Prolog
Magdalena
Ich kann immer noch nicht fassen, dass ich das tatsächlich durchziehe, denke ich, als ich den Flugzeuggurt meines Sitzes löse. Das Flugzeug, welches gerade am Flughafen London Heathrow gelandet ist, ist bereits zur Hälfte leer. Ungewöhnlicherweise war auf diesem Flug nur jede dritte Reihe besetzt. Diese Tatsache würde manch einer sicherlich als böses Omen deuten, ich für meinen Teil habe vorrangig die Bewegungsfreiheit genossen, die eine leere Sitzreihe zu bieten hat.
Langsam erhebe ich mich und öffne das Gepäckfach über meinem Sitz, um den kleinen Handgepäck-Koffer herunter zu heben. Missmutig ziehe ich meine Unterlippe zwischen die Zähne und hoffe, dass acht Kilogramm Kleidung für meine Zeit in Großbritannien genug sein werden. Mein Plan ist es, nicht übermäßig lange in London zu bleiben. Es ist quasi ein kurzer Urlaub, bevor ich nach Berlin an meinen Arbeitsplatz ins Charité-Krankenhaus zurückkehren werde.
Gedankenverloren streiche ich mir eine widerspenstige Strähne meines langweiligen dunkelblonden Haares aus der Stirn, während ich das Flugzeug verlasse. Auf dem Weg zum Flughafenausgang schlängele ich mich durch die Absperrungen der Passkontrolle. Überall sehe ich bewaffnete Soldaten mit grimmigem Gesichtsausdruck. Der Beamte hinter dem Schalter sieht auch eher aus wie ein Elitesoldat, anstatt wie ein gewöhnlicher Kontrolleur. Er gibt keinen Ton von sich, sondern starrt abwechselnd mich und dann mein Passfoto an, als ob er mir nicht abkaufen würde, dass ich diejenige Person auf dem Bild bin. Dabei habe ich mich kein Stück verändert, seit das Foto vor zwei Jahren geschossen wurde. Dieselben grünen Augen mit den tiefen Augenringen, dieselben blonden Haare im Farbton Straßenköter und das gleiche kantige, maskulin anmutende Gesicht. Bereits als Jugendliche bin ich für mein Aussehen und meine Statur in der Schule gehänselt worden, weil ich im Gegensatz zu den anderen Mädchen in meinem Alter nicht mehr als einen Busenansatz gehabt habe. Viele dieser negativen Kommentare beschäftigen mich bis heute.
Mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck tippt der Beamte auf seinem Computer herum. Zumindest vermute ich, dass er tippt, denn durch den hohen Tresen und das rechteckige Fenster kann ich nur den Kopf des Mannes sehen. Nur vereinzelt kann ich das Geräusch von Tastenanschlägen durch den Lärm in der Flughafenhalle erahnen. Endlich ist er fertig, schiebt mir meinen deutschen Reisepass durch den schmalen Schlitz in der Plexiglasscheibe hindurch und entlässt mich mit einem simplen Kopfnicken.
Ich schnappe mir den Koffer und verlasse erleichtert den Sicherheitsbereich, um mit eiligen Schritten die Halle mit den Kofferbändern zu durchqueren.
Eine frische Brise weht mir entgegen, als ich durch die Glastür des Flughafens trete und mich nach einem Taxi umsehe. Die Zeitanzeigetafel am Taxistand informiert mich über frühlingshafte 17 Grad. An der Wechselstube habe ich bereits einige hundert Euro gegen britische Pfund getauscht und werde mir definitiv den Luxus eines Taxis bis zum Hotel gönnen. Dies ist schließlich der erste Urlaub, den ich seit einer Ewigkeit mache. Die letzten Jahre waren vor allem mit Stress, Frustration und haufenweise Arbeit verbunden. Erst kam mein Medizinstudium, dann die Assistenzarztstelle, zuletzt die Facharztausbildung im Bereich der Chirurgie und der Doktortitel.
