auslassen können, und er hatte recht … Ich hätte früher den Mund aufmachen sollen.“

„Es ist nicht Ihre Schuld“, sagte ich. Es gefiel mir gar nicht, dass ihr Wunsch, an Heiligabend zu Hause zu bleiben, sie schuldig erscheinen ließ, aber ich war mir auch nicht sicher, ob ich nicht einfach zu viel hineininterpretierte. Ihr Mann war tot, und, wenn sie zu der Party gegangen wären, wäre er es vielleicht nicht. Es war nur natürlich, dass sie sich selbst die Schuld gab, auch wenn das absurd war.

Sie schenkte mir ein halbherziges, weinerliches Lächeln. „Ich hätte trotzdem schon früher etwas sagen sollen. Dennis hatte recht. Ich hätte darauf vertrauen sollen, dass er mir helfen wollte.“

Ich dachte an mein erstes Gespräch mit Courtney, als sie mir eröffnete, dass Dennis sie betrog, sie ihn aber nicht darauf ansprechen wollte. Anscheinend war das öfter vorgekommen. „Haben Sie oft Dinge vor ihm zurückgehalten?“

Sie zuckte mit den Schultern und starrte auf ihren Schoß. „Manchmal. Ich weiß nicht. Sein Job war sehr stressig, und ich wollte ihm nicht auch noch zur Last fallen.“

„Was hat Dennis beruflich gemacht?“

„Er war Finanzberater. Er hatte seine eigene Firma … Na ja, zusammen mit Glenn, seinem Geschäftspartner.“

Das Geschäft musste ziemlich erfolgreich gewesen sein, wenn man die Größe des Hauses in Betracht zog.

„Was passiert jetzt mit der Firma?“, fragte Pat.

Courtney knüllte ihr Taschentuch fester zusammen. „Ich bin mir nicht sicher. Glenn übernimmt vermutlich alles.“

Pat und ich sahen uns an. Wieder schien sie genau dasselbe wie ich zu denken: War die Übernahme eines Unternehmens ein Motiv für einen Mord?

„Das klingt wirklich stressig“, sagte ich. „Das Geld anderer Leute zu verwalten.“

„Das können Sie sich nicht mal vorstellen“, erwiderte Courtney. „Es fiel ihm so schwer, die Arbeit im Büro zu lassen. Obwohl es hier ein Arbeitszimmer gab, hatte ich das Gefühl, dass es meine Aufgabe war, zu Hause einen Zufluchtsort für ihn zu schaffen … einen Ort, an dem er sich ausruhen und auftanken konnte. Er sagte mir oft, wie gerne er nach Hause kam, weil es hier nach einem stressigen Tag einfach so beruhigend und friedlich war. Sie können sich also vorstellen, wie ungern ich … den Frieden stören wollte.“

Da war irgendetwas. Ich konnte es in der Anspannung spüren, die das Zimmer erfüllte. Ich wollte weitere Fragen stellen, um der Sache auf den Grund zu gehen, aber ich hatte das Gefühl, es wäre weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob irgendetwas davon für die Frage nach dem Mörder an Dennis relevant war.

Ich betrachtete Courtney, die immer noch den Kopf gesenkt hielt. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend, von ihren eingefallenen Schultern bis zu der Art, wie sie den Körper zu einem kleinen Ball zusammenrollen wollte. Sollte ich sie in diesem Zustand wirklich mit weiteren Fragen über ihre Ehe löchern?

Wahrscheinlich nicht, entschied ich.

„Also, zurück zu diesem Geschenk“, begann ich. Courtney hob den Kopf, sah mir aber nicht in die Augen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie mit so vielen Fragen bedrängte. Was auch immer in ihrer Ehe vorgefallen sein mochte, sie war viel zu jung, um Witwe zu sein. Zumal sie in ein paar Monaten auch noch alleinerziehende Mutter sein würde. Ich musste einfühlsamer vorgehen. „Dennis sprach von einer ‚Party ohne Gesellschaft‘, weil er die Feier an Heiligabend verpasste?“

Sie nickte. „Ja, ich glaube, seinen Lieblings-Brandy zu bekommen … na ja, das fühlte sich wohl an wie eine Art Trostpreis. Das hat ihm wirklich die Stimmung versüßt.“ Sie schwieg kurz und hing ihren Gedanken nach. Ich machte mich auf einen weiteren Heulkrampf gefasst, aber ihre Augen blieben ohne Tränen.

