Leseprobe The Marriage Deal

2. Alexander

Ich stand an dem großen Fenster meines Büros und starrte auf die Stadt unter mir. Ein Lichtermeer in der Dunkelheit. Ich liebte diesen Anblick bei Tag und Nacht.

Ein zartes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Meine Assistentin steckte ihren Kopf zur Tür herein.

»Samantha?«

»Alexander, Sie haben Besuch.«

»Wen?«

»Stephen Brown.«

»Soll hereinkommen.« Ich sah kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es schon kurz vor acht war.

»Samantha, Sie können dann Feierabend machen. Wir sehen uns morgen früh.«

»Okay. Danke, Alexander. Bis morgen dann.«

Stephen, unser Immobilienberater, betrat sichtlich nervös mein Büro. Sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er lieber auf eine Beerdigung gegangen wäre als zu mir. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich mochte ihn nicht und zeigte ihm das bei jeder Gelegenheit deutlich. Er hatte schon meinen Vater beraten, und das war der einzige Grund, warum ich seine Dienste überhaupt in Anspruch nahm. Aber nicht mehr lange, denn bei seinem nächsten Fehler oder Versagen würde ich ihn hochkant rausschmeißen, egal welche Verbindung er zu meiner Familie hatte.

Vorsichtig ließ er sich auf dem Stuhl nieder, auf den ich deutete, während ich stehen blieb. Es amüsierte mich, ihm zu zeigen, wo sein Platz war. Ein deutliches Zeichen meiner Dominanz. Voller Unbehagen rutschte er auf dem Sitz hin und her. Wie ein kleiner Schuljunge vor dem Direktor. Dabei war er um einige Jahre älter wie ich. Aber im Geschäftsleben waren nur wenige Dinge bedeutsam: Erfolg, Macht und Geld. Und da war ich ihm eben weit überlegen.

»Stephen, was ist der Grund Ihres Besuches?«, fragte ich mit einem kalten Lächeln.

»Alexander, es geht nochmals um diese Immobilie, das Penthouse, das ich für Sie erwerben soll.« Er schluckte merklich.

»Haben Sie es endlich gekauft?«

Bei meiner Frage sackte er noch mehr in sich zusammen. Angespannt rückte er seine Brille zurecht.

»Nein.«

»NEIN?« Ich spuckte das Wort förmlich aus. Verhasste Worte ‒ wenn sie an mich gerichtet waren. Im Gegensatz dazu mochte ich sie, wenn ich selbst sie jemandem entgegenbrachte. Aber niemals umgekehrt. Ich bekam immer, was ich wollte und begehrte. Und seit Wochen bemühte ich mich um dieses Penthouse, beziehungsweise Stephen. Es war nur eine winzig kleine Aufgabe. Wo war da das Problem?

»Ich habe wirklich alles probiert, aber der andere Käufer war schneller und …«

»Und was?«, spie ich ihm entgegen.

Meine Geduld war am Ende. Er hatte einen verdammten Kauf zu tätigen, eine von mir gewünschte Immobilie zu erwerben. Und dieser kleine Versager scheiterte!

Stephen zuckte unter meinem Wutausbruch zusammen. Ich ballte die Fäuste, mich beherrschend, um sie nicht auf den Tisch zu donnern.

»Ich habe wirklich alles probiert …« Er schwitzte und fummelte nervös an seinem Anzug herum. Er sollte auch verdammt nervös sein.

»Haben Sie das?« Meine Stimme war eisig und ruhig.

Die Temperatur im Raum fiel merklich. Ein ganz schlechtes Zeichen. Jeder, der mich kannte, würde jetzt seine Beine in die Hand nehmen und schleunigst aus meinem Büro verschwinden. Stephen erstarrte und schien den Ernst seiner Lage noch nicht richtig einzuschätzen. Anstatt zu fliehen, rutschte er weiter wie ein kleiner Junge auf dem Stuhl hin und her, und das machte mich noch rasender vor Wut.

»Ich will, dass Sie das bis Mittwoch geregelt haben. Bieten Sie mehr Geld. Finden Sie eine schmutzige Angelegenheit, die Sie gegen den potenziellen Käufer oder den Verkäufer verwenden können. Egal was, aber tun Sie etwas. Am Mittwoch ist dieses Penthouse verkauft. An mich. Verstanden?«

Eingeschüchtert stand er auf und verließ wie ein geprügelter Hund mein Büro.

»Ach … und noch etwas, Stephen …«

In der Tür drehte er sich um, und ich konnte in seinen Gesichtszügen neben Furcht noch etwas anderes entdecken. Verachtung. Gut, sollte er mich ruhig verachten, aber noch bezahlte ich sein Gehalt. Noch.

»Sollten Sie scheitern«, drohte ich ihm, »können Sie sich einen neuen Job suchen.«

Er nickte stillschweigend, mit Schweißperlen auf der Stirn.

Mit einem Klicken schloss sich die Tür, und ich war mit meinem Missmut allein. Dieses Penthouse war genau das, wonach ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit gesucht hatte: perfekte Lage, tolle Aussicht und genau die richtige Größe. Blöd nur, dass der Verkäufer bereits mit einem anderen den Vorvertrag abgeschlossen hatte und davon nicht zurücktreten wollte. Einerseits wegen der möglichen Vertragsstrafe, die ich aber übernommen hätte. Anderseits kannten sich Makler und Käufer wohl auch privat. Aber das war nicht meine Sorge. Mein Problem war, dass ich dieses Penthouse haben wollte und es mir kein anderer vor der Nase wegschnappen sollte.

Mit einer ruckartigen Bewegung fegte ich einen Ordner und meinen Kaffeebecher vom Tisch. Letzterer knallte gegen die Wand und zerschellte. Immer noch erbost, sammelte ich die Scherben ein und pfefferte sie in den Mülleimer.

 

Die nächste Stunde verbrachte ich mit Telefonieren und Abarbeiten liegengebliebener Fälle. Das Klingeln meines Handys durchbrach die Stille. Genervt nahm ich das Telefonat an. Meine Mutter. Sicherlich wollte sie mich an unser Treffen am Wochenende erinnern.

»Mutter.«

»Alexander, Liebster, ich wollte mich noch mal kurz wegen Sonntag melden«, flötete sie mir ins Ohr. Ich hatte so gar keine Lust auf ihre Pläne und stand kurz davor, abzusagen.

»Mutter, ich werde am Sonntag …«

»Nein, Alexander, keine Ausreden. Diesen Sonntag wirst du dir Zeit für uns nehmen. Außerdem habe ich auch Chloé eingeladen.«

Innerlich stöhnte ich auf. Nicht sie! Sie war meine Ex-Freundin und hing immer noch an mir wie eine Klette. Und noch schlimmer: Meine Mutter liebte sie. Beide wollten nicht wahrhaben, dass Schluss war. Wenn man es genau nahm, dann war das zwischen uns auch nie wirklich etwas Ernstes gewesen. Auf jeden Fall nicht von meiner Seite her. Wir hatten uns in der Öffentlichkeit sehen lassen und waren miteinander ins Bett gegangen. Aber ich fand uns nicht wirklich kompatibel. Auf keiner Ebene. Schon gar nicht auf der sexuellen. Der Reiz war schnell verflogen, und mittlerweile ging sie mir nur noch auf die Nerven. Aber weder meine Mutter noch Chloé wollten das einsehen. Immer wieder kam sie damit an, dass wir doch so ein tolles Paar gewesen wären und heiraten sollten. Sie meinte, dass Chloé mit ihren adeligen Vorfahren genau in unsere Familie passte und mich eine entsprechende Ehe in den Adelsstand beförderte ‒ ganz nach dem Geschmack meiner Eltern. Obendrein vergötterte Chloé mich und wäre damit die perfekte Ehefrau. Dabei vergötterte sie nichts so sehr wie sich selbst und Geld. Selten hatte ich eine Person kennengelernt, die so von sich eingenommen war wie sie.

