Leseprobe Verloren im Moor

Kapitel 1

DS Joseph Easter schlug die Augen auf. Er war sofort hellwach und reagierte automatisch, ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Soldat einer Spezialeinheit. Seine Ohren lauschten angestrengt nach Geräuschen, die nicht da sein sollten. Er schnupperte in der Luft nach ungewöhnlichen Gerüchen, und seine Augen suchten das vom Mondlicht erhellte Schlafzimmer systematisch ab. Als er sicher war, dass er allein war, las er die Uhrzeit von seinem Funkwecker ab und zwang sich zu entspannen. Offenbar starben alte Gewohnheiten nur langsam.

Joseph setzte sich auf und schlug die Decke zurück. Okay, es war zwar niemand hier eingedrungen, aber irgendetwas hatte ihn geweckt, und ein Gefühl des Unbehagens klebte an ihm wie ein Ölfilm.

Ohne das Licht anzuknipsen, schlich Joseph über den Dielenboden zum Fenster. Mit einigem Abstand von der Scheibe überblickte er sorgfältig die Umgebung seines Zuhauses.

Knot Cottage lag in der Nähe der Mündung des Wayland River, in einem abgelegenen Teil der Marsch Cloud Fen. Er hatte gehört, dass es vor langer Zeit das Cottage eines Aalfängers gewesen war, was die alten Fallen und Körbe erklärte, die er in einem verfallenen Steinschuppen gefunden hatte. Eines Tages würde er die Geschichte des alten Ortes erkunden, aber jetzt ging es im Gebiet des Fenland Constabulary um Verbrechen, und Freizeit war schwer zu bekommen.

Er überblickte den kleinen, ordentlichen Garten und das Flussufer, sah aber nichts außer das langsam fließende Wasser. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er die Straße durch die Marsch entlang in die Richtung, in der er Cloud Cottage Farm deutlich im silbernen Mondlicht sehen konnte. Das Anwesen lag ungefähr eine Viertelmeile die Straße hinauf und war das einzige weit und breit. Er betrachtete den Umriss des alten Farmhauses und sah eine blasse, dünne Rauchfahne in den Himmel aufsteigen. Sofort erstarrte er. Vor ein paar Stunden hatte er Nikki Galena in Cloud Cottage Farm besucht, und der Kamin im Wohnzimmer war leergefegt gewesen. Es war kein neues Feuer angezündet worden. Da spätes Frühjahr war und Nikki nicht vom Feuer abhängig war, um warmes Wasser zu erhalten, würde erst im Herbst wieder Feuerholz herangeschafft werden.

Joseph stolperte zu einem alten Kleiderschrank aus Eichenholz hinüber, zog eine Schublade auf und zog ein Fernglas heraus. Es war von guter Qualität, teuer und ermöglichte ihm eine deutliche Nachtsicht. Er eilte zum Fenster zurück, richtete das Fernglas auf Nikkis Haus und stellte es ein.

„Mist!“ Ein flackernder Schein erhellte sich und wurde wieder schwächer, nur um wieder anzuschwellen, diesmal ein wenig heller als zuvor. Es kam von einem Außengebäude, das nahe am Haus stand. Fluchend warf sich Joseph übers Bett und griff sein Handy. Zuerst rief er die Feuerwehr und wählte dann Nikki Galenas Nummer.

Während er darauf wartete, dass sie abnahm, zog er eine Jeans und ein Sweatshirt an und stieg barfuß in seine Schuhe. „Komm schon, komm schon!“, schimpfte er. Als er eine schläfrige Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm, schrie er: „Verlass sofort dein Haus, Nikki! Eines der Außengebäude brennt! Ich glaube, es ist die Garage. Die Feuerwehr ist unterwegs.“ Er raste seine schmale Treppe hinab. „Ebenso wie ich. Geh jetzt nach draußen.“

Sobald er sicher war, dass sie wach genug war, um die Gefahr zu begreifen, in der sie sich befand, eilte er nach draußen und rannte den Weg hinauf. Er hätte das Auto nehmen können, doch er war gut in Form und könnte in der Zeit, in der er den Schlüssel gesucht und den Wagen aus der Einfahrt gelenkt hatte, bereits dort sein.

Er wusste, dass Nikki in den Arbeitsmodus verfallen war, sobald seine dringliche Stimme sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Nikki war nicht nur seine Nachbarin, sondern auch seine Chefin und beste Freundin. Detective Inspector Nikki Galena war die Leiterin der Kriminalpolizei von Greenborough. Sie war eine ausgesprochen fähige Frau, die keine Faulpelze duldete. Doch sie ging immer mit gutem Beispiel voran, und auch wenn ihr Ruf sie nicht zur beliebtesten Mitarbeiterin machte, war sie gerecht und dabei eine verdammt gute Polizistin. Vor allem hatte sie sich den Respekt ihres Teams verdient, und jeder daraus würde für sie barfuß über heiße Kohlen laufen.

Als er um die Ecke des alten Farmhauses rannte, sah er Nikki in einem übergroßen Schlafanzug und einem Frotteebademantel, wie sie Wasser aus einem Gartenschlauch an das Garagentor spritzte.

„Gott sei Dank habe ich das Auto gestern Abend draußen geparkt!“, rief sie zu ihm herüber. „Das wäre hochgegangen wie eine Rakete! Der Tank ist gerade voll.“ Sie zeigte auf die Seitenwand des steinernen Außengebäudes. „Dort drüben stehen ein paar Regentonnen. Hol dir einen Eimer und hilf mir, das Holz nasszumachen. Wenn wir drumherum alles nassmachen können, können wir die Flammen in Schach halten, bis die Feuerwehr hier ist.“

Joseph begann, die hölzernen Fensterrahmen mit Wasser zu tränken. „Das hält bis jetzt ziemlich gut.“

„Auf jeden Fall.“ In Nikkis Gesicht sah er Verärgerung und Sorge. „Was zur Hölle ist hier passiert? Was hat den Brand ausgelöst?“

„Meist die Elektrik“, rief Joseph zurück. Er lauschte, als das Knistern in dem alten Gebäude lauter wurde. „Nikki! Ich glaube, wir sollten zurücktreten! Ist dort drinnen irgendetwas, was den Brand noch beschleunigen könnte?“

„Farbeimer, Alkohol, Aerosole. Das ganze Zeug eben, das man so in seine Garage stopft.“ Sie klemmte den Schlauch hinter ein Spalier und ließ ihn auf die Tür gerichtet. „Du hast recht, Joseph. Gerade kommen mir Worte wie Besonnenheit und Tapferkeit in den Sinn.“

Gemeinsam zogen sie sich zurück, bis sie einen sicheren Abstand zwischen sich und die Flammen gebracht hatten, und zogen dabei alles, was irgendwie brennbar schien, hinter sich her.

„Es kann nicht die Elektrik gewesen sein“, murmelte Nikki, während sie einen schön geschnitzten Gartenstuhl in Sicherheit zerrten. „Kurz vor dem Winter habe ich alle Außengebäude neu verkabeln lassen.“ Sie sah ihn sorgenerfüllt an. „Erinnerst du dich? Ich wollte das kleine Lager aus Backstein in einen Fitnessraum verwandeln.“

Joseph nickte. „Trotzdem kann es eine Störung gegeben haben. Einen Kurzschluss oder einen Stromstoß durch eine defekte Verbindung irgendeiner Art.“

„Wenn das der Fall ist, werde ich dem Elektriker die Hölle heiß machen“, knurrte Nikki. Sie schaute ihn an und biss sich auf die Lippe. „Verdammt, Joseph, bete einfach nur, dass die Flammen nicht das Haus erreichen. Ich habe nicht mehr viel, woran ich mich halten kann. Wenn mein Zuhause nun auch noch den Bach hinuntergeht …“ Sie schüttelte den Kopf und ließ den Satz unbeendet.

Joseph spürte eine Welle des Mitleids. Sie war so stark, dass es ihm vorkam, als hätte ihm jemand einen Schlag versetzt. Hätte er es zugelassen, wären ihm Tränen in die Augen getreten. Erst zwei Wochen zuvor hatte Nikki ihre einzige Tochter zu Grabe getragen. Hannah. Ihre eigene Mutter war schon seit vielen Jahren tot, und ihr Vater litt an Demenz und lebte in einem Pflegeheim. Joseph blickte an dem schönen alten Farmhaus hinauf, das auch Nikkis Elternhaus war, und ihm wurde klar, wie viel es ihr bedeutete. Er legte seinen Arm um sie und drückte sie ermutigend. „Dein Zuhause wird durchkommen, ich verspreche es.“

„Und wie kannst du das sagen?“ Ihre Stimme klang wie die eines kleinen Kindes, ohne jede Spur der Zuversicht, die er gewöhnt war.

Er lächelte sie an. „Weil, meine verehrte und geschätzte Chefin, ich dort hinten Blaulicht sehe. Die Feuerwehr kommt und rettet den Tag!“

***

Eine Stunde später standen Joseph, Nikki und Aidan Barber, der Feuerwehrhauptmann, vor dem verkohlten Durcheinander, das ihre Garage gewesen war.

„Wie zur Hölle findet ihr Jungs heraus, wie ein Feuer angefangen hat?“, fragte Nikki. „Seht euch nur dieses Chaos an.“

Sie alle betrachteten den dampfenden, triefenden und verkohlten Haufen, der den Steinboden bedeckte.

