Kapitel 1
Er wusste, dass er nicht Klavier spielen sollte, doch er konnte nicht anders. Sein letzter Arzt im Krankenhaus hatte ihm nahegelegt, dass es in diesem Gemütszustand nicht weise war, und die alte Kuh von nebenan hatte klargemacht, dass sie den Krach nach neun Uhr nicht hören wollte. Doch es rief nach ihm, zog ihn zu sich, so unausweichlich als wäre er ein Fisch am Haken. Er musste das kühle Elfenbein unter seinen Fingern spüren und den Raum mit Musik erfüllen, um die Finsternis zu verdrängen.
Er öffnete die Tür und tastete nach dem Lichtschalter. Der Flügel nahm beinahe das gesamte Wohnzimmer ein. Es war ein prachtvolles Instrument und verdiente es, einen ganzen Raum nur für sich zu haben. Es aufzugeben war unvorstellbar. Was machte es da schon aus, dass das andere Zimmer im Erdgeschoss vollgestopft war – es war ja nicht so, als würde er Besuch empfangen.
Er wühlte in der Klavierbank herum und holte das erste Notenbuch heraus, das seine Finger zu fassen bekamen. Chopin, Ausgewählte Pianoforte-Werke. Die technisch herausforderndsten Stücke seiner Notensammlung. Er schlug das Buch an einer zufälligen Stelle auf und spielte. Er kannte das Stück gut und spielte es mühelos vom Blatt. Die Klänge von Sehnsucht und Leidenschaft hingen noch in der Luft, nachdem er die Etüde bereits beendet hatte. Dann blätterte er um und zuckte zusammen, als er sah, was er vor sich hatte. Die Nocturne in Fis-Dur, geschrieben von einem Virtuosen, der sein eigenes Talent zur Schau stellen wollte. Er ging das Stück trotzdem an. Durch den langsamen Teil konnte er sich hindurchmogeln, indem er mit falschem Fingersatz spielte. Jetzt zwang er seine Finger zum Gehorsam und sie flogen über die Tasten, bis sich eine Lücke auftat, wo sein Ringfinger sein sollte. Ein falscher Ton erklang. Er schmetterte den Klavierdeckel zu und brach in Tränen aus.
„War das alles, Evan bach?“ Charlie Hopkins setzte die Kiste auf dem Plattenweg vor der Tür des Cottages ab und richtete sich wieder auf. Er hatte eine Hand auf seine Brust gelegt und atmete schwer. Es musste einiges geschehen, damit Charlie Hopkins außer Puste kam, selbst mit seinen zweiundsiebzig Jahren, aber an einem heißen Nachmittag zum zehnten Mal den Berghang zu erklimmen, war zu viel.
„Ich glaube, das war’s, Charlie“, sagte Evan Evans, der ebenfalls schwer atmete, obwohl er nur halb so alt wie Charlie und gut in Form war. „Ich kann Ihnen gar nicht genug für Ihre Hilfe danken. Mir war nicht ganz klar, was für ein anstrengender Marsch das werden würde.“
„Was soll man sonst erwarten, wenn man sich dafür entscheidet, fast oben am verdammten Gipfel zu wohnen?“, wollte Charlie wissen. Er holte ein großes Taschentuch heraus und wischte sich über die Stirn.
Evan lächelte. „Bronwen wollte eine Umzugsfirma engagieren.“
Charlie schnaubte. „Mit einem Umzugswagen kommt man hier nie im Leben hoch. Ich wüsste gerne, welche Umzugsfirma sie gefunden hätte, um die Möbel so wie wir hier heraufzutragen. Da hätten Sie es eher mit einem Streik zu tun bekommen.“
„Das habe ich ihr auch gesagt“, sagte Evan. Er hob mit einem Grunzen eine Kiste an und stieß mit dem Fuß die Haustür auf. Charlie folgte ihm mit der zweiten Kiste.
„Wo soll ich das hier hinstellen?“, fragte er. Sein Blick wanderte durch das kleine Wohnzimmer, in dem sich bereits Möbel und Kisten stapelten.
