Leseprobe Tödlich schöne Aussicht

Prolog

Elena

Drei Tage zuvor

Lautes Poltern schreckt mich aus meinen Überlegungen hoch. Ausgerechnet jetzt. Die Lösung mit der passenden Strategie habe ich fast greifbar vor mir gesehen. Aber auch von dieser Art an Unterbrechung lasse ich mich nicht aufhalten. Ich kriege den Dreckskerl, ebenso wie all die anderen vor ihm. Das schwöre ich! Er wird bluten für seine Verbrechen und abscheulichen Taten, für jede einzelne Grausamkeit und all das Leid, das er meiner Mandantin zugefügt hat; selbst für Dinge, die er nicht einmal zu träumen wagt. Gerechtigkeit wird siegen und die Rache wird grandios sein! Nur ein kleines Detail fehlt noch, um den Plan abzurunden.

Mit einem Satz springe ich aus dem Liegestuhl und laufe los, um mir Notizen von den bisherigen Ergebnissen anzufertigen und dabei gleich die Ursache des Lärms zu ergründen; vermutlich eine umgefallene Vase oder Ähnliches.

Über die Terrasse betrete ich das Ferienhaus und entdecke einen dunkel gekleideten Mann bei der Kommode, der meine Handtasche durchwühlt. Ich sehe wohl nicht richtig.

»Hey!« Abrupt bleibe ich stehen und fauche meine anschwellende Wut hinaus: »Was fällt dir ein? Was zur Hölle hast du hier zu suchen?«

Der Mann fährt zu mir herum, erbleicht und öffnet den Mund, wohl um eine fadenscheinige Ausrede hervorzubringen, doch es dringt kein Ton über seine Lippen. Stattdessen weiten sich im nächsten Moment seine dunklen Augen.

Ein heftiger Schlag trifft meinen Hinterkopf. Noch während ich zu Boden stürze, explodiert ein überwältigender Schmerz in mir. Schwärze umfängt mich.

Zebrastreifen

Nicole

Heute

›Tuut – tuut.‹ Der Rufton dröhnt mir ins Ohr.

Seit Tagen dasselbe Spiel. Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, Elenas Stimme zu hören. Die Gewohnheit oder eher der Versuch, mir etwas von der Nervosität zu nehmen, hat mich dazu veranlasst, erneut anzurufen. Immerhin unternehme ich so eine weite Reise zum ersten Mal allein.

Frustriert drücke ich die Beendentaste und schmeiße das Handy auf den Beifahrersitz, nur um im nächsten Moment erschrocken die Augen aufzureißen. »Oh mein Gott!«

Mit voller Kraft trete ich auf die Bremse und reiße den Lenker herum. Die Reifen quietschen, der Wagen bricht aus. Er gerät ins Schleudern und dreht sich. Krampfhaft umklammere ich das Lenkrad. Es gibt einen Aufprall, der mich in den Gurt wirft und gleich darauf zurück in den Sitz presst.

Mit einem Mal ist alles still. Das Auto steht.

Mein Herz hämmert.

Schon wird die Autotür geöffnet. »Sei ferito?« Der Typ, der so plötzlich aus dem Wald auf die Straße gerannt ist, steckt den Kopf ins Wageninnere.

»Was?« Stöhnend betaste ich unter dem Gurt meine schmerzende Brust.

»Ah, eine Deutsche. Sind Sie verletzt?« Seine Aussprache ist einwandfrei, ohne jeglichen Akzent.

»Ich glaube nicht.« Mit zitternden Fingern drücke ich den Knopf vom Anschnallgurt. Erst beim zweiten Versuch klappt es.

»Gut.« Der Kerl richtet sich auf und hält mir die Hand hin. »Kommen Sie raus.«

Mit seiner Hilfe quäle ich mich mühsam aus dem Auto. Es hängt schräg im Graben. Kaum stehe ich halbwegs sicher, lässt der Fremde mich los und setzt einen Schritt zurück.

Leicht schwindlig blicke ich zu ihm hoch. »Dan…«

»Haben Sie sie noch alle?«, brüllt er los. Tiefe Falten zeichnen sich auf seiner dreckverschmierten Stirn ab. »Hier so herumzurasen! Haben Sie keine Augen im Kopf?«

Ach, so soll das ablaufen?

