Kapitel 1
Mittwoch, 12. Juni 1935
Eaton Square Nummer 16, London, S.W.1
Die Dinge laufen ausnahmsweise einmal reibungslos. Ich kann es kaum glauben. Hier bin ich, im Haus der polnischen Prinzessin Zamanska (von ihren Freunden Zou Zou genannt), während Darcy auf Reisen ist und ich mich auf meine Hochzeit vorbereite. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Worte jemals schreiben würde, schon gar nicht über jemanden, der so wunderbar ist wie Darcy. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich von Schloss Rannoch floh und allein in London ankam, mittellos und ohne eine Menschenseele. Aber in einigen Wochen wird es tatsächlich soweit sein. Allmächtiger. Mrs Darcy O’Mara. Um es mit den Worten von Jane Bennet zu sagen: „Wie soll ich so viel Glück ertragen?“
Ich stand an meinem Fenster im obersten Stockwerk von Prinzessin Zamanskas schönem georgianischen Haus am Eaton Square (eine der nobelsten Adressen Londons, falls ihr das nicht wusstet). Es war ein weiterer glorreicher Sommertag. Wir waren mit einer langen Trockenperiode gesegnet, sehr ungewöhnlich für einen englischen Sommer. Tatsächlich war mein ganzer bisheriger Frühling einfach herrlich gewesen, seit ich aus Italien zurückgekehrt war, wo ich meiner Freundin Belinda zur Seite gestanden hatte. Im Mai, zum Silberjubiläum des Königs, hatte eine triumphale Prozession zur St.-Pauls-Kathedrale stattgefunden, bei der der König und die Königin in einem offenen Landauer gefahren waren. Ich hatte an dem Gottesdienst in St. Paul’s teilgenommen und das Erlebnis hatte mich tief bewegt.
An diesem Nachmittag hatte ich meine Kleider sortiert und überlegt, welche davon wohl gut genug waren, um sie in mein zukünftiges Leben als Mrs Darcy O’Mara mitzunehmen. Ja, mir war natürlich klar, dass ich eine gewöhnliche Ehefrau sein würde, was für eine Cousine des Königs einem gesellschaftlichen Abstieg gleichkam, aber Darcy war dennoch der hochwohlgeborene Sohn eines Lords, und ich die Tochter eines Herzogs. Deshalb würden mich die Leute noch immer mit Lady Georgiana anreden müssen – falls sie es nicht vergaßen, was meiner Zofe Queenie ständig passierte!
Ich starrte auf die Kleidungsstücke in dem ehrfurchtgebietenden französischen Kleiderschrank und stöhnte auf. Ein in die Jahre gekommener Tweedrock, ein paar weiße Blusen, Baumwollröcke, die die Frau des Wildhüters zu Hause in Schottland für mich genäht hatte. Nicht gerade Haute Couture! Um ehrlich zu sein würden wir kein vornehmes Anwesen beziehen. Darcys Vater, Lord Kilhenny, hatte klargestellt, dass wir Kilhenny Castle als unser Zuhause betrachten sollten. Das war schön und gut, aber das Schloss war kein Ort, an dem man das ganze Jahr verbringen wollte. (Für meinen Geschmack war es zu kalt und trostlos, genau wie Castle Rannoch.) Außerdem musste Darcy wegen seiner (hochgeheimen) Arbeit hin und wieder nach London.
Aber gelegentlich verkehrten wir in recht noblen Kreisen, angefangen von Einladungen in den Buckingham Palace bis hin zu Prinzessin Zou Zous Freundeskreis, Lebemänner und -damen aus aller Welt (zu denen auch mein Cousin, der Prinz von Wales, und seine amerikanische Freundin gehörten). Mir wurde ständig vor Augen geführt, dass meine Garderobe im Vergleich zum Pariser Schick der anderen Ladys leider völlig unzureichend war. Doch auch in dieser Hinsicht gab es einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Meine Mutter, die ehemalige Herzogin, die im Begriff war, einen sehr reichen Deutschen zu heiraten, hatte versprochen, nach London zu kommen und mir eine Aussteuer zu kaufen. Sie war mir sehr dankbar, dass ich sie in Italien vor einem peinlichen Eklat bewahrt hatte. Ich wollte mich zwar nicht auf sie verlassen, da meine Mutter das wankelmütigste Geschöpf der Welt war. Seit sie meinen Vater und mich verlassen hatte, als ich gerade mal zwei Jahre alt gewesen war, hatte ich nicht mehr auf sie zählen können. Aber dieses Mal hatte ich sie aus einem großen Schlamassel befreit und es war wirklich nicht zu viel verlangt, dass sie mir ein paar anständige Kleider kaufte!
Ich beschloss, dass ich, wenn Mummy sich breitschlagen ließe, den größten Teil meiner schulmädchenhaften und langweiligen Garderobe ablegen und eine neue und modebewusste Frau werden würde. In einem geliehenen rückenfreien Kleid hatte ich in Italien einige Blicke auf mich gezogen. Graziös und sexy, das war mein Traum. Ein Foto von mir im Tatler: Lady Georgiana in Ascot, in Chanel gekleidet. Lady Georgiana am Eröffnungstag in Cowes, in einem gewagten Ensemble … Ich hielt inne und grinste über diese absurde Vorstellung. Mein zukünftiger Ehemann war ebenso mittellos wie ich.
Auf dem Platz unter mir herrschte nachmittägliche Stille. Die Brise, die durch das Fenster hereinwehte, war warm und duftete süß nach Geißblatt und Rosen. Eine Drossel sang ausgelassen in dem Garten in der Mitte des Platzes. Ein Kindermädchen in einer adretten Uniform schob einen sehr großen Kinderwagen. Nächstes Jahr, dachte ich … Aber ich würde meinen Kinderwagen selbst schieben wollen. Außerdem konnten wir uns ein Kindermädchen wahrscheinlich nicht leisten.