Hör auf, das hier als Urlaub anzusehen, sondern mach dir endlich bewusst, was es ist. Nämlich ein Selbstmordkommando, mahnt eine Stimme in meinem Kopf. Unergründlicherweise klingt diese Stimme nach einer meiner Freundinnen, die ich während des Auslandsjahres in den USA kennengelernt habe. Ihre Aussage dröhnt durch meinen Kopf und erklärt mich für verrückt, seit ich diesen verfluchten Kurzstreckenflug gebucht habe. Chiara Wilson ist eine waschechte US-Amerikanerin trotz ihrer italienischen Wurzeln. Zwar war bei unseren abgefahrenen Ausflügen in den Staaten stets ich die Stimme der Vernunft, aber Chiara besticht schon immer mit ihrem zu ehrlichem und direktem Wesen. Während ich häufig dazu neige, meine eigenen Gedanken zum Wohl anderer aus meinem Umfeld hintanzustellen, sagt sie stets ihre Meinung und steht zu ihren Ansichten. Für diese Stärke bewundere ich meine Freundin, die ich schon viel zu lange weder gesehen noch gesprochen habe. Unser Kontakt ist seit meiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten zwar nie ganz im Sand verlaufen, aber beschränkt sich auf ein bis zwei sporadische Anrufe im Monat. Als Militärärztin und Psychologin begleitet Chiara die Soldaten häufig in die entlegensten Länder und Krisengebiete.
Kopfschüttelnd versuche ich meine Gedanken neu zu ordnen. Zugegeben, diese Sache, die ich geplant habe, ist bizarr, aber es handelt sich auf keinen Fall um ein Selbstmordkommando. Ich werde versuchen, mit einem einflussreichen Geschäftsmann über zwei durchaus brisante Patienten zu sprechen und hoffen, etwas erreichen zu können. Aber im Endeffekt werde ich vermutlich genau eines erreichen – nämlich gar nichts. Einen Versuch ist es dennoch wert. Schließlich zählt Nikolai Alexandrowitsch Markov zu den mächtigsten Männern auf internationaler Ebene. Wenn er nichts ausrichten kann, wer sonst? Ich muss es einfach versuchen! Für sie!
Erneut graben sich meine Schneidezähne in meine Unterlippe, denn ich habe natürlich keinen Termin, um mit ihm zu sprechen. Tausende Male habe ich im Sekretariat seiner Firma Markov IE Corporation angerufen. Jedes Mal hat die Sekretärin mit der schrillen Stimme aufgelegt, nachdem ich ihr meinen Namen genannt habe. Auch die mindestens einhundert E-Mails sind unbeantwortet geblieben. Natürlich konnte ich mit meinem wahren Anliegen nicht in einer simplen Mail herausplatzen, stattdessen habe ich mich als neugierige Ärztin ausgegeben, die an der Forschung, welche Mr. Markov mit seinem Geld unterstützt, interessiert ist. Keine vollkommene Lüge, denn mich fasziniert im Moment nichts mehr als die Tatsache, dass Nikolai Markov ganze Berge von Geld in die medizinische Wissenschaft steckt.
Suchend gleitet mein Blick über die Straße vor dem Airport, während mein Kopf immer noch tief in die vorangegangenen Überlegungen versunken ist. Eine edel wirkende, schwarze Mercedes-Limousine erregt schließlich meine Aufmerksamkeit. Nicht etwa, weil ich unbedingt mit dem teuersten Taxi der britischen Hauptstadt fahren möchte, sondern weil einer der Männer, die in schwarzen Anzügen vor dem Wagen stehen, ein Schild mit meinem Namen darauf in den Händen hält.
Dr. Magdalena Lehmann steht in sauberen Lettern darauf, sodass sie einem beinahe ins Auge springen müssen. Beide Männer haben eine athletische, fast schon bullige Statur und ihre Gesichter zieren finstere Ausdrücke, während sich die teuer aussehenden Anzüge, die bestimmt maßgeschneidert sind, wie eine zweite Haut an ihre Körper schmiegen. Der Mann mit dem Schild in der Hand schenkt mir ein Lächeln. Durch die verspiegelte Sonnenbrille auf seiner Nase kann ich nicht erkennen, ob es seine Augen erreicht. Verwundert mache ich einige Schritte auf die Männer zu. Habe ich etwa vergessen, dass das Hotel mich abholen lassen wollte?