„Irgendwo auf den Boden, vielen Dank“, sagte Evan und stellte seine eigene Kiste zu einigen anderen. „Wie kann eine einzige Frau so viele Dinge besitzen?“
„Das gehört alles ihr?“
„Ja. Sie muss diese Woche aus dem Schulhaus ausziehen.“
Charlie Hopkins sog Luft zwischen seinen Zähnen hindurch. „Ah, dann ist es also wahr. Man wird die Schule schließen.“
„So ist es. Man hat Bron eine Stelle in der neuen Grundschule an der Straße nach Caernarfon angeboten. Fünfhundert Schüler werden auf diese Schule gehen. Ein ganz modernes Glasgebäude. Ich schätze, für die Kinder aus dem Dorf wird das ein Schock.“
„Ich verstehe nicht, warum sie alles ändern mussten“, sagte Charlie. „Diese Schule war gut genug für mich und für meine Jungs.“
„Ich bin mir sicher, dass mit einer Lehrerin wie Bronwen alles gut lief“, sagte Evan. „Aber ich kann verstehen, dass sie einer schlauen Zehnjährigen und einem langsamen Sechsjährigen nicht die individuelle Aufmerksamkeit schenken kann, die sie verdient hätten.“
Charlie nickte. „Vielleicht haben Sie recht. Der Unterricht ist heute anders. Als ich zur Schule ging, haben wir noch für jeden Fehler im Diktat Stockschläge auf die Finger bekommen.“
Evan lachte. „Dann ist Ihre Rechtschreibung bestimmt tadellos.“
„Ist sie auch.“ Charlie lächelte und entblößte mehrere Lücken in seinen Zahnreihen. „Dann hat Ihre Bronwen ja Glück, dass sie heiraten und zusammen hier einziehen. Sonst müsste sie auf Wohnungssuche gehen.“
„Bei Ihnen klingt das so, als würde sie mich nur heiraten, weil sie das Schulhaus verliert.“
Charlie kicherte. „Nein, ich schätze, sie hätte es schlechter treffen können. Dann geben Sie auch das Cottage auf, das Sie von Mrs. Howells gemietet haben?“
„Erst nach der Hochzeit. Bronwen findet es nicht richtig, dass ich schon mit ihr hier einziehe. Besonders, weil meine Mutter zu Besuch kommen wird. Sie ist in diesen Dingen recht altmodisch.“
Charlie grinste erneut. „Richtig so. Keine Techtelmechtel. Die Hochzeit wird eine große Feier, oder? Ich hörte, Sie lassen sich nicht in der Kapelle trauen.“ Er folgte Evan in die leichte Nachmittagsbrise hinaus, die vom Ozean heraufwehte.
Evan wuchtete eine weitere Kiste mit Küchenutensilien hoch und schwankte damit zurück ins Cottage. „Bron und ich wollten es, aber ihre Mutter hat den Aufstand geprobt. Sie müssen wissen, dass sie als Mitglied der Church of Wales aufgezogen wurde, wie alle vornehmen Leute. Ihre Mutter konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass ihre Tochter in einer nichtanglikanischen Kapelle heiratet.“ Er stieg auf einen Küchenstuhl und kämpfte darum, das Gleichgewicht zu behalten. „Wenn es nach mir ginge, würde ich mit ihr durchbrennen und in einem Standesamt heiraten, aber Hochzeiten scheinen für Frauen eine große Sache zu sein. Und Bronwen hat beim letzten Mal schon keine anständige Hochzeit gehabt.“
„Sie war schon mal verheiratet? Das wusste ich nicht.“
„Na ja, sie hat es nicht gerade an die große Glocke gehängt, was? Sie heiratete gleich nachdem sie die Universität abgeschlossen hatte.“
„Moment mal – wie könnt ihr dann in einer Kirche heiraten?“
„Weil ihre erste Ehe annulliert wurde. Ihr Ehemann war... nicht besonders zufriedenstellend.“ Er spürte, dass er rot wurde.
Charlie grinste angesichts seines Unbehagens. „Dieses Mal wird sie in der Hinsicht wohl keine Beschwerden haben.“
Evan wandte den Blick ab. „Wir werden sehen“, sagte er. „Aber auf jeden Fall will sie dieses Mal eine richtige Hochzeit mit allem Drum und Dran.“
„Das wollen die meisten Frauen.“
„Evan schüttelte den Kopf. „Das war mir nicht bewusst. Plötzlich finde ich mich in Diskussionen um Sträuße und Champagnermarken wieder. Wie hoch soll die mehrstöckige Torte werden, wie groß das Festzelt?“
„Escob annwyl! Sagen Sie bloß, dass Sie ein Festzelt haben werden.“ Charlie wirkte beeindruckt.
„Auf dem Rasen neben der Kirche. Ihre Eltern bestehen darauf, die Kosten zu übernehmen, und machen eine große Sache daraus. Mittlerweile wünschte ich, wir hätten im kleinen Rahmen geheiratet und ihnen erst im Nachhinein davon erzählt.“
„Willkommen in der wundervollen Welt der Schwiegereltern, Junge. Das ist erst der Anfang.“
„Zum Glück wohnen sie weit weg.“ Evan sah mit einem Grinsen auf. „Und meine Mutter auch. Über ihren Besuch freue ich mich auch nicht besonders.“
„Wird sie bei Ihnen wohnen?“
„Ich habe ja nur ein einziges Bett. Deshalb bringe ich sie bei Mrs. Williams unter. Sie werden viel Spaß haben, sich über meine Fehler unterhalten und auf Walisisch plaudern. In Swansea hat sie nicht sehr viele Leute, mit denen sie Walisisch sprechen kann.“
„Stell sich das einer vor. Dann bin ich froh, hier oben zu leben.“ Er folgte Evan mit der letzten Kiste ins Cottage. „Wenn das alles war, mache ich mich besser wieder an den Abstieg, Evan bach. Meine Frau wird schon mit dem Abendessen auf mich warten, und sie kann es nicht leiden, wenn es kalt wird.“
„Natürlich. Dann machen Sie sich auf den Weg, Charlie, und noch mal vielen Dank für Ihre Hilfe. Allein hätte ich das nicht geschafft.“
„Wir wollen ja nicht, dass Sie vor der Hochzeit völlig geschlaucht sind, was?“ Charlie stieß ihm seinen Ellenbogen in die Seite und lachte keuchend. Dann trat er aus dem Cottage, blinzelte in das helle Sonnenlicht, stand einen Moment lang da und genoss mit einem zufriedenen Seufzen die Aussicht. Es war einer dieser perfekten Sommertage, die in diesem Teil von Wales so selten sind. Der Himmel war eine klare, blaue Glaskuppel über der Berglandschaft mit leuchtend violettem Heidekraut, glitzernden Bächen und tiefen Tälern. Das Dorf Llanfair aalte sich unter ihnen in der Nachmittagssonne und sah mit seiner Reihe weiß getünchter Cottages wie ein Puppendorf aus. Möwen zogen über ihnen ihre Kreise und Schafe blökten auf den Hochweiden. Die Luft war erfüllt vom Geruch des blühenden Heidekrautes und einem Hauch von Meeresduft.
