Leseprobe Trügerische Idylle

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„Lotte!“ Ein wildes Pochen gegen die Haustür folgte dem aufgeregten Ruf. „Lotte! Nun mach schon auf! Wo steckst du denn bloß um diese frühe Zeit?“

Die rundliche, von der Anstrengung leicht schwitzende Frau fischte in ihrer Handtasche nach einem karierten Stofftaschentuch und wischte sich über die Stirn. „Wo steckt sie denn bloß?“, murmelte sie kopfschüttelnd. Nach kurzer Überlegung stapfte die ältere Dame schließlich entschlossen zu der kleinen Gartenbank im Vorgarten, wo sie sich mit einem lauten Seufzer, ihren immer präsenten Regenschirm an die Lehne hängend, niederließ. Das bedrohliche Knarren der Holzbank beachtete sie nicht weiter. Sie zog die karierte Wolldecke aus der Holzkiste neben der Bank und legte sie sich über die Schultern. Es war Ende September und bereits empfindlich kalt am Morgen. Kurz darauf nickte sie, das Kinn auf den voluminösen Busen gestützt, ein.

 

Lotte Meisner genoss den frühen Spaziergang, der sie an dem ausladenden Weinfeld entlangführte, an dem ihr Häuschen lag. Da sich ihr kleines Domizil am Rande des Weindorfes Ganzenheim befand, konnte sie sich jeden Tag an dem herrlichen Blick auf die in akkuraten Reihen aufgestellten Weinreben erfreuen. Nichts ließ einen den Verlauf der Jahreszeiten besser erkennen als der Stand der Weintrauben, davon war Lotte überzeugt. Die meisten Trauben waren abgeerntet und die ersten Blätter lagen auf dem Boden. Der Herbst hielt Einzug, eine Jahreszeit, die sie überaus mochte. Auch wenn sie eigentlich gebürtig aus Augsburg stammte, wo man eher Kastanienbäume in Biergärten anstatt Weinreben zu Gesicht bekam, fühlte sie sich in der Vorderpfalz ausgesprochen wohl. Nach mittlerweile fast sechzig Jahren in Ganzenheim war es ihr um einiges vertrauter als die alte Heimat.

Trotz ihrer achtundsiebzig Lenze bewegte sich die Rentnerin flotten Schrittes und genoss die kühle Luft des frühen Herbstmorgens. Ihr geliebter knallgelber Filzhut sorgte für ein wenig Wärme. Ohne Hut aus dem Haus zu gehen würde Lotte nie einfallen und so hatte sie mittlerweile eine ganz beachtliche Sammlung an unterschiedlichsten Modellen zusammengetragen. Selbst ihr frühmorgendlicher Spaziergang forderte ein passendes Exemplar auf den stahlgrauen kurzen Locken.

Ein plötzliches Rascheln im Feld ließ sie innehalten.

„Käthe, mein Mädchen, wo steckst du denn?“ Mit fest zusammengekniffenen Augen, um besser sehen zu können, schweifte ihr Blick zwischen den immer noch dicht bewachsenen Weinreben umher, bis sie endlich entdeckte, was sie suchte. Ein lauter Seufzer entfuhr ihr.

„Käthe, pfui. Lässt du das wohl bleiben!“, schimpfte sie. Wohl wissend, dass ihre Aufforderung nichts nutzen würde, stapfte sie zwischen die Pflanzen. Am Boden wuchsen unterschiedliche Feldblumen, doch der Tau des frühen Morgens sorgte dafür, dass vor allem etliche Lehmbatzen an ihren Schuhen kleben blieben. Endlich erreichte sie ihr Ziel. Ein schwarzbehaarter runder Hintern mit einem kurzen Stummelschwänzchen, das Lotte liebevoll Bürzelchen nannte, schaute ihr entgegen. Der Vorderteil des Tieres war zu einem großen Teil in einem Loch versteckt, das heftig scharrende Pfoten in die weiche Erde gruben.

„Was treibst du denn schon wieder?“

Die Arme in die Hüften gestemmt betrachtete Lotte kurz das wild buddelnde Tier. Dann beugte sie sich hinab, griff nach dem roten Halsband und zog fest daran. Zwei pechschwarze Augen in einem kugelrunden und mit Erde übersäten Kopf starrten sie empört an. Ein stehendes und ein hängendes Ohr gaben der Hündin das für sie typische komische Aussehen, doch Lotte hatte dafür im Moment kein Auge. Sie betrachtete ihre französische Bulldoggendame kopfschüttelnd.

„Wie du wieder aussiehst!“

Mit einer Hand das Halsband haltend versuchte sie vergeblich, die Erdreste von Käthes Kopf zu wischen.

„Du weißt doch genau, dass die Mäuschen schneller sind als du!“

Ihre haarige Gefährtin schien den Vorwurf zu ignorieren und wand sich, um dem eisernen Griff ihres Frauchens zu entgehen.