Ich hatte mich gerade vom Fenster abgewandt, als unten die Türklingel ertönte. Zou Zou war im Moment nicht zu Hause, sie war mit ihrem kleinen Zweisitzer nach Paris geflogen, um Einkäufe zu erledigen. Ich lehnte mich so weit aus dem Fenster, wie ich mich traute, aber über der Eingangstür war ein Vordach und ich konnte nichts erkennen. Ich stand da, lauschte und fragte mich, wer wohl zu Besuch kam. Offensichtlich wusste diese Person nicht, dass Zou Zou ausgeflogen war. Dann hörte ich leichte Schritte auf der Treppe und ein Klopfen an meiner Tür. Draußen stand Clotilde, die Zofe der Prinzessin.
„Mylady, ‘ier ist Besuch für Sie“, sagte sie. (Ihr französischer Akzent war immer noch ziemlich stark.)
„Wer ist es?“, fragte ich. Einen Moment lang hatte ich die wilde Hoffnung, dass Darcy früher als erwartet zurückgekehrt war. Doch er wäre nicht als Besucher gekommen. Er wäre geradewegs an Clotilde vorbei und die Treppe hinaufgeeilt.
„Eine Lady“, sagte Clotilde. „Sie ‘at mir ihre Karte nicht gegeben. Sie sagte nur: ‚Ich ‘örte, Lady Georgiana Rannoch sei ‘ier zu Gast. Ich möchte mit ihr sprechen‘.“
Du lieber Himmel. Das klang ernst. Ich warf einen Blick in den Spiegel, um sicherzugehen, dass ich vorzeigbar aussah. Nicht besonders. Es war ein heißer Tag und mein Baumwollrock war zerknittert. Clotilde musste es ebenfalls bemerkt haben, denn sie sagte: „Ich ‘abe vor Kurzem Ihr grünes Seidenkleid gewaschen und gebügelt, Mylady. Ich werde der Besucherin sagen, dass Sie demnächst nach unten kommen.“
„Danke, Clotilde“, sagte ich. „Und kümmere dich bitte darum, dass meine Besucherin Tee oder Limonade oder was immer sie wünscht bekommt.“
„Natürlich, Mylady.“ Clotilde war das perfekte Dienstmädchen: Sie wusste stets, was zu tun war, egal, ob es darum ging, ein Auge zuzudrücken, wenn die Prinzessin einem männlichen Freund ihre Briefmarkensammlung zeigte, oder mit viel Geschick die Samtkleider zu retten, die mein Dienstmädchen Queenie angekokelt hatte. Von Perfektion war Queenie so weit entfernt, wie ein Mensch überhaupt sein konnte. Aber Queenie, diese wandelnde Katastrophe, war im Augenblick nicht bei mir. Sie war noch bei Darcys Verwandten in Irland, wo sie eine Ausbildung zur Hilfsköchin machte. Ich hatte noch nicht entschieden, ob ich sie wieder zu mir holen sollte, sobald wir eine eigene Wohnung bezogen. Das Problem war, dass tüchtige Dienstmädchen Geld kosteten, das wir nicht hatten. Vielleicht könnte ich Mummy bitten, mir als Hochzeitsgeschenk ein Dienstmädchen zu besorgen. Aber wie wir beide erfahren hatten, waren allzu perfekte Dienstmädchen nicht immer erstrebenswert!
Hastig schlüpfte ich in mein grünes Seidenkleid, bürstete mir das Haar und ging die Treppe hinunter, wobei ich versuchte, kühl, ruhig und gefasst auszusehen.
„Der Besuch ist in dem kleinen Salon, Mylady“, sagte Clotilde. Ich stieß die Tür auf. Meine Besucherin saß mit einer Tasse Tee in der Hand in einem Stuhl am Fenster. Sie blickte stirnrunzelnd auf, als ich eintrat. „Ah, da bist du ja, Georgiana. Ich habe mich schon gefragt, wo in aller Welt du abgeblieben bist“, sagte sie. „Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr von dir gehört. Wir dachten, du wärst noch in der Schweiz, aber Binky vermutete, dass du vielleicht bei dieser ausländischen Prinzessin wohnst. Er hatte recht, schlaues Kerlchen.“ Mir wurde ganz mulmig zumute. Es war meine Schwägerin Hilda, die Herzogin von Rannoch, besser bekannt als Fig.
„Hallo, Fig“, sagte ich bemüht freundlich, als ich mir einen Stuhl neben ihr heranzog. „Was für eine Überraschung. Wie schön, dich zu sehen. Ich dachte, ihr wärt den Sommer über in Schottland. Deshalb habe ich nicht vorbeigeschaut.“ Ihr finsterer Blick verdüsterte sich noch mehr. „Dort waren wir auch, fuhren aber wegen eines Arzttermins hierher zurück. Es ist eine angenehme Abwechslung zum verdammten Schottland, wo es diesen Frühling ununterbrochen geregnet hat. Und Binky hat mit dem Golfen angefangen. Er tut nichts anderes, als einen dummen kleinen Ball meilenweit durchs Heidekraut in kleine Löcher zu befördern. Was für eine Zeitverschwendung.“
„Ein Arzttermin?“, sagte ich zögerlich. „Ihr seid beide bei guter Gesundheit, hoffe ich? Oh, sag bloß nicht, dass noch ein Baby unterwegs ist?“
„Gott bewahre“, sagte sie und verdrehte die Augen. „Nein, wie ich Binky schon sagte, haben wir bereits den zukünftigen Erben in die Welt gesetzt, da kann er auf einen zweiten Sohn verzichten. Als würde irgendjemand Castle Rannoch erben wollen, dieses kalte, zugige Loch.“
„Also ist es nur eine Routineuntersuchung?“, fragte ich.
