Prolog
Isobel sah sich in der großen Halle um, um sicherzugehen, dass alles für das große Fest bereit war.
Es war Weihnachten im erhabenen Evermyst. Das Christscheit, massiv wie der Rumpf eines Streitrosses, brannte fröhlich und hell im riesigen Kamin der großen Halle. Gebinde aus jeweils zwölf Stechpalmenzweigen mit roten Beeren schmückten die Wände und der Duft von gebratenem Wildschwein und Ingwerplätzchen durchzog den Bergfried.
Frasers, MacGowans und eine große Gästeschar drängten sich im Schloss, das nie fröhlicher gewesen war. Neben der breiten Holztreppe spielten Kinder in bunten Kleidern lachend Blinde Kuh, während die Erwachsenen glückselig zechten und auf jeden Unsinn anstießen, der ihnen einfiel. Unter einem bogenförmigen Durchgang, über dem an einem roten Band ein frischgeschnittener Mistelzweig hing, zog Ramsay MacGowan seine junge Braut in seine Arme.
„So schnell entkommst du mir nicht, Liebste“, murmelte er, „denn du schuldest mir noch ein gutes Dutzend Küsse.“
„Ein Dutzend?“, hauchte Anora. Sie sah ihren Mann in gespieltem Entsetzen an, aber Isobel entgingen die geröteten Wangen ihrer Schwester und ihre vor Glück strahlenden Augen nicht.
„Ganz richtig“, murmelte Ramsay und beugte sich näher zum Gesicht seiner Frau hinab. „Einen für jeden Weihnachtstag. Tradition, richtig?“
„Es mag im Hause deines Vaters Tradition sein, du Schuft“, tadelte Anora. „Aber hier auf Evermyst wissen wir Nützlicheres mit unserer Zeit anzufangen.“
„Ist das so?“, fragte Ramsay hoffnungsvoll und Anora lachte in diesem süßen, silbrigen Ton, den Isobel so sehr lieben gelernt hatte.
„Ich meinte nur, dass ich nachsehen muss, wo unsere Mary hingegangen ist.“
„Ah“, sagte Ramsay. Er blickte an Isobel vorbei und sah das Baby auf einen Schwarm kichernder Frauen zukrabbeln, die in der Nähe Blind Man’s Bluff spielten. Resignation spiegelte sich auf seinen schönen Zügen, aber seine gefühlvollen Augen strahlten immer noch vor Glück. „Mour“, sagte er. Als er keine Antwort bekam, erhob er seine Stimme. „Gilmour.“
Mitten in der fröhlichen Menge richtete Gilmour MacGowan, der König der Schurken, sich auf. Seine Augen waren mit einem weißen Tuch verbunden, aber sein schiefes Grinsen war nicht zu übersehen, als er blind nach den Mädchen griff, die um ihn herumtanzten. „Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin, Bruder?“
„Doch und genau das beunruhigt mich. Jetzt mach dich nützlich und sieh nach der kleinen Mary.“
„Mary?“, rief Gilmour und drehte seinen Kopf. „Ah, Mary, meine Liebe!“ Ohne die Augenbinde abzunehmen, bewegte er sich schnell durch die Menge und schnappte sich die Kleine aus dem Getümmel. Er warf sie in die Luft, fing sie über seinem Kopf wieder auf und küsste ihr zartes Apfelbäckchen. Das freudige Gequietsche des Babys mischte sich mit den entsetzten Rufen der jungen Frauen, von denen Gilmour, seines Augenlichts beraubt, einige an recht unangemessenen Stellen berührt hatte.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte Gilmour und nahm die Augenbinde ab. „Ihr glaubt doch nicht, ich hätte durch das Tuch hindurchsehen können?“
Alle schnappten entsetzt nach Luft und Gilmour setzte das schiefe Lächeln auf, das kluge Väter von London bis Lissabon erbleichen ließ. „Dann verbindet mir die Augen mit einem Tuch eurer Wahl“, forderte er die Mädchen heraus, „und wir fangen von vorn an.“
Gelächter mischte sich mit dutzenden Stimmen und im Gemenge drückte Gilmour die kleine Mary an seine Brust, während er seine Aufmerksamkeit Isobel zuwandte.
Ihre Blicke trafen sich. In diesem Moment verdunkelten sich seine Augen und waren fast frei von diesem teuflischen Funkeln, das nur er besaß. „Und was ist mit dir, kleine Bel?“, fragte er. „Wirst du uns in unserer Fröhlichkeit beiwohnen?“
Die Welt schien einen Augenblick stillzustehen. Sie hörte nichts außer ihrem eigenen Herzschlag, als sie ihn über die Krüge in ihrer Hand hinweg ansah.