Perplex bleibe ich stehen, während einer der Männer sich vom Wagen löst, um mir entgegenzukommen. Erst jetzt bemerke ich, dass sich Gesichtsformen und Haarfarbe der beiden unheimlich ähneln, auch wenn der Mann, der in diesem Augenblick auf mich zukommt, kurz geschorenes Haar hat, während das des anderen länger und zurückgegelt ist.
»Dr. Lehmann, ich bin Artjom, Ihr Fahrer. Ich werde Sie ins Ritz bringen. Darf ich Ihnen Ihr Gepäck abnehmen?« Er spricht fließend Deutsch, lediglich der starke Akzent und das Rollen des Buchstabens R verraten seine wahre Herkunft, das aus dem Land des Wodkas und der Balalaika sein muss. Bevor ich mich über die Tatsache wundern kann, in England von einem Deutsch sprechenden Russen abgeholt zu werden, nimmt er mir sanft lächelnd den Koffer ab, der in seinen Pranken wie ein Spielzeug wirkt. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm herauf zu sehen. Bestimmt ist er über zwei Meter groß. Seine andere Hand hat er unbemerkt zwischen meine Schulterblätter gelegt und schiebt mich vorsichtig in Richtung des Wagens. Der andere Mann hat inzwischen die hintere Tür auf der Beifahrerseite geöffnet. Gerade als ich hinein bugsiert werden soll, jagt mir ein plötzlicher Gedankenblitz durch den Verstand.
»Moment mal, ich habe doch gar kein Zimmer im Ritz gebucht, sondern –« Weiter komme ich nicht, denn in der nächsten Sekunde bedeckt ein süßlich riechendes Taschentuch meine Nase und meinen Mund.
Chloroform. Meine Gedanken explodieren und ich versuche vergeblich, die Luft anzuhalten. Meine Sicht beginnt zu verschwimmen und die Schwärze kriecht langsam, aber stetig vom Rand meines Blickfelds hin zu meinem Fokus.
Wie erwartet spüre ich, dass meine Knie nachgeben. Jedoch lande ich überraschend auf etwas Weichem und nicht auf der kalten, harten Straße.
Scheiße, zehn Sekunden in einem fremden Land und bereits entführt, hallt es durch meinen vernebelten Verstand. Dann umschmeichelt mich die endlose Schwärze wie eine flauschige Decke.
Kapitel 1
Nikolai
Verdammt, fluche ich gedanklich, als ich die schlafende Schönheit im Bett meines Gästezimmers betrachte. Artjom und Anatoli haben ihr Gewicht falsch eingeschätzt, sie sollte längst aufgewacht sein. Stattdessen kann ich immer noch nicht in ihre funkelnden smaragdgrünen Augen sehen, da sie sich noch im Land der Träume befindet. Leise erhebe ich mich aus dem Stuhl, den ich neben ihr Bett geschoben habe. Ich bin erschüttert darüber, wie viel schöner sie in Wirklichkeit ist. Die Fotos werden ihr einfach nicht gerecht.
Mit den Fingerspitzen streiche ich eine wirre Strähne der goldblonden Seide, die ihr Gesicht umrahmt, aus der Stirn, bevor ich mich widerwillig von ihr abwende. Gerade als ich die Türklinke in der Hand halte, gibt sie ein zufriedenes Geräusch von sich. Ich schaue über meine Schulter und sehe, dass sie sich auf die andere Seite dreht.
Schlaf gut, Koschka. Du wirst noch früh genug meine Bekanntschaft machen.
Einige Stunden später schwingt die Tür zu meinem Arbeitszimmer auf und Artjom trägt mein wild strampelndes Paket, das er lässig mit einer Hand an ihrem unteren Rücken fixiert hat, herein. Seine Wange ziert ein blutender, tiefroter Kratzer, weshalb ich mir ein Grinsen verbeißen muss. Vielleicht habe ich ja kein Kätzchen, sondern eine kleine Löwin eingefangen. Seine silber-blauen Augen wandern gelangweilt von mir zu seinem Zwillingsbruder, der bereits seine Position an meiner linken Seite eingenommen hat. Artjom war schon immer der stillere der beiden Brüder.