„Was ist dann passiert?“, hakte ich nach. „Hat Dennis sich einen Drink eingeschenkt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Zumindest nicht in der Küche. Er sagte, er wolle mich in Ruhe kochen lassen. Es war klar, dass ich ihm nicht richtig zugehört hatte.“ Sie holte tief Luft. „Vielleicht hätte ich aufmerksamer sein sollen. Dann wäre er womöglich in der Küche geblieben und hätte dort etwas getrunken, anstatt in sein Arbeitszimmer zu gehen. In dem Fall hätte ich gesehen, dass er zusammenbricht, und hätte den Rettungsdienst früher rufen können. Vielleicht hätte ich sein Leben retten können.“

„Wahrscheinlich hätte das keine Rolle gespielt“, sagte ich. „Sobald wir herausgefunden haben, was für ein Gift es war, wissen wir mehr, aber es gibt einige, zu denen es entweder kein Gegengift gibt oder die so schnell wirken, dass auch ein Gegengift nichts hätte ausrichten können.“ Courtney antwortete nicht, sondern griff stattdessen nach einem neuen Taschentuch. „Also“, fuhr ich fort. „Sie wissen nicht genau, wann er den Brandy getrunken hat?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich war so mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt, dass ich nicht wirklich auf die Zeit geachtet habe. Erst als ich die gefüllten Pilze auf einem Teller anrichtete, fiel mir auf, dass ich ihn schon seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Da habe ich ihn in seinem Arbeitszimmer gefunden.“

Sie presste das saubere Taschentuch auf ihre Augen. „Er lag zusammengesackt da, halb auf dem Sofa und halb auf dem Boden.“

„Auf dem Sofa?“, fragte ich.

Sie nickte. „Außer seinem Schreibtisch hat er noch ein schwarzes Ledersofa in seinem Arbeitszimmer. Er liest, äh, las lieber auf dem Sofa als an seinem Schreibtisch, insbesondere vor dem Abendessen. So entspannte er sich am Ende des Tages. Er saß auf der Couch mit einem Drink und einer Zeitschrift oder Zeitung. Hauptsächlich hat er Finanz-Magazine gelesen.“ Sie hielt erneut inne und stieß einen zitternden Seufzer aus. „Als ich ihn fand, rannte ich sofort zu ihm und tastete ihn ab. Ich dachte, er hätte vielleicht einen Herzinfarkt oder so was. Ich schüttelte ihn, und da fiel er ganz auf den Boden. In dem Moment wusste ich, dass er tot war.“

Das erklärte, warum Courtney ihn nicht hatte fallen hören. Er musste mit seinem Brandy auf dem Sofa gesessen haben, als es passierte. „Ich habe den Rettungsdienst gerufen“, fuhr Courtney fort. „Zumindest dachte ich das, als ich den Notruf wählte. Ich hatte gehofft, dass sie ihn wiederbeleben könnten, obwohl ich tief im Inneren schon wusste, dass es zu spät war. Ich dachte immer noch, es sei ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, obwohl er keine gesundheitlichen Probleme hatte … außer Stress natürlich. Ich kam nicht mal auf die Idee, dass er vergiftet worden war. Erst als die Polizei mit den Sanitätern eintraf, wurde mir klar, dass sie etwas anderes vermuteten.“

Ich warf einen Blick zum Kamin hinüber, wo das Hochzeitsfoto aus der Zeitung stand. Es war zwar klar, dass Dennis älter war als Courtney und dass er ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften hatte, aber er sah nicht aus wie ein Kandidat für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall.

Könnte sie wirklich unschuldig sein? Obwohl sie nur wenige Wochen zuvor nach etwas gefragt hatte, mit dem sie ihn töten konnte?

„Was hat die Polizei gesagt?“, fragte Pat.

Courtney ballte die Hände zu Fäusten. „Noch nicht sehr viel, aber es ist klar, dass sie mich verdächtigen. Sie sind bereits zurückgekommen, um mich erneut zu befragen, obwohl sie mir angeblich nur ein ‚Update‘ geben wollten“, antwortete sie, wobei sie bei dem Wort Update Anführungszeichen mit den Fingern machte.