Wütend stemme ich die Hände in die Seiten. »Ich? Sie sind doch aus dem Nichts aufgetaucht und auf die Straße gesprungen!«

Er gibt ein Knurren von sich. »Da ist ein Zebrastreifen.« Mit ausgestrecktem Arm zeigt er auf die schmale Landstraße.

Ich kneife die Augen zusammen. Dort ist nichts zu sehen, also gehe ich auf die Stelle zu.

Wahrhaftig, ein paar Meter vor dem Wagen sind Streifen aufgemalt. Sie sind fast verblichen und durch die Schatten der Bäume noch schlechter zu erkennen. Auch ein Hinweisschild auf einen Fußgängerüberweg gibt es nicht.

Ungläubig wirbele ich zu dem Kerl herum. »Das ist ein Scherz! Erstens sieht man den gar nicht mehr und zweitens: Was hat ein Zebrastreifen auf der Landstraße zu suchen?«

»Landstraße? Wohl eher Waldweg. Er ist zwar befestigt, trotzdem fährt man hier langsam! Was ist, wenn ein Tier auf die Straße springt? Wollen Sie das auch einfach überfahren?«

»So auf die Straße springt wie Sie eben?«, frage ich aufgebracht. »Vorm Loslaufen schaut man sich um, das weiß doch jedes Kind. Wie kann man eigentlich ein leuchtend rotes Auto übersehen?«

»Schieben Sie nicht die Schuld auf mich. Was haben Sie hier überhaupt zu suchen? Die Straße führt nur zu Privatgrundstücken.«

»Das geht Sie gar nichts an! Außerdem, was wollen Sie denn hier? Laufen herum wie ein …« Erst jetzt betrachte ich ihn genauer. Der Mann ist vielleicht Anfang vierzig, groß, kräftig und braungebrannt. Seine Klamotten sind voller Erde und das Hemd ist zum Teil zerrissen. Etwas Laub hängt in den dunklen wuscheligen Haaren und Dreck im Dreitagebart. Die braunen Augen funkeln mich wütend an. Dennoch ist der Kerl insgesamt recht attraktiv. Das würde ich aber niemals zugeben. Mein Blick fällt auf den Schmutz unter seinen Fingernägeln. »… wie ein Gärtner!«

Die Brauen des Typen rucken nach oben. »Hochnäsige Schnepfe! Typisch Stadtmensch.« Schimpfend macht er auf dem Absatz kehrt und stapft davon. Nicht wieder in den Wald hinein, sondern die Straße entlang in meine Fahrtrichtung.

»Wo wollen Sie denn jetzt hin?«, rufe ich ihm hinterher. »Sie können mich doch nicht so hier stehen lassen. Das Auto ist kaputt. Wir müssen die Polizei informieren.«

Er winkt ab, ohne sich umzudrehen, geschweige denn zurückzukommen. »Machen Sie doch. Vielleicht nehmen die Ihnen ja den Führerschein ab. Besser wär es!«

Ich könnte platzen. So ein Arsch.

Der Typ verschwindet hinter der nächsten Kurve.

Verzweifelt laufe ich hin und her. Aber es nützt nichts, ich muss mir den Schaden anschauen. Also atme ich tief durch und überwinde mich endlich, meinen kleinen Wagen zu umrunden.

Die hintere rechte Seite ist beim Herumschleudern vor einen Baum gekracht. Sie ist eingedrückt und das Rad hängt schief. Definitiv ist das Auto nicht mehr fahrbereit.

Den Anruf bei der Polizei spare ich mir. Was sollte ich auch erzählen? Das heißt, falls sie mich überhaupt verstünden. Womöglich wären sie der gleichen Meinung wie der unmögliche Kerl. Ich habe mal gehört, entgegen dem typisch lässigen Ruf der Italiener sollen deren Polizisten weitaus weniger entspannt sein.

Stattdessen wähle ich die Nummer meines Autoklubs, um den Wagen abschleppen zu lassen. Die Dame am Telefon weist mich an, vor Ort zu warten, bis jemand vorbeikommt und den Schaden begutachtet.