„Wenn man so darüber nachdenkt“, sagte Charlie langsam, „kann man verstehen, warum Sie hier wohnen wollen. Diesen Ausblick könnte man selbst für eine Million Pfund nicht kaufen, oder?“
Evan nickte. „Das finden wir auch. Die beste Aussicht der Welt.“
„Vielleicht denken Sie anders darüber, wenn der Winter kommt“, sagte Charlie. „Sehen wir uns heute Abend im Red Dragon, Junge? Dann können Sie mich für meine Dienste auf ein Pint einladen.“
„Das werde ich tun, Charlie“, sagte Evan. „Vorausgesetzt, wir kommen rechtzeitig zurück. Ich treffe Bronwen am Nachmittag in Caernarfon. Wir haben einen Termin beim Bankdirektor, um ein gemeinsames Konto einzurichten, und wollen noch in den Antiquitätenladen. Bronwen liegt viel daran, das Haus mit Antiquitäten einzurichten, und sie hat eine passende Anrichte mit Tellerbord für die Küche gefunden.“ Evan verzog das Gesicht als Charlie lachte.
„Verabschieden Sie sich von Ihrer Freiheit und den Abenden im Pub, Junge“, sagte er.
„Sie gehen doch auch jeden Abend in den Pub“, merkte Evan an.
„Nun, ich hatte fünfzig Jahre Zeit, um sie zu formen, nicht wahr?“, sagte er. „Wenn Sie einen Rat wollen: Sie müssen eine Ehe unter den richtigen Voraussetzungen beginnen. Zeigen Sie ihr, wer der Chef ist und wie es laufen wird. Nicht dieser sensible Mist, den man dieser Tage ständig im Fernsehen sieht. Männer sind nicht dafür gemacht, Häuser zu dekorieren und Vorhänge auszuwählen. Wir sind Jäger, Junge. Die Frauen sollen die verdammten Sammlerinnen sein.“
Evan lachte und schob sich seine dunklen Locken aus dem Gesicht. „Ich fürchte, die Zeiten haben sich geändert, Charlie. Und wenn es Bronwen glücklich macht, das Haus einzurichten, dann helfe ich ihr gerne.“
Charlie schüttelte den Kopf. „Als nächstes laufen Sie in einer Schürze rum. Lassen Sie sich das gesagt sein, Junge.“
„Nein, ich glaube, wir sind uns einig, dass Bronwen das Kochen übernehmen sollte. Ich bin da ein hoffnungsloser Fall. Diolch yn fawr. Nochmals danke, Charlie.“ Er schüttelte dem alten Mann die Hand und beobachtete, wie Charlie über den steilen Pfad ins Dorf hinabstieg. Wie alle Männer, die in den Bergen aufgewachsen sind, lief er die Hänge hinauf und hinunter, als seien es flache Ebenen. Wenige Minuten später war er zwischen den ersten Häusern des Dorfes verschwunden. Evan wandte sich um und ging ins Cottage zurück.
Innen fühlte es sich dunkel an und er fragte sich, ob er versuchen sollte, die Fenster zu vergrößern. Ich bin schon ganz im Heimwerker-Modus, dachte er alarmiert und empfand einen Anflug von Sehnsucht nach dem freien, unbelasteten Leben, in dem er seine Wochenenden mit Wandern und Klettern verbracht und die Abende im Red Dragon genossen hatte. Er dachte darüber nach, einige der Kisten ins Schlafzimmer zu tragen, dann sagte er sich, dass er keine Ahnung hatte, wo Bronwen welche Sachen haben wollte. Es wäre besser, auf sie zu warten.
Als er wieder ins Sonnenlicht hinaustrat, stand er überraschend einem Mann gegenüber, der direkt vor seiner Haustür wartete.
„Oh... hallo“, stammelte Evan. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich hoffe es.“ Sein Gegenüber war ein schlanker, knochiger, junger Mann mit ordentlichem Scheitel und Drahtgestellbrille. Sein jungenhaftes Gesicht wirkte angespannt. „Sie sind der Polizist, oder? Im Dorf hieß es, dass ich Sie hier finden würde.“
„Ich bin Detective Constable Evans, aber ich bin heute eigentlich nicht im Dienst. Was ist denn los?“
„Es geht um meine Freundin, sie ist verschwunden.“ Der junge Mann klang als sei er den Tränen nah. Sein Akzent ließ auf Manchester schließen, vielleicht auch Liverpool. Auf jeden Fall war er kein Waliser.