„Ehrlich gesagt geht es um Binkys Zehennägel“, sagte sie mit äußerstem Widerwillen. „Er hat eingewachsene Zehennägel und sie verderben ihm das Golfspiel. Offenbar bedarf es einer kleinen Operation, um sie wieder in Ordnung zu bringen, und er hielt es für besser, sie in London machen zu lassen, nur um auf der sicheren Seite zu sein. Und ich sagte, wenn ich schon wegen seiner Zehennägel nach London geschleppt werde, dann könnte er mich wenigstens einmal nach Ascot mitnehmen. Wir haben zu Hause so wenig Gelegenheit, uns herauszuputzen. Ich könnte mir einen neuen Hut kaufen.“
„Wie schön“, sagte ich. „Geht ihr am Eröffnungstag hin? Vielleicht sehen wir uns dort.“
„Du gehst nach Ascot?“ Sie klang ziemlich verärgert, als hätte ich das absichtlich arrangiert, um sie zu piesacken. „Am Eröffnungstag?“
„Ja, die Königin hat mich eingeladen.“
„Du gehst am Eröffnungstag mit der Königin hin?“ Jetzt zuckte Fig doch tatsächlich zusammen. Sie hatte mir nie verziehen, dass Königin Mary einen regelrechten Narren an mir gefressen hatte und mich regelmäßig in den Palace einlud – und auch, dass ich von königlichem Geblüt war und sie nicht. Um die Wogen zu glätten, fügte ich hinzu: „Ich werde mir einen von Zou Zous Hüten ausleihen. Sie hat ein paar ziemlich ausgefallene.“
Fig runzelte die Stirn, als sie das Seidenkleid betrachtete. „Das Kleid, das du trägst, sieht ziemlich schick aus. Hast du dir das von deiner ausländischen Prinzessin geliehen?“
Liebend gern hätte ich gesagt: „Was? Dieser alte Fetzen?“, aber dabei hätte ich nicht ernst bleiben können. „Es stammt von meiner Mutter“, sagte ich. „Es war eines ihrer wenigen abgelegten Teile, das mir passte. Bei ihr reichte es bis zu den Knöcheln und saß ziemlich weit. Bei mir ist es kurz und figurbetont, aber wenigstens ist es aus Seide.“
„Eines muss ich deiner Mutter lassen, sie hat einen guten Geschmack, was Mode angeht.“
Sie nahm einen Schluck Tee, bevor sie hinzufügte: „Freilich kann man das von ihren Männern nicht behaupten. Wer ist denn im Moment ihr Liebhaber, wenn man fragen darf? Ein Polospieler? Ein Rennfahrer? Ein texanischer Ölmagnat?“
„Die gehören alle der Vergangenheit an“, sagte ich. „Es ist immer noch Max von Strohheim, der deutsche Industrielle. Ich glaube, du bist ihm schon mal begegnet. Er ist nett. Sie ist schon seit ein paar Jahren mit ihm zusammen, außerdem planen sie, nächsten Monat zu heiraten. Eine große Hochzeit in Berlin. Ich werde die Trauzeugin sein.“
„Großer Gott“, sagte Fig. „Es scheint, als würde diesen Sommer die ganze Welt heiraten, auch du, wie man hört. Wir haben die Verlobungsanzeige in der Times gesehen. Eigentlich bin ich wegen dieser Hochzeit hier. Wir haben noch keine Einladung erhalten.“
„Das liegt daran, dass die letzten Details noch nicht geklärt sind, Fig. Wir haben gerade erst erfahren, dass ich die Erlaubnis erhalten habe, aus der königlichen Erbfolge auszuscheiden. Erst danach konnten wir mit der Planung beginnen. Wir haben das Datum gewählt, den 27. Juli, und müssen nur noch die Einladungen drucken und verschicken lassen.“
„Das war ein großer Schritt, Georgiana“, sagte Fig. „Man gibt nicht leichtfertig seinen Platz in der Gesellschaft und seine Verpflichtungen auf. Ich bin sicher, dass Binky niemals auf seinen Platz in der Erbfolge verzichtet hätte, um mich zu heiraten.“
Ich versuchte, eine ernste Miene zu bewahren. Ich glaube nicht, dass irgendein Mann, der bei klarem Verstand war, auf irgendetwas verzichtet hätte, um Fig zu heiraten. Normalerweise war ich nicht so herzlos, aber seit Fig auf Castle Rannoch wohnte, war sie mir gegenüber ausgesprochen gemein und hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich in meinem Elternhaus nicht mehr willkommen war.
„Ich war nur die Fünfunddreißigste in der Thronfolge, Fig. Deine Kinder würden vor mir auf dem Thron sitzen, selbst wenn ein Meteoriteneinschlag oder eine Seuche den Rest der königlichen Familie auslöschen würde.“
„Das ist wahr, aber trotzdem …“ Fig nahm noch einen Schluck von ihrem Tee und stellte dann Tasse und Untertasse mit einem Klirren auf dem kleinen Glastisch ab.
„Ich hatte vor, Darcy zu heiraten, egal was passiert“, sagte ich. „Ich wäre nach Argentinien abgehauen, wenn das Parlament Nein gesagt hätte.“
„Müssen wir also damit rechnen, dass ihr auf dem Familiensitz in Schottland heiraten werdet?“
„Castle Rannoch? Um Himmels willen, nein“, sagte ich, etwas nachdrücklicher als beabsichtigt, bevor mir bewusst wurde, dass es ihr Zuhause war und sie die meiste Zeit des Jahres dort festsaß, also fügte ich hinzu: „Ich möchte doch, dass meine Freunde zu meiner Hochzeit kommen, und Castle Rannoch ist viel zu abgelegen, meinst du nicht? Außerdem müssten sie alle im Schloss übernachten. Du müsstest sie bewirten, Fig. Und denk an all die Rannoch-Verwandten – die bärtigen Cousins mit dem unbändigen Appetit. Das würde ein hübsches Sümmchen kosten.“
Ich wusste, dass ich damit ins Schwarze getroffen hatte. Fig war die geizigste Person, die ich je getroffen hatte. Ich sah, wie sie eine Grimasse schnitt. „Da hast du natürlich nicht unrecht“, sagte sie. Dann hielt sie inne. „Und überhaupt, wie würden sie alle nach Castle Rannoch kommen? Es fahren weder Busse noch Züge dorthin.“
„Ganz meine Rede“, sagte ich. „Und natürlich gibt es im Umkreis von mehreren Kilometern auch keine katholische Kirche.“
Nun blinzelte sie rasant. „Eine katholische Kirche? Du hast vor, in einer katholischen Kirche zu heiraten?“
„Das liegt daran, dass ich einen Katholiken heiraten werde, Fig.“
„Du hast doch nicht vor, zu konvertieren?“ Sie klang, als hätte ich gerade verkündet, dass ich vorhätte, einen Pygmäen zu heiraten und Kannibalin zu werden.