„Nichts da, meine Liebe! Du kommst jetzt mit mir nach Hause und dann gibt es eine Dusche aus dem Gartenschlauch!“

Käthe schnaubte laut, was Lotte als Missfallen interpretierte. Sie wusste, dass ihre Bullydame Duschen hasste.

„Das hast du dir ganz alleine zuzuschreiben!“, antwortete Lotte und zog das Tier mit sich. Am Weinfeldrand angekommen ließ sie ihre Gefährtin endlich los. Nach einem bedauernden Blick zurück und einem strengen Ruf ihres Frauchens bequemte sich Käthe schließlich dazu, dieser zu ihrem Heim zu folgen.

„Nanu, warum ist denn das Gartentürchen offen?“

Lotte hielt inne. Nur zwanzig Meter trennten sie von ihrem Haus. Kurz kamen ihr die Geschehnisse um Ostern in den Sinn, als mysteriöse Todesfälle im Ganzenheimer Kirchenchor, in dem sie seit vielen Jahren Mitglied war, die Ruhe der kleinen Weingemeinde erschüttert hatten. Der Täter saß jedoch inzwischen im Gefängnis und so sollte von diesem keine Gefahr mehr ausgehen. Dennoch verlangsamte Lotte ihren Schritt, als sie auf ihr Domizil zuging.

Unvermittelt schoss Käthe nach vorne und der alten Frau gelang es nicht, sie noch rechtzeitig zu greifen. Es half alles nichts, sie musste hinterher. Eine Hand am Gartentürchen, erblickte sie auch schon den Besucher. Oder vielmehr die Besucherin, die gerade unsanft aus ihrem Nickerchen geweckt wurde. Erdig verklebte Pfoten sprangen die Frau freudig an und hinterließen dunkle Abdrücke auf dem wadenlangen grauen Wollrock der Rentnerin.

„Igitt, Käthe! Lass das!“, schimpfte diese mit der Hündin und versuchte, das hüpfende Fellbündel von sich abzuhalten, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Amüsiert beobachtete Lotte die Szene kurz, entschied sich dann aber, ihrer Freundin zur Hilfe zu eilen.

„Käthe, hierher!“ Nach einem letzten Hüpfer ließ sich die Bullydame dazu bewegen, sich brav an die Seite ihres Frauchens zu setzen. Nur das stetig wedelnde Bürzelchen zeigte ihre Aufregung noch an.

„Nun schau dir einmal diese Sauerei an!“ Ihre Besucherin schnappte sich wieder ihr Taschentuch und rieb wild an den feuchten Flecken. Dass sie den Dreck damit eher verteilte, schien sie nicht zu stören.

„Lass gut sein, Agnes. Den musst du eh waschen“, sagte Lotte und ging auf ihre betagte Freundin zu. Nach einer kurzen Umarmung betrachtete sie diese neugierig. „Sag, was führt dich denn in aller Herrgottsfrüh hierher?“

Ein Leuchten in Agnes’ Augen verriet ihr, dass ausgesprochen besondere Neuigkeiten auf sie warteten.

„Du wirst es nicht glauben, Lotte! Es ist einfach unfassbar! So was ist mir wirklich noch nie passiert!“ Die Rentnerin sprach so schnell, dass sie sich beinahe verhaspelte.

„Jetzt mach mal langsam, Agnes. Man versteht ja kein Wort. Was ist dir denn passiert?“

Ihr Gegenüber holte tief Luft, dann griff sie in ihre Handtasche und zog einen leicht zerknitterten Briefumschlag im Din-A4-Format hervor, mit dem sie mit vor Aufregung geröteten Wangen vor Lottes Nase in der Luft wedelte.

„Weißt du, was das ist?“

Lotte seufzte. „Agnes, woher soll ich denn bitte wissen können, was das ist? Ein Brief halt, was sonst?“

Die rundliche Dame nickte wissend und drückte sich den Umschlag an die Brust.

„Jetzt mach es halt nicht ganz so spannend, Agnes.“ Lottes Tonfall wurde etwas schärfer. Sie hätte im Moment eigentlich lieber in Ruhe ein Tässchen Kaffee auf ihrer Gartenbank genossen, als Rätselraten zu spielen.

„Ist ja schon gut, du alte Spielverderberin“, erwiderte ihre Freundin leicht schmollend. Es dauerte aber nicht lange, da hellte sich ihr Gesicht auch schon wieder auf. „Ich verrate es dir auch so!“

Nach einer weiteren kleinen Kunstpause, abermals begleitet von einem Stirnrunzeln von Lotte, holte sie aus: „Ich, Agnes Stein, habe den Hauptpreis gewonnen!“ Ihr rundliches, trotz der fünfundsiebzig Jahre fast faltenfreies Gesicht strahlte.

„Den Hauptpreis? Was denn für einen Hauptpreis?“

„Na, den Hauptpreis halt!“ Wieder wurde mit dem Umschlag in der Luft gewedelt.