„Was war das für ein Update? Wissen sie, was Dennis getötet hat?“

„Noch nicht. Sie warten noch auf den toxikologischen Bericht. Außerdem untersuchen sie den Brandy und versuchen, mit Arthur in Kontakt zu treten.“ Sie verdrehte die Augen. „Im Grunde genommen hatten sie gar nichts zu berichten, sondern nur eine Menge Fragen an mich. Warum machen sie nicht ihre Arbeit und beginnen mit den Ermittlungen, anstatt mich zu belästigen?“

Ich zwang mich, nicht zu Pat zu schauen. „Na ja, Sie müssen zugeben, dass das verdächtig aussieht“, sagte ich und versuchte, einfühlsam zu klingen. „Ihr Mann wurde zu Hause vergiftet, und Sie sind die einzige Zeugin.“

„Aber ich war es nicht!“, rief sie aus. „Ich habe ihnen gesagt, dass der Brandy ein Geschenk war, und ihnen die Karte gezeigt. Wie können sie mich nur verdächtigen?“

„Vielleicht denken sie, dass Sie das mit dem Geschenk eingefädelt haben?“, sagte ich vorsichtig.

Courtneys Augen wurden groß. „Eingefädelt? Wie könnte ich das eingefädelt haben? Das Geschenk kam an, als ich in der Küche war.“

Ich rief mir ins Gedächtnis, dass Courtney trauerte und gerade nicht klar denken konnte. „Die Polizei hat nur Ihr Wort, dass das Geschenk an Heiligabend geliefert wurde“, sagte ich. „Konnten Sie ihnen sagen, wer es gebracht hat?“

„Nein, das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich war in der Küche, als es an der Tür klingelte.“

Ich nickte. „Und was ist mit Arthur? Welche Art von Beziehung hatte er zu Dennis?“

Sie sah mich verwirrt an. „Arthur hätte Dennis nicht vergiftet. Das ist doch lächerlich.“

„Aber das Geschenk kam von Arthur …“

„Nein, jemand muss sich für ihn ausgegeben haben“, sagte sie, als wäre ich ein begriffsstutziges Kind. „Wenn es wirklich von Arthur gewesen ist, war es eindeutig ein Unfall. Die beiden haben sich wunderbar verstanden. Arthur hätte Dennis nie absichtlich etwas angetan.“

„Also hat Ihrer Meinung nach jemand das Geschenk in Arthurs Namen geschickt, damit Dennis keinen Verdacht schöpfen und es trinken würde?“

„Ja. Wie sollte es sonst gewesen sein?“

Sie schien immer noch nicht zu begreifen, in welcher Situation sie sich befand. „Okay, betrachten wir die Sache mal aus Sicht der Polizei“, sagte ich. „Sie behaupten, dass das Geschenk für Dennis an Heiligabend angekommen sei. Sie wissen nicht, wie es geliefert wurde – Sie haben nur die Türklingel gehört. Dennis erzählt Ihnen, der Brandy ist von Arthur, der ihn, Ihrer Meinung nach, niemals vergiften würde. Sie sagen also, dass es jemanden gibt, der Dennis umbringen wollte und ihn auch gut genug kannte, um zu wissen, dass er einen Cousin namens Arthur hat, der gerade auf einem anderen Kontinent ist. Diese Person wusste auch, dass Sie beide an Heiligabend zu Hause sein würden und nicht auf dieser angesagten Party. Und Sie sind die einzige Zeugin, die weiß, was an diesem Abend passiert ist.“

Während ich die Fakten aufzählte, wurde sie immer blasser. „Ich stecke wirklich in Schwierigkeiten, nicht wahr?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

„Es sieht nicht gut aus“, sagte ich. „Sie sollten sich vielleicht einen Anwalt nehmen.“

Sie sackte in sich zusammen. „Aber ich war es nicht. Ich schwöre es. Ich sage die Wahrheit.“

Sie war so verzweifelt, dass ich ihr beinahe glaubte. Mehr als das, ich wollte ihr glauben, aber es gab zu viele Dinge, die nicht zusammenpassten. „Weiß die Polizei von der Affäre?“

Courtney wandte den Blick ab. „Ich habe es ihnen nicht gesagt.“

„Warum nicht?“

„Weil es keine Rolle mehr spielt“, erwiderte sie. „Dennis ist tot.“

„Ja, aber Ihnen muss doch klar sein, dass sie es herausfinden werden. Wenn Sie nichts sagen, wirkt das nur noch verdächtiger.“

Courtney nagte an ihrer Unterlippe. „Na ja, sie wissen ja nicht, dass ich es weiß.“ So naiv konnte sie unmöglich sein. Sie musste uns etwas vorspielen.