„Ich bin noch unentschlossen. Ich soll Unterricht bei einem Priester in London nehmen, damit ich weiß, worauf ich mich einlasse. Ich muss versprechen, die Kinder katholisch zu erziehen.“
Sie streckte doch tatsächlich eine Hand aus und legte sie auf meine. „Oh, Georgie. Bist du sicher, dass du das wirklich tun willst? Ich meine …“
„Fig, lass uns eines klarstellen“, sagte ich, immer noch um Fassung bemüht. „Ich liebe Darcy. Ich möchte ihn heiraten. Seine Religion bedeutet ihm viel, während mir meine nur bedeutet, gelegentlich in die Kirche zu gehen, weil es von mir erwartet wird.“
„Könntet ihr nicht eine richtige Zeremonie in der Church of England abhalten und am Ende einen katholischen Segen erhalten?“, schlug sie vor.
„Dann wäre es kein Sakrament.“
„Ein was?“
„Eine heilige Hochzeit in den Augen der Kirche. Ich würde nicht als offiziell verheiratet gelten. Aber es ist mir eigentlich egal, wo wir heiraten, solange wir es tun.“
„Und wo soll die Zeremonie stattfinden? In London?“
„Ja, ich denke schon. So ist es einfach für Mummy und Max und andere Freunde, vom Festland anzureisen. Darcy besucht die sogenannte Farm Street Church, wenn er in der Stadt ist, also hätte ich nichts dagegen, die Hochzeit dort abzuhalten.“
„Farm Street?“ Figs Augenbrauen schossen erstaunt in die Höhe. „Wo, um Himmels willen, ist das?“
Nun musste ich doch schmunzeln. „In der Farm Street in Mayfair, um genau zu sein. So wird sie genannt. Ihr richtiger Name ist Kirche der Unbefleckten Empfängnis oder etwas in der Art. Römische Tradition. Dorthin gehen die piekfeinen Katholiken Londons zur Messe.“
„Gibt es überhaupt piekfeine Katholiken?“, fragte sie und rümpfte die Nase.
„Ähm, ja. Da ist zum einen der Papst. Und der Herzog von Norfolk. Der oberste Herzog im englischen Adelsstand, also eine Sprosse über dir, Fig. Seine Familie ist katholisch. Und natürlich Prinzessin Zou Zou. Viel vornehmer als eine Prinzessin geht es nicht.“
„Eine polnische Prinzessin, Georgie. In diesen Ländern verteilen sie Adelstitel wie Urkunden am Sporttag in der Schule. Und sie ist nur deshalb eine Prinzessin, weil sie einen Prinzen geheiratet hat.“
„Du hast recht. Vorher war sie nur eine Gräfin.“ Ich grinste. „Jedenfalls kannst du mir glauben, dass es genug piekfeine Katholiken gibt, um eine Kirche zu füllen.“
„Und du wirst bis zu deiner Hochzeit bei dieser Prinzessin wohnen? Ihr werdet in ihrem Haus heiraten? Was ist mit dem Empfang?“
Ich holte tief Luft. „Fig, eigentlich würde ich gerne in unserem Haus in London heiraten, wenn du und Binky bereit wärt, für die Hochzeit anzureisen. Und ich möchte, dass Binky mich zum Altar führt.“
Sie wand sich unbehaglich. „Ich weiß nicht, was er dazu sagen wird, dich in einem römisch-katholischen Gotteshaus zum Traualtar zu führen, Georgiana. Aber er hat dich sehr gern und wir beide wissen, wie weichherzig er ist, also nehme ich an, dass er zustimmen wird.“ Sie hielt inne und hatte sichtlich Mühe, fortzufahren. „Und du erwartest sicher, dass wir die Hochzeit finanzieren?“
„Mummy sorgt für meine Aussteuer und Belinda näht mein Hochzeitskleid“, sagte ich. „Ich bin sicher, dass Zou Zou das Hochzeitsfrühstück gern hier ausrichten würde, aber es wäre schön, wenn es im Haus meiner Familie in London stattfinden könnte. Nichts allzu Ausgefallenes natürlich. Champagner, eine Torte und ein paar Knabbereien. Du und Binky würdet das doch hinbekommen, oder?“
Sie war ganz rosa angelaufen. „Ja, ich denke, das schaffen wir“, stimmte sie zu.
Dann wedelte sie mit einem Finger und wirkte beinahe lebhaft. „Binky kann seinen Kilt anziehen und Podge kann deine Schleppe tragen. Und ich frage mich, ob Addy alt genug ist, um eine kleine Brautjungfer zu sein?“
Ich spürte, wie sie sich von Minute zu Minute mehr dafür erwärmte.
„Binky sieht in seinem Kilt spitze aus“, sagte ich ermutigend.