„Ja aber was für ein Preisausschreiben war das denn? Das von der Fernsehzeitschrift?

„Lotte, das ist doch vollkommen egal, was für ein Preisausschreiben das war. Viel wichtiger ist doch, dass ich den Hauptpreis gewonnen habe!“

Agnes schien ein wenig ungeduldig zu werden und so erbarmte sich Lotte und fragte: „Und was genau hast du gewonnen?“

Ihr Gegenüber strahlte. „Halt dich fest! Das glaubst du nicht!“

Lotte seufzte. Auf diesem Weg kam sie offensichtlich nicht weiter. Mit einer schnellen Bewegung schnappte sie sich den Umschlag aus der Hand ihrer Freundin und öffnete ihn.

Chalet Jagdgrund: Hier werden Ihre Träume wahr“, las Lotte laut den Titel des Hochglanzprospekts vor. Fragend blickte sie Agnes an, die heftig nickte.

„Eine Reise, Lotte, ich habe eine Reise gewonnen!“

Lotte studierte die Vorderseite des Prospekts. Im Hintergrund war ein Hotel zu sehen, das trotz seines ländlichen Charmes einen durchaus luxuriösen Eindruck machte. Umrandet wurde das Anwesen durch Bäume. Sie musste zugeben, dass das Haus sehr ansprechend aussah. Ihr Blick fiel auf die dick eingefasste Box im unteren rechten Eck.

Ihr Hauptgewinn: Lassen Sie sich im Chalet Jagdgrund von unserem eingespielten Team verwöhnen. Ein Bus der Luxusklasse holt Sie am kommenden Freitag am Dorfplatz ab und chauffiert Sie zu einem ganz außergewöhnlichen Anwesen: dem Chalet Jagdgrund. Traumhaft gelegen im zauberhaften Pfälzerwald genießen Sie vor Ort gesellige Spaziergänge, einen gemütlichen Ausflug mit Kaffee und Kuchen sowie exklusive Angebote, die nur für Sie gelten. Zwei Nächte im Zimmer der Luxuskategorie sowie Vollpension sind in diesem Angebot selbstverständlich enthalten. Gegen eine kleine Gebühr von 99 Euro gehört dieses Sonderangebot Ihnen …

Ein heftiger Nieser ihres Gegenübers unterbrach Lottes Ausführungen. Nach wildem Wischen mit dem Stofftaschentuch bedeutete Agnes ihr fortzufahren. Lotte drehte das Hochglanzprospekt um. Sie brauchte einen Moment, um sich auf der Seite mit den vielen bunten Bildern zu orientieren. Fett gedruckte Worte wie Exklusiv – nur für Sie und Einmalige Gelegenheit umrahmten Fotos von Hautcremetiegeln und Heizdecken in altmodischer Blümchenoptik. In der Mitte der Seite blitzte ein goldener Ring den Leser an.

Supersonderangebot – der Real Love-Ring, aus 18 Karat Gelbgold mit herzförmigen blauen Diamanten besetzt, für nur 399 Euro anstelle des offiziellen Verkaufswertes von 2999 Euro.

Begriffe wie Sie Glückspilz und Wahnsinnsangebot umrandeten das Schmuckstück.

Lotte ließ das Prospekt sinken und blickte Agnes an, die sie mit großen, erwartungsvollen Augen ansah.

„Du willst mir aber jetzt nicht sagen, dass du da hinfahren willst?“

Agnes stutzte. „Ja hast du denn nicht gelesen, dass ich den Hauptpreis gewonnen habe?“

„Ein Hauptpreis für den du“, Lotte studierte abermals die Vorderseite, „erst mal 99 Euro hinlegen musst, damit du überhaupt mitfahren darfst!“

Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. „Das ist doch egal! Schau dir mal das Hotel an. So was Luxuriöses habe ich noch nie gesehen, geschweige denn mal darin übernachtet. Und es sind immerhin zwei Übernachtungen mit Vollpension, Lotte, und ein gemeinsamer Ausflug mit Kaffee und Kuchen. Da sind 99 Euro doch gar nichts.“

„Ich weiß nicht, Agnes. Mir kommt das nicht ganz geheuer vor. Und dann diese ganzen“, sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, „Supersonderangebote auf der Rückseite.“

„Oh ja, das ist der Wahnsinn, oder? So viele Schnäppchen, die man da machen kann. Das ist ja wie im Paradies!“, schwärmte Agnes.

Lotte schüttelte den Kopf. „Kommt dir das nicht ein wenig komisch vor? Ein Hauptgewinn, für den du Geld zahlen musst? Die ganzen angeblich exklusiven Angebote?“

Schnaubend erhob sich ihr Gegenüber von der Sitzbank, die abermals beträchtlich knarzte. „Du bist doch nur neidisch, Lotte, dass ich diesen Hauptgewinn bekommen habe! Neid steht dir nicht gut zu Gesicht!“

Die Rentnerin schnappte sich das Hochglanzprospekt und stapfte in Richtung Gartentür.