»Lass mich sofort runter, du beschissener russischer Gorilla. Erstens kann ich alleine laufen und zweitens verlange ich sofort freigelassen zu werden. Ich bin mir sicher, die britische Polizei wird sich brennend dafür interessieren, was –«
Die Wutrede meines Kätzchens bricht abrupt ab, als Artjom sie vorsichtig, aber dennoch etwas unsanft auf den Sessel vor meinem Schreibtisch plumpsen lässt. Sie bestätigt mit ihren Worten meine Gedanken, dass Artjom einfach in das Zimmer gekommen ist, sie gepackt und zu mir getragen hat, ohne auch nur einen Ton zu sagen.
Augenblicklich hebt sie störrisch ihr Kinn und fokussiert mich mit brennenden Augen. Beinahe unmerklich huscht ein leichter Schauer des Erkennens über ihre Gesichtszüge, als sich unsere Blicke treffen.
Aha, du hast mich also wiedererkannt, Koschka - mein Kätzchen. Gehe ich dir auch nicht mehr aus dem Kopf?
»Sie?« Ungläubig steht meiner wilden Schönheit der Mund offen, während sie mich anstarrt, als wäre ich der Teufel höchstpersönlich.
Ein unaufhaltbares Grinsen erhellt meine Gesichtszüge und lässt eine Reihe weißer Zähne aufblitzen. »Natürlich ich. Du wolltest doch dringend mit mir sprechen, oder Koschka?« In einer geschmeidigen Bewegung erhebe ich mich aus dem Sessel und lehne mich über den alten Eichenholzschreibtisch, der uns voneinander trennt. Große grüne Smaragde beobachten gebannt jede meiner Bewegungen, während Alena - wie ich sie in Gedanken mit der russischen Kurzform ihres Namens nenne – zu begreifen versucht, was hier vor sich geht. Ich bekomme ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen, sodass sie keine Chance hat, unseren Blickkontakt zu unterbrechen. Sobald meine Fingerkuppen ihre weiche Haut berühren, spüre ich ein elektrisierendes Schaudern, das sie erzittern lässt, bevor sie sich versteift. Sie erinnert mich an ein Vögelchen, das vor lauter Angst in eine Schreckstarre verfallen ist. Ptichka - mein Vögelchen.
»Es tut mir leid, wenn meine Männer etwas rau mit dir umgegangen sind, Ptichka. Aber weißt du, du warst so blauäugig. Ich konnte einfach nicht riskieren, dass dich mir jemand vor der Nase wegschnappt. Und jetzt sag mir, kleines Vögelchen, warum willst du unverzüglich mit mir sprechen?« Meine Stimmlage hat den Ton von geschmeidigem Samt. Es ist die Tonlage, die ich in jeder Verhandlung anschlage, vor allem dann, wenn ich kriegen möchte, was ich will.
»Ich … äh, ich …« Für einen Moment schließt sie die Augen, während sie sich aus ihrer Starre löst. Scheinbar bemerkt sie, dass ihre Stimme hörbar zittert.
Hat ihr das Betäubungsmittel so heftig zugesetzt? Ich werde nachher ein Wort mit Anatoli und Artjom reden müssen.
Eine leichte Gänsehaut überzieht die blasse Haut an ihrem Hals und ich frage mich, ob ich für diese Reaktion verantwortlich bin. Noch immer ruhen meine Finger an ihrem Kinn und anscheinend hat sie nicht das Bedürfnis, unsere Verbindung aufzulösen.
Erst jetzt bemerke ich ihre ausgedörrten, aufgesprungenen Lippen und wende für einen Atemzug meinen Blick von ihrem wunderschönen Gesicht ab, um Anatoli lautlos zu verstehen zu geben, dass sie ein Glas Wasser benötigt. Er verlässt seinen Platz an meiner Linken, durchquert den Raum und schenkt ihr ein großes Glas Wasser mit Zitrone aus der Karaffe ein. Schweigend hält er es mir hin. Nicht ihr, er würde nicht wagen zu berühren, was mir gehört.