„Und Dudelsack“, fügte sie hinzu. „Du weißt, wie sehr Binky Dudelsackmusik liebt. Wir werden den alten Mr McTavish mitbringen.“
„Ach du meine Güte“, sagte ich. Ich weiß, der Klang von Dudelsäcken sollte mir im Blut liegen, aber ich konnte sie nicht ausstehen, da ich früher regelmäßig im Morgengrauen von ihnen geweckt wurde. „Brauchen wir wirklich Dudelsackmusik?“
„Eine Rannoch-Hochzeit ohne Dudelsack?“ Sie klang schockiert. „Das geht einfach nicht, Georgiana. Binky wird darauf bestehen, wenn du willst, dass er dich zum Altar führt.“
Ich beschloss, dass ein fünfminütiges Dudelsackspiel am Ende meiner Hochzeitszeremonie ein kleiner Preis dafür war, meinen Bruder und seine Frau bei Laune zu halten.
„Natürlich“, sagte ich und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Auf jeden Fall Dudelsack.“
Kapitel 2
Dienstag, 18. Juni
Eröffnungstag des Royal Ascot
Ich fahre mit dem König und der Königin nach Ascot. Könnte es etwas Schrecklicheres geben? Ich muss eine gute Figur abgeben und darf nicht ins Fettnäpfchen treten, während all diese Leute mich beobachten. Jedes Mal, wenn ich glaube, meine mädchenhafte Ungeschicklichkeit überwunden zu haben, passiert mir eine neue Panne. Aber bitte nicht heute! Nicht vor der Königsfamilie und den Augen der ganzen Welt!
Ich verbrachte quälende Stunden damit, vor dem Spiegel zu stehen und zu überlegen, welcher von Zou Zous Hüten mehr schick als lächerlich an mir aussah. Clotilde hatte überall auf dem Bett offene Hutschachteln verteilt und reichte mir eine nach der anderen. An ihrem Gesichtsausdruck konnte ich nicht ablesen, welche Fehlgriffe waren und welche nicht. Sicherlich nicht der mit den leuchtend rosafarbenen Federn, damit sah ich aus wie ein Flamingo im Sturm. Ich war eher von einem weißen Strohhut mit sehr breiter Krempe angetan, der mein Gesicht im tiefen Schatten verbarg, was mir ein geheimnisvolles Aussehen verlieh. Aber dann wurde mir klar, dass ich jedes Mal, wenn ich mich damit umdrehte, mit Leuten zusammenstoßen würde. Wahrscheinlich würde ich die Königin geradewegs in ihr Krabbencanapé schubsen. Am Ende entschied ich mich für einen eleganten kleinen blauen Pillbox-Hut. Clotilde bedeutete mir mit einem Nicken, dass es die richtige Entscheidung war, dazu ein blau-weißes Leinenkostüm zu tragen.
Um zehn Uhr nahm ich ein Taxi zum Buckingham Palace. Ich musste ausnahmsweise vorzeigbar ausgesehen haben, denn der Fahrer fragte mich nicht, ob ich am Dienstboteneingang aussteigen wollte. Eigentlich sollte ich erst um zehn Uhr dreißig da sein, aber da ich die Vorliebe Seiner Majestät für Pünktlichkeit kannte und wusste, dass er die Uhren in Sandringham eine halbe Stunde vorgestellt hatte, hielt ich es für klug, früher zu kommen. Es stellte sich als gute Entscheidung heraus. Ihre Majestäten, beide ausgehfertig und bereit, saßen in dem Bereich am oberen Ende der Treppe. Seine Majestät trug einen grauen Morgenanzug und einen Zylinder und Königin Mary trug ein graues Seidenkleid und einen breitkrempigen Hut, der mit einer geschwungenen Straußenfeder gekrönt war. Sie sahen imposant aus, und ich musste schlucken, als ich die Treppe hinaufging, um sie zu begrüßen.
„Ah, da ist ja die junge Georgie“, sagte der König, und ich bemerkte, dass er einen Blick auf die vergoldete Uhr in der Wandnische warf. Er nickte zufrieden. „Ein prächtiger Tag für einen solchen Anlass, nicht wahr?“
„Das Wetter ist sehr schön, Sir. Nicht zu heiß“, sagte ich, während ich einen Knicks machte. Obwohl er mein Cousin war, war er immer noch der König, und vor dem König und der Königin knickste man und sagte „Sir“ und „Ma’am“.
„Du siehst sehr nett aus, meine Liebe“, sagte die Königin, als ich vor ihr knickste und ihre Wange küsste. (Gott sei Dank hatte ich mich nicht für die breite Krempe entschieden. Ich hätte ihr die Augen ausgestochen.) „Sehr passend.“
Ich nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz und einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, da es sich nicht schickte, in Anwesenheit der königlichen Hoheiten zuerst zu sprechen. Ich war mir bewusst, dass die Uhr laut tickte, und hatte das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen.
„Wie steht es um Eure Gesundheit, Sir?“, fragte ich den König.
„Auf dem Weg der Besserung, hoffe ich“, erwiderte er.
„Er hat sich im letzten Monat im Glanz des Jubiläums gesonnt.“ Die Königin warf ihm einen liebevollen Blick zu. „Was für ein wunderbarer Anlass. All diese Menschen, die The Mall säumten. Wir werden es stets in Erinnerung behalten, nicht wahr, mein Lieber?“ Sie streckte ihre Hand aus, um sie auf seine zu legen. Ich bemerkte die Sorge in ihren Augen. Er hatte sich nie ganz von einer früheren Lungenentzündung erholt.
„Eine Menge Aufhebens und Getue“, murmelte er, aber er sah recht zufrieden aus.
„Ich fand es wirklich großartig“, sagte ich.
Der Daimler wurde eine Viertelstunde früher angekündigt, und wir fuhren los, wobei der Hofmarschall des Königs und die Kammerzofe der Königin die Gruppe vervollständigten. „Werden wir dort noch andere Mitglieder der Familie treffen, Ma’am?“, fragte ich.