„Verschwunden. Wo?“
„Irgendwo da oben.“ Er deutete auf die Bergkette, die sich auf der anderen Seite des Tals erhob und deren höchsten Gipfel der Snowdon bildete.
„Am Snowdon, meinen Sie?“
Der junge Mann nickte. „Genau. Wir sind von unserer Jugendherberge aus dem Wanderweg gefolgt. Dann haben wir mit Aussicht auf einen kleinen See Mittagspause gemacht.“
„Der Pyg Track, und der See müsste der Glaslyn sein.“ Evan nickte.
„Auf dem Rückweg wurden wir getrennt, daher dachte ich, wir würden uns am Ausgangspunkt des Weges wiedersehen. Aber ich wartete und wartete und sie kam nicht. Ich ging wieder hinauf, um nach ihr zu suchen. Dann kehrte ich zur Jugendherberge zurück, um zu sehen, ob sie vielleicht auf einem anderen Weg zurückgekehrt war oder sich mitnehmen ließ, aber dort war sie auch nicht. Ich befürchte, dass ihr etwas zugestoßen ist.“
„Wie lange ist das her?“, fragte Evan.
„Wir hatten zum Mittag ein Picknick gemacht“, sagte der junge Mann. „Dann haben wir zusammengepackt und uns an den Abstieg gemacht. Wie spät ist es jetzt?“
Evan warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Viertel vor vier.“ Er zuckte zusammen. Er musste um Viertel nach vier bei dem Termin mit dem Bankdirektor sein. Er würde sofort vom Berg absteigen und die verschwitzten Klamotten ablegen müssen. Dann fiel ihm wieder ein, was er Bronwen schon so häufig gesagt hatte: Ein Polizist arbeitet vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
„Dann ist sie seit drei Stunden verschwunden.“
„Hat sie ein Handy dabei?“, fragte Evan.
„Ja, hat sie. Das ist ja so seltsam. Warum hat sie nicht angerufen, wenn sie sich verlaufen hat?“
„Der Empfang ist hier oben nicht immer der beste“, sagte Evan. „Also, ich kann noch nicht viel tun, solange keine Gefahr im Verzug ist. Vielleicht ist sie auf einem anderen Weg abgestiegen und muss sich erst zurechtfinden.“
„Aber was, wenn sie gestürzt ist und sich ein Bein gebrochen hat oder so?“ Der junge Mann klang verzweifelt.
„Sie sagten, Sie seien den Weg noch mal zurückgegangen und hätten sie gesucht, ja?“
„Genau, aber Sie meinten, sie könnte fälschlicherweise einen falschen Weg eingeschlagen haben.“
Evan legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter. „Wie heißen Sie?“
„Paul. Paul Upwood. Meine Freundin heißt Shannon – Shannon Parkinson.“
„Alles klar, Paul“, sagte Evan. „Kommen Sie mit. Wir gehen runter ins Dorf. Dann werde ich im Hauptquartier anrufen und durchgeben, dass wir hier oben möglicherweise ein Problem haben. So kann ein Einsatzteam der Bergrettung auf Abruf gehalten werden. Wenn die Dämmerung einsetzt und sie noch nicht aufgetaucht ist, wird man die Suche starten.“
Der junge Mann biss sich auf die Lippe. „Wenn die Dämmerung einsetzt?“
„Wir können nicht jedes Mal einen Suchtrupp losschicken, wenn sich jemand um eine oder zwei Stunden verspätet. Da würden wir die Hälfte unseres Lebens oben auf dem Berg verbringen.“
Der junge Mann nickte und versuchte diese vernünftige Information zu akzeptieren.
Evan klopfte ihm auf die Schulter. „Das Wetter ist gut. Und es sind viele Wanderer unterwegs. Vielleicht wurde sie längst gefunden und jemand fährt sie gerade zur Jugendherberge zurück.“
„Oh, das hoffe ich.“
Er fasste neben Evan tritt und sie stiegen vom Berg ab. Evans Gewissen verlangte von ihm, Bronwen anzurufen und sich sofort mit Paul Upwood auf die Suche nach dessen Freundin zu machen. Er wusste noch, wie verzweifelt er gewesen war, als er mal Bronwen verloren hatte. Doch er musste sich in Erinnerung rufen, dass das nicht mehr seine Aufgabe war. Er war jetzt Zivilfahnder. Wenn die uniformierten Kollegen ihn anforderten, wäre er zur Stelle. Sonst würde er nur wieder jemandem auf die Füße treten und das hatte er eindeutig schon zur Genüge getan, seit er der Truppe beigetreten war.
„Wie wurden Sie getrennt?“ Evan stellte die Frage, die ihn schon eine Weile beschäftigte. Wenn man mit nur einer weiteren Person wandern ging, verlor man sich nicht so einfach aus den Augen. Besonders nicht auf einem kargen, exponierten Berg wie dem Snowdon.