Meine Eltern waren der festen Ansicht, dass ich mit meinen dreiunddreißig Jahren endlich sesshaft werden sollte. Natürlich nur mit einer guten Partie aus ihren Kreisen, bestenfalls einer Adligen. Und ich sollte Erben in die Welt setzen, natürlich vorrangig einen Jungen. Als Erstgeborener wäre das meine Pflicht, so ihr Wortlaut. Meine Geschwister dagegen konnten sich gemütlich zurücklehnen.

Außerdem gab es da noch eine Kleinigkeit, die sie gerne als Druckmittel benutzten. Wir lebten in einer traditionellen Familienhierarchie. Als ältester Sohn hatte ich demzufolge die Pflicht, das Familienimperium in die nächste Generation zu führen, den Fortbestand der Familie zu gewährleisten, und nicht die Freiheit der Wahl, mein Leben so zu gestalten, wie ich wollte. Es war zum Kotzen. Das Imperium meines verstorbenen Großvaters, das ich seit Jahren alleine führte und dessen Größe und Gewinn ich in den letzten drei Jahren verdoppelt hatte, würde dieses Jahr komplett an mich gehen. Allerdings gab es in den ursprünglichen Dokumenten eine bescheidene kleine Klausel, die mir schwer im Magen lag. Die Überschreibung der Anteile an den nächsten Moore-Sprössling würde nur dann stattfinden, wenn dieser verheiratet war. Mein Vater hatte nie wirklich Interesse an der Firma seines Vaters gehabt und diese nur widerwillig geführt, solange ich studierte. Kaum hatte ich meinen Abschluss in der Tasche, war er nur noch auf den Golfplätzen oder auf Reisen anzutreffen. Die Geschäfte interessierten ihn seither nur insoweit, als dass das Geld weiterhin schön auf sein Bankkonto floss. Dass ich rund um die Uhr schuftete, kaum eine Nacht durchschlief und Freizeit ein Fremdwort war, wurde als gegeben hingenommen.

Und was machten meine Geschwister? Meine Schwester Katharina hatte Kunst in Paris studiert und tingelte jetzt in der Weltgeschichte umher. Richtig gearbeitet hatte sie noch nie. Wozu auch, wenn ich ihr doch monatlich einen nicht zu verachtenden Betrag aufs Konto überwies? Sie war eben das Nesthäkchen, gerade siebenundzwanzig Jahre alt und von Beruf Tochter. Auch wenn sie keinen reichen Mann heiraten würde, brauchte sie sich niemals Sorgen um Geld zu machen.

Und mein Bruder Vincent scherte sich einen Dreck um die Familie. Mit seinen dreißig Jahren war er drei Jahre jünger als ich und machte sein eigenes Ding. Nachdem klar gewesen war, dass er das Familienunternehmen nicht übertragen bekommen würde, hatte er sich kurzerhand von uns gelöst und seine eigene Firma aufgebaut. Ich bewunderte ihn dafür. Im Gegenzug hasste er mich. Wenn er wüsste, was ich für einen Tausch mit ihm alles täte, dann würde er vielleicht … egal, in unserer Familie ging man nicht herzlich miteinander um. Hatte man noch nie getan. Ein glückliches Familienleben stellte ich mir anders vor. Man hatte zu funktionieren. Meine Kindheit war durch wechselnde Angestellte und die Abwesenheit meiner Eltern geprägt gewesen.

»Wie oft muss ich dir das noch sagen? Zwischen Chloé und mir ist es aus.«

»Alexander, ihr könnt euch doch wieder verabreden. Alles andere ergibt sich ganz von allein.«

»Mutter!«

»Tu mir den Gefallen.«

»Gut, ich komm am Sonntag, aber vergiss das mit Chloé und mir.«

Klar, sie konnten mir vorschreiben, dass ich verheiratet sein musste, um die Firmenanteile überschrieben zu bekommen. Aber mit wem, das würde ich mir nicht sagen lassen. Sie würden schon sehen …

Bei dem Gedanken, eine Ehefrau wählen zu müssen, tauchte plötzlich das Bild der zierlichen Barista vor meinem inneren Auge auf. Seit Wochen ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Egal was ich versuchte. Selbst meine Lieblings-Edel-Escort-Dame schaffte es nicht, mir die Zeit so zu vertreiben, dass ich diese süße Kleine aus dem Coffeeshop vergessen konnte. Keine Chance. Aber ich verstand nicht, wieso. Sie passte eigentlich so gar nicht in mein übliches Beuteschema. Mein bevorzugter Typ Frau war groß, brünett und puppenhaft. Etwas, woran man sich eine Nacht ergötzte und am nächsten Morgen keinen weiteren Gedanken an den Namen verschwenden musste. Sie dagegen war eher eine natürliche Schönheit mit einem gewissen Etwas. Keine Ahnung warum, aber genau das zog mich bei ihr magisch an. Ihre seidigen langen Haare, ihre sanften Gesichtszüge mit den vollen Lippen und den blauen Augen, die an kühles Gletscherwasser erinnerten. Nicht nur ihre zarte Lebendigkeit sprach mich an, sondern auch ihre liebreizende Art. Jederzeit ein Lächeln auf den Lippen. Ich sollte mich von ihr fernhalten, bevor mein Monster sie verschlingen konnte. Denn am Ende würde ich ihr nur wehtun. Aber leider kam da das egoistische Arschloch in mir zum Vorschein, und das wollte Caitlyn. Unbedingt.

Ich öffnete die Schublade meines Schreibtisches, und mein Blick fiel auf die Akte darin. Ich hatte meine Verbindungen genutzt, und nun standen alle Informationen, die wir über Caitlyn Phillips gefunden hatten, fein säuberlich in der grauen unscheinbaren Mappe. Wer hätte das gedacht, aber es steckte weit mehr hinter der Fassade der kleinen süßen Blondine, als es nach außen hin den Anschein hatte …

3. Caitlyn

Am nächsten Morgen schloss ich wie immer um sieben Uhr die Tür zur Coffeebar auf. Meine Handtasche verstaute ich in einer Schublade unter dem Tresen und schaltete sogleich den Siebträger ein. Hinter mir ertönte die Türklingel. Neugierig drehte ich mich um, um zu sehen, wer zu dieser Uhrzeit bereits nach Kaffee lechzte.

Drei Männer standen in der Tür und blickten sich um. Etwas an der Art und Weise, wie sie sich umsahen, ließ meine Nackenhaare hochstehen. Alle drei waren eher düstere Gestalten. Groß, muskulös – fast schon bullig – und von einer furchteinflößenden Aura umgeben. Ich hatte sie noch nie hier gesehen. Sie passten so gar nicht in diese Gegend, eher zum Bahnhofs- oder Rotlichtmilieu. Einer der Männer starrte mich schamlos an.

»Was kann ich für Sie tun?« Ich versuchte, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Zwar zitterten mir leicht die Knie, aber das mussten die drei ja nicht sofort bemerken.

Während einer von ihnen sich vor der Tür postierte, kam der, der mich so kühn angestarrt hatte, direkt auf mich zu. Ohne auf meine Frage zu antworten, ging er um den Tresen herum und stellte sich vor mich hin. Er überragte mich locker um einen Kopf und seine kurz geschorenen Haare brachten sein kantiges Gesicht und die stechend grau-blauen Augen zur Geltung. Wenn er mich einschüchtern wollte, dann hatte er das geschafft. Jetzt zitterten mir nicht nur die Knie, sondern auch meine Hände. Mein Magen krampfte sich vor Angst und Panik zusammen. Gegen drei von diesen Muskelpaketen hatte ich null Chance.