„Oh, das hier ist gar nicht so schlimm.“ Aidan lachte trocken. „Es ist ja kein Großbrand.“ Sein Lächeln schwand. „Obwohl es leicht einer hätte werden können. Es war ein verdammtes Glück, dass Sie den Rauch gesehen haben, DS Easter. Viel länger hätte es nicht gedauert, bis es auf die anderen Gebäude und das Wohnhaus übergesprungen wäre. Ein Funkenregen hat schon die Außenfarbe ruiniert.“ Er blickte Nikki ernst an. „Das war knapp, DI Galena. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ein guter Brandgutachter kann Ihnen sagen, was passiert ist, selbst wenn er nur noch die Asche vorfindet.“ Er trat auf die Lücke zu, in der sich zwei dicke Holztüren befunden hatten. „Sehen Sie. Man erkennt den Weg, den das Feuer genommen hat.“ Er zeigte auf die geschwärzten Deckenbalken. Man nennt das Brandmusteranalyse. Sehen Sie, dort drüben hat es am schlimmsten gebrannt. Dort hat das Feuer meiner Meinung nach begonnen und sich dann in Richtung Tür bewegt.“

Joseph betrachtete den verbrannten Schutt an der Rückwand der Garage. „Dort war der Sicherungskasten, oder?“

Aidan nickte. „Ja, aber ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich habe vor langer Zeit gelernt, das nicht zu tun. Nur Beweise liefern die richtige Antwort, und deswegen habe ich einen der Gutachter angerufen.“

Joseph nickte. „Gut.“ Um Nikkis willen versuchte er, positiv zu klingen, doch insgeheim fragte er sich, ob der Hauptmann den Gutachter bestellt hatte, weil er Brandstiftung vermutete.

„Ist es jetzt sicher?“, fragte Nikki vorsichtig.

„Keine Sorge. Wir werden erst gehen, wenn wir sicher sind, dass keine Brandherde mehr existieren.“ Er sah sie entschuldigend an. „Aber ich fürchte, Ihre Nacht ist ruiniert. Ich würde es vorziehen, wenn Sie nicht ins Haus zurückgingen, bevor wir es einer sorgfältigen Prüfung unterzogen haben. Mit meinen Leuten, die hier noch eine Weile beschäftigt sind, würden Sie sowieso keinen Schlaf mehr finden.“

„Gehen wir doch zu mir. Ich denke, du könntest ein Tässchen Tee gebrauchen, oder vielleicht etwas Stärkeres.“ Joseph schaute Nikki ins Gesicht. Heute wäre nach Hannahs Tod ihr erster Tag zurück auf dem Revier. Nun sah es so aus, als würde sie sich stattdessen einen Müllcontainer bestellen und versuchen, den Hof aufzuräumen.

„Sorry, aber was ich brauche, ist eine verdammte Dusche. Ich sehe aus, als hätte ich eine Doppelschicht in einer Kohlenmine hinter mir.“

„Ich weiß, dass Knot Cottage winzig und voller wunderlicher alter Dinge ist, aber seltsamerweise hat es fließendes heißes Wasser.“ Er versuchte, die Stimmung aufzuhellen. „Und wenn der Hauptmann dir nicht erlaubt, schnell hineinzugehen und dir frische Kleidung zu holen, kannst du dir ein Sweatshirt und eine Jogginghose von mir leihen.“

„Das Angebot mit der Dusche nehme ich gern an, aber da du gute eins achtzig groß bist, sehe ich davon ab, deinen Kleiderschrank zu plündern.“ Nikki schenkte ihm ein müdes Lächeln. „Aber trotzdem danke.“

„Ich begleite Sie hinein, damit Sie ein paar Sachen holen können“, sagte der Feuerwehrhauptmann. „Nur um sicherzugehen, dass Ihnen keine Gefahr droht.“

***

Zehn Minuten später gingen Nikki und Joseph langsam die Straße zum Fluss und zu seinem Haus hinunter. „Gott sei Dank hast du Schlafstörungen.“ Nikki hakte sich bei ihm unter. „Oder hast du plötzlich eine Art Hellsichtigkeit entwickelt?“

Joseph trug eine große, vollgestopfte Sporttasche, die Nikki eilig mit schlecht sortierten Kleidern und Toilettenartikeln gefüllt hatte. „Keins von beidem. Etwas hat mich geweckt, und meine alten Soldatenreflexe waren sofort da. Ich habe die Umgebung automatisch nach einfallenden Rebellen abgesucht.“

„Und diesmal war es kein Fuchs, der einen Einsatz auf deiner Mülltonne hatte?“

Er zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, was es war. Aber ich habe den Rauch durch puren Zufall gesehen.“

Ihr Griff um seinen Arm wurde fester, und er hatte das Gefühl, dass sie soeben denselben Gedanken gehabt hatte wie er. Was wäre gewesen, wenn …? Er beschloss, das Thema zu wechseln.

„Da ist ganz schön viel Zeug in dieser Tasche. Der Hauptmann sagte, du könntest am Morgen zurückkehren.“

„Ich habe alles eingepackt, was ich für die Arbeit brauche, falls die Feuerwehrleute dann immer noch in meinen Blumenbeeten herumspringen.“

Joseph sah sie überrascht an. „Du willst wirklich zur Arbeit gehen? Aber was ist mit …?“ Er deutete über seine Schulter zum Farmhaus.

„Du glaubst doch nicht, dass ich dieses Chaos aufräumen werde, oder?“ Sie lachte kurz auf. „Ich werde morgen Phil Maynard anrufen, nachdem ich mit der Versicherung gesprochen habe. Er soll seinen Sohn und seinen Kleinbagger losschicken. Er ist immer auf der Suche nach Baustellen, und sobald ich die Freigabe bekomme, kann er schauen, ob es sich lohnt, es wiederaufzubauen, oder ob wir es lieber abreißen.“ Sie verlangsamte ihren Schritt und schaute ihn an. „Ich muss zurück zur Arbeit, Joseph. Ich kann nicht weiter zu Hause bleiben und vor mich hinbrüten. Hannah ist fort, und ich muss einen Weg finden, darüber hinwegzukommen.“ Sie fuhr sich mit ihrer schmutzigen Hand über ihre rußverschmierte Stirn. „Meine Arbeit ist alles, was ich jetzt noch habe. Das Beste, was ich tun kann, ist hundert Prozent da hineinzustecken.“

„Du hast immer alles gegeben“, sagte Joseph sanft. „Selbst wenn du es kaum noch ausgehalten hast, hast du die Arbeit nie darunter leiden lassen.“ Einen Moment lang fühlte er sich traurig. Nicht wegen Nikkis Kummer, sondern weil sie gesagt hatte, ihr sei nichts außer der Arbeit geblieben. Während sie weitergingen, bemerkte er leicht überrascht, dass er verletzt war. Weil sie mehr als ihre Arbeit hatte. Sie hatte ihn. Sie waren vielleicht kein Paar, doch sie waren in den letzten vier Jahren zusammen durch dick und dünn gegangen, und sie standen sich nahe. Näher als viele der verheirateten Paare, die er kannte. Näher als manche Familien und auf jeden Fall näher als Arbeitskollegen.

„Ich kann einfach nicht glauben, dass ich mein Mädchen nie wieder sehen werde.“ Nikki starrte in die dunkle und scheinbar endlose Salzmarsch hinaus. „Ich denke, sie wäre immer noch im Krankenhaus. Dass ich sie besuchen gehen sollte, dass ich anrufen und nach ihr fragen sollte. Gestern ertappte ich mich dabei, wie ich einen Song von einer ihrer Lieblingsgruppen auf ihren MP3-Player lud.“ Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. „Nach allem, was sie durchgemacht hat, nach Jahren, in denen sie um ihr Leben gekämpft hat, kann ich nicht fassen, dass es so etwas Einfaches wie eine Erkältung war, die sie schließlich umbrachte.“

Sie waren das in den letzten Wochen so oft durchgegangen, dass Joseph befürchtete, seine Antworten würden mittlerweile wie leere Plattitüden klingen. Es gab nichts, was er sagen konnte, um sie zu trösten, also drückte er ihren Arm.

„Weißt du, was jemand auf der Beerdigung zu mir gesagt hat?“ Nikkis Tonfall verriet ihren Unglauben. „Diese Frau, eine entfernte Verwandte, meinte, dass es jetzt ja so viel einfacher für mich wäre, weil Hannah ja im Koma gelegen hatte! Einfacher! Kannst du das glauben? Sie war der Ansicht, ich hätte sie bereits vor Jahren verloren und meine Trauer größtenteils bewältigt, als sie verunglückte.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich wollte sie schlagen. Immer weiter.“ Ihre Stimme klang rau, nun da Wut und Schmerz kollidierten. „Es gab keinen einzigen Tag, Joseph, in der ganzen Zeit, an dem ich nicht glaubte, dass es für Hannah ein Wunder geben könnte. Nicht einen einzigen.“

„Ich weiß.“ Er hatte einen Kloß im Hals und hoffte, dass sie es nicht bemerkte. Er hatte ebenfalls eine Tochter. Eine, von der er glaubte, er hätte sie unabsichtlich im Stich gelassen. Nun war er verzweifelt bemüht, Brücken zu schlagen, zu entdecken, wie tief die alten Wunden waren und dass es nicht leicht war, sie zu heilen. Er liebte seine Tochter und würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um alles wieder gutzumachen, doch er war sich nicht sicher, dass er all das hätte tun können, was Nikki für Hannah getan hatte.

„Und wenn ich die Worte gesegnete Erlösung nur noch ein einziges Mal hören muss, schreie ich. Es ist keine Erlösung, es ist die pure Qual! Vielleicht konnten wir nicht zusammen shoppen gehen und noch nicht einmal mehr so schön streiten, wie wir es früher taten, aber ich konnte wenigstens mit ihr reden, ihre Hand halten, mit meinen Fingern durch ihr Haar fahren.“ Verärgert kickte sie einen Stein fort und sah zu, wie er den Weg vor ihr entlangschlitterte.