„Lord Gilmour, wir warten auf Euch“, rief eine der jungen Frauen kichernd und hielt ein Paar Panzerhandschuhe und einen antiken Helm in die Höhe.
Isobel löste sich aus ihrer Trance. „Nein“, sagte sie und hob die Krüge zum Beweis für ihre Beschäftigung. „Ich werde anderswo gebraucht.“
„Richtig“, murmelte er und strich grinsend mit seiner Hand über ihre. „Und wie.“
Ein Zittern durchlief Isobel, aber sie hob ihr Kinn und weigerte sich, diese Gefühle zuzulassen, denn sie wusste genau, was seine Worte bedeuteten. Der größte Schuft von allen war wieder auf der Jagd. Aber trotz dieses Wissens, trotz der albern kichernden Mädchen im Hintergrund, trotz der Monate, die sie damit verbracht hatte zu lernen, wie sie seine Avancen abwehren konnte, fiel ihr keine vernichtende Antwort ein.
Gelächter ertönte im Raum und plötzlich erschien es ihr zu warm hier. Zu warm, zu fröhlich und zu erdrückend. Sie konnte nicht atmen, nicht denken. Dann kam die Erleuchtung und schien auf sie herab wie ein einzelner Sonnenstrahl.
Ihre Tage auf Evermyst waren gezählt. Es war Zeit für sie zu gehen.
Kapitel 1
Henshaw, Schottland
Der Monat Mai im Jahre unseres Herrn 1535
„Effie, Mädchen, dein Haar ist so lieblich wie das meines Hengstes. Und ebenso wie mein Streitross …“ Der Munro beugte sich dichter zu der jungen Frau. Misstrauisch trat sie zurück. Ihre Augen waren geweitet, denn obwohl er saß, überragte er sie. „Der bloße Anblick eines so hübschen Mädchens weckt in mir das Verlangen, sie zu …“
„Unser Dank ist dein, Elga!“, unterbrach Gilmour hastig. Er richtete sich auf und zog mit der gesamten Kraft seines berühmten Lächelns die Aufmerksamkeit der jungen Frau auf sich.
Die junge Dienstmagd des Red Lion wandte ihren Blick von Innes Munro ab und ließ ihn auf Gilmour ruhen. Mit einiger Befriedigung nahm er wahr, dass sie für einen Sekundenbruchteil vergessen hatte zu atmen, aber es war ihr gehauchter Seufzer, der seinem Herzen am meisten guttat.
„Das Mahl war ein seltener Genuss“, fuhr er fort und bemerkte, dass er sich etwas entspannen konnte, nun, da der Munro seinen abscheulichen Versuch charmant zu sein aufgegeben hatte. „Und wir haben deine freundliche Aufmerksamkeit sehr geschätzt.“
„Ich freue mich, dass ich Euch gefallen habe, mein Herr“, sagte sie und knickste. Sie zählte noch keine achtzehn Jahre, aber sie wusste, wie man allein mit den Augen flirtete. Ihre Brüste, hübsch zur Schau gestellt vom Mieder ihres Kleids, taten natürlich nichts, um von ihren Reizen abzulenken. Ah … Frauen.
„Soll ich Euch ein wenig mehr Ale bringen?“, fragte sie und lächelte kokett.
„Ich bin wohl versucht, Elga“, sagte er und merkte sofort, dass ihr bewusst war, dass er mehr als nur Ale im Sinn hatte, denn sie errötete und lächelte umso mehr. „Aber nein, besser nicht.“
„Ein wenig mehr von Issas Weizenbrot?“, schlug sie vor. „Oder vielleicht noch ein Stück Frischkäse?“
„Nein, nichts. Ich bin gut gesättigt.“
„Nun, ich bin alles andere als gesättigt“, knurrte Innes Munro und warf erst Mour und dann der Magd einen finsteren Blick zu. „Aber ich denke, du bist der Aufgabe wohl gewachsen, diese Arbeit zu erledigen, wenn du es willst, Mädchen. Du musst mir nur dein Zimmer zeigen und ich werde …“
„Was ist das?“ Gilmour sprang plötzlich auf seine Füße und fasste die Magd am Arm. „Ich glaube, ich höre deinen Herrn rufen.“
Elga starrte ihn mit großen, verträumten Augen an. „Nein“, hauchte sie. „Master Gibbs ist nicht …“
„Vielleicht war es der Koch. Du gehst besser, kleine Elga“, insistierte Mour und nahm ihre Hand in seine, beugte sich nach vorn und küsste sie. „Es würde mich zutiefst verletzen, wenn du meinetwegen in Schwierigkeiten gerietest.“
„Oh, ich …“ Sie suchte nach Worten, während er ihre Finger mit seinem Daumen streichelte. „Werdet Ihr wiederkommen?“, fragte sie.