Lotte seufzte. „Warte, Agnes. Sei doch nicht gleich eingeschnappt.“

Die rundliche Dame drehte sich um. „Ich dachte, du freust dich mit mir. Aber stattdessen willst du mir den Gewinn madig machen.“ Nach ein paar weiteren Schritten öffnete sie das Holztürchen, das auf den Feldweg hinausführte, und watschelte davon.

Lotte ließ sich auf die Gartenbank plumpsen. Stimmte es, was ihre Freundin gesagt hatte? War sie wirklich eifersüchtig? Die kurzen grauen Locken wippten, als sie heftig den Kopf schüttelte, der Filzhut wackelte dabei bedrohlich. Nein, sie hatte einfach ein ungutes Gefühl bei der Sache. Immer wieder las man von Betrügern, die es speziell auf Senioren abgesehen hatten, und Lotte war überzeugt, dass an diesem Supersonderangebot etwas ganz gewaltig faul war. Aber wie konnte sie Agnes davon überzeugen, ohne diese in ihrem Glauben zu bestärken, dass sie ihr den Erfolg nicht gönnte?

Grübelnd saß sie noch eine Weile auf der Bank, doch so recht wollte ihr keine Lösung einfallen. Erst als Käthe an ihr hochhüpfte und ihren dreckverkrusteten Kopf auf ihren Schoß legte, verscheuchte sie die Gedanken und entschied, sich der Säuberung des kleinen Fellbündels zu widmen.

„Bleib stehen, du Dreckspatz. Ich erwisch dich schon noch!“, rief Lotte kurze Zeit später der Bullydame hinterher, die wie vom wilden Hafer gestochen um sie herumwetzte, um dem kalten Wasserstrahl des Gartenschlauchs zu entgehen. Am Ende war die alte Dame mindestens genauso nass wie Käthe und musste sich erst mal umziehen, bevor sie zu ihrem wöchentlichen Einkauf aufbrechen konnte.

Den roten Trolley mit den weißen Punkten hinter sich herziehend machte sich Lotte auf den Weg hinauf ins Dorfzentrum. Anstelle des gelben Filzhuts, der bei der Duschaktion nass geworden war, trug sie nun ein kleineres blaues Exemplar mit weißer Feder auf dem Kopf. Käthe folgte ausgesprochen brav an ihrer Seite und die alte Dame schmunzelte, als sie dies bemerkte.

Was so eine kalte Dusche doch ausrichtet!

Ein leerstehendes Haus am Ende der Straße ließ sie kurz stehen bleiben. Trauer legte sich wie ein enges Band um ihren Brustkorb, wie immer, wenn sie hier vorbeikam. Hier hatte Magda gewohnt, die vor ein paar Monaten gestorben war. Lotte konnte sich gut daran erinnern, wie sie ihre Freundin gefunden hatte. Käthe hatte ihr durch lautes Bellen – was für die Bullydame äußerst ungewöhnlich war – angezeigt, dass etwas nicht stimmte, und so war sie kurzerhand durch das nur angelehnte Küchenfenster eingestiegen.

Lotte ließ ihre faltige Hand kurz auf dem Gartentürchen verweilen, so wie sie es früher jeden Morgen gemacht hatte, wenn sie mit Magda geplauscht hatte. Genau wie sie war diese eine Frühaufsteherin gewesen, die in ihrem Garten immer etwas zu tun gefunden hatte, und so war Lotte immer gerne auf ihren Spaziergängen vorbeigekommen.

Mit einem leisen Seufzer und einem „Gott sei ihrer Seele gnädig“ wandte sie sich ab. Der Weg führte sie viele Treppenstufen hinauf in Richtung des Dorfplatzes, der vor der Kirche lag, doch die Anstrengung machte ihr nichts aus. Die Spitze des Kirchturms war schon von unten aus gut zu sehen und je höher sie kam, desto mehr konnte sie von dem imposanten, aus rotem Sandstein erbauten Gotteshaus erkennen. Hier probte der Kirchenchor, der zur Ostermesse vor ein paar Monaten sogar einen Fernsehauftritt gehabt hatte. Es war ein herrliches Fest gewesen, das die Gemeinde im Anschluss gefeiert hatte. Auch wenn die Umstände davor alles andere als schön waren, dachte Lotte. Abermals kamen ihr die Todesfälle in den Sinn, die es im Vorfeld des Chorauftrittes gegeben hatte, und sie bekreuzigte sich schnell. Käthe war, wie immer wenn sie zum Dorfplatz gingen, bereits am Brunnen und schlabberte genüsslich Wasser.

