Leseprobe Zur Krönung: Mord

Kapitel 1

In finsterer Nacht, Donnerstag, 29. November 1934

Unterwegs Richtung Norden in einem Armstrong Siddeley mit dem hochwohlgeborenen Darcy O’Mara.

Ich habe keine Ahnung, wohin wir fahren, aber Darcy ist bei mir, also ist alles gut.

Ich saß neben Darcy in einem Automobil und wir fuhren nordwärts, heraus aus London. Er hatte mich einige Stunden zuvor entführt, nachdem wir beide der Hochzeit zwischen Prinzessin Marina und dem Duke of Kent beigewohnt hatten. Zunächst hatte ich angenommen, dass ich unterwegs zu einem romantischen Dinner wäre. Dann, als wir die Straßen Londons hinter uns gelassen hatten, beschlich mich der Verdacht, dass wir nicht zum Dinner fuhren, sondern zu einem Hotel in einem lasterhaften Ort wie Brighton. Aber wir fuhren in nördlicher Richtung, nicht nach Süden, und mir fielen keine lasterhaften Orte ein, die nördlich von London lagen. Man fuhr doch nicht in die rußigen, schmutzigen Industriegebiete der Midlands, um dem Laster zu frönen? In gewisser Weise war ich wohl erleichtert. So gern ich die Nacht mit Darcy verbringen wollte, und wir hatten weiß Gott lange genug gewartet, machte ich mir doch Sorgen um die Konsequenzen.

Darcy gab sich während der Fahrt geheimnisvoll, trug ein selbstzufriedenen Grinsen zur Schau und beantwortete meine Fragen nicht. Schließlich redete ich mir ein, dass wir wahrscheinlich auf dem Weg zu einer Hausgesellschaft irgendwo auf dem Land waren, deren Gastgeber einer seiner zahlreichen Freunde war. Das war zwar eine vollkommen rechtschaffene Unternehmung, aber weitaus weniger aufregend als eine Nacht in einem Hotel in Brighton als Mr und Mrs Smith. Doch als Londons Lichter verblassten und wir in die völlige Dunkelheit hineinfuhren, hielt ich es keine Minute länger aus.

„Darcy, wohin fahren wir?“, wollte ich wissen.

Er starrte immer noch geradeaus in die Nacht. „Gretna Green“, antwortete er.

„Gretna Green? Ist das dein Ernst?“, stieß ich quietschend aus. „Aber das ist in Schottland. Und man fährt dorthin, um zu –“

„Um gemeinsam durchzubrennen und zu heiraten. Ganz genau.“

Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Er grinste noch immer zufrieden. „Ich kenne dich zu gut, Georgie“, erwiderte er. „Du bist von Grund auf überaus anständig. Du hast zu viel von deiner Urgroßmutter.“ (Die, falls ihr es nicht wusstet, Königin Victoria war.) „Du willst den nächsten Schritt nicht tun, bevor du einen Ring am Finger trägst, und das respektiere ich. Also ist es mir ein Anliegen, diese Sache zu beheben. Wenn wir die Nacht durchfahren, wirst du bereits morgen Mrs Darcy O’Mara sein und ich kann guten Gewissens mit dir ins Bett gehen.“

„Allmächtiger“, erwiderte ich. Nicht gerade die schlagfertigste Antwort, ich weiß, aber ich war überrumpelt. Ich merkte, dass ich ebenfalls grinste. Mrs Darcy O’Mara. Nicht ganz so hochtrabend wie Lady Georgiana Rannoch, aber unendlich befriedigender. Ich konnte es nicht erwarten, das Gesicht meiner Schwägerin Fig zu sehen, wenn ich nach London zurückkehrte und ihr meinen Ringfinger unter die Nase hielt. Der Gedanke an Fig führte mich zu praktischeren Überlegungen. Darcy war ein junger Mann ohne feste Bleibe. Er hatte einen makellosen Stammbaum und war wie ich in einem Schloss aufgewachsen. Eines Tages würde er einen Adelstitel erben. Aber er war ebenso mittellos wie ich. Er schlug sich mehr schlecht als recht durch und nahm geheime Aufträge an, über die er nicht sprechen durfte. Er schlief bei Freunden auf dem Sofa oder passte auf ihre Londoner Stadthäuser auf, wenn sie auf ihren Jachten oder an der Riviera weilten. Dieser Lebensstil mochte für einen ungebundenen Mann angehen, aber ich konnte schließlich nicht ein Sofa in der Wohnung eines befreundeten Junggesellen mit ihm teilen, oder?