„Ich werde noch in dieser Nacht zurückkehren, wenn du mir ein kleines Spiel versprichst …“, begann der Munro, aber Gilmour fuhr wieder dazwischen.
„Sicher“, sagte er. „Wir werden zurückkehren. Aber nun musst du gehen.“
Mit einem besorgten Blick auf Innes und einem Lächeln für Mour verließ sie die beiden, wobei das eigentlich Faszinierende der Schwung ihrer Röcke war.
„Was zur Hölle tust du denn?“, knurrte Innes und lenkte Gilmours Aufmerksamkeit mit seiner schneidenden Stimme von dem Mädchen ab. „Sie war gerade dabei sich für mich zu erwärmen.“
Gilmour setzte sich wieder und nickte beiläufig Russell Grier, dem Baron von Winbourne, zu, der mit einem Horn Hochprozentigem ein paar Tische weiter saß.
Der Baron hob sein Getränk. „Lord Gilmour von Evermyst“, rief er, „wo man in die Ewigkeit blicken kann und sogar die Ziegenhirtin hübsch ist.“
„Auf Eure Gesundheit“, grüßte Mour und hob sein Ale. Es wäre besser gewesen, wenn niemand vom Aufenthalt des Munros im Red Lion gewusst hätte, aber Gerüchten zufolge hatte Winbourne eigene Probleme, um die er sich kümmern sollte, und wie es aussah, hatte er auch bereits ausreichend tief ins Glas geschaut. Gilmour richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen riesenhaften Begleiter. „Sich für dich zu erwärmen?“, wiederholte er in gleichförmigem Ton. „Sie war kurz davor dir mit deinem eigenen Kelch auf den Schädel zu schlagen. Was zum Teufel glaubtest du, was du da machst?“
Die dichten Brauen des Munros zogen sich gefährlich zusammen. „Ich habe sie umworben. Das habe ich getan.“
„Umworben! Wenn du sie umworben hast, habe ich …“, begann Gilmour, bemerkte aber in diesem Augenblick die rechte Hand des anderen. Sie war so groß wie ein Rammbock und ziemlich herausfordernd um den Griff eines Dolchs mit kurzer Klinge geschlossen. Gilmour hob die Brauen und blickte grinsend vom Messer zu dessen Träger. „Eigentlich“, sagte er und nickte nachdenklich, „habe ich schlimmere Versuche gesehen.“ Auch wenn die Flirtversuche des Oberhaupts der berüchtigten Munros keinen Spatzendreck wert waren, war er doch der leibhaftige Teufel, wenn es um Messerspiele ging. „Dennoch, wenn ich dir helfen darf, ich denke, du brauchst ein winziges bisschen mehr Übung.“
„Ich habe geübt“, knurrte Innes.
„Richtig. Nun, diese Dinge brauchen Zeit.“ Das Wort „ewig“ tauchte in seinen Gedanken auf.
„Dieses Spiel ermüdet mich“, sagte der Munro. „Die Katze für diese mageren Küchenmäuse zu geben.“
Flirten ermüdend finden? War das möglich? Gilmour dachte darüber nach und lenkte seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf das vor ihm Liegende: Innes Munro, sein Mangel an Charme und das Messer in seiner Hand.
„Es braucht nur etwas Zeit, um das Wesen einer Frau zu verstehen“, sagte Gilmour.
Munro blickte noch finsterer. „Und wie hast du das gelernt, MacGowan?“
Mour dachte über die Frage des riesenhaften Lords nach. Letzten Endes musste man einem Adler auch nicht das Fliegen beibringen. „Einige sind für bestimmte Aufgaben einfach besser gerüstet als andere“, begann er diplomatisch. „Ich bin zum Beispiel nicht besonders begabt, wenn es um …“ Aber nun, da er darüber nachdachte, konnte er keine einzige Aufgabe benennen, für die er nicht besonders begabt war. Er lächelte angesichts dieser Erkenntnis und wollte sie gerade mitteilen, als Munro das Messer mit eindeutiger Böswilligkeit bewegte.