„Und wenn sie jemanden fragen, der weiß, dass Sie es wissen?“, gab ich zu bedenken. „Jemanden wie mich, dem Sie gesagt haben, dass Sie Dennis umbringen wollten …“

Ruckartig hob Courtney den Kopf und starrte mich entsetzt an. „Ich habe es nicht so gemeint! Ich sagte Ihnen doch, dass ich es nicht so gemeint habe!“

„Ich weiß“, erwiderte ich in dem Versuch, sie zu beruhigen. „Aber was, wenn Sie jemand anderem gegenüber auch etwas erwähnt haben? Zum Beispiel Ruthie, als sie Ihnen von dem Liebestrank erzählt hat?“

Courtney schüttelte vehement den Kopf. „Ich habe es sonst niemandem erzählt. Ich schwöre es. Es ist mir nur … bei Ihnen so rausgerutscht.“

Es fiel mir schwer, das zu glauben. „Okay, okay. Aber wie sind Ruthie und Sie überhaupt auf das Thema gekommen?“

Courtney verdrehte die Augen. „Sie hat es überall rumerzählt. Ich brauchte gar nicht zu fragen.“

Wenn das der Fall war, wunderte ich mich, wie Bob sich wohl fühlte, wenn er herausfand, dass Ruthie ihm einen Liebestrank verabreicht hatte. Vielleicht wusste er es auch bereits und fand ihre so besonderen Bemühungen um ihn schmeichelhaft.

Plötzlich erhellte sich Courtneys Miene. „Aber Sie könnten es ihnen sagen.“

Ich sah sie verwirrt an. „Ich könnte wem was sagen?“

„Der Polizei“, erwiderte sie und klatschte die Hände. „Sie könnten den Ermittlern berichten, was ich gesagt habe.“

Mir klappte die Kinnlade herunter. „Ich soll der Polizei erzählen, dass Sie darüber gesprochen haben, Ihren Mann zu töten?“ Ich musste sie missverstanden haben.

„Ja“, bestätigte sie. „Charlie, verstehen Sie denn nicht? Wenn ich wirklich vorgehabt hätte, meinen Mann zu ermorden, hätte ich niemandem davon erzählt. Aber die Tatsache, dass ich mit Ihnen darüber gesprochen habe, beweist, dass es nicht ernst gemeint war.“

Ich warf Pat einen Blick zu, die genauso verblüfft aussah, wie ich mich fühlte. „Ich glaube nicht, dass das so funktioniert“, sagte ich vorsichtig. „Die Polizei könnte das als Motiv in Betracht ziehen. Außerdem müsste ich ihnen auch sagen, dass Sie von der Affäre wussten, und dann werden sie eindeutig denken, dass Sie ein Motiv hatten.“

Courtney verzog verzweifelt das Gesicht. „Ich habe wirklich Mist gebaut, nicht wahr?“, fragte sie leise.

„Vielleicht ist es gar nicht so schlimm“, erwiderte ich, auch wenn ich nicht wirklich davon überzeugt war. „Ich bin keine Anwältin. Ich denke, Sie sollten besser einen anrufen.“

Mit gequälter Miene schüttelte sie den Kopf. „Sie müssen mir helfen.“

„Ich bin mir nicht sicher, was ich tun kann“, sagte ich.

„Können Sie nicht mit der Polizei reden?“, fragte sie. „Vielleicht finden Sie so heraus, was die denken.“

„Ich glaube nicht, dass sie mir das sagen werden.“

„Aber das haben die doch schon mal getan“, erwiderte sie. „Sie haben ihnen bei anderen Fällen geholfen. Ich erinnere mich, etwas darüber gehört zu haben. Vielleicht könnten Sie ihnen helfen, Dennis’ wahren Mörder zu finden.“

Kurz schloss ich die Augen. Es stimmte zwar, dass ich früher mit ein paar Polizisten zusammengearbeitet hatte – okay, mit einem Polizisten, Officer Brandon Wyle –, aber es war nicht so, dass wir Freunde wären. Sie duldeten mich.