Joseph ließ sie wüten. Sie hatten eine Vereinbarung getroffen. Vor Jahren schon, als die Dinge hässlicher wurden, als sie hätten werden dürfen. Keine Geheimnisse, keine Maskeraden, keine Lügen. Er war der Einzige, bei dem Nikki sie selbst sein konnte, mit allem Drum und Dran. Dasselbe galt für ihn.

Als er die Tür von Knot Cottage öffnete, wurde ihm klar, dass sie beide füreinander ein Sicherheitsnetz waren. Ihre Arbeit war hart. Sie konnte einen zerstören, wenn man es zuließ, und dieses Sicherheitsnetz sorgte dafür, dass sie mental gesund blieben.

Er goss ihnen beiden einen Schluck Brandy ein und schickte Nikki dann in die Dusche.

Als er an seinem Drink nippte, schaute er aus dem Küchenfenster und sah, dass das blasse, wässrige Morgengrauen die seltsame Wasserwelt langsam erhellte, in der er lebte. Er war hier nicht aufgewachsen wie Nikki. Er war ein Zugezogener. Die seltsame Wildheit, die Einsamkeit und die Schönheit der Sümpfe hatten ihn mit aller Macht in ihren Bann gezogen. Und sehr bald hatte er herausgefunden, dass es genau das war, was er brauchte. Das Cottage, das er als reine Notlösung gemietet hatte, war sein Zuhause geworden, nachdem der vorherige Eigentümer, Martin Durham, gestorben war, und seine Schwester es Joseph zum Kauf angeboten hatte. Nun war das kleine Aalfänger-Cottage sein sicherer Hafen, sein Unterschlupf und seine Rettung. Der bittere, desillusionierte Geist eines Soldaten, der sich immer noch in dem Polizisten verbarg, schwand langsam.

Er kippte seinen Brandy hinunter. Nun war Nikki an der Reihe. Er betete nur, dass der Prozess so schmerzlos wie möglich verlaufen und sie in einem Stück am anderen Ende herauskommen würde.

Kapitel 2

Nikki hatte es geschafft, in ihr Büro zu kommen, ohne mit irgendwem geredet zu haben. Es half, dass ihre Schicht erst in anderthalb Stunden beginnen würde. Sie benötigte die zusätzliche Zeit jedoch auch, um die Erinnerung an den Grabschmuck und den Sarg abzustreifen und ihre Polizei-Attitüde wiederzuerwecken.

Sie betrachtete den Stapel Berichte und Notizen auf ihrem Schreibtisch und zog eine Grimasse. Sie war zu einem schlechten Zeitpunkt verschwunden. Sie arbeiteten an einem großen Fall, und obwohl Joseph sich glänzend schlug und wortlos zusätzlich zu seiner Arbeit auch noch ihre erledigte, hatten sie nur wenige Fortschritte gemacht.

Es war ein seltsamer Fall, der direkt aus der Feder von Agatha Christie hätte stammen können, nur dass er hochtechnologisch und rätselhaft war und, soweit sie es erkennen konnte, keinen Vikar betraf. „Ein echter Mord in einem abgeschlossenen Raum“, murmelte sie vor sich hin. „Schade, dass ich nicht Miss Marple bin.“

Es klopfte an der Tür, und sie spannte sich an. Als sie sah, wie Joseph sich mit zwei Kaffeebechern und Tüten vom Bäcker in ihr Büro schob, beruhigte sie sich sofort.

„Warme Croissants und heißer Kaffee.“ Er sah sie mahnend an. „Wir lassen nicht das Frühstück aus, DI Galena.“

„Ups. Ich hätte nicht gedacht, dass du das bemerkst. Du bist in einem Sessel eingeschlafen, also dachte ich, ich mache mich davon und lasse dich nach dieser grässlichen Nacht ein wenig ruhen.“

„Ich habe nur gedöst und genau gehört, als du gegangen bist.“ Er nahm den Deckel von seinem Becher und Dampf stieg auf. „Ich dachte, du würdest vielleicht nachsehen, was die Feuerwehr auf deinem Grundstück angestellt hat, bevor du zur Arbeit fährst.“

Sie nickte und zog ein Gesicht. „Es ist ein verdammtes Chaos, aber wenigstens braucht das Haus selbst nur einen neuen Anstrich. Ich hatte so viel Glück.“ Sie öffnete die Tüte und nahm das Croissant heraus. Es sah gut aus und sie fragte sich plötzlich, wann sie zuletzt etwas gegessen hatte. „Die Versicherung schickt noch einen Gutachter, und der Brandgutachter von der Feuerwehr ist bereits vor Ort. Er will später herkommen und mit mir sprechen.“

„Kann ich dabei sein?“

„Klar. Sehr gern sogar.“

„Also, wie lautet der Plan für heute, Boss?“ Joseph schaute sie über den Rand seines Bechers hinweg an.

„Du bringst mich über die Operation Windmühle aufs Laufende, und um Punkt neun Uhr gehen wir ins Kriminalbüro. Ich habe jeden verfügbaren Officer zu einem kurzen Meeting einbestellt.“ Nikki holte tief Luft. Sie hatte nicht geplant, was sie zu ihren Kollegen sagen wollte, und hoffte einfach, dass es das Richtige sein würde. Ihr war klar, dass sie im Augenblick nicht mit Menschen umgehen konnte, die nicht wussten, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten. Wenn sie einfach zur Tagesordnung überging, wäre es vielleicht für alle einfacher. „Gut. Fortschritt im Mordfall Magda Hellekamp, bitte.“

Joseph zog eine Grimasse. „Da gibt es leider nur sehr wenig seit unserem letzten Update. Wir stehen in ständiger Verbindung mit Holland, haben aber bisher kein Motiv für die Tat gefunden. Kein Strafregister, keine Feinde. Ihre Firma, die Hellecroppen Corporation, scheint quietschsauber. Sie ist in ihrem Bereich hoch angesehen und kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte in der Welt der GPS-Technologie für Landwirtschaftsmaschinen zurückblicken. Sie war alleinstehend, ohne zweifelhafte Beziehungen oder eifersüchtige Ex-Partner.“

„Und sie war reich.“

„Stinkreich, aber das war Familiengeld und steckte zum größten Teil in der Firma. Sie nehmen eine Vorreiterrolle beim technologischen Fortschritt in der Landwirtschaft ein, und das bedeutet hohe finanzielle Verpflichtungen.“ Er nahm einen Bissen von seinem Croissant, kaute nachdenklich und fügte dann hinzu: „Wie du weißt, wurde die Wohnung, in der sie gefunden wurde, von der Firma bezahlt. Es war kein Einbruch, der schieflief. Nichts wurde angerührt oder mitgenommen.“

„Also haben wir nach drei Wochen kein Motiv und keine Ahnung, wie der Mörder hinein- oder herausgekommen ist. Er wurde nicht gesehen, obwohl dieses moderne Gebäude mit Überwachungskameras übersät ist. Und die Wohnung war von innen abgeschlossen, offenbar vom Opfer selbst.“

Joseph zuckte die Achseln. „So sieht es wohl aus.“

„Denkst du, es ist vielleicht eine andere Firma, die versucht, Hellecroppen zu zerstören? Ruft ihr Tod größere internationale Probleme hervor?“

„Das bezweifle ich. Wir haben uns ausführlich mit der Firma und der Familie unterhalten. Ihr Tod ist ein großer persönlicher Verlust für sie, aber die Firma ist riesig, wie es sich anhört.“

„Der König ist tot. Lang lebe der König“, sagte Nikki seufzend. „Was ist mit ihrem Privatleben? Irgendetwas muss uns entgangen sein. Eine reiche, atemberaubende Schönheit von fünfunddreißig Jahren muss doch rund um die Uhr einen Haufen Männer um sich gehabt haben, oder? Keine Partner? Keine eifersüchtigen Liebhaber? Es muss welche geben!“

Joseph blies seine Backen auf. „Wir haben keinen gefunden. Der einzige Mann, mit dem sie sich trifft, wenn sie nach England kommt, hat ein Alibi, das so felsenfest ist, dass man ein Haus darauf bauen könnte.“

„Und wer ist das?“

„Lawrence Carpenter. Sechsundfünfzig Jahre alt. Geschieden. Ein Freund der Familie. Hat sich früh zur Ruhe gesetzt, nachdem er einen Haufen Geld in der Agrochemie gemacht hat. Ich habe ihn selbst befragt, und er schien über Magdas Tod am Boden zerstört. Ich könnte mich irren, aber es würde mich sehr überraschen, wenn er mir etwas vorgespielt hätte.“

Nikki gab ein Grummeln von sich. „Nun, und die Methode? Deutet sie auf eine besondere Art von Mörder hin?“

„Ja“, sagte Joseph. „Auf einen verdammt effizienten. Ein einziger Schuss aus nächster Nähe in die Schläfe mit einer Waffe mit Schalldämpfer.“

„Ein Profi?“

„Keine Frage.“

„Ich würde gern den Tatort sehen.“

„Wie wäre es, wenn du das Treffen mit dem Brandgutachter abwartest? Die Wohnung ist immer noch gesperrt. Sehr zum Ärger der Vermieter.“

„Das glaube ich. Was berechnen sie für diese protzigen Firmenappartments?“

„Vier Riesen pro Monat.“

„Was?! Du nimmst mich auf den Arm!“

„Warte, bis du es siehst.“ Joseph grinste. „Ich habe so etwas noch nie gesehen.“

„Aber hier in Greenborough? Das sind Londoner Preise.“

„Tatsächlich gehört diese Gegend zum Herzen der britischen Landwirtschaft. Von Holland zum Hafen von Greenborough ist es mit einem schnellen Schiff ein Katzensprung, und auf der Green-Fen-Landebahn kommen regelmäßig Firmenflugzeuge und Helikopter an. Einige der größeren Unternehmen erkennen gerade, dass hier ein sehr guter Ort ist, um ihre Führungskräfte zu positionieren. Das sagten zumindest die Immobilienmakler.“

„So lebt also die andere Hälfte“, murmelte Nikki. Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Zeit zu gehen und zu den Truppen zu sprechen.“

„Bist du dafür bereit? Ich kann das auch übernehmen, wenn du möchtest.“

Nikki lächelte ihn an. „Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich täte, Joseph, aber hier muss ich allein durch.“

***

Der Raum war zum Bersten voll. Officers saßen und standen im Zimmer und sogar noch im Rahmen der geöffneten Tür. Als Nikki eintrat, fühlte sie sich von der Spannung, dem Mitgefühl und dem Unbehagen, die ihr entgegenschlugen, zu gleichen Teilen beinahe erstickt. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie den Mut hatte, das hier durchzuziehen, doch dann sah sie das Gesicht von WPC Yvonne Collins. Die ältere Beamtin nickte ihr beinahe unmerklich zu und schenkte ihr ein warmes Lächeln. Sie sah sich um und erkannte die vertrauten Gesichter ihrer Teammitglieder: Joseph, DC Cat Cullen und DC Dave Harris. Sie waren ihre Kollegen und Freunde. Wenn es ihr schlecht ging, ging es ihnen ebenso. Ausnahmsweise musste sie sie heute nicht zum Schweigen bringen, denn niemand sagte ein Wort.