„Komm, Käthchen. Wir müssen einkaufen“, rief Lotte ihrer Bullydame zu und wandte sich in Richtung der Häuserzeile am Rande des Dorfplatzes. Das Haus, in dem Dr. Lohe, der Dorfarzt, seine Praxis hatte, lag praktischerweise direkt neben der Apotheke, die wiederum an die Dorfmetzgerei anschloss. Metzgerei Schirrach stand in dicken schwarzen Lettern über dem Eingang, der von einer modernen automatischen Schiebetür verschlossen wurde. Zur Freude der Ganzenheimer Senioren führte die Dorfmetzgerei auch allerlei Dinge, die man für das tägliche Leben brauchte. Von Zahnpasta bis zum Klopapier wurde man dort fündig. Eine Bäckerei aus dem Nachbarort vervollständigte mit ihren Leckereien das Sortiment.

Lotte blieb an der Laterne vor dem Eingang stehen und blickte auf ihre Bullydame hinab. „Du bleibst hier sitzen, Käthe!“, sagte sie streng. „Du weißt doch, dass der Beni dich nicht in seinem Laden sehen will!“

Ein treuherziger Blick, der anzudeuten schien, dass die Hündin keine Ahnung hatte, weshalb sie in der Metzgerei unerwünscht war, antwortete ihr.

„Wer’s glaubt, wird seelig! Was du dir schon alles da drinnen geleistet hast …“ Kopfschüttelnd setzte sich Lotte in Bewegung. Beinahe lautlos glitten die Automatiktüren auseinander und kühle Luft mit dem unverwechselbaren Aroma von Gegrilltem und frischen Backwaren empfing sie im Inneren. Ein kurzes Blinzeln half ihr, sich nach dem hellen Sonnenlicht an die etwas dunklere Innenbeleuchtung zu gewöhnen, und sie bemerkte den Metzger, der einen argwöhnischen Blick über ihre Schulter warf.

„Keine Sorge, Beni. Die Käthe sitzt ganz brav draußen an der Laterne.“ Ein Nicken mit dem Kinn in Richtung der Hündin schien den großgewachsenen Mann zu beruhigen.

„Guten Morgen, Lotte. Du weißt, ich hab ja eigentlich gar nichts gegen das Vieh, äh, ich meine gegen deine Käthe. Aber was die sich hier schon geleistet hat! Wenn ich da nur an die Sache mit den Schnitzeln denke …“

„Schon gut, Beni“, unterbrach ihn Lotte schnell. Sie erinnerte sich ungern an die Sauerei, die ihre Bullydame vor ein paar Wochen angestellt hatte. Irgendwie war sie in die Wurstküche geraten, und das ausgerechnet am Mittwoch, dem Schnitzeltag. Dort hatte sie es geschafft, sich den kompletten Inhalt der zum Panieren der Schnitzel bereitgestellten Schüsseln über den Kopf zu schütten. Eine klebrige Mischung aus Eiern, Mehl und Semmelbröseln war von ihrem Fell getropft und hatte eine Spur quer durch halb Ganzenheim bis zu ihrem Haus hinterlassen.

„Ist die Luise nicht da?“, fragt Lotte und versuchte nun ihrerseits, über seine Schulter zu blicken, was ihr aufgrund der gut 1,85 m ihres Gegenübers nicht gelang. Luise Schirrach war eine Chorkollegin und trotz ihrem Hang zu Ratsch und Tratsch mochte Lotte sie gerne.

„Doch, die Mama ist da. Die ist hinten in der Wurstküche.“ Ein breites Grinsen umspielte seinen Mund. „Und die wird es gar nicht erwarten können, dich zu sehen!“

„Wieso das denn?“, fragte Lotte erstaunt.

„Das wirst du gleich sehen.“

Er wandte sich um und drückte mit einer Hand gegen die Schwingtür zum hinteren Teil der Metzgerei. „Maaaaama! Die Lotte ist …“

Weiter kam er nicht und er musste sich beeilen, schnell aus dem Weg zu springen, als die Tür mit Schwung von innen aufgedrückt wurde. Das rote Gesicht noch röter als sonst watschelte die betagte Metzgersfrau mit bedrohlich wackelndem Doppelkinn um den Tresen herum. Gerade setzte sie an zu sprechen, da blickte sie sich plötzlich um.

„Wo ist denn der arme magere Schatz?“

Just in dem Moment erspähte sie Käthe, die brav am Laternenpfosten saß.

„Na, so geht das aber nicht! Das feine Käthelein einfach da draußen sitzen zu lassen. Wo gibts denn so was?“ Nach einer Handbewegung in Richtung Automatiktür, was selbige zum Auseinandergleiten veranlasste, rief sie laut: „Käthchen, komm her, mein Schatz!“

Das ließ sich diese nicht zweimal sagen und sprintete in den Innenraum, wo sie von Luise Schirrach ausgiebig geherzt wurde.

„Feiner Schatz, ja, so ein feiner Schatz.“

Käthe schnupperte aufgeregt an den rauen Händen der Metzgersfrau, in denen sie sich ein Leckerli erhoffte. Diese lachte laut auf und stapfte hinter den Tresen, wo sie ihr Sohn böse ansah.