Behutsam brachte ich dieses Thema zur Sprache. „Also, Darcy, ich will ja nicht nachbohren, aber welchen Wohnort hattest du für uns vorgesehen?“

„Gar keinen“, sagte er. „Du gehst zurück zu deinem Bruder und ich gehe, wohin auch immer mich mein nächster Auftrag führt. Alles Geld, das ich verdiene, spare ich und wenn ich genug für einen Umzug in eine angemessen respektable Residenz habe, machen wir unsere Ehe publik. Gretna Green ist nur für den Fall, dass etwas Unziemliches passieren würde und du“ – er hielt inne und hüstelte – „in andere Umstände kämst. Dann könnten wir unsere Heiratsurkunde vorzeigen, alles wäre geregelt und deine Ehre intakt.“

Das brachte mich zum Lachen. Ich glaube, ich kicherte sogar nervös, denn es war sehr aufregend, diese Dinge mit einem Mann zu besprechen.

„Und was glaubst du, wie lange es dauern wird, bis wir uns ein eigenes Heim leisten können?“, fragte ich.

„Hoffentlich nicht allzu lange.“ Er seufzte. „Wenn mein Vater nur nicht sein gesamtes Vermögen verloren hätte … Wäre er nicht gezwungen gewesen, das Schloss und den Rennstall zu verkaufen, hätten wir meinen Stammsitz beziehen können. Kilhenny Castle hätte dir gefallen. Es ist weniger wild und abgelegen als Castle Rannoch. Sogar ziemlich zivilisiert.“

„Dein Vater lebt noch immer in der Wildhüterhütte, nicht wahr?“

„Ja, und er bezieht Lohn dafür, dass er den Rennstall für den Amerikaner, der das Schloss mit allem Drum und Dran gekauft hat, betreibt. Er ist nun die bezahlte Hilfskraft auf dem Anwesen, das unserer Familie über Jahrhunderte gehört hat. Ich kann nicht einmal in die Nähe. Zu schmerzhaft.“ Erneut hielt er inne. „Mein Vater würde mich ohnehin nicht sehen wollen. Er mag mich nicht besonders.“

„Ihm sagt dein Lebenswandel nicht zu?“

Darcy schnaubte. „Von seiner Warte aus kann er mich nicht gerade verurteilen, was? Ich bin nicht derjenige, der das Familienerbe verkauft hat. Nein, es ist einfacher als das. Er hat mir nie vergeben, dass ich überlebt habe.“

„Was?“ Ruckartig drehte ich den Kopf zu ihm. Sein Mund war zu einem geraden Strich zusammengepresst.

„Als uns die Spanische Grippe 1920 erreichte, war ich fort, auf der Grundschule in England. Meine Mutter und meine beiden jüngeren Brüder wurden krank und starben. In meiner Schule war es so eisig kalt und trübselig, dass nicht einmal die Grippe dort überdauerte, also überlebte ich. Einmal, nachdem er zu tief ins Glas geschaut hatte, sagte mein Vater, dass mein Anblick ihn jedes Mal daran erinnert, dass meine Mutter starb und ich lebe.“

„Das ist wohl kaum deine Schuld“, sagte ich wütend.