„Danke, dass Sie alle gekommen sind. Ich werde Sie nicht lange aufhalten.“ Sie hoffte, dass ihre Stimme nicht zitterte. „Wie Sie alle wissen, starb meine Tochter Hannah vor drei Wochen. Mir wurde eine längere Abwesenheit vom Dienst angeboten, doch ich lehnte ab. Soweit ich weiß, gibt es keine festen Regeln, wie man mit Trauer umgeht, also …“, sie hob ihre Hände, „… kann ich nur tun, was sich für mich richtig anfühlt.“ Sie schaute sie ernst an. „Ich möchte, dass niemand von Ihnen sich unbehaglich fühlt, deshalb richte ich mein Wort an Sie alle.“ Sie holte tief Luft. „Ihre Beileidsbekundungen haben mein Herz erwärmt und ich schätze sie sehr. Ich danke Ihnen dafür. Doch nun bin ich zurück bei der Arbeit und möchte wieder zur Tagesordnung übergehen. Bitte nehmen Sie keine Rücksicht auf meine Gefühle. Wir alle haben einen Job zu erledigen, und ich wäre nicht hier, wenn ich es mir nicht zutraute.“ Einen Moment lang schwieg sie und genoss die kollektive Erleichterung, die sie spüren konnte. „Es kümmert mich nicht, wenn Sie mich für eine kaltherzige Kuh halten. Aber sollten Sie das denken, liegen Sie falsch. Ich gehe nur auf die einzige Weise damit um, die ich kenne.“ Sie schluckte. „Das ist alles.“

Sie trat einen Schritt zurück und atmete erleichtert auf. Dann sah sie, wie Dave Harris langsam aufstand, seine Hände hob und zu klatschen begann.

Es war schwer, die Tränen zurückzuhalten, als plötzlich alle standen und in Daves Applaus einfielen, doch irgendwie schaffte sie es, sich zusammenzureißen, bis der Raum sich leerte.

„Heiliger Strohsack!“ Sie ließ sich in einen Sessel fallen und legte die Hand über die Augen.

„Sie haben es geschafft, Nikki.“ Superintendent Rick Bainbridge kam auf sie zu. „Ich gebe zu, dass ich nicht überzeugt war, aber Sie haben das Richtige getan.“

„Danek, Sir.“ Sie zog ein Taschentuch hervor und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie und Rick kannten sich schon ewig. Sein letzter Monat auf dem Revier war nun angebrochen. Danach würde er in den Ruhestand gehen. Nikki war der Meinung, dass sein Nachfolger, wer immer das auch sein mochte, in sehr große Fußstapfen würde treten müssen.

Er wartete, bis sie allein waren, und setzte sich dann zu ihr. Nikki bemerkte, dass er leicht zusammenzuckte, als er das tat. Sie betrachtete sein dichtes graues Haar und sein faltiges Gesicht und hoffte, dass was auch immer ihn plagte, ihm einen guten und aktiven Ruhestand ermöglichte. In seinen jungen Jahren war er ein teuflisch guter Officer gewesen, und selbst später hatte er es geschafft, mit Würde seinen Schreibtisch zu führen. Sie würde ihn vermissen, auch wenn sie in der Vergangenheit ein paar größere Kollisionen gehabt hatten. Letzten Endes hatte Rick Bainbridge an sie geglaubt, obwohl alle anderen sie am liebsten hinausgeworfen hätten. Sie war froh, dass sie es ihm hatte danken können, indem sie ihr Team zu einem der besten im Fenland Constabulary gemacht hatte.

„Nun, da Sie wieder hier sind, meine Liebe, gibt es etwas, das ich Ihnen sagen muss.“ Er zog seine buschigen Brauen zusammen. „Ich habe die Nachricht erhalten, dass Stephen Cox in der Gegend gesichtet wurde.“

Was auch immer Nikki erwartet hatte, das war es nicht. Sie biss die Zähne zusammen und hielt einen Augenblick die Luft an. Stephen Cox. Allein von diesem Namen wurde ihr übel.

Cox war der, der davongekommen war. Der Mann war ein gemeiner Dealer, der Chaos in Greenborough und Verzweiflung in ihrem Privatleben gestiftet hatte. Er war derjenige, dessentwegen sie immer noch schlaflose Nächte hatte, und den sie mehr als jeden anderen hinter Gittern verrotten sehen wollte.

„Wo?“

„In einer Bar in der Stadt, wenn man meiner Quelle Glauben schenken kann.“

„Wenn sie nicht vertrauenswürdig wäre, Sir, hätten Sie mir nicht davon erzählt. Welche Bar?“

„Cyn City.“

„Genau die Art von Spelunke, in der ich ihn erwartet hätte.“ Sie stand auf und ging im Raum umher. „Weiß Joseph das?“, fragte sie schließlich.

„Noch nicht. Ich dachte, ich warne Sie zuerst.“

Nikki nickte. Sie hatte allen Grund, Cox zu hassen, doch Joseph hatte ein größeres Interesse daran, dass der Drecksack eingesperrt wurde. Stephen Cox hatte Joseph schwer verletzt, und sie fragte sich, wie er auf die Neuigkeiten reagieren würde.

„Da er bisher nur einmal gesehen wurde, wäre ich vorsichtig, Nikki.“ Der Superintendent sah sie eindringlich an. „Wir müssen ganz sicher sein, dass er es ist, bevor wir in die Vollen gehen.“

„Nun, Ihre Quelle hat ihn doch sicher nicht mit irgendwem verwechselt, oder, Sir? Da die Hälfte seines Gesichts verbrannt ist, ist er doch recht auffällig.“

„Auf der Straße heißt es, er habe sich einer Schönheitsoperation unterzogen, aber da niemand, den wir kennen und dem wir vertrauen, ihn tatsächlich gesehen hat, könnte das Teil der großen Gerüchteküche sein.“ Er grinste sie zweifelnd an. „Und vergessen Sie nicht, dass er uns schon zuvor gemeldet wurde, und dabei hat es sich immer um Falschmeldungen gehandelt, meist um Sie zu treffen. Ihre Entschlossenheit, Stephen Cox zu fassen, ist zur Legende geworden.“

Nikki setzte sich wieder. Es stimmte. Jeder örtliche Kriminelle wusste, dass man DI Galena nur sagen musste, man hätte Stephen Cox gesehen, wenn man an ihrer Kette rütteln wollte. Dann konnte man zurücktreten und zusehen, wie sie ausflippte. Warum also glaubte sie, dass es diesmal etwas anderes war?

Weil sie in ihrem Herzen wusste, dass es stimmte. Er hatte immer geschworen, er würde zurückkommen, dass die Polizei es nicht schaffen würde, ihn für immer von Greenborough fernzuhalten. Ein Teil von ihr wollte beinahe, dass es so war. Dass sie eine weitere Chance bekäme, ihn zu Fall zu bringen.

„Was denken Sie?“

„Düstere Dinge.“

Rick Bainbridge stand auf. „Nun, denken Sie an etwas Heitereres, bis wir Genaueres wissen, ja?“

„Ja, Sir.“ Nikki brachte ein Lächeln zustande. Bainbridge wandte sich zum Gehen, hielt dann aber inne. „Ach, bevor ich es vergesse: Die Streifen haben einen vielversprechenden Jungen, der gerade nach einer Schulteroperation zurückgekehrt ist. Er zeigt Interesse an der Kripo, und während er wartet, dass der Doc ihn uneingeschränkt freigibt, könnte er doch vielleicht …“ Er sah sie mit hochgezogener Braue an.