„Wie begabt bist du, wenn es ums Sterben geht?“, knurrte er und Gilmour lachte laut.
Die Zeit mit dem Munro hatte doch ihre fröhlichen Momente.
„Ganz ruhig, Innes“, sagte er. „Wie würde es aussehen, wenn du versuchtest mich direkt hier im Red Lion zu töten?“
„Versuchtest?“ Munros Brauen zogen sich noch weiter zusammen, verbargen jedoch nicht seine Schweinsäuglein.
„Ganz richtig“, stimmte Gilmour zu. „Eine verlorene Schlacht macht einen Mann selten attraktiv. Demnach schlage ich vor, dass du es noch mal bei den Mädchen versuchst, bevor …“
„Forderst du mich heraus, MacGowan?“
Gilmour wusste, dass es nicht schlau war, eine solche Frage mit einem Grinsen zu beantworten. Einige sagten, ein boshafter Kobold wohnte in seiner Seele, und auch wenn Mour es gern geleugnet hätte, wusste er, dass das unehrlich gewesen wäre.
„Nein, ich fordere dich nicht heraus“, sagte er und versuchte, allen Widrigkeiten zum Trotz einen ernsten Gesichtsausdruck zu wahren. „Ich versuche nur, dich letzten Endes …“, begann er, als zwei Frauen aus der Küche heraustraten und Munros Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Gilmour blickte in ihre Richtung und hob die Brauen. Sie standen mit ihren Rücken zu den Tischen. Während die eine ein breites Kreuz hatte, war die andere filigran geformt wie eine Sommerblüte.
„Nun, da ist eine gutaussehende Magd“, sinnierte Gilmour und spürte sein eigenes Interesse bereits erwachen. „Du musst nur tun, was ich dir gesagt habe.“
Munro sagte nichts. Seine Aufmerksamkeit war auf die beiden Frauen gerichtet.
„Versuch einfach“, sagte Gilmour mit leiser Stimme, „sie nicht mit Tieren egal welcher Art zu vergleichen. Sprich niemals vom Deckakt, wenn du das Liebemachen meinst. Eigentlich“, fügte er hinzu und registrierte Munros herabhängenden Unterkiefer, „wäre es am besten das Liebemachen überhaupt nicht zu erwähnen und … hörst du zu?“
„Liebemachen“, sagte Munro monoton.
„Richtig“, stimmte Gilmour zu und warf einen weiteren Blick zu den Frauen hinüber. „Zeig Interesse an ihr“, fügte er hinzu. „Nicht nur daran sie ins Bett zu kriegen. Und merk dir um Himmels willen ihren Namen. Schaffst du das?“
Der große, bullige Mann drehte sich rebellisch zu ihm um. „Hältst du mich für dämlich?“
Gilmour mochte vieles sein, aber er war nicht dumm genug eine solch heikle Frage einfach so zu beantworten. Er war auch nicht vorsichtig genug sie einfach zu ignorieren. „Wie war also ihr Name, Munro?“
„Wessen Name?“
„Der des Mädchens, das gerade gegangen ist.“
„Das mickrige Ding, das uns bedient hat?“
„Richtig. Wie war ihr Name?“
Munro starrte trotzig vor sich hin, während er in seinem buschigen, ungekämmten roten Bart die Lippen schürzte. „Effie.“
„Nein.“
„Edrea.“
„Nein.“
„Verdammnis“, knurrte Lord Munro. „Es war Edrea, wenn ich sage, dass es Edrea war.“
Gilmour lehnte sich an die Wand und starrte den Riesen über den Tisch hinweg an. „Es ist Edrea, wenn es sich um eine gänzlich andere Magd handelt, die zufällig Edrea getauft wurde.“
„Willst du mich herausfordern? Scht!“, zischte Munro und blickte schnell zur Seite und wieder zurück. „Sie kommt.“
„Wer kommt?“
„Sieh nicht hin!“, warnte Munro, schob seinen Dolch in seinen Stiefel zurück und wischte seine Hand an seinem Plaid ab. „Was soll ich tun?“
Gilmour hob erstaunt die Brauen, konnte aber die unverhohlene Panik im Gesicht des großen Mannes nicht ignorieren.
„Grüß sie“, sagte er, „aber grummel nicht. Sag, wie gut dir das Gasthaus gefällt, Sie ist sicher hier angestellt.“
Aus dem Augenwinkel sah Gilmour, dass die beiden Frauen sich trennten. Die Größere der beiden verließ das Gasthaus durch die Tür, während die schlanke Magd wieder in Richtung Küche ging. In diesem Augenblick packte ein Gast am anderen Ende des Raums sie am Handgelenk. Abrupt drehte sie sich zu ihm um.