„Mein Vater war noch nie besonders vernünftig. Fuhr immer sehr leicht aus der Haut und war stets nachtragend. Aber lass uns nicht von ihm sprechen. Wir brechen zu einem neuen Abenteuer auf, zum Teufel mit unseren Familien.“

„Ganz recht“, sagte ich und berührte seine Hand, die das Lenkrad umklammerte. „Da sie uns nicht unterstützen, geht es sie nichts an, ob wir heiraten oder nicht.“

Lichter rasten aus der anderen Richtung an uns vorüber und erleuchteten das Innere unseres Wagens für einen Augenblick, bevor uns die Dunkelheit erneut umfing. Ich malte mir aus, wie ich meiner Familie erzählen würde, dass Darcy und ich geheiratet hatten. Binky, mein Bruder, würde sich für mich freuen. Fig würde es missbilligen, weil Darcy mittellos und außerdem römisch-katholisch war und …

„Allmächtiger“, sagte ich erneut und setzte mich mit einem Ruck aufrecht hin. Darcy drehte den Kopf zu mir. „Ich kann dich nicht heiraten, Darcy“, sagte ich. „Ich hatte es völlig vergessen, aber ich habe keine Erlaubnis dafür. Ich bin immer noch Teil der Thronfolge und wir dürfen keine Katholiken heiraten.“

„Ich dachte, wir hätten beschlossen, dass du einfach auf deinen Thronanspruch verzichten kannst, dann wird alles gutgehen“, sagte er. Er sah mich mit einem zaghaften Lächeln an. „Es sei denn, natürlich, du würdest lieber auf die Gelegenheit verzichten, mich zu heiraten, nur für den Fall, dass du eines Tages Königin wirst.“

Ich schmunzelte. „Da ich momentan in der Erbfolge an fünfunddreißigster Stelle stehe, wäre ein weiterer Besuch des Schwarzen Tods nötig, um die Personen zwischen mir und dem Thron auszulöschen“, sagte ich. „Und warum sollte ich je Königin werden wollen? Selbstverständlich möchte ich dich heiraten, aber ich finde, dass es offiziell sein muss. Ich muss meine Bitte dem König vortragen und ich glaube, das Parlament muss sie anhören. Also kehren wir besser um und fahren zurück, bevor wir zu weit gehen.“

Darcy schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht umkehren. Wir fahren nach Schottland und heiraten. Wir werden es keinem erzählen und zu gegebener Zeit kannst du auf deine königlichen Verwandten zugehen und um Erlaubnis bitten, mich zu heiraten. Dann können wir eine richtige Hochzeit in einer standesgemäßen Kirche mit Brautschleier und Brautjungfern feiern und niemand außer uns muss je wissen, dass wir bereits verheiratet sind.“

„Dürfen wir das denn?“, fragte ich.

„Wer sollte davon erfahren?“

„Was, wenn der König und die Königin meine Bitte abschlagen?“

„Warum sollten sie das tun? Und wenn sie das täten, würde ich meiner Religion abschwören, wenn ich dich nur so heiraten kann.“

Ich bekam einen Kloß im Hals. „Darcy, das würde ich nie von dir verlangen. Deine Religion bedeutet dir sehr viel.“

„Ich weiß, dass meine Familie viele Jahrhunderte dafür gekämpft hat, aber wie ich schon sagte, wenn ich dich nur so heiraten kann, soll es so sein. Es wäre nicht so schlimm, Anglikaner zu sein … nur eine verwässerte Form des Katholizismus.“

Nun lachte ich erleichtert auf. Darcy liebte mich so sehr, dass er bereit war, alles für mich aufzugeben. Ich kann euch nicht sagen, wie herrlich sich das anfühlte.

***

Wir fuhren weiter. Es wurde recht kalt und ich fand auf dem Rücksitz eine Decke, die ich mir über die Knie zog. Dann begann es zu regnen, ein starker Schneeregen, der auf die Windschutzscheibe prasselte. Darcy fluchte unterdrückt, als er die Augen zusammenkniff, um zu erkennen, wohin wir fuhren.