„Schicken Sie ihn her. Er kann Cat und Dave ein bisschen über die Schulter gucken.“

Plötzlich lachte der Superintendent laut auf. „Es gab da einmal eine Zeit, Nikki Galena, in der Sie mir in deutlichen Worten zu verstehen gegeben hätten, dass Sie keine verdammte Babysitterin sind und ich erst einmal in der Kinderkrippe nachfragen sollte, bevor ich Sie belästige. Ich glaube, Sie werden langsam weich.“

„Keine Sorge, Sir. Unter den richtigen Umständen kann ich wieder die Alte werden. Wie heißt der Junge?“

„PC Danny Wilshire.“

„Wilshire? Nicht der Sohn von Sergeant Bob Wilshire, oder?“

Der Superintendent nickte. „Ich vergaß, dass Sie Bob kannten. Er war ein guter Mann und sehr clever. Ich habe nie herausbekommen, warum er nicht selbst zur Kripo gegangen ist.“

„Weil er die Straße liebte, Sir. Er hatte nie auch nur das geringste Interesse daran zu ermitteln. Er wollte einfach nur ein guter alter Polizist sein.“ Nikki lächelte, als sie an Bobs lustiges, kantiges Gesicht und seine tiefen braunen Kuhaugen dachte. „Er war eine Weile mein Partner, als ich selbst noch bei der Streife war. Ich mochte ihn sehr. Und als er krank wurde, hat es mich tief getroffen.“

„Wie uns alle, Nikki. Der junge Danny ist seinem Vater sehr ähnlich. Sie werden ihn mögen.“ Wieder machte er eine Pause und sah sie dann nachdenklich an. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass Bob und Sie …“

Nikki presste die Lippen zusammen. „Ich schlage vor, Sie beschreiten jetzt nicht diesen Weg der Ermittlung. Ich könnte mich auf das alte ‚Kein Kommentar‘ berufen.“

„Das dachte ich mir!“

„Sir!“

Grinsend verließ er das Büro und ließ Nikki allein zurück. Ein Whiteboard dominierte eine Wand. Die Überschrift darauf lautete „Operation Windmühle“. Direkt darunter hing das Foto einer atemberaubend aussehenden Frau.

Magda Hellekamp war hochgewachsen, für eine Holländerin vielleicht durchschnittlich, doch in Nikkis Augen groß. Sie hatte dichtes, gewelltes dunkelbraunes Haar und ein Gesicht, das auf dem Cover der Marie Claire nicht fehl am Platz gewirkt hätte.

„Wer wollte dich tot sehen?“, flüsterte Nikki dem lächelnden, eindimensionalen Gesicht zu. Sie kniff die Augen zusammen. „Du bist viel zu schön, um dich nur satellitengesteuerten Mähdreschern gewidmet zu haben. Was waren deine anderen Leidenschaften, frage ich mich?“ Sie erhielt keine Antwort, stand auf und ging zurück ins Kriminalbüro.

DC Cat Cullen und DC Dave Harris tippten auf ihren Tastaturen und starrten eifrig auf ihre Bildschirme.

„Irgendetwas Interessantes?“, fragte sie die beiden.

Cat blickte auf und fuhr sich mit der Hand durch ihr stachlig gestyltes blondes Haar. „Nein. Dieser ganze landwirtschaftliche Kram langweilt mich zu Tode. Es ist schon schlimm genug, im größten Kohlfeld der Welt zu wohnen, und nun muss ich auch noch lernen, wie man die Pflugfurchen zentimetergenau anpasst.“ Ihre ohnehin schon großen Augen wurden noch größer. „Magda hätte eine Catwalk-Sensation sein können, doch sie entschied sich für verdammte Kreuzblütler! Können Sie das glauben?“

„Ich nehme an, Coco-Chanel-Kleider waren eben nicht ihr Ding.“

„Ja, aber Traktoren? Um Himmels willen.“

„Nicht nur Traktoren“, fiel Dave ein. „Ich habe mir ein paar der Vorhaben von Hellecroppen angesehen, in denen es um Robotik geht.“ Dave lehnte sich in seinem Sessel zurück und schüttelte den Kopf. „In ein paar Jahren wird niemand mehr auf den Feldern arbeiten. Die Maschinen werden über einen Computer in der Küche des Bauern gesteuert. Ein Haufen kleiner Agribots wird pflügen, mähen und Pestizide sprühen.“

„Du hast wieder zu viel Science-Fiction geschaut, Dave, oder? Das wird doch sicher nicht passieren, solange wir noch billige Arbeitskräfte aus dem Ausland haben.“

„Es wird so kommen. Wenn Roboter Autos bauen können, können sie auch Unkraut jäten und Gemüse pflanzen.“ Dave schaute düster auf seinen Bildschirm. „Aber so faszinierend diese Landwirte der Zukunft auch sind, will ich verdammt sein, wenn ich eine Verbindung zum Mord an Magda Hellekamp erkennen könnte.“

„Es muss etwas Persönliches sein“, sagte Nikki.

„Toll. Kann ich diesen langweiligen Kram einfach sein lassen und nach etwas wirklich Schmutzigem graben?“ Cats Augen funkelten.

„Machen Sie das.“ Sie wandte sich an Dave. „Und Sie ebenfalls. Sehen Sie sich ihre Beziehungen noch einmal an. Niemand, der so aussieht, hat nur einen einzigen Freund. Und überprüfen Sie den auch noch einmal. Wie heißt er? Carpenter? Ja, Lawrence Carpenter. Joseph hält ihn für koscher, aber Cat, vielleicht erkennt Ihr berühmtes Mistkerlometer ja doch mehr als eine platonische Freundschaft. Knöpfen Sie ihn sich auf Ihre eigene, unnachahmliche Weise vor.“

Bei diesem Vorschlag sah Cat viel glücklicher aus. „Sehr gern, Ma’am.“

„Und Sie bekommen einen Neuling, um den Sie sich für ein oder zwei Tage kümmern müssen. Sein Name ist Danny Wilshire. Er wartet auf grünes Licht nach einer Operation und möchte gern zur Kripo.“ Sie machte sich auf den Weg zu ihrem Büro und rief dann über ihre Schulter: „Und jagen Sie ihm keine Angst ein. Erzählen Sie ihm ein paar der guten Geschichten, nicht nur den Routinekram. In ein oder zwei Jahren brauchen wir einen Ersatz für Dave, und es wäre schön, ein Eigengewächs zu haben.“

Dave lachte. „Wenn das so ist, Ma’am, bin ich noch nicht bereit für den Schrebergarten, die Pfeife und die Hausschuhe. Dennoch wäre ein Lehrling, dem ich all mein Wissen weitergeben kann, eine gute Sache. Eine Art Vermächtnis.“

„Nun, langweilen Sie ihn einfach nicht zu Tode.“

Nikki lächelte, als sie die Tür zum Büro der beiden schloss. Ihr Team tat genau, was sie wollte. Sie waren einfach sie selbst und benahmen sich in ihrer Nähe völlig normal.

Sie setzte sich an ihren Tisch und zog einen riesigen Stapel Berichte zu sich heran. Sie sollte Joseph wirklich von der mutmaßlichen Sichtung von Stephen Cox erzählen, doch aus irgendeinem Grund scheute sie sich davor. Während dieses desaströsen Falls hatte Joseph schwer gelitten, und sie wollte keine bösen Erinnerungen wecken, falls es doch nur wieder ein falscher Alarm war. Selbst Rick Bainbridge hatte dazu geraten, den Ball flachzuhalten, bis es eine sichere Bestätigung gab. Sie öffnete eine Mappe und schloss sie dann wieder. Das würde nicht funktionieren. Sie und Joseph hatten keine Geheimnisse voreinander. Seufzend stand sie auf. Die Berichte würden warten müssen.

***

Joseph konnte sich nicht konzentrieren. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Feuer zurück, und obwohl er gründlich geduscht und seine Haare zweimal gewaschen hatte, konnte er den Rauch noch riechen. Es war kein schönes Gefühl. Brände verband er mit Krieg. Brennende Gebäude, brennende Panzer, brennende Menschen. Obwohl er nun Polizist war, und zwar schon seit einigen Jahren, forderten die Erinnerungen des Soldaten immer noch Aufmerksamkeit. Er hatte seit Monaten keinen Flashback mehr gehabt, doch er wusste, dass sie immer da waren, in den Schatten lauerten und auf einen Auslöser warteten, um hervorzubrechen.

Er schaute auf seine Uhr. Es war halb elf, und er wusste, dass er nicht zur Ruhe kommen würde, bevor er eine sichere Antwort zu diesem Feuer hatte. Er fragte sich, wann der Brandgutachter wohl eintreffen würde. Im Großen und Ganzen wäre ein Feuer in einer Garage für einen erfahrenen Mann nichts im Gegensatz zu den schrecklichen Infernos, mit denen er sonst umging.

„Entschuldigen Sie, Sergeant? Ich bin auf der Suche nach DI Galena und sie ist nicht in ihrem Büro.“

Joseph blickte auf und sah einen jungen uniformierten Constable, der durch den Türspalt hereinspähte. Er hatte unbändige dunkle Haare, ein seltsames, kantiges Gesicht und ein liebenswürdiges Lächeln.

„Ich bin PC Danny Wilshire. Mein Chef hat arrangiert, dass ich ein paar Tage bei Ihnen sein kann.“

„Großer Gott! Sie sehen aus wie Ihr Vater.“ Nikki stand hinter ihm in der Tür und hatte vor Erstaunen den Mund geöffnet.

„So sagt man, Ma’am. Ich weiß nicht, ob ich ihn deswegen hassen oder lieben soll.“

„Lieben Sie ihn, Constable. Er war ein guter Officer.“ Sie wandte sich an Joseph. „Bob war vor deiner Zeit, und er war einer der besten Cops, den du dir vorstellen kannst.“ Sie drehte sich wieder zu dem jungen Officer um. „Sie können DC Harris und DC Cullen über die Schulter gucken. Wir arbeiten am Mordfall Hellekamp. Operation Windmühle. Ich hoffe, Sie finden es interessant.“

Als der junge Mann fort war, lächelte Joseph. „Wilshire? Nicht dein alter Partner? Der, von dem du mir erzählt hast? Und, vergib mir, wenn ich das sage, aber du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen! Wie kommt es, dass du nicht wusstest, dass sein Sohn hier arbeitet?“

„Seit wann ist deine Besenkammer von einem Büro ein Verhörraum?“ Sie runzelte spöttisch die Stirn. „Er ist erst vor kurzem aus Spalding hergekommen. An seinem ersten Tag hier hat ihm offenbar ein betrunkener Rowdy die Schulter ausgekugelt und die Sehnen zerrissen. Er war monatelang krank.“ Sie lachte kurz auf. „Und er ist seinem Vater aus dem Gesicht geschnitten.“

Nikki ließ sich in den einzigen anderen Sessel fallen und sah Joseph über seinen Schreibtisch hinweg an.