»Entschuldigung, aber …« Ich machte eilig einen Schritt zurück und stieß an die Kante der Küchenarbeitsplatte. Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Automatisch krallten sich meine Hände in die Tischkante.

»W… was wollen Sie von mir?« Ich konnte das Beben in meiner Stimme nicht mehr unterbinden.

Der Mann musterte mich von unten bis oben und zog amüsiert eine Augenbraue hoch. Kalter Schweiß rann meinen Rücken herunter, und ich umklammerte noch verzweifelter die Kante. Natürlich konnte er meine Angst sehen, und das amüsierte ihn offenbar. Wenn sie mich ausrauben wollten, dann bitte. Viel war nicht in der Kasse und mich wegen der paar hundert Pfund in Gefahr zu bringen, fiele mir nicht im Traum ein. Aber wenn das eine andere Art von Überfall wäre, dann …

»Sind Sie Caitlyn Phillips?« Der Mann beugte sich zu mir herunter und sah mich mit zusammengekniffenen Augen erwartungsvoll an.

»Wer will das wissen?« Ich reckte mein Kinn nach oben. In diesem Fall sicher nicht das Schlaueste, aber tief in mir wollte ich nicht vollkommen kampflos aufgeben, obwohl er mir eine Heidenangst einflößte.

»Das tut nichts zur Sache. Antworte einfach«, befahl er kalt.

»Ja, ich bin Caitlyn Phillips.«

»Gut, dann haben wir jetzt ein kleines Gespräch.« Er bewegte sich keinen Millimeter, sondern stand mit verschränkten Armen vor mir und grinste mich anmaßend und gierig an. »Wann hattest du das letzte Mal mit deinem Bruder Kontakt?«

»Mit meinem Bruder?« Ich verstand die Frage nicht. Was hatte mein Bruder mit den Männern zu tun?

»Ja, Reece Phillips, deinem Bruder«, antwortete er mir frostig.

»Schon eine ganze Weile nicht mehr«, gab ich ehrlich zu. Das war eine vage Zeitangabe, aber das letzte Telefonat war bestimmt schon ein paar Monate her. Reece war noch nie der fürsorgliche große Bruder gewesen, der sich um mich gekümmert oder nach meinem Wohlbefinden gefragt hatte. Er lebte sein Leben und ich meins.

»Tja, dann wirst du jetzt versuchen, ihn zu erreichen.«

Ich sah ihn nervös an. Mein Zögern schien ihm nicht zu gefallen. Seine Miene verfinsterte sich noch einen Deut mehr.

»Ich meine es ernst. Also ruf ihn an. Sofort!«

Eilig zog ich mein Handy aus der Hosentasche. Zum Entsperren brauchte ich drei Anläufe, weil meine Finger nicht aufhören wollten zu zittern. Scheiße, in was war ich hier geraten?

Endlich konnte ich auf die Kontaktseite tippen, scrollte zu Reece und drückte auf seine Nummer. Bevor es überhaupt zum Klingeln kommen konnte, riss mir der Mann das Handy aus der Hand und hielt es sich ans Ohr. Nach einer Weile knallte er es verärgert auf die Platte.

»Dachte ich es mir. Auch nur die Mailbox.«

Ich begriff das alles nicht. Der Typ kam noch näher an mich heran. Eine Mischung aus herbem Eigengeruch und Aftershave drang zu mir. Ich wagte nicht, einen Mucks von mir zu geben. Die Miene meines Gegenübers war bedrohlich, und die Verärgerung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Ich schrie erschrocken auf, als er mich im Nacken packte und zu sich zog, während sein Daumen auf meiner Kehle ruhte. Ein Zeichen seiner Macht. Eine Warnung, eine Drohung. Ich blickte in seine grauen Augen, und mein Herz pochte wie wild. Geschockt hielt ich den Atem an.

»Du wirst deinen Bruder anrufen und ihm sagen, dass er sich bei Ivan melden soll. Verstanden?!«

Sein fester Druck ließ nicht zu, dass ich hätte nicken können.

»Sollte er das nicht tun, wird das für dich sehr unangenehm und für mich … nun ja …« Anzüglich sah er mich an. »Ich spiele gerne. Aber wenn es ums Geld geht, um viel Geld, dann ausschließlich nach meinen Regeln. Das könnte dir und diesem netten Café nicht gut bekommen.«

Ich schluckte schwer.

Er blickte mir nochmals in die Augen und ließ mich dann los. Seine Drohung war bei mir angekommen. Deutlich.

»Wäre doch schade um so eine kleine Schönheit. Findet ihr nicht auch?« Er wandte sich an die beiden anderen Kerle.

Ich folgte seinem Blick. Die anderen starrten schweigend zu mir, und ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken.

»Du hast eine Woche Zeit. Falls dein Bruder sich bis dahin nicht bei mir gemeldet hat, komme ich wieder und glaub mir, das willst du nicht!«

»Ich kann nicht versichern, dass ich ihn erreiche«, wisperte ich kraftlos, »er taucht öfter mal für eine Weile unter und ist nicht zu erreichen.«

Ich wusste auch nicht, warum ich das sagte. Vielleicht, weil ich tief im Inneren jetzt schon wusste, dass ich keinen Erfolg haben würde. Weder heute noch in den nächsten Tagen. Wenn er wirklich Ärger mit diesen Russen hatte, dann war er nicht so blöd und behielt sein Handy und wartete darauf, gefunden zu werden. Er würde sich ein neues kaufen, mit einer neuen Nummer, und untertauchen.

»Das solltest du aber. Ansonsten zahlst du für seine Dummheit. Keiner hintergeht mich.«

Erschrocken starrte ich ihn an, erkannte, dass jedes Wort seiner Warnung hundertprozentig ernst gemeint war.

»Ich bin nicht für seine Schulden verantwortlich!«, kam es mir über die Lippen, bevor ich es verhindern konnte. Neben der Angst flammte Wut in mir hoch.

»Doch das bist du. Ab heute!«

»Einen Scheiß bin ich!« Kaum hatte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, verdunkelte sich der Blick meines Gegenübers, und erneut schlossen sich seine Hände um meine Kehle. Fest, tödlich. Sein massiger Körper fixierte mich an der Arbeitsplatte.

»Reece hat das Kleingedruckte nicht gelesen. Jeder, der ihn nett anlächelt, hängt da mit drin. Du als seine Schwester stehst ganz oben auf der Liste. Also ja, du bist für seinen Scheiß verantwortlich«, knurrte er mir leise zu. »Und denk gar nicht daran, jemandem zu erzählen, dass wir hier waren. Kein Sterbenswort, zu keiner Menschenseele. Verstanden?!«

»Wie viel Geld schuldet er euch?«

Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass ich das nicht wirklich wissen wollte, aber wenn ich Reece nicht erreichte – was ziemlich wahrscheinlich war – dann sollte ich wenigstens eine Ahnung davon haben, für was ich aufkommen sollte.

»Zweihundertfünfzigtausend Pfund.«

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wie konnte sich Reece so viel Geld von solch düsteren Gestalten leihen?

»Du weißt, was du zu tun hast!«

Ich spürte die Härte, die dieser Mann ausstrahlte, und nickte. Nicht auszumalen, was er mit mir oder meinem Bruder anstellen würde, sollte ich seiner Anweisung nicht Folge leisten. In was hatte sich Reece da nur verwickeln lassen?

»Eine Woche, keinen Tag länger. Und glaub mir, wir finden dich, so wie wir auch diesen kleinen Mistkerl finden werden.«

Mit diesen Worten gab er mich frei und machte ein Zeichen in Richtung seiner Männer.

Kaum dass sie das Café verlassen hatten, sackte ich zusammen. Mein Körper zitterte unkontrolliert, und mein Puls raste. Die Drohung der russischen Schläger hing in der Luft. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, die Polizei oder Anna anzurufen. Aber was war, wenn er seine Äußerung umsetzte? Ich wollte meine Freundin auf keinen Fall in Gefahr bringen. Ich musste Reece erreichen!