„Mutter, du weißt doch, dass ich dieses Vieh …“

„Nun halt aber mal die Luft an, Beni“, fuhr ihm die rüstige Dame über den Mund. „Solange ich hier noch irgendwas zu sagen habe, darf dieses Vieh, wie du es nennst, jederzeit in den Laden.“

Mit einem liebevollen Blick auf Käthe, die ihr wiederum fasziniert dabei zusah, wie sie ein dickes Stück von der Fleischwurst abschnitt, sagte sie: „Schau sie dir doch bloß an, den armen mageren Schatz. Die hat doch bestimmt Hunger.“ Ein lautes Schmatzen ertönte augenblicklich, als die Wurst bei Käthe landete. Mit wohlwollendem Blick beobachtete Luise ihren Schützling bei dem Mahl. Dann drehte sie sich wieder zu ihrem Sohn um und fuhr fort: „Du solltest im Übrigen ganz ruhig sein, Beni. Schließlich nehme ich dich ja mit zu meinem Hauptgewinn!“ Das letzte Wort sprach sie um einige Nuancen lauter aus als den Rest und ihr Blick richtete sich dabei erwartungsvoll auf Lotte. Während sie in der riesigen Tasche ihrer Schürze nach etwas wühlte, verkündete sie stolz: „Stell dir vor, meine Liebe, ich habe den Hauptpreis gewonnen!“

Lotte schwante Böses. „Den Hauptpreis? Jetzt sag bloß nicht, du fährst in das Chalet Dingsbums, wie hieß denn das noch gleich?“

„Ins Chalet Jagdgrund, ganz recht.“ Verblüfft sah Luise ihr Gegenüber an und hielt ihr ein Hochglanzprospekt vor die Nase. „Woher weißt du das? Hat sich mein Gewinn etwa schon rumgesprochen?“

Lotte schüttelte den Kopf. „Nein, Luise. Aber just diesen Morgen kam Agnes zu mir“, sie nickte in Richtung des Prospekts, „mit eben diesem sogenannten Hauptgewinn.“

Die alte Metzgersfrau zog die Stirn kraus, der Mund über dem leicht behaarten Kinn blieb offen stehen.

„Es tut mir leid, Luise. Aber wie ich Agnes schon gesagt habe, glaube ich nicht, dass das ein seriöses Angebot ist.“

Die Metzgersfrau schien sich wieder ein wenig gefangen zu haben. Ihre Stimme klang deutlich fester als noch kurz zuvor. „Nein, Lotte, du musst dich täuschen. Schau dir doch mal die Qualität von diesem Prospekt an!“ Sie drehte und wendete das beidseitig bedruckte Blatt vor Lottes Nase.

„Ich habe es mir schon angesehen. Das kannst du mir glauben.“

Luise überlegte kurz, dann hellte sich ihr Gesicht auf. „Na, das ist doch fantastisch! Zwei Hauptgewinne in Ganzenheim. Wer hätte das jemals für möglich gehalten! Ist doch schön, wenn die Agnes auch mitfährt. So kenne ich wenigstens jemanden auf der Fahrt.“

Ein Räuspern des Metzgers unterbrach sie.

„Ach so, na, außer dich natürlich, mein großer Schatz.“ Lotte war sich kurz nicht sicher, ob Luise von Käthe oder ihrem ausgewachsenen Sohn sprach, doch das Strahlen in Benedikt Schirrachs Augen verriet ihr die Antwort.

„Das wird eine schöne Zeit, Mama! Wir beide in einem Luxushotel und der Papa schmeißt in der Zwischenzeit den Laden.“ Er strahlte übers ganze Gesicht.

„Ja, Bub, ich freu mich auch schon sehr!“

Lotte schüttelte den Kopf ob so viel Unvernunft. Verstand denn niemand, was hier vor sich ging? Wie konnte sie den Leuten nur begreiflich machen, dass etwas faul war an der Fahrt?

„Fährst du eigentlich auch mit?“, unterbrach die Stimme der Metzgersfrau ihre Gedanken.

„Ich? Mit ins Chalet? Wie kommst du denn da drauf? Ich habe ja schließlich keinen Brief erhalten.“ Und wenn, würde ich ganz bestimmt nicht mitfahren, fügte Lotte innerlich hinzu.

„Na, da steht doch im Kleingedruckten, dass man eine Person seiner Wahl mitbringen darf. Deshalb kann ja auch mein Beni mitkommen. Und da die Agnes und du dicke Freundinnen seid, dachte ich …“

Lotte zog die Stirn kraus. Das musste sie übersehen haben. Sie schüttelte abermals den Kopf.