Ihm gefiel ihr Gesichtsausdruck nicht.

„Ich müsste das Thema wechseln …“

„DI Galena?“ Eine grummelige Stimme unterbrach sie. Joseph wandte sich um und sah einen stämmigen Mann mit einer Karte um seinen Hals, die ihn als Angehörigen der Feuerwehr auswies. „John Carson, Lincolnshire Fire Service. Können wir uns unterhalten?“

Nikki nickte, stand auf und deutete auf Joseph. „Einer der Vorteile eines höheren Dienstgrades ist, dass ich in meinem Büro drei Stühle habe. Kommen Sie.“

Sobald sie im Büro der DI angekommen waren, schloss Joseph die Tür.

„Ich habe meine Überprüfung Ihres Anwesens abgeschlossen, DI Galena, und kann bestätigen, dass das Feuer im Sicherungskasten ausgebrochen ist.“

Nikkis Miene verdüsterte sich. Obwohl Joseph gern erleichtert geseufzt hätte, war er auch heilfroh, dass er nicht ihr Elektriker war.

„Nun, das erklärt einiges“, sagte Nikki grimmig.

„Nicht wirklich.“ John Carson beugte sich vor. „Wie ich bereits sagte, brach es dort aus. Aber es war kein Fehler in der Elektrik.“

Joseph spürte, wie seine eigene Miene sich verhärtete, doch der Gutachter fuhr fort.

„Das Feuer wurde gelegt. Ich nehme an, dass derjenige, der es getan hat, glaubt, die Beweise seien verbrannt, doch das ist nur selten der Fall. Sich die Asche anzusehen, fördert allerlei Schutt zutage.“ Carson zuckte die Achseln. „Es war Brandstiftung, ganz sicher.“

Nikki schaute Joseph besorgt an. „Ich habe versucht, mir vorzumachen, das sei nicht der Fall, aber es sieht so aus, als würde ich den Tatsachen besser ins Gesicht sehen.“

Carson atmete aus. „Ich weiß, dass ich Ihnen nur sagen kann, wie es geschehen ist. Doch es gibt noch ein paar Fragen, die Sie sich stellen sollten.“ Er lehnte sich zurück. „Der Brandstifter war clever. Ich schicke Ihnen eine Kopie meines Berichtes, doch glauben Sie mir, er ist kein Amateur. Kein Kid mit einer Flasche Brandbeschleuniger, das kann ich Ihnen versprechen. Doch wenn er vorhatte, Sie umzubringen, hätte er Ihren alten Hof innerhalb von Minuten vollkommen in Brand setzen können.“

„Doch das hat er nicht“, sinnierte Joseph. „Wenn er so clever ist, hätte er dann nicht wissen müssen, dass ein Brandgutachter seinen Trick mit dem Sicherungskasten durchschaut?“

„Auf jeden Fall. Deshalb glaube ich, dass er dachte, man würde mich nicht zu Rate ziehen.“ Er sah sie wissend an. „Aber er hat seine Rechnung ohne Aidan Barber gemacht. Der Hauptmann hat einen guten Riecher für Brandursachen. Er wäre selbst ein guter Brandermittler. Auf jeden Fall ist er neugierig genug dafür. Ich bezweifle, dass mich ein anderer wegen eines einfachen Brandes in einer Garage herausgerufen hätte.“

„Sie meinen also, jemand möchte mich einschüchtern?“, fragte Nikki.

„Wie ich bereits sagte, bin ich nur für das ‚wie‘ verantwortlich.“ Er stand auf. „Haben Sie irgendwelche Feinde?“

„Sie machen Witze, oder?“ Nikki lachte kurz auf. „Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Menschen den Detective hassen, der ihren Vater, ihre Mutter, ihren Sohn, Ehemann, Geliebten, besten Freund, Lieblingsonkel, die Ehefrau oder sonst wen hinter Gitter gebracht hat. Ich könnte die Liste endlos weiterführen.“

Carson streckte eine große, kräftige Hand aus. „Dann wünsche ich Ihnen viel Glück, DI Galena. Ich hoffe, Sie wissen, wo Sie anfangen müssen.“

Joseph schaute ihm hinterher. Seine Schultern waren angespannt. Es waren nicht die Neuigkeiten gewesen, die er hatte hören wollen, obwohl sein Bauchgefühl ihn von Anfang an gewarnt hatte.

„Großartig! Genau das, was ich brauche, wenn wir in einem Mordfall ermitteln.“ Nikki hatte ihr Kinn ärgerlich vorgeschoben. „Irgendein Vollpfosten, der mir heimzahlen möchte, dass ich seine Granny in den Knast gebracht habe.“

Joseph sagte nichts. Der erwähnte Vollpfosten wäre wohl eher das Kid mit dem Brandbeschleuniger, oder eher mit einem Molotov-Cocktail durchs Wohnzimmerfenster. Aber nicht derjenige, der diese sorgfältig geplante Warnung ausgesprochen hatte. Er schaute Nikki an und sah ein anderes Gefühl auf ihrem Gesicht. Besorgnis. „Woran denkst du?“, fragte er ruhig.

Nikki seufzte schwer. „Ich wollte es dir gerade sagen, als der Feuerwehrmann hereinkam.“ Der Ärger war verflogen, und nur die Sorge war noch zu sehen. „Dem Super wurde berichtet, dass Stephen Cox sich wieder in der Gegend aufhält.“

„Scheiße.“

„Ich stimme zu.“ Sie lehnte sich zurück. „Es ist nicht bestätigt, und wir haben auch schon ein Dutzendmal derartige Hinweise bekommen, aber …“

„Aber dieses Mal glaubst du, es stimmt.“ Joseph fühlte sich, als hätte er einen großen runden Stein verschluckt, der nun in seinem Magen lag.

„Das dachte ich schon, bevor wir wussten, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde.“

Joseph runzelte die Stirn. „Cox ist nicht clever genug, um dieses Feuer gelegt haben zu können.“

„Er war clever genug, um das gesamte Fenland Constabulary an der Nase herumzuführen und den größten Drogendeal, den wir je hatten, zu organisieren.“

„Er war nicht clever. Er hatte nur das Glück, einen Abfluss zu finden, in den er kriechen konnte. Und als er entkam, hatte er nur ein Päckchen Marlboros in der Tasche und nicht den geschätzten Verkaufswert von drei Millionen Pfund. Er hat deine Garage nicht angezündet, Nikki. Dessen bin ich mir sicher.“

„Vielleicht nicht er, aber er könnte einen Profi bezahlt haben, oder nicht?“ Sie schniefte. „Er steht ganz oben auf der Liste derjenigen, die mir etwas Böses wollen, selbst wenn ich nicht wüsste, dass er zurück ist.“

„Dass er vielleicht zurück ist. Ich müsste seine entstellte kleine Fresse schon persönlich sehen, bevor ich mir um ihn Gedanken machen würde.“ Er dachte ganz und gar nicht so, aber Nikki brauchte im Moment Zuspruch und kein Gejammer von einem Waschlappen, der Angst vor einem erneuten Zusammentreffen mit dem Kerl hatte.

„Superintendent Bainbridge sagt, er hätte eine Schönheitsoperation vornehmen lassen.“

„Na und? Seine innere Hässlichkeit würde trotzdem nach außen dringen. Ich würde diesen Scheißkerl überall erkennen, selbst wenn er als Darth Vader verkleidet wäre.“ Er beschwor seinen ganzen Mut, von dem er nicht sicher war, dass er ihn überhaupt besaß, und sagte: „Sorry, Nikki, wir müssen Cox vergessen und andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Stephen Cox ist seit Jahren fort. Er hätte uns jederzeit ins Visier nehmen können.“

„Okay, okay. Ich stimme dir zu. Ich bin nur wütend. Ich weiß, dass wir den Fokus nicht verlieren dürfen. Schließlich haben wir Magda Hellekamp, um die wir uns kümmern müssen. Sie steht an erster Stelle.“ Nikki sammelte sich. „Gut. Ich berichte dem Super, was passiert ist. Er muss über die Situation Bescheid wissen. Dann stellen wir sicher, dass alle zu einhundert Prozent mit der Operation Windmühle beschäftigt sind. Dann werden wir beide uns zusammensetzen und überlegen, wer zur Hölle meine verdammte Garage flambiert hat.“

Kapitel 3

„Ihr Dad war also auch ein Cop?“, fragte Cat und parkte ihr Auto ein paar Meter von der örtlichen Bäckerei entfernt.

Danny grinste. „Jup. Und mein Großvater auch. Es liegt uns im Blut, nehme ich an.“

„Haben Sie selbst Kinder?“

„Einen kleinen Jungen. Connor. Er ist fast zwei.“ Er zog ein kleines Foto hinter seinem Dienstausweis hervor und reichte es Cat.