Ich rappelte mich auf und schnappte mir mein Handy. Wieder wählte ich seine Nummer ‒ ohne Erfolg. Es sprang nur die Mailbox an.

»Reece, bitte ruf mich an. Hier waren gerade drei Russen, einer heißt Ivan, und sie drohen mir. Bitte ruf mich an, wenn du das abhörst.« Furcht und Ärger wechselten sich ab und beherrschten meine Stimmung.

Die nächsten Stunden verbrachte ich wie in Trance. Immer wieder versuchte ich, meinen Bruder zu erreichen, sprach dutzende Nachrichten auf seine Mobilbox und rief alle mir bekannten Freunde von ihm an. Aber keiner konnte mir helfen. Reece war wie vom Erdboden verschluckt.

 

Am Abend saß ich auf Annas Couch, schlürfte Tee und schaute mit ihr einen Thriller auf Netflix an.

»Was ist los, Lyn?«

Ich entzog mich ihrem Blick und unterdrückte die aufsteigenden Tränen, aber es fiel mir schwer. Anna kannte mich zu gut, konnte in mir lesen wie in einem offenen Buch. Für sie war es nicht schwer, zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. Dennoch durfte ich sie nicht in die Sache hineinziehen und in Gefahr bringen. Sie konnte mir sowieso nicht helfen. Auch sie verfügte nicht über so viel Geld. Das wusste ich.

»Hatte nur einen saublöden Tag.«

»Du hattest schon öfters einen blöden Tag, aber noch nie warst du so durch den Wind. Du siehst aus wie eine Maus in der Falle.«

»Wie eine Maus in der Falle?«

»Du weißt, was ich meine. Also spuck’s aus.« Anna kniff die Augen zusammen. Das tat sie gerne, wenn sie mir zeigen wollte, dass ich ihren Spürsinn nicht unterschätzen sollte. Entweder, ich gab ihr ein paar Brocken, die sie zufriedenstellten, oder ich lief Gefahr, dass sie weiter bohrte und mehr herausfand, als gut war. Ich musste mir irgendetwas einfallen lassen.

»Nichts Wichtiges. War einfach nicht mein Tag«, log ich.

»Ist es wegen Elliot?« Anna schaute mich fragend an.

»Ja, auch. Keine Ahnung. Manchmal fühl ich mich einfach einsam.« Das war noch nicht einmal gelogen.

Außer Anna hatte ich keinen mehr, der mir so richtig nahestand. Meine Eltern waren tot. Reece lebte sein Leben irgendwo in der Weltgeschichte. Mal hier, mal dort, niemals länger an einen Ort gebunden. Und nach dem Studium waren meine Freunde in alle Himmelsrichtungen gezogen, hatten Familien gegründet, oder man hatte sich einfach auseinandergelebt. Geblieben war einzig und allein Anna.

Ich hoffte, dass Reece nicht in noch größeren Schwierigkeiten steckte, als ich annahm. Mit diesen Russen war wirklich nicht zu spaßen. Aber in der Gegenwart von Anna würde ich ihn mit keinem Wort erwähnen. Sie hatte ihre eigene Vergangenheit mit meinem Bruder. Sie waren einst ein Paar gewesen ‒ vor dem Unfall. Danach war das Leben für niemanden mehr so wie früher. Es war eine schwere Zeit. Außerdem ging jeder mit Trauer anders um. Reece hatte jeden von sich gestoßen, war nicht mehr bereit, andere Menschen an sich heranzulassen. Der Gerichtsverhandlung hatte er nur sporadisch beigewohnt, und danach hatte er beschlossen, England den Rücken zu kehren. Vermutlich war er enttäuscht gewesen, dass wieder einmal Geld vor Recht stand. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Auch ich war wütend darüber gewesen, dass der betrunkene Autofahrer, der zwei Menschen auf dem Gewissen hatte, nur mit einer Bewährungsstrafe davongekommen war, weil er reicher und mächtiger gewesen war und sich einfach die besseren Anwälte hatte leisten können. Aber so war das Leben. Nicht immer fair. Was in der Nacht ihrer Trennung wirklich zwischen Anna und Reece passiert war, wussten bis heute nur die beiden. Anna schwieg sich aus, und ich akzeptierte das.

»Morgen gehen wir zusammen in den Club, und ich will kein Nein, keine Ausreden oder sonst was hören«, stellte Anna klar und goss mir noch einen Tee ein. Von der Teekanne in ihren Händen blickte sie schelmisch zu mir hoch. »Oder brauchst du etwas Stärkeres? Rum vielleicht? Das wärmt von innen und hebt die Stimmung.«

Kichernd schüttelte ich den Kopf. »Nein, der Tee ist schon Balsam genug.«

»Sagt die Barista mit dem Café«, neckte mich Anna. »Also bleibt es bei morgen Abend?«

»Wenn du keine andere Begleitung findest …«, entgegnete ich.

»Nö, du oder keine.«

»Du bist so eine … »

»… beste Freundin.«

»Best friends forever.« Und ich meinte jedes Wort exakt so.

4. Alexander

Die letzten Meter sprintete ich zum Club.

Meinen McLaren hatte ich auf dem benachbarten Parkplatz abgestellt, mit dem Service einer Rund-um-die-Uhr-Bewachung. In dieser Gegend unabdingbar. Ein kurzer Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich mich verspäten würde. Ich hasste es, zu spät zu kommen. Aber manchmal kam eben etwas Wichtiges, grundsätzlich das Geschäft betreffend, dazwischen, und selten konnte das warten. So auch heute. Ein Abschluss, der längst in trockenen Tüchern hätte sein sollen, hatte noch einer endgültigen Prüfung und meiner Unterschrift bedurft.

Es war Freitagnacht, und vor dem Club hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet. Ich suchte nach der Gestalt meines Freundes und entdeckte Connor schlussendlich weiter vorne – fast schon am Eingang. Schlauer Bursche. Nutzte meine Verspätung zum Anstellen. Ich drängelte mich an den Wartenden vorbei, erntete empörte Kommentare und Blicke, welche an mir jedoch eiskalt abprallten.

»Hab schon gedacht, du kommst nicht mehr«, begrüßte Connor mich gespielt genervt.

»Kann dich ja nicht mit den Mädels allein lassen«, frotzelte ich.

»Was hat dich diesmal aufgehalten?«

»Die Arbeit. Was sonst?«

Connor nickte verständnisvoll. Er kannte mich und wusste, dass mein Job an erster Stelle stand.

Der Türsteher ließ uns durch. Wie zu erwarten, war das Seven Nights brechend voll. Wir kämpften uns durch die Menge hindurch in Richtung der lang gezogenen Bar, die mit ihrer dezenten, eleganten Beleuchtung hervorstach und einladend wirkte.

Vier Barkeeper standen hinter dem Tresen und veranstalteten aus dem Mixen der Getränke eine Show. Ich bestellte für Connor einen Old-Fashioned und für mich einen Whiskey on the rocks. Mein Freund hatte sich einen freien Barhocker gekrallt und begutachtete die Gäste. Oder besser gesagt: Er hielt Ausschau nach Frauen. Ich gesellte mich zu ihm und lehnte mich an die Bar. Meinen Anzug hatte ich gegen eine schwarze Jeans und ein gleichfarbiges Hemd eingetauscht, während Connor wie immer ein Poloshirt über seiner beigen Hose trug. Das Publikum im Seven Nights war bunt gemischt. Das gefiel mir, es war eine Abwechslung zu unseren Abenden an den Bars gehobener Hotels oder Privatclubs.

»Der Club hat was«, stellte Connor erfreut fest.

»Ja, bisschen voll, bisschen laut. Aber ansonsten …« Ich grinste ihn an und schüttelte nur den Kopf.