„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich kann euch auch nur raten, seid vorsichtig! Das mit den Supersonderangeboten kommt mir komisch vor.“

„Das ist schon der Wahnsinn“, erwiderte Luise. „Ein Diamantring in Herzform, zu dem Preis!“, schwärmte sie weiter. Plötzlich hielt sie jedoch kurz inne und fragte argwöhnisch: „Den will sich die Agnes aber nicht auch holen, oder?“ Etwas schnippischer fügte sie noch hinzu: „Der würde ihr ja auch gar nicht stehen.“

Lotte zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich hoffe nicht, Luise. Und ich hoffe auch, dass du schlau genug bist, die Finger von diesem Kruscht zu lassen.“

„Kruscht? Es handelt sich hier immerhin um so einen echten Liebesring. Wie hieß der nochmal?“ Luise kniff die Augen zusammen und las laut vor: „Real Love-Ring“, wobei sie das R jedes Mal deutlich rollte und das Ganze wie Rial Laf-Ring aussprach. Sichtlich beeindruckt ließ sie das Prospekt sinken.

Lotte verstand die Welt nicht mehr. Kaum lasen die Leute Supersonderangebot oder irgendwelche edel klingenden Fantasiebezeichnungen wie Real Love-Ring und schon waren sie hin und weg. Ein Blick in das verzückte Gesicht ihrer Gesprächspartnerin und das von deren Sohn zeigte ihr, dass sie keine Chance mit ihren Argumenten hatte. So wandte sie sich dem Metzger zu und gab ihm wortlos ihre Einkaufsliste. Luise, die kurz etwas beleidigt dreinschaute, erblickte in diesem Moment zwei weitere Dorfbewohner vor der Schaufensterscheibe und lief, das Prospekt mit einer Hand wedelnd, nach draußen: „Schaut mal, was ich gewonnen habe!“, war alles, was Lotte verstehen konnte, bis sich die Automatiktüren wieder schlossen.

Ihren Einkauf sicher im Trolley verstaut verließ sie mit einer sich zunächst leicht sträubenden Käthe die Metzgerei und ging an Luise, die mittlerweile eine beachtliche Menge Menschen um sich geschart hatte, vorbei in Richtung Treppenabgang. Sie achtete gar nicht darauf, dass ihr Trolley bei jeder Treppenstufe wild auf und ab hüpfte – trotz der Schachtel Eier, die sie im Inneren des Gefährtes verstaut hatte. Zu sehr war sie in Gedanken mit der Frage beschäftigt, wie es ihr gelingen könnte, Agnes und Luise von der Fahrt abzubringen. Um die Metzgersfrau machte sie sich keine großen Sorgen. Diese war resolut genug, um sich durchzusetzen. Außerdem hatte sie ja ihren Sohn mit dabei. Agnes wiederum war ein herzensguter, aber leider auch leichtgläubiger Mensch, der ihrer Ansicht nach leicht zu beeinflussen war. Lotte liebte ihre Freundin, doch manchmal war deren Naivität im Hinblick auf manche Dinge selbst für sie zu viel. Nein, sie musste unbedingt verhindern, dass Agnes diese Fahrt antrat. Am Treppenende angekommen fiel ihr Blick abermals auf Magdas Haus und sie spürte wieder die altbekannte Trauer in sich aufsteigen. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich am Bett ihrer Freundin sitzen, die eiskalte Hand haltend, als Hauptkommissar Gruber eintrat und … Das ist es, durchzuckte Lotte ein Gedanke. Sie musste nur den großgewachsenen Polizeibeamten anrufen und ihm von den üblen Machenschaften mit den Hochglanzprospekten berichten. Er würde sicher sofort verstehen, dass es sich hier um alles andere als ein seriöses Angebot handelte, und den Machern das Handwerk legen!

Als Lotte die letzten fünfzig Meter zu ihrem Haus hinter sich brachte, rief sie sich den Polizisten ins Gedächtnis.

Nun ja, zugegeben, er war nicht ganz das, was sie sich unter einem Polizeibeamten vorstellte, mit seinem zerknitterten Anzug und den strubbeligen Haaren. Und so ganz hilfreich war er bei der Geschichte um die Toten im Ganzenheimer Kirchenchor auch nicht immer gewesen. Hmmm, vielleicht war es doch keine so gute Idee …