„Heirate mich, Issa“, lallte der Mann.
Sein betrunkener Kumpan schlang einen Arm um die gertenschlanke Taille der jungen Frau und zog sie zu sich heran. „Nein. Das Mädchen gehört mir“, behauptete er und murmelte etwas Unverständliches.
Gilmour erhob sich lautlos. Er war in jeder Hinsicht ein gutmütiger Kerl, aber es ging ihm gegen den Strich zu sehen, wie ein Mädchen gegen seinen Willen festgehalten wurde. Er schlenderte langsam auf die Männer zu.
„Gibt es Ärger?“, fragte er.
Die junge Frau sah nicht auf und wandte sich an die Männer, die sie festhielten. „Ich bin geschmeichelt, Regan von Longwater, aber ich fürchte, ich kann Euren Antrag nicht annehmen. Zumindest nicht in Eurem Zustand“, fügte sie hinzu und entwand sich mühelos den Griffen der Männer, die nun leise lachten.
„Kein Ärger“, sagte sie und richtete ihren Blick auf Gilmour. „Und eines noch, MacGowan“, fügte sie hinzu, „du wirst für immer eher zu der Sorte gehören, die Ärger macht als zu der, die ihn behebt.“
Gilmour starrte sie einen Moment lang an. „Verdamm mich.“
„Dafür ist es ein bisschen spät, befürchte ich“, konterte sie und ging in Richtung Küche.
Er folgte ihr. „Was tust du hier, Isobel?“
„Ich arbeite hier, MacGowan. Und du?“ Sie drehte sich im gemauerten Türbogen um, der ihre kurvige Gestalt einrahmte, während ihre goldenen Locken vom Feuer hinter ihr erleuchtet wurden.
„Arbeiten …“
„Richtig“, unterbrach sie und lächelte ihn an als wäre er ein kleiner Junge, der seine Eltern etwas fragt. „Arbeiten. Vielleicht hast du das Wort schon einmal gehört.“
Sofort erinnerte Gilmour sich auf schmerzliche Weise daran, warum er diese Frau nicht mochte. Es lag nicht daran, dass sie seinen Bruder bei ihrer ersten Begegnung in einer Schlacht verwundet hatte und noch nicht einmal daran, dass sie seinen anderen Bruder vor dessen Hochzeit mit ihrer Schwester entführen lassen wollte. Es war, weil sie eine scharfe Zunge hatte und jede angemessene Würdigung seines gottgegebenen Charmes vermissen ließ. Sie war gänzlich anders als die anderen Frauen auf Evermyst. Sogar Ailsa, die hübsche dunkelhaarige Witwe, die sich schon immer nach Ramsay verzehrt hatte, hatte eine Schwäche für ihn.
„Ich glaube, ich habe schonmal von Arbeit gehört“, sagte er. „Mir ist nur entgangen, dass der Begriff das Beleidigen von zahlenden Gästen einschließt.“
„Nur, wenn diese Gäste per Heirat mit mir verwandt sind.“ Sie sagte die Worte leise, sodass niemand sonst von ihrer Verbindung hören würde, und wandte sich einem schlanken Küchenmädchen zu.
„Gib auf die Aalsoße acht, Plums.“
„Ich dachte, du wärest nach Edinburgh gegangen“, sagte Mour.
Isobel sah auf, während sie einen Topf an einem metallenen Schwenker vom Feuer nahm. Sie hob den Deckel vom Topf und probierte seinen Inhalt, bevor sie ihn wieder über die Flammen hängte. „Warum um alles in der Welt solltest du das gedacht haben, MacGowan?“
Er lehnte sich an das grobe Holz des Türrahmens und beobachtete sie bei ihrer Arbeit. Der Anblick war verstörend. Nicht, weil sie arbeitete. Sondern weil er niemanden lieber schuften sehen würde als sie, obwohl in ihren Adern edles Blut floss. Was ihn irritierte, war, dass sie die unansehnlichen Gewänder, die sie auf Evermyst stets getragen hatte, abgelegt hatte und nun in einem einfachen hellen Kleid vor ihm stand, das jede feminine Kurve zu betonen schien. „Vielleicht weil du gesagt hast, dass du dorthin gehen würdest“, schlug er vor.