»Du wirst echt alt, Mann. Hier tobt das Leben, und du sehnst dich nach einer leeren, einsamen Hotelbar.«

»Ruhig ist das Wort, welches ich wählen würde.«

»Alexander, schau dich um. Sieh dir die attraktiven Frauen an. Da, wo du sein willst, findest du nur alte Knacker, die nicht wissen, wo sie hinsollen, oder Weiber, die nach solchen Typen Ausschau halten.«

»Alte Knacker«, brummte ich und nahm einen kleinen Schluck meines Whiskeys.

»Genau, und wir sind im besten Alter. Also schau dich um. Jackpot! Wunderschöne Frauen. Genau unser Beuteschema. Genau unsere Altersklasse.«

Ich schaute mich um. Tatsächlich waren einige attraktive Frauen hier. Leider ließen die mich dennoch irgendwie kalt. Keine von ihnen reizte mich, denn mir geisterte eine spezielle im Kopf herum.

»Unsere Altersklasse?« Ich grinste ihn an und deutete auf eine Gruppe von Mädels, die aussahen, als wären sie gestern erst volljährig geworden.

»Na ja, die vielleicht nicht, wobei so ein junges Ding zur Abwechslung auch mal ganz nett wäre. Aber so ab Mitte zwanzig, wie die da drüben.«

»Du meinst, für uns alte Knacker wäre Mitte zwanzig genau das Richtige?«

»Genau. Jung, dynamisch, formbar und voller Leben!« Connor wurde ernst. »Und keine verwöhnten Gören aus der Hautevolee.«

»Warum so abwertend?«, fragte ich ihn amüsiert. »Du verkehrst immerhin auch in solchen Kreisen.«

Wir hielten uns beide hauptsächlich in höheren Kreisen auf. Das ergab sich automatisch durch unsere Familien, die dieser High Society entsprangen.

»Das ist ja das Problem. Wir verkehren nur in diesen Kreisen. Nenn mir da mal eine Einzige, die es wert wäre, das Singleleben aufzugeben.«

»Keine Ahnung, ich hab nicht vor, mein Singledasein zu beenden.«

»Alexander, du weißt, dass du die Forderungen deiner Eltern bald nicht mehr ignorieren kannst«, prophezeite Connor mir mit ernster Miene.

Ja, das wusste ich, und es bereitete mir zunehmend Kopfschmerzen. Spätestens Sonntag würde das Thema wieder auf den Tisch kommen.

»Erinnere mich nicht daran. Das hat meine Mutter heute schon gemacht.«

»Wieder die alte Leier?«

Ich nickte und ließ den Whiskey meine Kehle heruntergleiten. »Solange ich kann, werde ich der Spielverderber bleiben.«

»Du kennst deine Mutter! Wenn die sich was in den Kopf gesetzt hat, dann hält sie keiner mehr davon ab.«

»Ja, aber hier habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden«, knurrte ich verstimmt. Ich begutachtete die Anwesenden an den Stehtischen und auf der Tanzfläche.

»Ich könnte wetten, dass du am Wochenende die nächste Kandidatin präsentiert bekommst. Lass raten.«

»Mach dir keine Mühe, die Kandidatin steht bereits fest!« Missmutig leerte ich mein Glas und knallte es auf den Tresen.

»Wer soll es dieses Mal sein?« Amüsiert und neugierig grinste Connor mich an.

»Chloé.« Allein der Gedanke an diese Person machte mich fertig. Eine biestige Langweilerin in einer tollen Verpackung. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

»Chloé?! Oh Gott. Soll ich dich entführen?«, fragte er scherzhaft. »Ich hab es damals schon nicht verstanden. Du und Chloé. Na ja, das, was sie gut kann, ist hammermäßig aussehen und nerven.«

Ich murrte verstimmt und ließ meinen Blick weiter über die anderen Gäste gleiten. Dann sah ich sie. Direkt in meinem Blickfeld! Caitlyn, die süße blonde Barista aus meinem Lieblingscafé. Und neben ihr ihre schwarzhaarige Freundin, die ich auch schon öfter dort gesehen hatte. Meine Augen hefteten sich an die Blondine. Seit unserer ersten Begegnung hatte sie sich fest in meinen Gedanken verankert und wollte sich nicht mehr vertreiben lassen. In ihrer Bluejeans und der schlichten weißen Bluse sah sie verdammt sexy aus. Ihre blonden Haare fielen lockig über ihre Schultern.

Sie tanzte auf der Tanzfläche und wirkte, als blendete sie alles um sich herum aus. Zusammen mit ihrer Freundin rockten sie zur Musik, und ihre Bewegungen waren sinnlich und ungezwungen. Man merkte ihr an, dass sie sich der Musik völlig hingab, sich leiten ließ und abschaltete.

Es war purer Zufall oder besser gesagt ein plötzlich eintretender Platzregen gewesen, der mich in dieses kleine Café hatte flüchten lassen. Seither ging ich regelmäßig dorthin. Natürlich nicht nur, weil es dort einen hervorragenden Espresso gab, sondern weil ich vom ersten Moment an wusste, dass ich sie haben wollte. Mein Freund in meiner Hose bekam schon bei dem Gedanken an sie ein Eigenleben und presste sich schmerzhaft dagegen. Er wollte sie auch. Unbedingt. Bedingungslos. Willig. Unter mir. Jetzt stand sie nur ein paar Meter von mir entfernt in der Mitte der Tanzfläche, und in mir loderte das Feuer der Begierde.

Anscheinend ging es nicht nur mir so. Die beiden Frauen zogen die Blicke der Männer magisch an, und das Irritierende daran war, dass sie es noch nicht einmal zu bemerken schienen. Einige von ihnen machten es so plump, dass es schon fast peinlich für den Rest der Männerwelt war. Sie zogen die beiden förmlich mit ihren Augen aus, gafften lüstern und in ihren Mienen stand die pure Gier. Armselig. Niveaulos.

Die beiden Frauen tanzten und lachten miteinander. Als die Musik wechselte, verließen sie die Tanzfläche. Ich konnte meine Augen nicht von ihnen abwenden.

Zwei Typen näherten sich ihnen. Etwas an ihrer Art alarmierte mich. Sie starrten Caitlyn und ihre Freundin mit einem hungrigen Ausdruck an. Diese beiden Gesellen waren Raubtiere auf der Jagd, das konnte ich meilenweit wittern. Und ich wusste, wer die Beute sein sollte, und das gefiel mir überhaupt nicht.

Ich beobachtete, wie der größere der beiden Caitlyn zu nahe kam und ihr dann auch noch mit seiner klobigen Hand an den Arsch griff. Die andere hatte er um ihr Handgelenk geschlossen. Hilfesuchend schaute sie zu ihrer Freundin, die aber von seinem Freund geschickt von ihr abgedrängt wurde. Der Typ ging echt zu weit. Caitlyn versuchte ihn abzuwehren, doch er drückte sie enger an sich und rieb seine Mitte an ihr. Ihre Miene verzog sich voller Ekel und Verzweiflung. Wie von selbst ballten sich meine Fäuste, und ich musste tief durchatmen, um nicht sofort loszustürmen.

»Hey Mann, ich wollte dich nicht verärgern, oder was ist los?« Connor sah mich entsetzt an. Mein Gesichtsausdruck musste meinen Zorn deutlich wiedergeben. Leider konnte mein Freund den wahren Grund nicht erahnen. Sein Blick folgte meinem und blieb auch auf den beiden Freundinnen hängen, die immer noch versuchten, die Typen abzuwehren.

»Wer ist das? Ist sie der Grund, warum du gerade aussiehst, als würdest du jemanden kastrieren wollen?« Amüsiert beobachtete Connor die Frauen. »Hat eine von ihnen dich abserviert? Schwarz oder blond?«

Ein Tumult entstand, weil meine Barista sich augenscheinlich gegen ihn zur Wehr setzte.