Unwirsch schüttelte sie die grauen Locken, auf denen der festgesteckte blaue Hut hin und her wackelte. Nein, der Hauptkommissar konnte ihr bestimmt helfen. Immerhin war er bei der Polizei.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Lotte endlich zum Telefonhörer greifen konnte, denn vier der eben gekauften Eier waren bei der unachtsamen Fahrt im Trolley kaputtgegangen und sämtliche Lebensmittel mussten zuerst von deren klebrigen Hinterlassenschaften befreit werden, bevor sie sie in den linoleumgrünen Küchenschrank packen konnte, der ihre Vorräte beherbergte. Dabei fiel ihr auf, dass die dickbauchige Sherryflasche nur noch zu einem Drittel gefüllt war. Agnes und sie genossen abends ab und zu gemeinsam ein Gläschen des verstärkten Weißweins, den sie auf einer Chorfahrt nach Spanien kennen- und lieben gelernt hatten. Lotte zuckte mit den Schultern. Agnes würde sicher nicht so bald wieder zu ihr kommen. Dennoch machte sie sich eine Notiz auf der Einkaufsliste, die am Kühlschrank hing. Die Metzgerei führte so ausgefallene Dinge natürlich nicht, hierfür musste sie nach Gimmersheim fahren, dem nächstgrößeren Ort und Sitz der Verbandsgemeinde. Gimmersche, wie es die Einheimischen nannten, konnte sie mit dem Bürgerbus erreichen, der dreimal täglich vom Dorfplatz abfuhr. Diese Einrichtung erleichterte den Ganzenheimer Senioren das Leben ungemein, mussten sie doch beispielsweise für Amtsgeschäfte aller Art ins Rathaus nach Gimmersheim. Auch ein Zahnarzt und Orthopäde hatten dort ihre Praxen und wenn Dr. Lohes Expertise nicht ausreichte, überwies er seine Patienten dorthin. Selbst ein Schwimmbad fand sich in dem Ort, doch Lotte hatte es nicht so mit dem nassen Element und nach ihrem letzten Auftritt dort glaubte sie auch nicht, dass sie im Hallenbad gerne gesehen wäre. Eigentlich hatte sie ja nur Luise etwas fragen wollen. Dass dann irgendwann Käthe im Wasser gelandet war, dafür konnte sie ja faktisch nichts …

Lotte versuchte, sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren, und verscheuchte die Gedanken an das missglückte Badeerlebnis. Aus einer kleinen Schublade des hölzernen Telefontischchens zückte sie eine Visitenkarte. Dann zog sie einen Stuhl heran und nahm den Hörer, der mit einer langen, gezwirbelten Schnur an dem grauen Apparat befestigt war, ab. Gewissenhaft wählte sie die Nummer, die auf der Karte abgedruckt war. Die Wählscheibe knatterte bei jeder Eingabe – wie zum Protest, dass sie nach vierzig Jahren immer noch in Gebrauch war. Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis es klingelte, denn erst musste die lange Zahlenreihe samt Ludwigshafener Vorwahl eingegeben werden.

„Kriminalkommissariat Ludwigshafen, Sie sprechen mit …“

„Sind Sie’s, Herr Gruber? Ich müsste mal dringend mit Ihnen sprechen. Hören Sie?“ Lotte versicherte sich beim Telefonieren grundsätzlich, ob Ihre Worte verstanden worden waren. Das gehörte für Sie zu einer guten Telefonetikette.

Ein kurzes Schweigen antwortete ihr.

„Herr Gruber, nun sagen Sie schon, sind Sie noch dran?“

Leicht irritiert betrachtete die alte Dame den Hörer, bis sie die Stimme eines jungen Mannes vernahm und den Hörer wieder ans Ohr legte.

„Ähm, Kriminalkommissariat Ludwigshafen, Sie sprechen mit Polizeimeister Kevin Kramer. Was kann ich für Sie tun?“

Ungeduldig schüttelte Lotte den Kopf. „Das habe ich Ihnen doch bereits mitgeteilt. Hören Sie mich nicht, junger Mann? Den Gruber, ich meine den Hauptkommissar Gruber will ich sprechen. Hören Sie?“

Ein leises Räuspern antwortete ihr. „Hauptkommissar Gruber befindet sich zurzeit im Einsatz, Frau …“

Fräulein Meisner, wenn ich bitten darf.“

Ein kurzer Huster ertönte aus der anderen Leitung.

„Ähm ja, natürlich, Fräulein Meisner. Soll ich dem Hauptkommissar etwas ausrichten?“

Lotte seufzte laut. Musste man diesem Polizeimensch denn alles doppelt und dreifach sagen?

„Junger Mann, jetzt schreiben Sie es sich mal ganz langsam auf.“

Lotte überlegte kurz, dann fuhr sie fort: „Großangelegte Betrugsaktion in Ganzenheim – Punkt – Rückruf bei Fräulein Meisner – Punkt – Und zwar gleich – Punkt. Haben Sie das verstanden?“

Eifriges Gekritzel am anderen Ende der Leitung bestätigte ihre Frage.

„Sehr schön, junger Mann. Auf Wiederhören.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Lotte den Hörer auf. Zufrieden packte sie das Visitenkärtchen wieder zurück in die Schublade und wandte sich Käthe zu.

„Willst du vielleicht …?“

Ein aufgeregtes Auf-und-ab-Hüpfen zeigte an, dass die Bullydame durchaus an einem weiteren Spaziergang interessiert war. So schlurfte Lotte in den Gang mit dem ausladenden Hutregal, freute sich, dass der quietschgelbe Filzhut Käthes Dusche von vorher scheinbar ohne Schaden überstanden hatte, und machte sich mit ihrer haarigen Begleiterin auf den Weg nach draußen.