Folglich stehe ich neben dem kaputten Auto und warte, mittlerweile seit einer Stunde. Glücklicherweise ist es Mittag und hell genug im Wald. Ansonsten wäre es mir ein wenig unheimlich, denn in der ganzen Zeit erscheint kein weiterer Wagen; auch kein Motorrad, Fahrrad oder sonst etwas. Lediglich das Rascheln der Blätter im Wind ist zu hören und ab und zu ein leises Knacken. Wo bin ich hier nur gelandet? Am Ende der Welt? Und warum um Himmels willen ist der Kerl genau in dem Moment auf die Straße gesprungen, als doch einmal ein Auto vorbeifährt?

Das nicht allzu dichte Blätterdach lässt die Sonnenstrahlen bis zu mir durchdringen. Ich folge den hellen Stellen auf dem Asphalt, um in meinem dünnen Kleid nicht zu frieren. Selbst das Jäckchen, das ich mir aus dem Auto hole, nützt nicht viel.

Leichtes Kopfweh setzt ein und die Druckstellen des Gurtes schmerzen. Ansonsten scheine ich den Unfall unbeschadet überstanden zu haben.

Meine nächsten Versuche, Elena zu erreichen, bleiben genauso erfolglos wie die der letzten Tage. Das macht mir langsam Sorgen. Weit weg von zu Hause stehe ich mit einem kaputten Auto in Italien und fühle mich verlassen. Aber zumindest bin ich laut Navi auf dem Smartphone am richtigen Ort und habe mich nicht wie befürchtet verfahren.

Endlich taucht etwas auf der Straße auf, knapp zwei Stunden musste ich warten. Ein Abschleppwagen nähert sich und hält neben mir an.

Luxushäuschen

Meine bisherigen Erfahrungen mit den Menschen hier vor Ort beschränken sich auf den unmöglichen Kerl von vorhin, deswegen bin ich überrascht, wie nett der junge Werkstattmitarbeiter ist. Und das, obwohl ich sein gebrochenes Deutsch kaum verstehe. Er fährt mich sogar die restlichen Kilometer bis zu Elenas Grundstück. Jetzt wendet er, winkt mir noch einmal zu und verschwindet mit meinem kaputten Auto auf der Ladefläche.

Drei Stunden später als angekündigt stehe ich mit dem Griff des Trolleys in der Hand und der Jacke überm Arm in der Einfahrt und blicke auf Elenas Ferienhaus.

Es sieht genauso aus wie auf den Bildern, die sie mir gezeigt hat. Das Gebäude ist zwei Etagen hoch, vielleicht auch drei. Schwer zu sagen bei den vielen Dächern, Winkeln und Sprossenfenstern in den verschiedensten Größen. Die Steine der Außenwände verleihen dem Haus einen mediterranen Touch, trotzdem wirkt es modern. Ein seitlicher Rundbogen dient vermutlich als Durchgang zum hinteren Garten.

Manche würden sich über so ein Ferienhaus als Hauptwohnsitz freuen. Mir wäre es eher schon zu viel.

Dieses Luxushäuschen passt zu Elena. Sicher ist es innen nicht weniger nobel ausgestattet als ihr Penthouse in München. Meine Freundin stellt ihre finanziellen Mittel gern zur Schau, was ihr hier auf jeden Fall gelungen ist.

Ein gepflasterter Weg windet sich durch den gepflegten Vorgarten. Staunend folge ich ihm bis zur Haustür.

Auf einem verzierten Messingschild ist Elena und Horst Neubert zu lesen. Das hat sie also noch nicht geändert. Dabei habe ich erwartet, sie würde sofort nach ihrer Ankunft alle Hinweise auf Horst beseitigen.

Ich drücke den runden Klingelknopf und sehe mich weiter um.

Ein anderer Pfad führt zu einem verlassenen Carport, der etwas abseits steht. Gut versteckt vor neugierigen Blicken aus Richtung Straße.