Das Gesicht des jungen Mannes lief hochrot an. „Wir hatten einen kleinen Streit. Sie wandert nicht viel und ich sagte ihr, sie wäre zu langsam. Sie hatte Angst beim Abstieg. Ich fand, dass sie übervorsichtig war. Sie sagte: ‚Schön. Dann geh vor. Warte nicht auf mich.‘ Wir warfen uns gegenseitig ein paar dumme Dinge an den Kopf, dass wir egoistisch seien zum Beispiel, dann ging ich wütend weiter. Nun, ich beruhigte mich recht schnell wieder und bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich sie so behandelt hatte. Also wartete ich auf sie. Als sie nicht auftauchte, ging ich zurück.“
Kein Wunder, dass er so aufgebracht wirkte, dachte Evan. Er hatte nicht nur mit der Sorge um seine Freundin, sondern auch mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen. Er nickte mitfühlend. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht kann ich jemanden schicken, der nach ihr sucht. Ich hoffe, Sie haben ihre Lektion gelernt, was das Zusammenbleiben draußen in der Wildnis angeht.“
„Oh, das habe ich“, sagte der junge Mann. „Ich fühle mich schrecklich. Ich habe ihrer Mutter versprochen, gut auf sie aufzupassen. Sie war von Anfang an dagegen, uns diesen Urlaub machen zu lassen.“
„Wie alt ist Shannon?“
„Siebzehn.“
„Na, das ist doch eine gute Nachricht“, sagte Evan. „Sie ist noch minderjährig. Das macht es leichter, sofort einen Suchtrupp loszuschicken.“
Sie erreichten den Fuß des Hanges und traten auf die Hauptstraße von Llanfair – eigentlich die einzige Straße von Llanfair.
„Wo haben Sie Ihren Wagen geparkt?“, fragte Evan.
„Ich habe keinen Wagen. Wir sind mit dem kleinen Sherpa-Bus zur Jugendherberge gefahren.“
„Dann kommen Sie besser mit zu mir“, sagte er. „Ich werde für Sie im Hauptquartier anrufen, dann wird man einen Streifenwagen schicken.“
„Zu Ihnen?“, Paul wirkte verwirrt. „Dann leben sie gar nicht da oben?“ Sein Blick wanderte hinauf zu dem grauen Steincottage, das auf halber Höhe am Berghang stand.
„Noch nicht. Ich heirate und wir werden dort einziehen.“
„Lieber Sie als ich, Mann“, sagte Paul Upwood. „Ich bin gerne draußen, aber ich hätte keine Lust, jeden Tag nach Feierabend diese Klettertour zu absolvieren.“
Das schien die allgemeine Meinung über das Schäfer-Cottage zu sein, das er und Bronwen gekauft hatten. Ihm schien es ein sehr romantischer Wohnort zu sein, mit der atemberaubenden Aussicht und den soliden Steinmauern. Als Evan jetzt hinaufblickte, hoffte er, sich damit nicht übernommen zu haben.
„Kommen Sie“, sagte er und schob den Gedanken beiseite. „Lassen Sie uns diesen Anruf erledigen, ja?“
Kapitel 2
„Entschuldigen Sie die Verspätung.“ Evan atmete tief durch, als er ins Büro des Bankdirektors geführt wurde.
Er bemerkte, das Bronwens Lippen eine dünne, gerade Linie bildeten – deutlicher würde sie ihre Missbilligung über seine zwanzig Minuten Verspätung nie zum Ausdruck bringen.
„Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.“ Der Bankdirektor deutete auf den Lederstuhl neben Bronwen. „Ich habe bereits ein angenehmes Gespräch mit Ihrer Verlobten geführt. Ich bin Neville Shorecross und mir wurde gesagt, dass Sie Polizist sind, Mr. Evans, was gewiss Ihr verspätetes Eintreffen erklären wird.“
„In der Tat“, sagte Evan. „Ich wollte gerade von zu Hause aufbrechen, als ich einen jungen Kerl beruhigen musste, der seine Freundin verloren hat.“
„Ganz ehrlich, Evan“, sagte Bronwen, „erzähl mir nicht, dass du jetzt die Kummerkastentante spielst.“
„Nein, ich meine, er hat wirklich seine Freundin verloren.“ Evan nahm neben Bronwen Platz. „Sie waren zusammen wandern und wurden getrennt. Er hat sie überall gesucht und konnte sie nicht finden. Er war richtig verzweifelt, also blieb ich bei ihm, bis der Streifenwagen eintraf.“
„Oh je, ich hoffe, ihr ist nichts geschehen“, sagte Neville Shorecross. „Wo genau waren sie wandern?“
„Das Übliche. Zur Spitze des Snowdon und zurück.“
„Wissen Sie zufällig, welchen Weg sie gewählt haben?“
„Es klang so, als seien sie von der Jugendherberge aus über den Pyg Track gegangen, aber für den Abstieg könnten sie auch eine leichtere Strecke gewählt haben. Der Pyg Track ist teilweise ziemlich steil.“
Der Bankdirektor runzelte die Stirn. „Wenn Sie weitere Mitglieder für den Suchtrupp benötigen, trommle ich gerne ein paar meiner Jungs zusammen. Ich leite die hiesige Pfadfindertruppe und wir machen Übungen zur Bergrettung. Wir kennen die Gegend ziemlich gut. Und die Jungs wären begeistert, bei einer echten Suche mitmachen zu dürfen.“
„Danke, das ist sehr freundlich“, sagte Evan. „Ich organisiere die Suche nicht, aber ich gebe die Information gern weiter.“
„Es sind doch Sommerferien“, sagte Bronwen. „Da sind viele Leute am Berg unterwegs. Ich gehe davon aus, dass sie bald gefunden wird.“
„Kann man nur hoffen.“ Shorecross schüttelte den Kopf. „Heutzutage scheint man ständig von Dingen zu lesen, die jungen Mädchen zustoßen können.“ Evan sah ihn interessiert an. Er war der Inbegriff eines Bankdirektors: Ein streng und ordentlich gekleideter, kleiner Mann mit dem Ansatz eines Schnurrbarts. Am kleinen Finger der linken Hand trug er einen Siegelring und in der Brusttasche ein Einstecktuch aus Seide. Aber als Evan sein Gesicht betrachtete, merkte er, dass er nicht besonders alt war. Etwa vierzig vielleicht. Doch er sprach, als gehöre er einer längst vergangenen Zeit an.