„Ah ja“, stimmte sie zu. „Nun, dafür gibt es eine einfache Erklärung.“
„Und die wäre?“
„Ich habe gelogen.“
Mour folgte ihr in die Küche, beugte ein Knie und stützte seine Fußsohle hinter sich an die Wand. Das dünne Mädchen namens Plums sah ihn schüchtern an. Ein rötlich-violettes Geburtsmal bedeckte ihr linkes Ohrläppchen und einen Teil ihres Kiefers. Er grinste sie an, aber sie wandte den Blick schnell ab. „Aus einem bestimmten Grund?“, fragte er und wandte sich wieder Bel zu.
Sie zuckte mit den Achseln. „Damit du mich nicht länger belästigst.“
Da passierte es: Sein kleiner Finger zuckte. Es war ihm vor über einem Jahr zum ersten Mal aufgefallen, als er sie gerade kennengelernt hatte. Sie hatte etwas an sich, das ihn nervös zucken ließ. Er hatte nie richtig festgestellt, wann es aufgehört hatte, nahm nun aber an, dass es direkt nach Isobels Weggang von Evermyst gewesen war. Seitdem war es auf der Burg erfreulich ruhig gewesen. So ruhig, dass er erwog auf das Schloss seiner Eltern weiter im Süden zurückzukehren.
Einmal hatte er die alte Meara von Evermyst gefragt, wie sie so sicher sein konnte, dass Isobel und Anora verwandt waren. Immerhin waren sie bei der Geburt getrennt worden und Isobel war seitdem verschollen gewesen. Trotzdem war die Frage eher ein Witz gewesen, da die beiden fast identisch aussahen. Aber während Anora gebildet und bezaubernd war, war Isobel kühl und unfreundlich. Zumindest zu ihm. Die alte Meara hatte jedenfalls erklärt, dass dem Baby eine Halskette mit einem winzigen, muschelförmigen Anhänger umgelegt worden war, bevor man es fortgab. Er hatte erwähnt, dass das Mädchen keine solche Halskette trug, aber Meara ließ den Einwand nicht gelten. Isobel hatte den Anhänger offenbar genau beschrieben und gesagt, sie habe ihn verloren. Er nahm also an, dass er nicht damit durchkommen würde, sie eine Schwindlerin zu nennen, so sarkastisch sie auch sein mochte. „Ich habe dich nicht belästigt“, korrigierte er.
„Noch eine Prise Minze, Plums“, sagte Isobel, die ein weiteres Gebräu probierte und sich dann kurz zu ihm umdrehte. „Doch, das hast du, MacGowan. Aber ich kann dich wohl kaum beschuldigen. So ist die Liebe nun einmal, nehme ich an.“
„Liebe.“ Mit aller Kraft hielt Mour sich davon ab, wie eine misshandelte Marionette zu zucken. Sogar seine Stimme blieb ruhig. Einzig sein kleiner Finger bewegte sich.
Sie zuckte mit den Achseln. „Dann eben Vernarrtheit“, korrigierte sie.
„Deutest du an, dass ich in dich vernarrt bin, Mädchen?“
Sie sah ihn nur mit großen, unschuldigen Augen in ihrem Elfengesicht an.
„Ich bitte um Vergebung, wenn ich einen falschen Eindruck erweckt habe, Bel, aber ich fürchte, ich habe kein Interesse an dir, abgesehen von einem brüderlichen …“
Sie wandte sich lachend ab. „Die Törtchen sind fertig, Birtle, mein Junge. Pass auf, dass du dich nicht verbrennst.“
„Sehr wohl, Herrin.“
„Warum bist du also hier, MacGowan?“, fragte sie und sah ihm plötzlich ins Gesicht.
Gilmour starrte sie an. Die unterwürfige Küchenmagd, die sie in Gesellschaft anderer auf Evermyst vorgegeben hatte zu sein, hatte ihm weitaus besser gefallen. Einst hatte sie tatsächlich geglaubt nichts weiter als eine Dienerin zu sein, nachdem ihre Mutter sie nach ihrer Geburt fortgegeben hatte, damit nicht irgendein abergläubischer Narr sagen würde, Zwillinge seien des Teufels. Selbst in diesen modernen Zeiten waren jene noch zahlreich, die eifrig „Hexe“ schrien. Doch hier im Red Lion waren solcherlei Ausflüchte nicht vonnöten, denn niemand würde die Wahrheit auch nur vermuten. Und selbst wenn, würde sie niemanden interessieren. Niemanden außer Gilmour und der hatte unglücklicherweise geschworen sein Wissen für sich zu behalten.