Connor verstummte, als ihm klar wurde, was vor unseren Augen gerade geschah. »Was für Arschlöcher.« Sein Gesichtsausdruck wurde hart, und seine Augen verengten sich.

Ohne ein Wort zu sagen, ging ich in ihre Richtung. Mein Beschützerinstinkt war geweckt worden. Caitlyn Phillips gehörte mir. Kein anderer, schon gar keiner von diesen Flachwichsern, hatte sie in dieser Art und Weise anzufassen!

»Alexander, warte!«, schrie Connor mir hinterher.

Aber ich ignorierte ihn. Mein Blick war fest auf mein Ziel gerichtet. Fokussiert, jemanden meine Faust schmecken zu lassen.

»Lassen Sie mich einfach los«, forderte Caitlyn den aufdringlichen Kerl mit ruhiger, aber bestimmender Stimme auf.

»Komm schon, Schätzchen«, säuselte dieser und hielt weiterhin ihren Oberarm fest umklammert. »Lass uns Spaß miteinander haben.« Er zog sie wieder zu sich heran und befummelte grob ihren Hintern. »Zier dich nicht so.«

Eine unbeschreibliche Rage überkam mich. Niemand fasste an, was ich begehrte, was ich zu meinem machen wollte.

Connor war mir gefolgt und hatte sich hinter mich gestellt. Er beäugte die Situation neugierig. Ich konnte seine warnende Hand auf meinem Oberarm spüren. Er kannte mich zu gut, hatte bereits einige meiner Wutausbrüche miterlebt und wusste, dass ich kurz davor stand, auszurasten.

»Nimm deine Griffel von mir, sonst setzt es was!«, drohte Caitlyn dem Mistkerl nun, und das verursachte bei mir glatt ein Lächeln im Gesicht. Sie war echt megasüß, wenn sie ihre Krallen zeigte. Außerdem bewunderte ich ihren Mut.

Caitlyns Freundin stand hilflos daneben und konnte nichts tun, weil der massige Körper des Freundes sie abschirmte und von ihrer Freundin fernhielt. Hilfesuchend sah sie sich um, als ihr Blick mich traf. Sie hatte mich erkannt, und ein erleichterter Ausdruck erreichte ihre Augen. Ihre Lippen formten ein stummes hilf Caitlyn bitte! Dieser Bitte kam ich liebend gern nach und kam noch ein Stück näher.

»Hast du was an den Ohren?«, knurrte ich mit tiefer, warnender Stimme, die normalerweise jeden einschüchterte. »Sie hat gesagt, du sollst deine dreckigen Finger von ihr nehmen.«

Der Typ drehte sich zu mir um und grinste hämisch. »Sonst was?«

»Das willst du nicht wissen«, raunzte ich ihn an. Abgesehen davon, dass ich ihn überragte, sollten ihm mein muskulöser Oberkörper und die geballten Fäuste Warnung genug sein.

»Was geht dich die Kleine an?«

Der Kerl hatte echt Mumm oder nichts in der Birne. Ich stand kurz vorm Explodieren. Er musste achtgeben, sich nicht gleich mit gebrochenem Nasenbein und Kiefer auf dem Boden wiederzufinden. Aber weil ich Caitlyn nicht verschrecken wollte, versuchte ich ruhig zu bleiben.

Tief durchatmen.

»Sie gehört zu mir, also mach die Fliege!«

Connor hatte sich neben die Schwarzhaarige gestellt und deutlich gemacht, dass er ebenfalls zu mir gehörte.

Caitlyn drehte sich zu mir um. Verwirrung, gepaart mit Erkennen, stand in ihrem Gesicht. Ein Strahlen erhellte ihre blauen Augen und ließ meinen Schwanz steinhart werden. Jetzt war es ausgesprochen und besiegelt. Sie würde mir gehören, musste mir gehören. Sie wusste es nur noch nicht.

»Sie ist ohne Begleitung gekommen«, protestierte der Kerl mit zu Schlitzen verengten Augen. Herausfordernd sah er mich an. Gleich würde er meine Faust schmecken.

»Und? Hat das was zu bedeuten?«

»Schon möglich.«

»Lass sie los, oder ich werde ungemütlich!«

»Willst du hier den Helden spielen?« Er baute sich vor mir auf. Demonstrativ. Provozierend. Zu seinem Glück tauchten in dem Moment drei Türsteher auf, sonst hätte ich ihm doch noch eine verpasst.

»Wir denken, Sie verlassen jetzt sofort den Club.« Die Türsteher positionierten sich vor dem Arschloch und sahen ihn auffordernd an.

»Echt jetzt. Die Tussi ist doch den Ärger nicht wert!« Mit den Worten gab er Caitlyn einen Schubs, der sie direkt in meine Arme beförderte.

Der Duft von Zitrusfrucht, gemischt mit einer blumigen Note, drang in meine Nase. Ihr Duft. Dankbar sah sie mich an. Ich sollte sie loslassen, konnte es aber nicht. Zu sehr genoss ich ihre Wärme, ihren Geruch. Sie zitterte am ganzen Körper. Ohne dass ich darüber nachdachte, nahm ich sie in die Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken.

»Alles gut bei dir?«

»Ja, danke«, hauchte sie.

»Oh Gott, danke für die Rettung«, bedankte sich nun auch ihre Freundin.

Connors Grinsen ging einmal quer über sein Gesicht.

»Das war purer Egoismus.«

»Egoismus?« Caitlyns Augen funkelten.

»Wer soll mir sonst am Montag meinen Kaffee machen?«

»Das ist natürlich ein wichtiger Grund. Elementar wichtig.« Sie grinste mich an.

»Ich glaube, wir brauchen alle einen Drink«, schlug Connor vor.

»Ja, gute Idee«, antwortete die Schwarzhaarige.

Caitlyn nickt nur und lächelte mich zaghaft an.

Fuck. Ich hatte echt ein Problem. Ein ernsthaftes Problem.

5. Caitlyn

Seine Hand lag heiß in meinem Rücken, während er mich durch die Menschenmenge zur Bar dirigierte.

Sie gehört zu mir! Seine Worte hallten in meinem Kopf wider.

Der Typ von vorhin hatte mir Angst eingejagt. Seit diese Russen bei mir aufgetaucht waren, lagen meine Nerven blank. Jedes Geräusch, jeder fremde Typ, der mich schief anschaute, versetzte mich in Panik. Ich war heute nur wegen Anna mitgekommen. Daheim hätte ich wahrscheinlich auch nicht ruhig sitzen können, und an Schlaf war auch nicht zu denken.

Und jetzt passierte mir das hier auf der Tanzfläche: Ein aufdringlicher Kerl, der seine Finger nicht bei sich halten konnte. Die Tatsache, dass ich ihn – mitten in einem Club – nicht hatte abschütteln können, wühlte mich innerlich auf. Es war nicht das erste Mal, dass ich von fremden Männern angemacht worden war, aber dieser Typ war echt widerlich und aggressiv gewesen. Oftmals stand man als Frau alleine da. Die anderen schauten einen nur fassungslos an oder gar weg. Selten fand jemand den Mut, einzuschreiten.

Heute war es passiert. Heute hatte das jemand getan. Jemand, von dem ich es nicht erwartet hätte, dass er sich für andere einsetzte.

Sie gehört zu mir! Wieso taten mir diese Worte so gut? Ich mochte ihn doch gar nicht. Ich fand ihn arrogant, unfreundlich und gebieterisch. Warum fühlte sich seine Hand in meinem Rücken so vertraut an? Weshalb fühlte ich mich bei ihm, einem Fremden, so sicher? Und verdammt noch mal, wie konnte es sein, dass ich mich danach sehnte, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen? Endlich wieder zu jemandem zu gehören? Teil von einem Ganzen zu sein?