„Die Kents werden kommen. Sie sind natürlich sehr gut mit Marina befreundet. Bertie und Elizabeth sagten ab, obwohl die junge Lillibet darum bettelte, mitgenommen zu werden. Das Kind ist verrückt nach Pferden. Aber ihr Vater ließ sich ausnahmsweise einmal nicht um den kleinen Finger wickeln. Du weißt, wie sehr Bertie große Versammlungen hasst, bei seinem Stottern.“
„Wenn der Junge nur üben würde“, sagte der König aufbrausend, „dann käme er über das verflixte Stottern hinweg. Ich sage ihm immer: ‚Atme tief ein und dann raus damit, Junge.‘“
Ich konnte verstehen, warum der Duke of York jedes Mal stotterte, wenn er seinem Vater gegenüberstand.
„Und David?“, fragte ich vorsichtig, da es seinen Eltern Kopfzerbrechen bereitete, dass der Prince of Wales sich demonstrativ in der Öffentlichkeit mit seiner amerikanischen Freundin zeigte.
„David? Man weiß nie, ob er sich die Mühe macht, aufzutauchen oder nicht“, sagte die Königin brüsk. „Offensichtlich stehen die königlichen Pflichten auf seiner Prioritätenliste nicht an oberster Stelle. Und wenn eine gewisse Frau mit den Fingern schnippt, springt er. Man kann nur hoffen, dass er es nicht wagt, sie nach Ascot mitzunehmen. Falls doch, werden wir sie ganz sicher nicht begrüßen.“
„Dieser verflixte Junge bringt mich noch ins Grab“, sagte der König. „Ich weiß nicht, was er an dieser Harpyie findet. Sie ist ja weder jung noch hübsch. Wir haben ihm weiß Gott wie viele attraktive und respektable Frauen vorgeschlagen. Ich weiß nicht, was er sich dabei denkt. Als ob er sie heiraten könnte – eine zweifach geschiedene Frau.“
„Wir wissen nicht, ob die zweite Scheidung schon vollzogen ist“, wandte die Königin ein. Daraufhin herrschte peinlich berührtes Schweigen, während der Wagen über die Westminster Bridge fuhr.
„Wenden wir uns erfreulicheren Themen zu“, sagte die Königin. „Deine bevorstehende Hochzeit, Georgiana. Wie schreiten die Pläne voran? Hast du schon entschieden, wo sie stattfinden wird?“
„Nicht ganz, Ma’am“, sagte ich. „Ich glaube, es gibt eine passende Kirche in der Farm Street in Mayfair. In der Nähe von Rannoch House.“
„Aber die Oratorianerkirche ist doch auch in der Nähe von Rannoch House, oder nicht? Du solltest sichergehen, dass die Kirche genug Platz für deine gesamte Gästeliste bietet. Unsere ganze Familie wird Einladungen erwarten, und deine Großtanten im Kensington Palace wären höchst beleidigt, wenn du sie nicht einladen würdest. Hinzu kommt, dass du mit verschiedenen europäischen Königshäusern verwandt bist. Ich nehme doch an, dass sie teilnehmen wollen. Die jungen Bulgaren, zum Beispiel. Du warst doch auf ihrer Hochzeit, oder nicht?“
Ach du meine Güte, dachte ich. Hatte meine königliche Cousine vor, hinter meinem Rücken sämtliche Königshäuser Europas einzuladen? Fig wäre nicht amüsiert, wenn sie Champagner und Kuchen für Hunderte hungriger Europäer bereitstellen müsste. Und das Letzte, was ich auf meiner Hochzeit gebrauchen konnte, war, unter Prinz Siegfrieds stierem Blick zum Altar zu schreiten. Meine Familie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um uns zu verkuppeln. Sein Spitzname war Fischlippe. Muss ich noch mehr sagen?
„Warum will das Mädchen nicht in der Westminster Abbey oder wenigstens in St. Margaret’s in Westminster heiraten?“, fragte der König.
„Sie heiratet einen Katholiken, George“, sagte die Königin sanft.
„Völliger Humbug“, murmelte der König. Ich war mir nicht sicher, ob er meinte, es sei völliger Humbug, dass ich einen Katholiken heiratete, oder dass die Hochzeit nicht in der Westminster Abbey stattfinden konnte, weil ich einen Katholiken heiratete. Ehrlich gesagt war ich darüber sehr erleichtert. Ich wäre vor Angst gestorben, wenn ich in der Westminster Abbey zum Traualtar hätte schreiten müssen! „Soll das Mädchen doch in der Abbey heiraten und dann soll irgendein katholischer Pfaffe kommen und am Ende etwas Weihrauch schwenken oder so“, sagte der König, der nun recht aufgebracht wirkte.
„Ich fürchte, für meinen Verlobten gelten wir in den Augen der Kirche nicht als verheiratet, wenn wir keine katholische Zeremonie haben.“ Ich wagte kaum, die Worte auszusprechen, denn es gehörte sich bestimmt nicht, einem König zu widersprechen. „Es geht um das Sakrament.“
„Verdammter Humbug“, sagte der König.
„Du lässt es uns wissen, sobald Ort und Datum feststehen, nicht wahr?“, schaltete sich die Königin hastig ein. „Wir möchten natürlich sichergehen, dass wir teilnehmen können, und mein Sekretär wird dir eine Gästeliste mit den Verwandten aus dem Ausland zustellen, die du einladen solltest.“
„Natürlich, Ma’am“, sagte ich. „Wir haben das Datum auf den 27. Juli gelegt. Darcy ist im Moment verreist, aber sobald er zurück ist, müssen wir uns um die letzten Vorbereitungen kümmern.“
„Also, was die Brautjungfern angeht“, fuhr sie fort und drehte sich zu mir um, als wäre es ihr gerade erst eingefallen. „Du wirst doch Brautjungfern haben?“
„Eine Brautjungfer, Ma’am. Meine beste Freundin aus Schulzeiten. Meine Nichte ist zu jung, um an einer Hochzeit teilzunehmen, obwohl ich meinen Neffen als Schleppenträger dabeihaben möchte.“
„Ich bin sicher, dass Elizabeth und Margaret nur zu gern deine Brautjungfern wären, wenn du sie fragst“, sagte die Königin. „Kleine Mädchen verkleiden sich so gern. Elizabeth würde deine Schleppe mit Bravour tragen und die kleine Margaret ist jetzt alt genug, um sich zu benehmen, hoffe ich.“
„Dieses Kind ist ein wahrer Rabauke“, sagte der König und lachte herzlich. Ach du meine Güte, dachte ich. Zwei Prinzessinnen, die meine Schleppe trugen. Und die gekrönten Häupter Europas, die zusahen, wie sich mein Fuß im Saum meines Kleides verfing und ich vornüber stürzte, wie damals bei meinem Debüt bei Hofe! Ich bedauerte zutiefst, dass Darcy und ich es nicht geschafft hatten, heimlich durchzubrennen.