»Trink das, Kätzchen. Es tut mir leid, ich hätte mich besser um dich kümmern müssen. Fehlt dir sonst noch etwas?« Besorgt fahre ich ihr mit dem Daumen über die Wange, woraufhin sie blinzelt und scheinbar dankbar das Glas ergreift.
Jedoch zögert sie, als sie den Rand des Kristalls an ihre Lippen führt. »Welcher Drogencocktail ist es dieses Mal?«, knurrt sie mir mit unerwartetem Selbstbewusstsein entgegen. Der brennende Ausdruck ist in ihre Augen zurückgekehrt. Das Glas mit einer Hand umklammernd, schlägt sie nun meine Hand unter ihrem Kinn mit der anderen weg, wodurch ich gezwungen bin, mich vorerst zurückzuziehen. Das ist dennoch keine Niederlage, denn ich werde schon bald haben, was Mein sein soll.
»Ich habe Sie etwas gefragt. Mit welchen Drogen wollen Sie mich jetzt außer Gefecht setzen? Können Sie sich nicht auf andere Weise Frauen verschaffen? Ich meine, so schlecht sehen Sie doch nicht aus. Ich würde es mal mit aufrichtiger Freundlichkeit versuchen.« Ihre Worte triefen vor Verachtung, aber an dem leichten Zittern ihrer Unterlippe kann ich die Angst ausmachen. Auch die weit aufgerissenen Augen und die schnelle Atmung verraten meine Alena.
»Keine Sorge, Liebling. Du kannst das Wasser unbekümmert trinken. Es ist nichts darin.« Um meine Worte zu unterstreichen, verlasse ich meine Position und schenke mir ebenfalls ein Glas Wasser ein. Anatoli löst sich erneut aus meinem Schatten, um sich und seinem Bruder einen Schluck hochwertigen Wodkas einzuschenken, der sich in der Karaffe neben dem Wasser befindet. Ich nehme stark an, ihm macht der lädierte Zustand unseres Gastes zu schaffen. Er ist trotz familiärer Bratva-Zugehörigkeit noch nie für Gewalt an schwächeren Wesen gewesen. Ein Charakterzug, den sein Zwillingsbruder nicht teilt. Artjom würde niemals einem unschuldigen Geschöpf auch nur ein Haar krümmen, aber er hat kein Problem damit, Menschen zu töten, die sich seiner Meinung nach schuldig gemacht haben, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, wie Anatoli sein Glas hinabstürzt, während Artjom nur an der kristallenen Flüssigkeit nippt. Zu meinem außerordentlichen Erstaunen meldet sich der über zwei Meter große Hüne dann zu Wort. »Miss, Sie können stattdessen gern meinen Wodka trinken. Sie haben ja eben gesehen, dass er ungefährlich ist, da ich selbst davon getrunken habe.« Sein schwerer Akzent schwebt durch die Luft zu Alena hinüber. Womöglich sollte ich in Gedanken noch nicht bereits die russische Kurzform ihres Namens benutzen, aber ich kann nicht anders, denn ich habe bereits entschieden, wie alles enden wird. Sie wird ein hübsches Spielzeug abgegeben, zumindest bis ich ihrer überdrüssig werde.
Fasziniert verfolgen meine Augen das Schauspiel der Gefühle auf ihrem Gesicht: Schock – Überraschung – Verwunderung – Wut – Unsicherheit. Es folgt erneut ein hörbares Schlucken, dann setzt sie das Wasserglas an und leert es in einem Zug, bevor ihre Augen von Artjom zurück zu mir wandern und mich fixieren. Augenscheinlich hat sie sich gefangen.
»Eine Entführung war eklatant unnötig, aber gut, so ist es nun. Schließlich habe ich seit einer Woche versucht, ein Termin in Ihrem Büro zu bekommen, Mister Markov.« Es entsteht eine kleine Pause, stolz reckt meine zierliche Löwin ihr Kinn, bevor sie fortfährt. »Ich möchte mit Ihnen über eine delikate Angelegenheit sprechen. Vielleicht wäre es also besser, wenn wir unser Gespräch unter vier Augen fortsetzen.« Ihr Blick wandert nervös über die Zwillinge hinweg. Erst dann zuckt er zu meinem Gesicht zurück, als hätte sie Angst, etwas verpassen zu können, wenn sie mich länger als eine Sekunde aus den Augen lässt.