»Alles gut bei dir?«, riss mich seine dunkle Stimme aus meinen Gedanken.

»Ja, alles gut. Bin nur etwas …«

Erwartungsvoll, dass ich meinen Satz vollendete, blickte er mich an, und ich verlor mich in diesen dunklen Augen.

»Etwas … was?«, hakte er nach.

»Nichts, alles gut. Bin nur überrascht, Sie in diesem Club anzutreffen.«

»Alexander. Nenn mich Alexander.« Sein Lächeln brachte mein Herz zum Stolpern. »Jetzt, wo ich dein Leben gerettet habe, hört sich das Sie so unpassend an.« Sein Hauch von Spott ließ mein Herz hüpfen.

»Ja, okay«, flüsterte ich verwirrt, »ich bin Lyn, eigentlich Caitlyn, aber alle nennen mich nur Lyn.«

»Caitlyn, schöner Name. Gefällt mir«, raunte er mir ins Ohr. Sein Atem streifte meine Haut, und sein intensiver Geruch nach einem teuren Aftershave kroch mir in die Nase. Ein Duft, der alles andere als unangenehm war. Männlich, heiß und absolut anziehend.

Er führte mich abseits an einen freien Platz an die Bar. Anna und sein Freund folgten uns.

»Connor, darf ich dir Caitlyn vorstellen?«

»Lyn«, korrigierte ich ihn automatisch. Ich war schon immer Lyn gewesen, als Kind, als Teenager und als Erwachsene ebenfalls. Keiner meiner Freunde nannte mich Caitlyn, und meine Eltern hatten es nur dann getan, wenn sie sauer auf mich gewesen waren.

»Caitlyn, die Barista aus meinem Lieblingscafé«, redete er, unbeeindruckt von meiner Namenskorrektur, weiter.

Kurz überlegte ich, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, dass ich nicht nur die Barista, sondern auch die Geschäftsführerin war. Ich beschloss aber, es zu lassen.

»Hallo, Connor, das ist Anna, und ich bin Lyn.« Auch wenn Caitlyn aus dem Mund von Alexander irgendwie sexy klang, ärgerte ich mich über seine Ignoranz.

Der Mann neben Alexander wirkte so ganz anders. Er hatte dunkelblonde Haare und lebensfrohe grau-blaue Augen. Der gepflegte Dreitagebart konnte die zwei Grübchen in seiner Wange nicht überdecken, und er lachte mich spitzbübisch an. Beide Männer waren sehr attraktiv. Aber während Connor der Schalk aus den Augen blitzte, umgab Alexander eine geheimnisvolle Aura, die mich magisch anzog.

»Ich hab schon so einiges über dein Café und den exzellenten Espresso gehört.«

»Du warst noch nie bei uns?«

»Nein, zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es noch nicht geschafft habe, und Alex hat mich noch nie mitgenommen. Aber das hole ich bald nach.« Connor zwinkerte mir zu.

Ich mochte ihn auf Anhieb. Er war nett, natürlich und offen. Keinesfalls so arrogant wie die anderen Männer, die Alexander bisher mit ins Café gebracht hatte.

Alexander bestellte beim Barkeeper und reichte mir dann ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Ich sah skeptisch auf das Getränk. Das sah nicht nur nach einem Hochprozentigen aus, sondern roch auch danach.

»Das kannst du jetzt vertragen«, grinste er mich an.

»Was ist das?«, fragte ich unsicher.

»Whiskey.«

»Oh nein, danke.«

Ich wollte ihm das Glas zurückreichen, aber er drückte es mir wieder in die Hand.

»Ich habe so etwas noch nie getrunken.«

»Es gibt für alles ein erstes Mal. Also runter damit.« Er beobachtete mich und meine Reaktion.

Normalerweise trank ich kaum Alkohol. Mal einen Wein oder einen Cocktail, aber Whiskey?

»Das ist zu stark für mich. Ehrlich«, erklärte ich energisch und reichte ihm das Glas erneut.

»Aber deine Nerven können es vertragen.« Er verzog eine Augenbraue nach oben. Seine dunklen Augen funkelten mich vielsagend an. Mit einem Nicken deutete er auf meine Hand. Die zitterte, und mein Griff um das Glas wirkte verkrampft. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er ein Nein nicht akzeptierte.

»Vielen Dank nochmals für die Hilfe und den Drink.« Ich sah hilfesuchend zu Anna, die aber mit Connor in ein Gespräch vertieft war. »Aber ich glaube, ich werde jetzt lieber nach Hause gehen.«

Seit dieser Sache mit den Russen stand ich gerade dauerhaft unter enormem Druck. Und jetzt auch noch der Vorfall auf der Tanzfläche – das hatte mir den Rest gegeben. Ich war müde und ausgepowert. Und einfach nur noch bettreif.

»Der Abend hat doch gerade erst angefangen.« Das tiefe dunkle Timbre seiner Stimme ging mir durch Mark und Bein.

»Warum? Was ist?«, wollte nun auch Anna wissen.

»Ich hab gerade gesagt, dass ich nach Hause gehen sollte«, erklärte ich ihr.

Die schüttelte entrüstet den Kopf. »Komm schon, Lyn.«

»Ich hatte echt `ne bescheidene Woche …»

»Du willst dir doch von ein paar Vollpfosten nicht den Abend verderben lassen!«

»Ja … nein …«

»Siehst du, Caitlyn, deine Freundin ist der gleichen Meinung wie ich.« Wieder durchbohrten mich Alexanders Blicke. »Nimm einen Schluck, das hilft.«

Drei Augenpaare sahen mich erwartungsvoll an. Zögerlich hob ich das Glas an die Lippen und nahm einen klitzekleinen Schluck. Gott, war das Zeug scharf. Brennend rann es mir die Kehle herunter. Igitt! Angewidert schüttelte ich mich, während sich ein warmes Gefühl in meinem Magen ausbreitete.

»Oh Gott, wie eklig!« Ich reichte Alexander das Glas und verzog das Gesicht. Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen, noch einen weiteren Schluck von diesem Höllenzeug zu nehmen.

»Gratulation zu deinem ersten Whiskey!« Er lachte mich an. »Der erste Schluck ist immer etwas … gewöhnungsbedürftig.«

Seine Stimme brachte mein Blut in Wallung. Nicht gut. Gar nicht gut.

»Der zweite geht, und ab dem dritten wird es besser.«

»Da spricht der Experte«, vermutete ich.

Er lehnte sich ganz nahe zu mir. Als er mir die nächsten Worte ins Ohr flüsterte, waren seine Lippen nur Millimeter von meiner Wange entfernt, und ich konnte seine Wärme und seinen Atem spüren. »Ja, und ein Genussmensch.«

»Ich genieße auch«, hauchte ich ihm zu. »Guter Kaffee, gutes Essen oder eine gute Praline. Whiskey wird wohl nicht dazu gehören.«

»Du hattest eine schlechte Woche?«, fragte er mich, und ich war mir nicht sicher, ob das Flattern in meinem Magen vom Whiskey oder von ihm kam.

»Ja, so kann man das sagen.«

Allein der Gedanke an die unzähligen missglückten Anrufversuche und die schlaflosen Nächte brachte mich zurück in die Realität. Ich sollte nicht hier sein, sondern nach einer Lösung suchen.

»Was war los?«

»Oh, das Übliche eben. Nichts von Belang«, log ich.

Alexander lehnte sich zurück, und sein Arm streifte meinen. Diese einfache Berührung hinterließ eine prickelnde Spur auf meiner Haut. Überrascht sah ich hinunter. Er folgte meinem Blick. Als könnte er meine Gedanken lesen, legte er seine Hand locker auf meinen Unterarm, während sein Daumen wie natürlich Kreise darauf vollführte und Millionen elektrische Funken durch meinen Körper jagte. Seine Augen suchten meine, und ich konnte nicht anders, ich versank in ihnen.