„Ja, es gibt einige seltsame Leute in der Gegend, das muss ich Ihnen lassen“, stimmte Evan zu.
„Im Fernsehen läuft zu viel widerliches Zeug“, sagte Shorecross. „Das bringt verdrehte Geister auf ungute Ideen. Selbst unsere Miss Jones hatte kürzlich Probleme mit einem Voyeur.“
„Das hat sie hoffentlich der Polizei gemeldet, oder?“
„Oh, ja. Es waren Beamte bei ihr, aber es ist ihnen nicht gelungen, jemanden zu erwischen. Ich habe einen Verdacht, aber ohne Beweise wäre das nichts als Verunglimpfung, nicht wahr?“ Er blickte auf, plötzlich hatte er einen fröhlichen und geschäftlichen Gesichtsausdruck. „Nun denn. Wir erledigen besser so schnell wie möglich diesen Papierkram, nicht wahr? Nur für den Fall, dass Sie wieder gebraucht werden, Mr. Evans.“
Eine halbe Stunde später führte Mr. Shorecross sie aus seinem Büro. „Ich freue mich darauf, Sie als unsere Kunden willkommen heißen zu dürfen, Mr. und Mrs. Evans in spe. Und darf ich der erste sein, der Ihnen die besten Wünsche für die bevorstehende Hochzeit mit auf den Weg gibt.“
Als sie die Räumlichkeiten der Bank durchquerten, fiel Evan eine attraktive, junge Frau an einem der Schalter auf, die sich angeregt mit einem Kunden unterhielt, während ein junger Mann mit blassem Gesicht und einer Brille mit dickem Rahmen die beiden von seinem Schalter aus misstrauisch beäugte.
Evan hakte sich bei Bronwen ein, als sie in den warmen Sonnenschein hinaustraten. In Caernarfon wimmelte es von Touristen. Sie drängten sich auf den schmalen Bürgersteigen. Manche zogen Kinder mit tropfenden Eiswaffeln hinter sich her, während andere auf den schmalen Straßen auf der Suche nach einem Parkplatz ihre Runden drehten.
„Wirklich jeder scheint Urlaub zu haben, nur wir nicht“, sagte Evan zu Bronwen.
„In zwei Wochen werden wir in der Schweiz unsere Flitterwochen verbringen“, rief Bronwen ihm ins Gedächtnis. „Außerdem ist die Hochzeitsplanung doch genauso gut wie Urlaub, oder?“
„Ganz wundervoll“, sagte Evan emotionslos. „Ich hatte noch nie mehr Spaß.“
Bronwen sah ihn an und lachte. „Bei dir klingt das wie ein Zahnarztbesuch.“
„Es ist bloß etwas überwältigend“, sagte Evan. „Du vergisst, dass du gerade Schulferien hast. Ich versuche, all das hinzubekommen und trotzdem meiner Arbeit gerecht zu werden. Ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen, den Jungen den Streifenpolizisten zu überlassen, die sich kein bisschen für die Sache zu interessieren schienen. Vielleicht rufe ich mal Inspector Watkins an, um zu hören, ob schon ein Suchtrupp unterwegs ist.“
„Denkst du nicht, dass du vielleicht etwas überreagierst?“ Bronwen hakte sich ein, als sie sich durch den stehenden Verkehr zum Castle Square drängten, wo sie den Wagen geparkt hatten. „Ich meine, warum die Eile? Wenn sie sich verlaufen hat, muss sie doch früher oder später jemandem begegnen. Dann kann sie sich den Weg zur Straße zeigen lassen. Sie waren ja nicht klettern, oder? Da ist es unwahrscheinlich, dass sie gestürzt ist und sich schwer verletzt hat.“
„Nein, da hast du wohl recht“, stimmte Evan ihr zu. „Der Junge war nur so besorgt. Sie haben sich gestritten, deshalb fühlte er sich schuldig. Er ist davongestapft, weil sie ihm nicht schnell genug war.“
„Typisch Mann“, murmelte Bronwen. „Dann ist er zurückgegangen, um nach ihr zu suchen, und hat sie nicht gefunden?“
„Anscheinend.“
„Das erklärt alles. Ich vermute, dass sie sich überhaupt nicht verlaufen hat. Sie war wütend auf ihn, deshalb hat sie einen anderen Weg nach unten genommen. Vielleicht hat sie das Wandern sogar aufgegeben und ist mit der Bahn runtergefahren. Vermutlich sitzt sie gerade in einem Café und versinkt in Selbstmitleid.“
Evans Gesichtsausdruck erhellte sich. „Bron, du bist genial. Ich wette, genau so hat es sich abgespielt.“
„Und früher oder später kehrt sie zu ihrer Unterkunft zurück. Sie werden sich umarmen, sich vertragen und dann wird alles vergessen sein.“
„Meinst du, ich sollte im Hauptquartier anrufen, um ihnen zu raten, die Cafés in Llanberis zu überprüfen?“
Sie legte mit Nachdruck eine Hand auf seinen Arm. „Ich würde vorschlagen, dass du gar nichts tust. Das ist nicht dein Problem, oder? Die Zivilfahnder wurden nicht hinzugezogen.“
Evan seufzte. „Du hast recht. Und es ist mein freier Tag.“
„Und wenn wir noch später in den Antiquitätenladen kommen, und meine Anrichte schon verkauft ist, wirst du es mit einer ernsthaft verstimmten Verlobten zu tun haben.“
„Natürlich. Dann auf zur Anrichte!“ Evan nahm ihre Hand und zog sie zwischen zwei Reisebussen hindurch über den Platz.