Gerade so.

„Ich bin mir nicht sicher, ob es Ihnen wirklich helfen würde, wenn ich für Sie mit der Polizei spreche“, sagte ich. „Ich denke, ein Anwalt wäre Ihre beste Wahl.“

„Aber ich habe gerade jetzt keinen Anwalt“, erwiderte Courtney. „Ich habe Sie. Werden Sie mir bitte helfen?“

Ihre klaren kobaltblauen Augen flehten mich an. Ihr Kinn bebte.

Das war eine miese Idee. Ich wusste es. Ich hätte auf die leise Stimme hören sollen, die mir in meiner Küche sagte, ich solle es gut sein lassen. Am klügsten wäre es zu sagen: „Nein, tut mir leid. Das war ein Fehler.“ Wenn ich mich dann immer noch schuldig fühlte, könnte ich ihr meine weltberühmte Lasagne vorbeibringen, damit sie wenigstens nicht kochen müsste.

„Okay“, sagte ich stattdessen. „Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Aber ich will nicht lügen müssen, was Ihr Wissen über die Affäre angeht.“

„Das müssen Sie auch nicht“, sagte sie schnell. „Es ist ja nicht so, dass ich die Polizei belogen hätte. Sie haben gefragt, ob wir Probleme in unserer Ehe hatten, und ich habe gesagt, nicht mehr als andere Paare. Ich meine, alle Paare haben Probleme, oder nicht?“

„Schon, aber …“, begann ich, doch Courtney redete unbeirrt weiter.

„Es ist ja nicht so, dass wir uns streiten oder so. Das tun wir wirklich nicht. Wir haben uns immer so gut verstanden.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie blinzelte sie weg. „Deshalb verstehe ich auch nicht, warum er so etwas tun würde.“

„Männer sind Schweine“, sagte Pat. „Das ist der Grund.“

Ich betrachtete noch einmal das Hochzeitsfoto, den verliebten Ausdruck in Dennis’ Augen. Es ergab auch für mich keinen Sinn, aber leider war es zu spät, ihn zu fragen.

„Die Polizisten werden sich trotzdem wundern, warum Sie es nicht erwähnt haben“, gab ich zu bedenken.

„Ich werde ihnen einfach erzählen, dass ich nicht klar denken konnte. Dass ich dachte, es sei ein Unfall gewesen oder die Ärzte hätten sich geirrt, und er sei wirklich an einem Herzinfarkt gestorben. Ich werde sagen, dass ich unser Privatleben nicht für wichtig hielt.“

Ich war mir nicht sicher, ob die Polizei ihr diese Geschichte abkaufen würde, aber wenn Courtney sich bei ihnen so verzweifelt gab wie bei uns, wäre es durchaus möglich. Trauer veranlasste Menschen dazu, seltsame Dinge zu tun.

„Mir wäre wohler dabei, wenn Sie sich einen Rechtsbeistand nähmen“, sagte ich. „Diese Person könnte eine viel bessere Erklärung formulieren.“

„Also gut. Ich telefoniere herum und schaue, ob ich jemanden finde“, willigte sie ein. „Aber Sie werden doch trotzdem mit der Polizei reden, oder?“

„Ja“, seufzte ich. „Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Versprechen kann ich aber nichts. Wahrscheinlicher ist, dass ich nichts Hilfreiches erfahren werde.“

Courtney nickte eifrig. „Ja, natürlich. Und Sie werden ihnen sagen, dass ich es nicht getan habe?“

„Ich werde mein Bestes tun“, erwiderte ich.

Das würde ich auch, obwohl ich nicht ganz von ihrer Unschuld überzeugt war.

Einerseits war es, als hätte die Ermordung ihres Mannes sie völlig unvorbereitet getroffen. Und sie schien ihn wirklich aufrichtig geliebt zu haben.

Aber auf der anderen Seite stimmte etwas nicht mit ihr – die Art und Weise, wie sie meinem Blick auswich, damit ich den Ausdruck in ihren Augen nicht sehen konnte.

Sie hatte etwas zu verbergen, da war ich mir sicher.

Das Problem war nur, dass ich keine Ahnung hatte, was.