„Kinder sind nicht so mein Ding, aber sogar ich kann sehen, dass er sehr süß ist.“

„Er ist das fröhlichste Kind, das ich je gesehen habe.“ Danny grinste stolz und schob das Foto in seine Tasche zurück. „Aber ich nehme an, dass es nichts mit der Operation Windmühle zu tun hat, dass wir hier vor einer Bäckerei stehen?“

„Korrekt. Wir müssen Ihr Training bei der Kripo von Anfang an richtig machen, nicht wahr? Als jüngster und neuester Zugang zu unserem Team holen Sie die Brötchen und machen natürlich auch Tee und Kaffee.“

„Natürlich. Und ohne Zweifel hole ich während meiner unbezahlten Überstunden Pizza?“

Cat lächelte süß. „Ich sehe, dass die Polizeiarbeit wirklich in Ihrer Familie liegt. Sie haben es perfekt zusammengefasst.“ Sie gab ihm eine Zehn-Pfund-Note. „Dave möchte zwei Hot Dogs, die Chefin ein Plunder mit Pekannüssen und Ahornsirup, der Sarge einen Doughnut, Sie kaufen sich, was immer Sie möchten, und ich nehme …“ Sie überlegte kurz. „Oh, ich komme mit Ihnen und entscheide mich dann.“

Sie schlugen die Autotüren zu und gingen den Bürgersteig entlang. „Wenn wir hier fertig sind, gehen wir direkt zum Büro von Lawrence Carpenter. Er erwartet uns in fünfzehn Minuten.“ Cat schaute den jüngeren Mann an. „Er wurde bereits befragt, aber ich werde eine andere Methode anwenden. Es ist ein wenig unorthodox, wurde mir gesagt, aber hören Sie einfach zu, ja? Hören Sie zu und lernen Sie.“

Cat ging Danny voraus zur Bäckerei und blieb dann im Türrahmen stehen, als sie das Grummeln eines Motors hörte. Es kam von einem großen weißen Lastwagen, dessen Fahrer ein großes Gewese darum machte, aus der Lücke direkt vor der Bäckerei auszuparken.

Danny blieb stehen, und Cat sah, wie er die Stirn runzelte, während er dem klapprigen Fahrzeug hinterherschaute, das sich nun mit knirschendem Getriebe und einigen Fehlzündungen die Straße hinunterbewegte.

„Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wette ich, dass der Fahrer in den nächsten Tagen Besuch von einer Streife bekommen wird“, sagte sie trocken.

„Abgefahrene Reifen und reif für den Schrottplatz. Ich hätte auf jeden Fall das Nummernschild zurückverfolgt, aber es war so schmutzig, dass …“ Ein anderes Geräusch erfüllte die Luft. Es kam so schnell, dass Cat nicht verstand. Sie wusste nur, dass ihr Verstand zu einem Kaleidoskop aus Bildern der Realität wurde.

Und Danny war fort.

In einer verschwommenen Sekunde, einem verfluchten Moment, war er zusammen mit Glassplittern, Holzstücken und Metall vorwärts durch die Luft geflogen. Irgendwie schien er auf die Kühlerhaube des riesigen Fahrzeugs gelangt zu sein, das auf den Bürgersteig gefahren war, und dann lag er auch schon an der Rückwand der zerstörten Bäckerei, ein schlaffer, lebloser Körper in einem Haufen Glas, zerbrochenen Vitrinen, Blut und einer Myriade bunter, zerdrückter Kuchen und Gebäckstücke.

Ihr Instinkt veranlasste Cat, ihren Blick von der Zerstörung abzuwenden und nachzusehen, wer sie gerammt hatte. Doch sie sah nur schwarz. Alles war schwarz. Der Lack, die Fenster und das Schild, auf der die Autonummer hätte stehen sollen.

„Bastard!“, schrie sie. „Du verdammter Bastard!“ Doch das Fahrzeug entfernte sich bereits rückwärts von dem Gemetzel, das es angerichtet hatte, und fuhr dann mit kreischenden Reifen die Straße hinunter.

Schluchzend ignorierte Cat die Glasscherben, die in ihr Fleisch schnitten, und kroch auf Danny Wilshire zu. Sie wusste, es war nutzlos, doch sie musste bei ihm sein, ihn anflehen, nicht zu sterben, oder ihm versichern, dass, wenn er es doch tat, das süße Kind namens Connor erfahren würde, was für ein toller Kerl sein Vater gewesen war.

Cat blieb eine gefühlte Ewigkeit dort, dann spürte sie Arme, die eine Thermodecke um sie legten.

„Bastard!“, flüsterte sie und ließ dann los, erlaubte all dem Lärm in ihrem Kopf, sie zu verschlingen, bis alles dunkel wurde.

***

Nikki und Joseph waren auf dem Weg zu Magda Hellekamps Apartment, als sie die dringende Stimme eines Sergeants übers Funkgerät hörten.

„Es gab einen Zwischenfall in einem Geschäft in der Dock Street, DI Galena. Sie werden selbst dorthin wollen.“ Seine Stimme klang recht zittrig, als er erklärte, was passiert war. „Fahren Sie hin, Ma’am. Die Verletzten sind bereits auf dem Weg ins Krankenhaus, aber …“

Sie hörten, wie der Mann schluckte und sich bemühte, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.

„PC Danny Wilshire wurde am Ort des Geschehens für tot erklärt.“

Nikki bremste scharf, lenkte das Auto in eine Seitenstraße und zog die Handbremse. „Herrgott! Danny? Aber er war doch mit Cat unterwegs, oder? Zu Lawrence Carpenter?“

„Über die Bäckerei in der Dock Street“, sagte Joseph tonlos.

„Oh, mein Gott“, murmelte Nikki. Sie schloss die Augen, schlug sie dann wieder auf und startete den Wagen. „Wir fahren ins Krankenhaus. Sind in fünf Minuten dort.“

Innerhalb von Sekunden waren sie auf der Hauptstraße und auf dem Weg zur Notaufnahme des Greenborough General. Weder sie noch Joseph sagten ein Wort. Sie mussten es nicht. Beide malten sich dieselben schlimmen Szenarien aus. Und wie konnte es sein, dass Danny tot war? Er gehörte erst seit etwas weniger als einer Stunde zum Team. Und Cat? Was war mit ihr? Nikki erschauderte bei dem Gedanken.

„Ist das okay für dich? Dass wir ins Krankenhaus fahren?“ Josephs Stimme zitterte leicht.

„Natürlich. Es war jahrelang mein zweites Zuhause, oder etwa nicht?“ Die harschen Worte waren heraus, bevor sie sie aufhalten konnte.

„Genau das meinte ich“, sagte er ruhig.

„Sorry. Es tut mir wirklich leid, Joseph. Es ist nur …“ Sie hasste sich dafür, dass sie ihn angegiftet hatte, doch Bilder von Hannah in ihrem Bett auf der Drogenstation waren ihr in den Sinn gekommen. Sie wollte nie wieder irgendwen, und erst recht niemanden, der ihr nahestand, in diesem Zustand sehen.

„Ich habe auch Angst.“ Er legte kurz seine Hand auf ihren Arm. Es war nur eine flüchtige Berührung, doch sie fühlte sich besser.

Sie atmete aus und konzentrierte sich aufs Fahren. „Ich frage mich, was zur Hölle dort passiert ist.“

„Beten wir, dass Cat es uns sagen kann.“

Den Rest des Wegs legten sie schweigend zurück.

***

„Sie wird noch behandelt, Ma’am.“ Eine weißgesichtige WPC Yvonne Collins sprach leise auf sie ein. „Die Ärzte hoffen, dass es nur oberflächliche Wunden von den umherfliegenden Glassplittern sind, doch sie ist ganz schön zerschnitten.“ In der Hitze der Notaufnahme rieb Yvonne ihre Hände aneinander, als wäre ihr eiskalt.

„Wie viele Verletzte?“

„Drei weitere, Ma’am. Ein Kunde und zwei Angestellte, die gerade Dienst hatten.“ Sie verzog traurig das Gesicht. „Und der arme Danny.“

Nikki schüttelte ungläubig den Kopf. „Was hat er an Familie? Ich weiß, dass sein Vater tot ist, aber hat er sonst noch wen?“

Yvonnes Partner, PC Niall Farrow, meldete sich zu Wort. „Eine Frau und einen zweijährigen Sohn, Ma’am. Sie leben bei seiner Mutter, draußen am Amber Drive. Unser Inspector ist bereits bei ihnen, und eine Psychologin ist auf dem Weg.“

„Was wissen wir?“, fragte Joseph.

„Es ist recht unklar, Sarge“, sagte Yvonne stirnrunzelnd. „Die Zeugenaussagen weichen, wie zu erwarten, stark voneinander ab. Verängstigte Menschen sind schlechte Zeugen. Zum Glück gibt es dort eine Überwachungskamera. Das Material wird bereits auf dem Revier überprüft.“

„Die übereinstimmende Meinung sagt, dass das Fahrzeug ein Mitsubishi war, aber mit einer Art besonderem Kühlergrill vorne. Das oder vielleicht ein Nissan. Jedenfalls ein großer, schwarzer Pick-up mit getönten Scheiben und schwarzem Nummernschild.“

„Schwarz?“ Nikki ahnte Schlimmes. „Was bedeuten würde, dass es Absicht war?“

„Es sieht so aus. Warum sonst sollte man hinten und vorn seine Nummernschilder verbergen?“, sagte Yvonne langsam. „Aber wer sollte dem jungen Danny Wilshire etwas anhaben wollen? Er ist abgesehen von Niall hier der harmloseste junge Mann, den ich je getroffen habe.“ Sie schenkte ihrem jüngeren Partner ein trauriges Lächeln.

Nikki versuchte durch den Raum einen Blick auf Cat Cullen zu werfen, die immer noch behandelt wurde. Alles schien sehr geschäftig. Viel zu geschäftig für ein paar oberflächliche Schnittwunden. Sorgen nagten an ihr, und sie wusste, dass das erst aufhören würde, wenn sie selbst mit der jungen Frau gesprochen hatte.

Es dauerte noch zwanzig Minuten, bis der Arzt zu ihnen kam. Nachdem er sich vorgestellt hatte, fuhr er sich mit der Hand durch sein dünner werdendes Haar und seufzte erleichtert. „Ich fürchte, Ihre Kollegin hat uns gerade ein bisschen Angst gemacht. Sie hatte einen Schock, und wir hatten einige Mühe, sie zu stabilisieren.“ Er schaute in ihre besorgten Gesichter und bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln. „Es ist okay. Sie ist nun wieder in der Spur. Und angesichts des Blutverlusts und des Traumas war es auch nicht überraschend.“

„Welche Verletzungen hat sie?“, fragte Nikki, der das Wort „Blutverlust“ nicht gefiel.