Wir ließen die Stadt hinter uns und fuhren durch die grün belaubte Landschaft von Berkshire. Als wir an der Pferderennbahn ankamen, wurde viel gejubelt, und ich fühlte mich schrecklich befangen, als Gesichter ins Auto blickten und ich eine Stimme mit Cockney-Einschlag sagen hörte: „Wer zum Teufel ist das denn?“
Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, was Ascot nach sich ziehen würde. Ich wusste, dass es für die Königsfamilie einen eigens abgeriegelten Bereich mit strengem Protokoll und Kleidervorschriften gab, die Royal Enclosure. Ich nahm an, wir würden in einer schattigen Loge sitzen, Champagner schlürfen und Pferde beobachten. Dass die Realität ganz anders aussah, dämmerte mir, als ich vor uns eine Reihe offener Pferdekutschen sah.
„Gott sei Dank ist es heute nicht windig“, sagte die Königin. „Erinnert ihr euch an letztes Jahr, als wir Mühe hatten, unsere Hüte aufzubehalten? Wenn Lady P. nicht einen riesigen Vorrat an Haarnadeln in ihrer Handtasche gehabt hätte, wäre mein Hut davongesegelt.“
Lady P., die adlige Kammerzofe, drehte sich auf dem Vordersitz des Wagens um. „Ich habe heute einen Vorrat bereit, Eure Majestät. Für den Fall einer plötzlichen Brise. Sollen wir den Hut noch einmal überprüfen, bevor Ihr in die Kutsche steigt?“
„Gib Georgiana die Hutnadeln“, sagte die Königin. „Sie kann Notfallreparaturen vornehmen, falls nötig.“
Da ging mir auf, dass ich mit Ihren Majestäten in einer offenen Kutsche vorfahren würde. Ach du meine Güte.
„Ma’am, Ihr wollt doch nicht etwa, dass ich in der Kutsche mitfahre“, sagte ich. „Ich könnte in der Royal Enclosure auf Euch warten. Eure Untertanen möchten sicher einen Blick auf ihre Herrscher erhaschen.“
„Ganz im Gegenteil, Georgiana. Dies könnte eine der letzten königlichen Veranstaltungen sein, an denen du als Familienmitglied teilnehmen kannst“, sagte sie. „Ich möchte, dass du jede Minute davon genießt.“
Mir wurde klar, was sie vorhatte. Ich hatte gerade auf meinen Anspruch in der Thronfolge verzichtet. Sie erinnerte mich daran, dass ich nicht einmal mehr ein unbedeutendes Mitglied des Königshauses sein würde. Vermutlich würde ich keine Einladungen mehr zu Abendessen im Buckingham Palace oder anderen königlichen Hochzeiten erhalten. Ich würde Mrs Darcy O’Mara sein, eine Hausfrau. Tja, eigentlich störte mich das nicht besonders. Der Buckingham Palace hatte mir sowieso immer Angst eingejagt. Und Mrs Darcy O’Mara klang in meinen Ohren sehr gut!
Man half uns in die Kutsche. Ich stolperte nicht und fiel auch nicht vornüber auf den Schoß des Königs. Ich war stolz auf mich. Die anderen Kutschen hinter uns waren mit verschiedenen Familienmitgliedern besetzt und wir fuhren unter lautem Jubel die Hauptgerade – die gerade Meile der Rennbahn – entlang. Es war in der Tat ein Erlebnis und meine Wangen glühten, als ich Ihren Majestäten zu ihren Plätzen in der Royal Enclosure folgte. Wie seltsam, dass die Leute vor mir knicksten! Ich war sehr dankbar, dass ich hinter dem König und der Königin saß, neben Prinzessin Marina, nun die Duchess of Kent. Sie lächelte und drückte meine Hand.
„Wie schön, dich zu sehen, Georgie. Ich dachte mir schon, dass du diejenige mit dem schicken Hut in der ersten Kutsche warst. Wie geht es mit deinen Hochzeitsvorbereitungen voran?“
„Gut“, sagte ich. „Ich schaue mir diese Woche die ersten Entwürfe für mein Kleid an und meine Mutter kommt her, um mir beim Einkaufen für meine Aussteuer zu helfen.“
„Wie aufregend. Und wo wird die Feier stattfinden?“
„Das steht noch zur Debatte“, sagte ich, da mir klar wurde, dass die Königin in Hörweite war. „Wir werden die Einladungen verschicken, sobald alles unter Dach und Fach ist.“
Ich sah mich um, konnte zu meiner Erleichterung aber weder den Prince of Wales noch Binky und Fig entdecken. Die Rennen begannen. Ein junger Hofdiener platzierte eine Wette für mich. Da ich nichts über Pferde und ihre Kondition wusste, wählte ich blindlings … und gewann. Dann verlor ich prompt beim nächsten Rennen. Ich hatte schon Jagd- und Hindernisrennen gesehen, da Darcys Vater einen Rennstall in Irland betrieb (der jetzt Prinzessin Zou Zou gehörte). Aber ich hatte noch nie ein Flachrennen mit derart viel Glamour und Prunk gesehen oder den unbändigen Nervenkitzel der stampfenden Hufe erlebt, die an uns vorbeidonnerten. Zwischen den Rennen wurde ich eingeladen, zuzusehen, wie die Pferde über die Koppel geführt wurden.