Ich kann nicht anders, als zu schmunzeln. »Nein, diese Männer sind meine engsten Vertrauten. Sie wissen alles, was ich weiß. Sprich vor ihnen oder sprich gar nicht, Ptichka.« Gekonnt unbeeindruckt nehme ich wieder in meinem Sessel Platz und lege meine Hände für sie sichtbar auf die Arbeitsfläche des Tisches. Nun nicke ich ihr auffordernd zu und warte gespannt darauf, ob sie den Mut finden wird, fortzufahren.
Unsicher huscht ihr Blick durch diese leuchtend grünen Augen durch den Raum. Für einige Sekunden bleibt er an einem Punkt über meiner linken Schulter hängen und ich muss dem beinahe überwältigenden Drang widerstehen, mich umzudrehen, um ihrem Blick zu folgen.
»Na gut, ich bin hergekommen, um Sie zu bitten, zwei schwer verwundeten Kindern eine zweite Chance im Leben zu verschaffen. Sie leiden nach einem furchtbaren Autounfall alle beide am Brown-Séquard-Syndrom. Wenn wir nicht schnellstens geeignete Therapieplätze für die Kleinen finden, werden sie ihr gesamtes restliches Leben nicht nur hässliche Narben auf dem Körper tragen und ohne Vater aufwachsen, sondern auch halbseitig gelähmt sein, nicht gehen, laufen oder rennen können und andere Ausfallerscheinungen haben. Seltene Krankheiten wie diese werden von der Wissenschaft und den großen Konzernen, die hoffen, aus ihrer Forschung Profit schlagen zu können, viel zu oft in den Schatten zurückgedrängt. Ich weiß mir einfach nicht mehr anders zu helfen, als Sie um Unterstützung zu bitten, denn ich habe jedes verfluchte Therapiezentrum auf diesem Planeten angefragt. Keines ist bereit, derart schwierige Patienten wie die meinen aufzunehmen. Die Erfolgsquoten für die Zwillinge sind einfach zu schlecht. Sie finanzieren eine solche Einrichtung mit Ihren Mitteln, Mister Markov. Wer auch immer Sie sein mögen, ich bitte Sie, helfen Sie diesen Kindern, denn Sie sind ihre letzte Chance auf einen Therapieplatz.«
Es ist ihr hoffnungsvoller Gesichtsausdruck, der mich fasziniert, als sie ihre Rede beendet hat. Aus diesem Grund dauert es einen Moment, ehe ihre Aussage in meinen Verstand eindringt. Überrascht stoße ich den Atem aus, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn angehalten habe. Schock macht sich in meinem Inneren breit und ich versuche mit aller Macht, ihm nicht zu erlauben, sich auf meinem Gesicht widerzuspiegeln.
»Und du glaubst nun, ich habe eine Heilung für eine unheilbare Krankheit in der Hosentasche, Koschka? Was soll ich in diesem Spiel für dich tun?«, spucke ich ihr entgegen. Herablassend mustere ich ihr schönes Gesicht. Wenn sie wüsste, dass ein großer Teil der Gelder nur in die medizinische Forschung gesteckt werden, um unsere Nebeneinkünfte aus dem Drogen- und Waffenhandel zu waschen, würde sie mich vermutlich für das Monster halten, das ich bin. Natürlich ist die Tatsache, dass die Leute mich für einen Philanthropen halten, ein netter Zusatz, da beschwere ich mich nicht. Aber warum sollte ich mein Geld für fremde Kinder verprassen. So weit reicht mein Ehrgefühl nun auch wieder nicht.