„Wir könnten eine Unterkunft für die Nacht suchen, wenn es so weitergeht“, sagte ich. „Bei diesen Bedingungen macht das Fahren keinen Spaß.“

„Nein, wir fahren weiter“, sagte er. „Es wird vorbeigehen.“

Aber das war nicht der Fall. Einer nach dem anderen zogen die Schilder der Midland-Städte an uns vorbei. Wir hielten an, um in einem Pub mitten in der Einöde Fleischpasteten und Bier zu bestellen. Im Kamin röhrte ein großes Feuer und ich sah ihm sehnsüchtig nach, als wir durch den Regen zurück zu unserem Wagen hasteten.

Als wir Yorkshire erreichten, hatte sich der Regen in Schnee verwandelt – ein schwerer, nasser Schnee, der an den Scheibenwischern klebte und sich aufzutürmen begann, als er hin und her geschoben wurde. Keine anderen Autofahrer waren so verrückt, sich auf die Straße zu wagen.

„Wir sollten anhalten“, sagte ich. „Es wird gefährlich.“

„Dieser Wagen ist sehr solide“, gab Darcy zurück. „Er kann diese Bedingungen gut meistern.“

„Ich will nicht von der Straße abkommen und kopfüber im Graben landen“, sagte ich.

Wir passierten Straßen, die nach Leeds und später nach York führten, obwohl keine der beiden Städte zu sehen war. Wir schienen durch triste Hügellandschaften ohne jegliche Spur von menschlichen Behausungen zu fahren. Wir hätten auch mitten im Nirgendwo sein können. Plötzlich trat Darcy auf die Bremse und ich spürte, wie das Heck des Wagens zur Seite rutschte. Ich glaube, ich schrie. Darcy kämpfte darum, uns ins Gleichgewicht zu bringen. Wir wurden herumgeschleudert. Unsere Scheinwerfer zuckten wild über Bäume und Schnee. Dann, wie durch ein Wunder, kamen wir zum Stehen. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass wir verkehrt herum standen.

Kapitel 2

29. November

Mitten in der Nacht irgendwo in Yorkshire.

„Was war das?“, fragte ich mit schrecklich zittriger Stimme.

„Das war ein ganz schön wilder Ritt.“ Darcy klang beinahe, als hätte er es genossen.

Ich funkelte ihn finster an und meine Furcht verwandelte sich in Wut. „Hast du das etwa mit Absicht getan?“

„Natürlich nicht. Hältst du mich für einen Idioten?“

„Aber warum hast du so plötzlich gebremst?“

„Weil ein verdammter Lastwagen die Straße vor uns blockiert.“

Er klang nun ebenfalls gereizt. Er öffnete die Tür, wobei ein eisiger Luftzug hereinwirbelte, der Schnee mit sich brachte, dann trat er hinaus in den Sturm. Ich wickelte mich fester in die Decke und versuchte durch das Schneetreiben zu erkennen, was vor sich ging. Darcy war in dem Wirbel aus Weiß verschwunden. Ich hielt den Atem solange an, bis er mit grimmiger Miene zurückkehrte.

„Tja, das war es für heute Nacht“, sagte er. „Die Straße vor uns ist vom Schnee blockiert. Ich habe gefragt, ob wir eine andere Route nehmen könnten, aber der Bursche meinte, wenn die Great North Road blockiert sei, könnten wir es auf den kleineren Straßen vergessen. Seine genauen Worte waren: ‚Wenn es hier unten so schneit, dann heult oben im Moor ein verdammter Blizzard.‘“ Er seufzte ungeduldig. „Wir werden warten müssen, bis morgen jemand herkommt, um die Straße zu räumen. Oder übermorgen … Die Burschen da vorn scheinen nicht viel zu wissen, nur dass wir nicht weiterkommen. Also fürchte ich, dass wir deinen Vorschlag befolgen und uns nach einer Übernachtungsmöglichkeit umschauen müssen.“

„Vor etwa einer Meile sind wir an einem Pub vorbeigefahren“, sagte ich.