Da aus dem Haus nichts zu hören ist, klingle ich erneut. Langsam kehrt meine Nervosität zurück. »Elena?« Rufend suche ich die Fenster nach einer Bewegung ab. Das ist ebenso vergebens wie ein vorsichtiges Rütteln an der Tür. Sie ist zugesperrt.

Unschlüssig kaue ich auf der Unterlippe herum. Bei meiner Verspätung ist es kein Wunder, dass Elena nicht hinter der Tür steht und mich erwartet. Vielleicht ist sie im Garten und hat das Klingeln nicht gehört. Ich greife den Trolley und gehe durch den Rundbogen. »Elena, bist du da?«

Nach der zweiten Hausecke bleibe ich überrascht stehen. Eine Terrasse mit modernen Gartenmöbeln liegt vor mir, umgeben von wuchtigen Steinen und Olivenbäumchen. Dahinter erstreckt sich das Grundstück bis zum Wasser, auf dessen Oberfläche sich die Sonnenstrahlen brechen und den Ortasee glitzern lassen. In der Ferne sind Ruderboote und Kajaks zu erkennen. Auf der anderen Seeseite schmiegt sich eine kleine Ortschaft an den Fuß des dicht bewaldeten Berges. Einzeln stehende Gebäude lugen den Hang hinauf zwischen den Bäumen hindurch.

Die Fotos werden der Aussicht bei weitem nicht gerecht. Auch haben sie mich nicht auf die Ruhe vorbereitet, die hier herrscht. Natürlich nicht. Nur leises Plätschern und das Zwitschern einiger Vögel sind zu hören.

Ein Glücksgefühl steigt in mir auf: Die nächste Woche wird genial. Am liebsten würde ich mich direkt in die große Hollywoodschaukel hinten auf der Terrasse setzen, einen Cappuccino trinken und ein gutes Buch lesen. Ich kann es kaum erwarten.

Aber erst einmal muss ich die Hausherrin finden.

Terrassentür und sogar Fliegentür stehen offen, also kann sie nicht weit weg sein. Wahrscheinlich ist sie wirklich hier draußen gewesen, als ich geklingelt habe und nun vorn am Eingang.

Ich klopfe leise an und trete ein. »Elena? Ich bin es, Nicole. Die Tür stand offen.«

Eine gespenstische Stille schlägt mir aus den Tiefen des Hauses entgegen.

Das darf nicht wahr sein! Unbehaglich krame ich mein Smartphone hervor und wähle gewiss zum zwanzigsten Mal am heutigen Tag Elenas Nummer. Wie gehabt ertönt der Rufton, aber das Klingeln ihres Telefons ist nicht zu hören. Vielleicht ist es kaputt oder einfach auf lautlos. Kurzerhand stelle ich den Trolley an die Wand und laufe los, um das für mich fremde Haus abzusuchen. Verzweiflung lässt einen wohl die gute Erziehung vergessen. Außerdem muss ich mal.

Im Wohnbereich fällt mir sofort ein überdimensioniertes Bild von Elena auf, das beinah die Hälfte der Wand einnimmt. Schick angezogen, mit ihren langen roten Haaren, die in Wellen über die schlanken Schultern fallen, und dem aufgeschlossenen Lachen. Ihre fünfundvierzig Jahre sieht man ihr nicht an.

Bei einem Vergleich mit meiner Freundin schneide ich schlecht ab. Schon längst zeigen sich bei mir Falten, obwohl ich erst im Herbst vierzig werde. Auch tauchen immer öfter vereinzelt graue Haare zwischen den naturbraunen auf; bisher konnte ich sie alle auszupfen.

Zumindest die Gästetoilette ist schnell zu finden. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel spritze ich mir etwas Wasser ins Gesicht. Die Erfrischung ist dringend nötig, schließlich hat für mich der Tag bereits sehr zeitig begonnen.

Dann laufe ich weiter, schaue in jeden Raum hinein und rufe nach Elena. Zehn Minuten später gibt es keinen Zweifel mehr: Das Ferienhaus ist verlassen.