Kopfschüttelnd stößt sie einen angeekelten Laut aus und sofort fühle ich mich erwischt, was ich mir jedoch nicht anmerken lasse. »Na ja, ich habe Sie nicht um eine Heilung gebeten, sondern einfach darum, einen Anruf in dem Therapiezentrum hier in London zu machen. Möglicherweise müssen Sie ein paar Pfund springen lassen, aber wenn ich mich hier so umsehe, haben Sie davon mehr als genug. Die Einrichtung soll die Kleinen zur Behandlung aufnehmen. Sie zählt zu den besten Einrichtungen Europas und ist auf die Physiotherapie für Kleinkinder spezialisiert. Leider sind die Plätze begrenzt und teuer. Natürlich wird so etwas nicht von der deutschen Krankenkasse übernommen.«
Ihre Wangen färben sich rot und ich schätze, dass diese Reaktion auf meine Worte nichts mit Scham zu tun hat. Nein, denn auch wenn sie es vermutlich noch nicht weiß, trägt diese Frau ein Feuer in sich. Eines, das so hell leuchtet wie eine heftige Feuerwerksexplosion.
»Und ich bin seit wann genau die Wohlfahrt höchstpersönlich, Vögelchen? Deine Bitte klingt nämlich mehr danach, als würde ich auf jeglichen Kosten für dein kleines Projekt sitzenbleiben.« In meiner Kehle steigt ein rumpelndes Lachen empor. Schließlich besitze ich mehr Geld als Krösus und muss mich einen feuchten Dreck darum scheren, ob diese Aktion eine oder zwanzig Millionen Pfund kosten wird. Doch die Neugier, was sie alles bereit ist, anzubieten, ist schlichtweg zu groß. Zu sehr genieße ich es, sie aus ihrer Komfortzone zu locken. Sie scheint normalerweise nicht der Typ Frau zu sein, der einem anderen Menschen Paroli bietet. Trotzdem hat sie unseren Blickkontakt noch nicht ein einziges Mal unterbrochen. Geradezu königlich hält sie ihre anmutige Haltung aufrecht, bleibt aber grübelnd schweigsam. Plötzlich legt sie den Kopf schief und mustert mich gespannt, als wolle sie die Tiefen meiner rabenschwarzen Seele erforschen. Nur für den Fall, ich besäße überhaupt eine.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihre Musterung nicht ausschließlich mit einem stillen Machtkampf zwischen uns einhergeht. Diese Frage quält mich glücklicherweise nicht allzu lang, denn genau in diesem Moment leckt sich Alena über die Lippen. Diese scheinbar unbedeutende Geste bringt mein Blut in Wallung. Meine Hose spannt im Schritt, während mein steinharter Schwanz flehend gegen den Reißverschluss drückt. Bilder, wie ich den Romanov-Brüdern befehle, den Raum zu verlassen, um anschließend mit einem Satz über den Schreibtisch zu springen und sie mit meinem Körper auf die Tischplatte zu pressen, während ich mich an ihrer Kleidung zu schaffen mache, prasseln auf mich ein. Nie zuvor habe ich mir sehnlicher gewünscht, meinem inneren Monster nachgeben zu können. Es lechzt danach, seine Klauen in Alenas weiches Fleisch zu hauen, während ich meinen Schwanz tief in ihr versenke.
Mich räuspernd richte ich unauffällig meine Hose und versuche, das übermächtige Verlangen beiseitezuschieben.
An Letzterem scheitere ich kläglich, denn als ich den Mund öffne, um der Sache die Krone aufzusetzen, klingt mein Ton zwar eiskalt und herablassend, doch meine Worte beinhalten nicht die erbarmungslose Abfuhr, die ihr mein Gehirn erteilen möchte. »So Koschka, du möchtest also, dass ich wie ein Diener deine Befehle ausführe? Tut mir leid, Ptichka, auf diese Art und Weise läuft es nicht in meiner Welt. Also stelle ich dir die alles entscheidende Frage: Was bist du bereit, im Gegenzug für meine Leistung zu bezahlen?«
Was zur Hölle? In einer etwas steifen Bewegung erhebe ich mich hinter meinem Schreibtisch. Mein 1,93 Meter großer Körper muss einschüchternd auf die zierliche, kleine Frau vor mir wirken, dennoch überragen sowohl Anatoli als auch Artjom mich um einige Zentimeter. Es sind die guten russischen Gene unserer Urahnen, die uns groß und stark gebaut haben. Unsere Stammbäume reichen weit zurück und verzeichnen den einen oder anderen Kosaken. Auch wenn wir seit unserer Kindheit in Großbritannien leben, sind und bleiben wir im Herzen Russen.