„Dann versuchen wir das.“ Darcy kratzte die Eisschicht von der Windschutzscheibe, dann klopfte er sich den Schnee von der Kleidung, bevor er wieder in den Wagen stieg und vorsichtig wendete. „Ich hoffe, dort gibt es Gästezimmer. Ich will nicht zu weit zurückfahren müssen.“ Er schlug die Hände gegen das Lenkrad. „Oh, das ist einfach frustrierend. Gerade, als ich dachte, ich hätte alles perfekt geplant. Ich hatte dein unverbesserliches Dienstmädchen überredet, einen Koffer für dich zu packen. Ich hatte es geschafft, mir einen ordentlichen Wagen zu leihen. Und jetzt das.“

Ich legte eine Hand auf seinen Ärmel. „Es ist nur eine Verzögerung, Darcy. Diese Straße wird recht schnell geräumt werden, nicht wahr? Sie ist die Hauptverkehrsader nach Schottland und Nordengland. Was bedeutet schon ein Tag mehr?“

Er nickte. „Du hast recht. Nur eine Verzögerung. Wir haben drei Jahre gewartet. Was macht eine weitere Nacht schon aus?“

„Ich weiß noch, dass du bei unserer ersten Begegnung mit Belinda gewettet hast, dass du mich innerhalb einer Woche ins Bett bekommen würdest. Oder war es innerhalb eines Monats?“ Ich blickte ihn fragend an.

Er grinste. „Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich habe die Wette eindeutig verloren und sollte meinen Einsatz bezahlen. Ich hatte nicht mit deiner eisernen Willensstärke und deinem königlichen Anstand gerechnet.“

„Oder damit, dass sich die Umstände gegen uns verschwören, wie jetzt“, sagte ich. „Meine Mutter konnte nicht glauben, dass wir uns so lange Zeit gelassen haben.“

Darcy lachte schnaubend. „Nun, deine Mutter ist nicht gerade ein Vorbild für ein keusches Leben, oder? Wie oft war sie schon verheiratet? Oder nicht verheiratet, um genau zu sein?“

Tatsächlich hatte meine Mutter meinen Vater, den Duke of Rannoch, sitzen lassen, als ich zwei Jahre alt gewesen war, und seitdem mit unzähligen Männern auf sechs der sieben Kontinenten unzählige Abenteuer erlebt. Die Antarktis war nur deshalb verschont geblieben, weil es dort einfach zu verflixt kalt war! Im Augenblick konnte ich das gut nachvollziehen, da sich meine Füße in Eisklötze verwandelt hatten.

***

Wir fuhren wieder Richtung Süden, woher wir gekommen waren. Der Pub, an den ich mich erinnert hatte, hieß „The Pig and Whistle.“ Er sah auf altmodische, ländliche Art einladend aus, aber zu unserem Pech war die Eingangstür verschlossen und alles dunkel. Darcy stieg aus, zerrte und rüttelte an der Tür, dann kam er verärgert zum Wagen zurück und wischte sich Schnee von der Jacke.

„Diese verdammte Sperrstunde“, brummte er, als er wieder den Gang einlegte. „Warum können wir es nicht wie in Frankreich oder Italien machen und die Leute trinken lassen, wann sie wollen?“

„Vermutlich, um zu vermeiden, dass die halbe Bevölkerung sturzbetrunken und arbeitsunfähig ist.“

Er schnaubte. „Sind auf dem Festland etwa alle sturzbetrunken?“

„Ich schätze, dort ist man es von klein auf gewohnt und trinkt eher Wein als Bier und Whisky. Wein schadet angeblich nicht. Und man arbeitet nicht so schwer wie hier. Fahr an einem beliebigen Café in Frankreich vorbei und du siehst morgens Männer bei einem Glas Wein sitzen. Sie nehmen das Leben einfach weniger ernst.“