Auf dem Weg zurück zur Terrasse, um im Garten weiterzusuchen, lese ich mit spitzen Fingern einen schmutzigen goldenen Dekolöwen vom Boden auf und stelle ihn grinsend auf dem Wohnzimmertisch ab. Die letzten zwei Wochen haben Elena gereicht, um ein ziemliches Chaos zu verursachen. Das ist meine Freundin, wie sie leibt und lebt. In München hat sie eine Putzfrau engagiert, da sie mit diesem Haushaltskram einfach nichts am Hut hat. Dennoch schafft sie es selbst dort, immer irgendwo etwas herumliegen zu lassen. Hier hätte sie die Hilfe definitiv auch nötig. Sogar oben in der ersten Etage liegt Dreck.

Die Fliegentür ziehe ich sorgfältig hinter mir zu, bis sie mit einem leisen Klacken einrastet, und gehe in den großen Garten.

Im gleichen Stil wie vorm Haus führt ein von Lichtkugeln gesäumter Pfad hinunter zum See. Eine halbhohe Mauer dient als Grenze zum Wald hin, auch auf der anderen Seite lugt sie durch einige Büsche und Bäume hindurch.

Vor einer von Jasminsträuchern umgebenen Sitzecke bleibe ich stehen und betrachte die beiden Skulpturen, die sich hinter der Bank die Hände entgegenstrecken, ihre Fingerspitzen berühren sich. Die Geste erinnert mich an ein Gemälde, ich glaube von Michelangelo. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Pärchen nackt ist. Als mir bewusst wird, was ich die ganze Zeit anstarre, spüre ich schlagartig Hitze in mir hochsteigen und setze schnell meinen Weg zum Ufer fort.

Bis zum Wasser mit dieser unglaublich blauen Farbe gelange ich allerdings nicht. Große Steine grenzen den ebenen Garten ab wie ein Schutzwall und ziehen sich die steile Böschung hinunter, zwischendrin wachsen etliche Büsche. Einzig rechts nahe dem Wald gibt es eine Möglichkeit, über eine geschützte Stelle den See zu erreichen. Oder aber man ist so verrückt und springt vom Anleger in der Mitte. An dem Steg ist ein kleines Ruderboot festgebunden, was mich etwas erstaunt. Eigentlich hätte ich Elena eher ein Motorboot zugetraut. Doch davon ist genauso wenig zu sehen wie von ihr selbst.

Vielleicht ist sie noch mit dem Auto weg, irgendetwas erledigen und hat nicht länger warten können. Das würde auch den leeren Carport erklären. Die Terrassentür wird sie für mich geöffnet haben. Aber eine Nachricht hätte sie mir dennoch hinterlassen oder einfach einmal einen Anruf annehmen können.

Das alles passt so gar nicht zu meiner Freundin. Sie verspätet sich zwar oft bei einer Verabredung, eigentlich immer, aber dass sie kommentarlos fernbleibt und zudem tagelang nicht zu erreichen ist, ist noch nie vorgekommen. Sonst meldet sie sich ständig bei mir, auch aus dem Urlaub, wenn man für gewöhnlich seine Ruhe haben möchte.

In Gedanken versunken kehre ich zur Terrasse zurück, setze mich in die Hollywoodschaukel und warte.

Nach einer Stunde überwinde ich mich und hole mir ein Wasser aus dem Kühlschrank. Wäre Elena hier, hätte sie mir längst etwas zu trinken angeboten. Ihre Vorwürfe möchte ich nicht hören, sollte sie von meinem Durst erfahren.

Während ich in der Küche ein paar offenstehende Schubladen schließe, fällt mein Blick auf eine Pinnwand. In dem Kalender ist mein Name mit einem Herzchen beim heutigen Datum eingetragen. Okay, vergessen hat sie mich nicht. Daneben hängt die Speisekarte eines Lieferdienstes, den ich mir niemals leisten könnte. Ein paar Infoflyer von Sehenswürdigkeiten und ein Schifffahrplan sind ebenso angepinnt wie ein angefangener Einkaufszettel und eine Visitenkarte.

Mein Herz macht einen Satz. Warum bin ich nicht früher auf die Idee gekommen?

Die Flasche Wasser trinke ich in einem Zug halb aus, stelle sie hinten auf die Anrichte und eile los.