„Mir gefällt die Nummer sieben“, sagte der junge Mann, der mich begleitete. „Gute, robuste Beine. Was denken Sie, Lady Georgiana?“
Ich wollte gerade sagen, dass ich Nummer fünf bevorzugte, als ich erstarrte. Ich blinzelte, unsicher, ob das, was ich sah, eine Täuschung des Lichts war. Aber dann schob sich die Sonne hinter einer kleinen Wolke hervor und ich sah, dass ich mich nicht irrte. Darcy stand unten auf der Koppel neben einer wunderschönen Frau mit olivfarbenem Teint, die ein hautenges Kleid und einen atemberaubenden Hut trug, der über und über mit Margeriten geschmückt war. Sie standen sehr eng beieinander, so eng, wie es ihr Hut zuließ, und steckten die Köpfe in einem offensichtlich privaten Gespräch zusammen. Dann sah sie zu ihm auf, lächelte und nickte. Ich bekam keine Luft mehr. Ein Teil von mir wollte gelassen und erwachsen reagieren und ihm zurufen: „Huhu, Darcy! Was für eine Überraschung. Deine Verlobte ist hier.“ Er wäre überrascht und peinlich berührt, dass ich ihn ertappt hatte. Aber ich konnte es nicht. Ich wollte nur noch weglaufen und mich zu Hause verkriechen.
„Ich glaube, ich muss mich hinsetzen“, murmelte ich und stolperte zurück zu meinem Platz. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken unaufhaltsam umher. Ich hatte angenommen, er sei geschäftlich im Ausland. Warum hatte er mich nicht zuerst besucht, wenn er in der Londoner Gegend war? Und wer war diese Frau? Warum stand er so dicht bei ihr, während sie über einen Witz lachten, den nur sie beide verstanden? Es bereitete mir beinahe körperliche Schmerzen.
Ich stolperte zu meinem Platz und setzte mich.
„Was ist denn los, Georgie?“, fragte Marina. „Du siehst furchtbar blass aus. Geht es dir nicht gut? Soll ich dir ein Glas kalte Limonade bringen lassen?“
„Nein, danke. Mir geht es gut. Es ist nur etwas zu warm“, sagte ich. Ich starrte geradeaus auf den Hinterkopf der Königin und die dahinterliegende Rennbahn. Ich wollte es jemandem sagen. Ich wollte, dass mich jemand in den Arm nahm und mir versicherte, dass alles gut werden würde. Wie lautete der Spruch, den ich schon so oft gehört hatte? „Bettenhüpfen ist der Lieblingssport der Oberschicht, nicht wahr?“ Doch Darcy und ich waren dem Bett des jeweils anderen züchtig ferngeblieben, und so würde es bis zu unserer Hochzeitsnacht auch bleiben. Vielleicht vermisste er die Nähe eines anderen Menschen zu sehr und hatte eine Partnerin gefunden, die nur zu bereit war. Wer wäre bei jemandem, der so hinreißend und charmant war wie Darcy, nicht bereit?
Einen Moment lang fürchtete ich, mich übergeben zu müssen. Ich wollte nur noch nach Hause, aber ich saß hier fest, bis die Königsfamilie beschloss, abzureisen, und außerdem hatte ich kein Zuhause mehr. Ich wohnte im Haus von Prinzessin Zou Zou, wo mir außer einem Dienstmädchen und einer Haushälterin niemand Gesellschaft leistete. Es gab niemanden in der Nähe, an den ich mich wenden konnte. Außer … Ich warf Marina einen Blick zu. Ihr Ehemann, Prinz George, der vierte Sohn des Königs, war vor seiner Heirat als unverbesserlicher Schürzenjäger berüchtigt gewesen. Hatte Marina das gewusst und ihn trotzdem geheiratet? Galt es als normal für Leute unseres Standes, sich eine Geliebte zu halten, sich die Hörner abzustoßen?
„Marina?“ Ich senkte meine Stimme. „Als du geheiratet hast, hast du da erwartet, dass dein Mann dir treu ist?“
Mit einem beinahe belustigten Gesichtsausdruck drehte sie sich zu mir um. „Ich glaube, dass alle gesunden jungen Männer sich ausleben wollen, bevor sie heiraten“, sagte sie.
„Aber verlangst du nun von ihm, dir treu zu sein?“, bohrte ich nach. „Oder ist es eher so, dass du keine Fragen stellst?“
„Was für eine außergewöhnliche Frage“, sagte sie, und mir wurde klar, dass ich die Grenzen des Anstands überschritten hatte.
„Es tut mir leid. Das hätte ich dich nie fragen dürfen“, sagte ich. „Aber ich werde bald heiraten und ich weiß, dass mein zukünftiger Ehemann schon seit jeher alles andere als ein Mönch ist, deshalb habe ich mich gefragt …“
„Ob George mir treu ist?“, beendete sie meinen Satz. „Was das angeht, so ist er mir bisher treu ergeben, aber wir sind ja auch erst seit sechs Monaten verheiratet. Und wenn er sagt, er geht in seinen Klub – nun, dann vertraue ich darauf, dass er in seinen Klub geht. Anders geht es nicht, sonst wird man seines Lebens nicht froh. Es gibt nichts Schlimmeres als ständig misstrauisch zu sein.“
„Nein, da hast du wohl recht“, stimmte ich ihr zu. Aber ich starrte weiter auf die Rennbahn hinaus. Wollte ich mit einem Mann verheiratet sein, von dem ich wusste, dass ich ihm nicht trauen konnte? Mir jedes Mal, wenn er fort war, Sorgen machen, dass er sich mit einer anderen Frau traf? Konnte ich den Mut aufbringen, die Hochzeit abzusagen oder wollte ich Darcy trotz allem heiraten? In diesem Moment wusste ich es schlicht nicht.