Der Doktor schwieg eine Weile, bevor er antwortete. Noch etwas, das Nikki nicht gefiel. „Die Verletzungen sind durch das fliegende Glas entstanden. Hauptsächlich sind ihre Beine betroffen. Sie wurde nicht von dem Fahrzeug gerammt und hat auch sonst keine Verletzungen, aber wir müssen sie in den OP bringen, um die Wunden zu säubern.“ Wieder eine Pause. „Und wir haben die Jungs von der plastischen Chirurgie gebeten, sich ihr Gesicht einmal anzusehen.“

Nikki spürte, wie sich Joseph neben ihr anspannte.

„Warum? Was ist mit ihrem Gesicht?“

„Sie hat einen tiefen Schnitt von ihrer Schläfe zu ihrem Unterkiefer. Zum Glück läuft er am Auge vorbei.“ Er hob seine Brauen. „Um einen Zentimeter.“ Er schaute sie ernst an. „Ich werde Sie nicht belügen. Sie wird Narben behalten, obwohl unsere Chirurgen Wunder bewirken können.“

„Dann sollten wir uns wohl darüber freuen, dass sie nicht erblindet ist.“

Joseph atmete hörbar aus. „Weiß sie von ihren Verletzungen?“

„Ja. Und im Moment sieht sie es ebenso wie Sie. Ihre Augen sind unverletzt. Doch sie steht immer noch unter Schock. Ich habe keine Ahnung, wie sie reagieren wird, wenn ihr wirklich klar wird, was ihr passiert ist.“

„Können wir sie sehen?“ Nikki war schlecht vor Sorge, was sich wohl hinter dem Sichtschutz vor Cats Bett befand.

„Sicher. Wir bringen sie in einer halben Stunde in den OP. Sie hat etwas zur Beruhigung und Schmerzmittel bekommen, doch sie hat nach Ihnen gefragt, DI Galena.“

Gemeinsam betraten sie und Joseph den vor Blicken geschützten Bereich. Nikki versuchte die blutigen Tupfer und die kleinen roten Pfützen, die eine Schwester gerade eifrig fortwischte, zu ignorieren, und schaute direkt zu Cat.

„Ich kann nicht lächeln, aber zu Hölle, ich freue mich, Sie zu sehen, Guv. Und Sie auch, Sarge.“

Eine Seite von Cats schmalem, elfenhaften Gesicht war von einem großen Verband bedeckt. Sie lallte ein wenig, als wäre ihr Mundbereich betäubt worden. Nikki sah, dass die Hände der jungen Polizistin zitterten.

„Ich konnte nichts tun, Ma’am, nichts. Es geschah so schnell. Danny sprach gerade mit mir und dann …“ Das Zittern wurde stärker.

„Hey! Es ist alles gut. Wir sprechen später darüber. Sehen wir erst einmal zu, dass wir Sie wieder auf die Beine bekommen. Dann reden wir.“ Nikki nahm Cats blutverschmierte Hand in ihre. „Sie sind es, auf die wir uns nun konzentrieren müssen.“

„Nein, Sie müssen wissen, was passiert ist. Um Dannys willen muss ich es Ihnen sagen.“ Cat kämpfte mit den Tränen. „Das Fahrzeug hielt direkt auf ihn zu, Ma’am. Es war Absicht, da bin ich mir sicher.“

„Aber es ist eine geschäftige kleine Straße. Die Leute parken dort, obwohl es verboten ist“, sagte Joseph. „Wie können sie sicher sein, dass sie dort ein so kompliziertes Manöver durchführen können?“

Cat wollte sich bewegen, zuckte aber zusammen und blieb still liegen. „Ich habe den letzten freien Parkplatz genommen. Drei Läden weiter. Es war eine kleine Lücke. Dann war da noch ein alter Lastwagen. Ein weißer. Er fuhr gerade los, als wir die Bäckerei erreichten.“ Sie machte eine kleine Pause und befeuchtete einen Riss in ihrer Lippe. „Er hatte abgefahrene Reifen, und Danny sagte, er würde ihn gern melden, doch das Nummernschild war zu schmutzig, um etwas zu erkennen.“ Sie erschauderte und schluchzte dann. „Das war das Letzte, was er sagte, Guv. Dann hing er da wie so eine grässliche Lumpenpuppe über dem Kühlergrill dieses schwarzen Fahrzeugs. Dann lag er an der Rückwand der Bäckerei am Boden.“ Cat bemühte sich um Kontrolle. „Er hat einen kleinen Jungen, Ma’am. Ein süßes Kind namens Connor.“ Sie weinte.

„Ich weiß.“ Nikki wollte gern mit ihr weinen, doch sie wusste, dass sie um der jungen Frau willen stark bleiben musste. „Cat? Das schwarze Fahrzeug? Woran erinnern Sie sich?“

Cat schluckte und sagte: „Mitsubishi L200 Barbarian, lange Version. Nummernschilder verborgen. Dunkel getönte Scheiben. Kam von den Docks und fuhr dann in Richtung Hauptstraße, die aus der Stadt hinausführt.“

„Hey! Offenbar hat Ihr Gedächtnis nichts abbekommen. Gut gemacht, Detective.“ Nikki lächelte sie an. „Konzentrieren wir uns nun auf Sie. Wurde Ihre Mutter informiert?“

„Ich bat sie, es nicht zu tun. Sie macht Urlaub mit ihrer Schwester. Sie war seit Jahren nicht mehr fort. Ich werde hier raus sein, bevor sie wieder kommt, und …“ Sie schwieg kurz. „Die Nerven meiner Mum sind nicht allzu gut. Ich sage es ihr lieber selbst. Auf meine Art.“

„Gibt es sonst irgendwen, den wir für Sie anrufen können?“, fragte Joseph.

Cat schaute ihn mit einem seltsamen, schiefen Lächeln an. „Abgesehen von meiner Mum sind Sie meine Familie.“

Joseph beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Und wir sind für Sie da, okay?“

„Der Doc sagte, mein Gesicht sieht nicht gut aus.“ Sie sah Nikki entschuldigend an. „Sorry, Guv, aber ich denke, meine Undercover-Tage könnten damit vorbei sein. Eine riesige Narbe wäre schon so etwas wie ein Erkennungszeichen.“

Cat Cullen war die beste verdeckte Ermittlerin, die Nikki kannte. Sie besaß die Fähigkeit, mit dem Hintergrund zu verschmelzen und wie ein Chamäleon andere Identitäten anzunehmen. Aus irgendeinem Grund glaubte Nikki, dass sie dieses Talent nicht verlieren würde, Narbe hin oder her. „So leicht kommen Sie da nicht heraus, junge Dame! Ein geschickter plastischer Chirurg und ein Eimer voll Make-up, und Sie sind in null Komma nichts wieder mitten unter dem Abschaum.“

„Toll“, murmelte Cat. „Ich kanns kaum erwarten.“

„Ich denke, das Betäubungsmittel gewinnt langsam die Oberhand“, sagte Joseph.

„Das ist gut“, sagte eine Stimme hinter ihnen. „Denn der OP ist nun für sie bereit.“ Eine Schwester trat mit einem Pfleger ans Bett heran und lächelten auf Cat hinab.

„Ich hoffe, Sie haben einen Haufen Watte und eine spitze Nadel. Ich fühle mich wie einer dieser Teddys, die nur aus Flicken bestehen.“

„Nun“, lachte die Schwester, „ich will doch hoffen, dass Sie nach der OP ein bisschen besser aussehen werden als das. Sonst können Sie unsere Chirurgen verklagen.“

„Halten Sie die Ohren steif!“ Joseph grinste sie an. „Ihre Adoptivfamilie braucht Sie.“

„Meine ich auch.“ Nikki drückte sanft ihre Hand.

Als Cat fortgeschoben wurde, kamen Yvonne und Niall auf sie zu.

„Wir haben die anderen Verletzten überprüft, Ma’am. Zum Glück ist keiner von ihnen in einem kritischen Zustand. Sie befanden sich am anderen Ende des Ladens und sind so dem Schlimmsten entgangen.“ Yvonne schaute Cat hinterher. „Abgesehen von Danny hat DC Cullen das meiste abbekommen.“

„Das hat sie wohl, nicht wahr? Und aus diesem Grund möchte ich, dass Sie beide hier bei ihr bleiben. Lassen Sie sie nicht allein, wenn sie aus dem OP kommt.“ Nikki sah sie betrübt an. „Vielleicht ist es nicht nötig. Es könnte ein Unfall gewesen sein, ein panisches Spatzenhirn, das nicht angehalten hat. Aber bis wir mehr wissen, müssen wir davon ausgehen, dass es Absicht war. Und wir sollten in Betracht ziehen, dass Danny Wilshire nicht das Ziel war. Es könnte auch irgendwer anders gewesen sein. Zum Beispiel der Bäckereibesitzer. Oder vielleicht Cat. Okay?“

Niall und Yvonne nickten. „Dieser schreckliche Gedanke ist uns auch schon gekommen, Ma’am. Keine Sorge, wir schauen nach ihr.“

Nikki wusste, dass sie das tun würden. Sie hatte oft genug mit ihnen gearbeitet, um ihnen voll und ganz vertrauen zu können.

Als sie den Flur hinunter Richtung Parkplatz gingen, nahm das unangenehme Gefühl in ihrem Bauch ab. Cat war stark. Sie würde es schaffen.

Draußen warf sie Joseph die Autoschlüssel zu. „Okay. Zurück zur Basis, mein Freund. Wir müssen den Super besuchen. Etwas sehr Unschönes geht in Greenborough vor, und ich habe das blöde Gefühl, dass das hier gerade erst der Anfang ist.“