Meine Gedanken drohen abzuschweifen, sodass ich um ein Haar, das leise Flüstern, das von ihren leicht geöffneten, kirschroten Lippen stammt, verpasst hätte.
»Alles.«
Ihre Stimme zittert kaum merklich und doch hat ihr Hauchen einen gewissen Nachdruck. Sie setzt sich aufrecht hin und zwirbelt eine Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger, ehe sie sie loslässt. Beinahe hypnotisiert verfolge ich, wie das blonde Gold, das sich gerade noch um ihren Finger geschlungen hat, zurück in seine Ausgangsposition fällt und ihr Gesicht umrahmt. Bevor sie sich anschließend in einer eleganten Bewegung erhebt, ziert ein Lächeln ihre Gesichtszüge, das ich nur als kämpferisch auslegen kann. Jedoch vergisst sie für einen Augenblick, dass sie erst Stunden zuvor betäubt gewesen ist und gerät ins Straucheln. Artjom schießt nach vorne, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Seine Hände berühren sie noch nicht einmal und dennoch erfüllt etwas Giftiges meinen Geist. Unbändige Wut züngelt durch meine Adern und entfacht ein Feuer in meinem Blut, sodass ich lichterloh brenne. Ein grollendes Knurren erklimmt den Berg meiner Kehle und wartet nur darauf, ins Tal geschrien zu werden. Jedoch hat sich Alena längst selbst abgefangen und steht nun aufrecht, mit ihren Händen in die Hüfte gestemmt vor mir. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass Artjom sich auf seine Position hinter mir zurückgezogen hat und doch weiß ich, dass ihm meine Reaktion nicht entgangen ist.
»Alles! Mister Markov, Sie können alles von mir haben, alles mit mir machen. Es ist mir völlig egal. Mein Leben ist nichts wert, wenn diese Kinder all dieses Leid ertragen müssen. Ich habe einen Eid geleistet. Ohne diese Therapieplätze werden sie niemals auch nur den Hauch einer Chance haben, ein sorgenfreies Leben zu führen. Ihnen wird, wie vielen anderen Kindern auf dieser Welt verwehrt, ihre Kindheit in all den Freiheiten auszuleben, die man sich nur erträumen kann. Ich bin bereit, mein Leben gegen ihres einzutauschen, also machen Sie mit mir, was Sie wollen, solange ihnen geholfen wird! Das bin ich diesen Kindern schuldig. Das bin ich ihr schuldig!« Dieses Mal trieft ihre Stimme nur so vor Stolz und Selbstsicherheit. Die Unsicherheit ist aus ihrem Körper gewichen und wird nun von purer Willenskraft ersetzt.
Plötzlich sind die Würfel gefallen. Mein Mund spricht erneut, bevor er meinem Gehirn hörig sein kann. »So, kleines Kätzchen, du bist also bereit, mir alles zu geben? Dann steht unser Deal: Ich werde dir diese Therapieplätze besorgen und die Heilbehandlung vollständig bezahlen. Im Gegenzug für meine Großzügigkeit wirst du mir gehören und zwar nicht auf die romantische Tour. Du wirst dich mir mit deinem Körper, deinem Geist und deiner Seele verschreiben. Du wirst zu meinem Eigentum. Zumindest so lange, bis ich mit dir fertig bin. Wir werden dann schon sehen, was noch von dir übrig ist.«
Mit diesen Worten gebe ich Anatoli ein Zeichen, sie auf ihr Zimmer zu bringen, damit sie sich mit ihrer neuen Realität abfinden kann. Anschließend werde ich veranlassen, dass sie in meine Räume zieht.
Wortlos verlasse ich, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, den Raum.
Ich freue mich auf unser Spiel, Kätzchen!