„MacGowan“, wiederholte sie mit in die Hüften gestemmten Armen. „Ich habe gefragt, warum du hier bist.“
Das Lächeln war von ihren Lippen verschwunden und ihm dämmerte plötzlich, dass eine gute Lüge angebracht wäre – denn wenn er die Wahrheit herausplauderte, könnte das unschöne Konsequenzen sowohl für ihn selbst als auch für seine Familie haben.
„Ich habe gehört, dass der Branntwein hier außergewöhnlich gut ist.“ Er wollte auch das Essen loben, aber offensichtlich war sie dafür verantwortlich und er wollte ihr ohnehin schon großes Selbstbewusstsein nicht noch weiter steigern.
„Du bist also zehn Meilen von Evermyst hierher geritten, um einen Schluck zu trinken?“
„Ich war ziemlich ausgetrocknet.“
„Und das Bier von Stout Helena war nicht genug für dich?“
Er lächelte. „Ich bin nicht leicht zufriedenzustellen.“
„Tatsächlich habe ich gehört“, sagte sie, „dass du sehr leicht zufriedenzustellen bist.“
„Warum hört sich das wie eine Beleidigung an, Bel?“
„Vielleicht, weil es eine ist“, sagte sie lächelnd und begann ein Bund Kräuter auf einem Holzbrett zu hacken.
„Verrate mir eins, Isobel“, sagte er und schritt durch die Küche, um neben ihr zu stehen. „Warum bist du immer so gemein zu mir?“
„Möchtest du die Wahrheit hören, MacGowan?“, sagte sie und blickte auf.
„Wird sie schmeichelhaft sein?“
Sie sah ihn einen Moment lang an, hob dann ihre hellen Brauen und lachte.
„Was ist so lustig?“, donnerte eine Stimme im Hintergrund.
Gilmour fluchte stumm.
„Mein Lord.“ Isobels Stimme klang plötzlich sanft.
Munro trat neben Gilmour und starrte Isobel an. „Lady Anora?“
„Nein, mein Lord“, sagte sie. „Ich bin Isobel. Bis vor einigen Monaten war ich Myladys Zofe.“
„Nein. Du siehst aus …“
„Wie Mylady, ich weiß. Es war diese Ähnlichkeit, die sie zunächst bewogen hat, mich in ihren Dienst zu nehmen, und man sagt, dass Vertrautheit die Gemeinsamkeiten noch verstärkt.“
„Isobel?“ Seine Stimme klang immer noch argwöhnisch.
„Richtig. Seht“, sagte sie, nahm ein graues Tuch von einem Tisch in der Nähe und bedeckte damit ihr Haar. Mour sah, dass sie nun wieder eine gebeugte Haltung angenommen hatte.
Munro blickte noch finsterer drein. „Was magst du hier tun, Mädchen?“
„Mylady brauchte mich nicht länger, also ging ich fort, um mein Glück zu suchen. Und Ihr, mein Lord, warum beehrt Ihr uns hier mit Eurer Anwesenheit?“
Innes’ Blick streifte Gilmour. „Ich war hungrig.“
„Ah.“ Der Laut klang absolut unschuldig, aber etwas in ihren Augen sprach Bände. „Ich hoffe, das Mahl war zu Eurer Zufriedenheit.“
Munro sah sich in der Küche um. „Kochst du hier?“
„Sehr wohl. Es war ein großes Glück, dass sie mich hier genommen haben.“
„Vielleicht sind sie diejenigen, die großes Glück haben.“
Sie knickste schüchtern. „Ihr schmeichelt mir, mein Lord.“
„Das tue ich nicht“, sagte Munro, dessen Miene sich leicht aufhellte, als ihm klar wurde, dass das keine Beleidigung gewesen war. Trotzdem waren seine Brauen noch über seinen zu Schlitzen verengten Augen zusammengezogen. „Du siehst sehr hübsch aus in diesen hellen Farben, Mädchen.“
Isobel kicherte und richtete ihren Blick wieder auf das Hackbrett.
Gespannt verfolgte Gilmour ihre plötzliche Verhaltensänderung.
„Nun, du siehst nicht halb so mager aus, wie ich dich in Erinnerung habe. Tatsächlich möchte ich dich bei deinem Anblick gern …“ Munro hielt inne und sah Mour an. „… auf ein Getränk einladen.“
„Oh“, hauchte Isobel. „Ich fühle mich geehrt, mein Lord. Aber ich kann nicht. Meine Pflichten hier halten mich ziemlich beschäftigt.“
„Könntest du nicht …“
„Nun, am besten gehen wir jetzt“, unterbrach Gilmour und nahm Munro am Ellbogen. „Guten Abend, Isobel.“
„Guten Abend.“
„Was zum Teufel tust du da?“, zischte Munro und ließ sich nur schwer mitziehen.