Der Laden lag in einer schmalen Seitengasse gegenüber der Burg. Von außen sah man nichts Besonderes, aber wenn man mal drinnen war, eröffnete sich eine Fundgrube für Antiquitäten. Es lief leise klassische Musik, die Luft war erfüllt vom Geruch nach altem Holz und Möbelpolitur und die Strahlen der Nachmittagssonne fielen durch ein Flügelfenster herein. Es war, als würde man einen Dickens-Roman betreten.
„Ich wusste nicht einmal, dass dieser Laden existiert“, sagte Evan zu Bronwen, während sie allein herumstanden und auf den Besitzer warteten.
„Na ja, du bist auch nicht gerade jemand, der in seiner Freizeit nach Antiquitäten sucht, oder?“, stichelte Bronwen. „Und außerdem bin ich nur zufällig darüber gestolpert, als eines Tages Regen einsetzte und ich unter dem Vorbau Schutz suchte.“
„Oh je, das spricht nicht gerade für meine Werbekünste, nicht wahr?“ Ein großer, schlanker Mann trat aus den Schatten im hinteren Teil des Ladens. Er wirkte hohlwangig und gebrechlich und trug sein Haar etwas länger, als die Mode es gestattete. Er sprach kultiviertes Englisch, ohne Anzeichen eines walisischen Akzents. „Ich habe ein paar Anzeigen in Zeitungen und den kostenlosen Tourismusbroschüren geschaltet. Aber es dauert wohl noch eine Weile, bis das Geschäft anläuft.“
„Dann haben Sie erst vor Kurzem eröffnet?“, fragte Evan.
„Ich bin im April hergekommen. Das heißt vor vier Monaten. Ich kann nicht behaupten, dass der Laden mittlerweile brummen würde.“
„Sie haben einige schöne Stücke“, sagte Bronwen. „Wenn sich das erst herumspricht, wird es sicher besser laufen.“
Evan fielen einige der Preise auf und er fragte sich im Stillen, ob die Anwohner in Caernarfon und Umgebung so viel Geld für Möbel berappen würden, die sie noch aus den Cottages ihrer Großeltern kannten.
„Ich hoffe es“, sagte der Ladenbesitzer. Er sprach leise und seine Stimme zitterte leicht. „Es war ein Risiko, hierherzukommen. Als ich meine letzte Stelle aufgab, fragte ich mich, was ich in meinem Leben schon immer mal machen wollte. Die Antwort war, einen Antiquitätenladen zu besitzen. Das war schon immer mein Hobby. Na ja, um es kurz zu machen, ich stellte fest, dass ich mir an meinen favorisierten Orten die Ladenmiete nicht leisten konnte – die Costwolds, Devon – viel zu teuer für mich. Dann fand ich heraus, dass Wales günstiger ist. Ich kam her, um mich umzusehen, und fand Gefallen an dem, was ich hier entdeckte.“
„Dann stammen Sie nicht aus Wales?“, fragte Evan.
„Hört man das denn nicht?“ Der Mann lachte. „Ich war als kleiner Junge mal in den Ferien hier. Es hat die ganze, verdammte Zeit geregnet, wenn ich mich recht entsinne.“
„Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier“, sagte Bronwen.
„Solange ich die Sprache nicht lernen muss.“ Er zog eine Grimasse. „Wie ist es überhaupt möglich, mit der Zunge diese ganzen Zisch- und Fauchgeräusche zu machen?“
„Das ist angeboren“, sagte Evan. „Aber man kann hier überleben, ohne Walisisch zu sprechen. Hier wächst jeder zweisprachig auf.“
„Das ist beruhigend.“ Der Mann lächelte. „Ich erkenne die junge Dame natürlich wieder. Sie waren schon mal hier, nicht wahr? Kann ich Ihnen heute mit einem speziellen Anliegen weiterhelfen?“
„Dieses Stück.“ Bronwen ging zu einer hübschen Anrichte mit Tellerbord aus dunklem Eichenholz und streichelte sie liebevoll. Evan beobachtete sie besorgt. Er wusste nicht viel vom Handeln, aber die oberste Regel war es, nicht zu zeigen, wie sehr man einen Gegenstand haben wollte. Bronwen schmachtete die Anrichte beinahe an.