»Was möchtest du, Caitlyn?«

Was möchte ich? Spontan würden mir ganz viele Sachen einfallen, aber ich ging davon aus, dass er nur nach meinem Getränkewunsch fragte. Ich unterdrückte ein Kichern, konnte aber die Hitze auf meiner Wange nicht ignorieren. Vielleicht sollte ich mich an Annas Rat halten und es einfach ausprobieren – selbst wenn es nur für eine Nacht wäre. Wann hatte ich das letzte Mal Sex, richtig guten Sex, gehabt? Aber mit einem Stammkunden? Warum nicht? Ich war alt genug, brauchte niemandem Rechenschaft abzulegen und …

»Caitlyn?«, riss er mich aus meinen Gedanken.

»Coke«, kam es von mir wie aus der Pistole geschossen.

Alexander drehte sich zum Barkeeper um und gab eine Bestellung auf. Diese Verschnaufpause brachte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Dennoch konnte ich nicht verhindern, seine großen schönen Hände anzustarren und seine muskulösen, mit Adern durchzogenen Unterarme zu bewundern. Wie würden die sich anfühlen? War er – wie im Leben – dominant, herrisch, oder hatte er eine versteckte zarte Seite? War ich jetzt von allen guten Geistern verlassen? Hatte ich derzeit nicht genug Probleme? Ich schüttelte die Vorstellung, mit diesem Mann intim zu werden, ab. Mein Blick ging zu Anna, die so unbekümmert mit Connor flirtete.

Alexander hatte mittlerweile die Getränke bekommen und reichte mir meins. Wir unterhielten uns über alles Mögliche. Er wirkte gelöst, locker, nicht so mürrisch und steif wie immer im Café. Es fiel mir leicht, mit ihm zu reden, und die Zeit schien dahinzufliegen.

Irgendwann überkam mich dennoch die Müdigkeit, und ich sehnte mich nach meinem Bett. Ich lehnte mich zu Anna und flüsterte ihr ins Ohr: »Können wir gehen? Ich bin echt fertig.«

»Ich würde gerne noch bleiben, wenn es dir nichts ausmacht«, gab Anna zu.

»Nein, kein Problem. Ich nehm mir einfach ein Taxi.«

»Taxi?«, erklang nun wieder Alexanders Stimme neben mir. »Um diese Uhrzeit wird es schwer werden, eins zu bekommen. Aber ich kann dich auch gerne mitnehmen.«

»Danke, aber ich möchte echt keine Umstände machen.«

»Machst du nicht.« Er winkte ab.

»Kannst du überhaupt noch fahren?«, fragte ich und schaute auf sein Whiskeyglas, in dem nur noch die Eiswürfel schwammen und das neben meinem noch halbvollem stand.

»Das hier …«, Alexander hob sein geleertes Glas hoch, »… war heute das erste und letzte. Also ja, ich bin noch fähig, zu fahren.« Er zwinkerte mir zu.

»Connor, ich würde es auch packen und nehme Caitlyn mit.« Ich wollte erneut ablehnen, hatte aber das Gefühl, dass Alexander nicht darüber diskutieren würde. Er schien es definitiv gewohnt zu sein, dass jeder in seinem Umfeld das tat, was er wollte. Gut. Konnte ich mir wenigstens das Taxigeld sparen.

»Wie du meinst, Alex. Sollen wir hierbleiben oder woanders hingehen?«, fragte Connor an Anna gerichtet. Seine Augen hingen an ihr.

Ich unterdrückte ein Grinsen. Ja, Anna hatte so eine Wirkung auf Männer. Ihre fröhliche, lockere Art, gemischt mit ihrem spanischen Temperament, zog alle in ihren Bann. Komisch, dass sie dennoch noch nicht den richtigen Partner für sich gefunden hatte. Auswahl hatte sie zur Genüge.

 

Kurz darauf stand ich vor seinem schwarzen McLaren und ließ mir die Tür aufhalten. Wie bereits im Café wurde mir der Klassenunterschied zwischen uns erneut schmerzhaft bewusst. Während ich noch nicht einmal ein Auto besaß, fuhr er einen schnittigen Sportwagen der Preisklasse Träum-weiter-Caitlyn. Fast schon andächtig ließ ich mich auf dem Ledersitz nieder. Alles in dem Auto roch nach Geld und Glamour. Alexander ließ sich auf den Fahrersitz fallen und startete den Motor.

»Wohin soll es gehen?«

Ich nannte ihm meine Adresse. Kurz war ich geneigt, eine falsche anzugeben, aber das fand ich dann zu kindisch. Meine Wohngegend war nicht die beste, aber bei Weitem auch nicht die schlechteste, und das Hochhaus sah sogar noch gepflegt aus.

Seine Anwesenheit brachte meine Haut zum Prickeln. Die Hitze, die sein muskulöser Körper verströmte, ließ mich ihn verstohlen mustern. Er war wirklich extrem attraktiv. Erneut stellte ich mir vor, wie sich seine Hände auf meinem Körper, seine Lippen auf meinen, wohl anfühlen würden.

Sein Blick bohrte sich in meinen und – als hätte er meine Gedanken erraten – schlich sich ein merkwürdiges Grinsen auf seine Lippen. Seine braunen Augen wurden dunkler, und die goldenen Sprenkel schienen zu glühen. Meine Güte, der Mann war die pure Versuchung. Hitze stieg mir in die Wangen, und ich starrte verlegen aus dem Fenster.

Als das Auto vor meinem Wohnblock zum Stehen kam, hatten wir kaum ein Wort miteinander gesprochen, aber die Stille war nicht erdrückend oder unangenehm gewesen. Es war vielmehr so, als wären wir beide gedanklich in unseren eigenen Welten eingetaucht.

Gerade wollte ich die Hand zum Autogriff führen, da spürte ich seine Finger auf meinem Oberschenkel. Verwirrt schaute ich zu ihm. Seine rechte Hand ruhte derweil auf dem Lenkrad und gab den Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk frei: eine Royal Oak. Selbst ich als Laie erkannte diesen puren Luxus an seinem typischen Design.

»Vielen Dank fürs Fahren und Retten.« Verlegen biss ich mir auf die Unterlippe.

Anstatt zu antworten, strich er mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Fingerknöchel steiften dabei meine Wange. Diese zarte Berührung lösten einen Tumult von Gefühlen und ein Feuer in meiner Mitte aus. Seine Finger strichen meinen Kieferknochen entlang und verharrten an meinem Kinn. Die Luft zwischen uns knisterte vor Spannung. Nicht das erste Mal.

»Caitlyn, ich …« Er beugte sich zu mir vor. Nur noch wenige Zentimeter trennten seine Lippen von meinen. Wie würde er wohl küssen? Sanft oder wild? Und wie würde er schmecken? Ich schüttelte die Gedanken ab und ignorierte das Gefühl der Sehnsucht, das von mir Besitz ergriff.

Der McLaren, die Uhr, die Designer-Anzüge, seine ganze Ausstrahlung offenbarten, dass er in einer anderen Liga spielte als ich. Ich sollte so schnell wie möglich aus diesem Auto verschwinden und in meine Welt zurückkehren, bevor ich einen Fehler machte. Bevor es kein Zurück mehr gab.

»Ich muss …« Meine Finger zogen am Türgriff, und ich flüchtete aus dem Auto. Kurz beugte ich mich doch noch einmal vor. »Danke, und vielleicht sehen wir uns am Montag.«

»Ja, vielleicht«, lachte er und bedachte mich mit einem Du-kannst-zwar-flüchten-aber-ich-bekomm-dich-trotzdem-Blick.

Ich schluckte, nickte und ging zur Haustür. Erst als diese hinter mir ins Schloss fiel, merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte und meine Knie weich wie Pudding waren.