„Ich überlasse die Magd ihren Pflichten“, sagte Gilmour. „Wie es ein Gentleman eben tut.“
„Ich bin kein Gentleman.“
Gilmour blickte über seine Schulter zurück und sah eine verwirrte Isobel, während er den Riesen in den Essbereich manövrierte. „Genau dabei möchte ich dich ja unterstützen – ein Gentleman zu werden“, sagte er und sank auf seinen Stuhl zurück, wobei ihn ein halbes Dutzend neugieriger Gesichter beobachtete.
Munro sah auf ihn hinab. „Mein Plan war gerade dabei sich zu formen“, sagte er in einem Ton, der für Gilmours Geschmack ein wenig zu sanft klang. „Und es braucht ein wenig mehr als deinesgleichen, um mich jetzt noch davon abzubringen, Junge.“
Gilmour hob seinen Kelch und zuckte mit den Achseln. „Dann mach es doch, um Himmels willen. Wenn es dir egal ist, dass ganz Schottland dann wissen wird, warum du hier bist.“
Der Munro stand vor ihm, starr wie eine Lanze. „Drohst du mir, MacGowan?“
Einige Tische weiter unterbrach der Baron von Winbourne sein Gespräch mitten im Satz. Ein glatt rasierter junger Mann in dunkler Lederkleidung stand neben dem Herd und beobachtete ihn mit grimmigem, fast vertrautem Blick.
„Nein“, sagte Gilmour, „keine Drohungen.“ Seine Muskeln waren gespannt wie Wagenfedern. „Und vielleicht liege ich auch gänzlich falsch. Vielleicht würde die Magd ihren Freunden auf Evermyst nichts erzählen, wenn sie die Nacht mit dem großen Lord der Munros verbrächte.“
Munros Blick war finster genug, um ein Loch in Gilmours Stirn zu brennen, aber Mour ignorierte das, als er sein Ale schlürfte.
„Es gäbe viel zu reden“, knurrte Innes.
„Ich kann es mir vorstellen“, stimmte Gilmour trocken zu.
„Das Oberhaupt der Munros schenkt einer einfachen Frau seine Gunst. Ich bin mir sicher, dass es schwierig für sie wäre, diese Neuigkeit für sich zu behalten.“
„Wohl wahr“, knurrte Innes und blickte in Richtung Küche. „Nun, vielleicht gehe ich am besten zu Bett, bevor ich nicht widerstehen kann und sie für alle anderen Männer ruiniere, hm?“, sagte er und klopfte Gilmour auf die Schulter.
„Sehr wohl“, sagte Gilmour säuerlich.
Später, als Mour die Stalltür öffnete, um nach seinem Pferd zu sehen, fragte er sich, was zum Teufel Isobel hier tat, so weit von der komfortablen Burg ihrer Schwester entfernt. Heckte sie etwa einen boshaften Plan gegen seinen Bruder Ramsay aus?
Und noch wichtiger, warum zur Hölle flirtete sie mit dem Munro als wäre der ein verdammter Prinz? Der Mann konnte kaum seinen eigenen Namen aussprechen. Und was sein Aussehen anbelangte … Es gab keinen Grund auch nur anzunehmen, dass sie ihn attraktiv fand. Oder doch?
Fragen strömten durch Gilmours Kopf, während er sich versicherte, dass Francois sicher eingesperrt war. Der Hengst hatte einen Hang zum Herumstromern und verursachte für gewöhnlich Ärger, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Aber alles schien in Ordnung zu sein, also schloss Mour die Tür und ging zurück ins Gasthaus. In seinen Gedanken tanzte die gertenschlanke Isobel unbewusst verführerisch von Tisch zu Tisch und lachte dabei heiser mit ihren betrunkenen Gästen.
Gilmour blickte finster drein, als er die schmale Treppe zu seiner Schlafkammer hinaufstieg. Warum sollte sie sich für ein Leben als Dienerin entscheiden, wenn ihr alle Möglichkeiten offenstanden vornehm hoch über dem Meeresrauschen auf Evermyst zu leben?
Er wusste darauf keine Antwort. Aber es würde sicher interessant werden es herauszufinden.