„Wir werden heiraten und in ein restauriertes Schäfer-Cottage ziehen“, sagte Bronwen. „Die hier würde perfekt in unsere Küche passen.“
„Ganz ausgezeichnet“, sagte der Mann. „Ein restauriertes Schäfer-Cottage. Das klingt toll. Werden solche Häuser häufig angeboten? Ich muss mich zurzeit mit der Wohnung über dem Laden zufriedengeben.“
„Ich glaube nicht“, sagte Evan. „Wir hatten das Glück, das Haus nach einem Brand günstig von der Versicherung kaufen zu können. Aber die Cottages der Bergarbeiter in den Dörfern stehen immer mal wieder zum Verkauf.“
„Vortrefflich. Wenn ich den Laden zum Laufen bekomme, werde ich mir mein eigenes Haus kaufen wollen. Ich hasse es, Miete zu zahlen.“
„Genau das hat Bronwen mir auch gesagt“, sagte Evan.
Der Mann wandte sich abrupt zu Bronwen um. „Bronwen? Was für ein schöner Name.“
„Bronwen errötete. „Für Wales recht gewöhnlich.“
„Er passt perfekt zu Ihnen.“ Er lächelte sie an.
„Denken Sie, Sie könnten für eine Frau mit einem hübschen Namen, die bald heiraten wird, etwas mit dem Preis runtergehen?“, fragte Bronwen ihn mit süßlicher Stimme. „Ich fürchte, der sprengt im Augenblick ein wenig unser Budget.“
Evan sah sie beeindruck an. Er hätte nie gedacht, dass Bronwen die Waffen einer Frau zu führen wusste. Der Mann lächelte jetzt verlegen und murmelte: „Ich bin mir sicher, holde Dame, dass wir da in dieser verheißungsvollen Zeit etwas tun können.“
„Mr. Cartwright ist nett, findest du nicht auch?“, fragte Bronwen, als sie wieder den Castle Square überquerten. „Stets freundlich.“
„Ich könnte bestimmt auch freundlich sein, wenn mir jemand für einen Nachmittag so viel Geld in die Hand drücken würde“, sagte Evan.
„Aber du musst doch zugeben, dass er uns beim Verhandeln deutlich entgegengekommen ist.“
„Du meinst, als du deinen weiblichen Charme ausgespielt hast.“
„Weiblicher Charme?“ Bronwen klang gereizt. „Ich war bloß freundlich.“
„Du warst kurz davor, mit den Wimpern zu klimpern.“
„War ich nicht! Du übertreibst.“
Evan grinste.
Bronwen musste ebenfalls lächeln. „Na ja, wie auch immer. Es hat funktioniert, oder?“
„Die Anrichte war immer noch verdammt teuer“, sagte Evan. „Ich hatte keine Ahnung, dass man für Möbel so viel Geld ausgeben kann.“
„Aber es ist ein besonderes Stück, Evan. Ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte und es ist in einem traumhaften Zustand.“
„Meine Nain hatte so eine in ihrer Küche stehen“, sagte er. „Ich bin mir sicher, dass sie nach ihrem Tod als Sperrmüll entsorgt wurde.“
„Das ist mit den meisten dieser Möbelstücke geschehen“, sagte Bronwen. „Zum Glück wissen wir die alten Sachen mittlerweile wieder zu schätzen. Als nächstes möchte ich noch ein Messingbettgestell finden, und eine antike, walisische Steppdecke dafür.“
„Moment mal“, stammelte Evan. „Ich weiß, dass wir bei der Bank gerade einen Dispokredit abgeschlossen haben, aber das heißt nicht, dass wir ihn gleich voll ausschöpfen müssen.“
„Es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Mummy gibt uns etwas Geld, um das Haus einzurichten.“
Evan runzelte die Stirn. „Du weißt, dass ich nicht gerne Geld von deinen Eltern annehme. Erst reißen sie unsere Hochzeit an sich und jetzt richten sie anscheinend auch noch unser Haus ein.“
Bronwen blieb stehen und wandte sich zu ihm. Sie nahm seine Hände. „Sie können es sich leisten, Evan, und es macht meiner Mummy Freude. Sie ist so glücklich, dass ihre Tochter, die sie für eine völlige Versagerin hält, doch nicht als alte Jungfer enden wird.“
Evan bemerkte den verbitterten Unterton. Er legte ihr einen Arm um die Schultern. „Wenn es dich glücklich macht, das Cottage so einzurichten, wie es dir gefällt, werde ich kein Wort mehr darüber verlieren“, sagte er.
Sie wand sich aus seiner Umarmung. „Wie würdest du es denn gern einrichten? Mit einem durchgesessenen Sessel und ein paar Lattenkisten, auf denen du den Fernseher und dein Bier abstellen kannst?“
„Klingt perfekt.“ Er lachte und beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben.
Bronwen sah zu ihm auf. „Es wird schön werden, Evan. Das Cottage wird ein perfektes, kleines Zuhause. Und wir werden eine wundervolle Hochzeit feiern, fantastische Flitterwochen erleben und alles wird absolut phänomenal.“