„Wie kommt es, dass du immer so verflucht vernünftig und gefasst bist?“, zischte er mich an. „Niemand würde glauben, dass du mit mir durchbrennen willst.“ Er hielt inne und drehte sich abrupt zu mir um. „Das willst du doch, oder? Ich habe dich nie direkt gefragt.“

Die Frage überraschte mich. Wollte ich das? Machte ich mir keine Gedanken darüber, was meine königlichen Verwandten sagen würden? Hatte ich mich nicht mein ganzes Leben lang auf das lange weiße Kleid und den Brautschleier gefreut? Dann sah ich Darcy an. Selbst im dunklen Wagen sah er umwerfend aus und ich liebte ihn so sehr. „Natürlich will ich das“, sagte ich.

„Du hast gezögert, bevor du mir geantwortet hast“, erwiderte er.

„Nur weil es zu kalt ist, um meine Lippen zu bewegen.“

„Ich könnte sie aufwärmen“, sagte er, legte eine Hand auf meinen Hinterkopf, zog mich an sich und küsste mich lang und fest. „Also“, sagte er etwas außer Atem, als wir uns voneinander lösten. „Suchen wir uns einen Ort, an dem wir die Nacht verbringen können, bevor wir uns beide zu Tode frieren.“

Wir fuhren weiter, in der Hoffnung wenigstens ein Dorf in der Nähe der Straße zu finden. Ich glaube, wir waren beinahe wieder zurück in York, als wir endlich auf Anzeichen menschlicher Behausungen stießen, zumindest solcher, deren Bewohner noch wach waren. Es gab auch einen Pub, etwas abseits der Straße neben einem Bahnübergang. Auf dem Schild, das in den Sturmböen hin und her schwang, stand „The Drowning Man“, der ertrinkende Mann, und es zeigte eine Hand, die aus einem Teich ragte.

„Nicht sehr einladend“, sagte Darcy trocken. „Aber wenigstens brennt noch Licht und hoffentlich ist jemand wach.“

Er öffnete die Fahrertür, wobei er eine große Ladung Schnee ins Wageninnere ließ, dann kämpfte er gegen den Wind an, um sie schnell wieder zu schließen, bevor er zum Pub rannte. Ich spähte ihm durch die schneebedeckte Windschutzscheibe nach. Er klopfte an und wartete. Zu meiner Erleichterung öffnete sich schließlich die Tür und ein Lichtstrahl fiel auf den Schnee. Während Darcy anscheinend ein längeres Gespräch führte, sah ich, wie mir die andere Person einen prüfenden Blick zuwarf. Dann marschierte er zurück zum Wagen. Einen schrecklichen Moment lang fürchtete ich, er würde mir mitteilen, dass alle Zimmer belegt wären und wir weiterfahren müssten. Aber stattdessen ging er um den Wagen herum und öffnete mir die Tür.

„Sieht so aus, als hätten sie Zimmer frei. Keine besonders einladende Unterkunft, soweit ich es beurteilen kann, aber bei diesem Sturm dürfen wir nicht wählerisch sein.“ Er nahm meine Hand und führte mich durch den Schnee zum Gebäude. Ich hätte gern berichtet, dass er mich ins Warme brachte, aber ehrlich gesagt war es drinnen nicht viel wärmer als im Wagen. Im Flur hing eine nackte Glühbirne, und eine Treppe ohne Teppich führte in die Dunkelheit.

„Seid in den Sturm geraten, was?“, fragte die Wirtin. Nun, da wir sie erkennen konnten, fiel mir auf, dass sie eine kräftig gebaute Frau von der Konstitution eines Ackergauls war, mit teigigem Gesicht, hervortretendem Kinn und kleinen flinken Augen.

Ich warf Darcy einen kurzen Seitenblick zu und hoffte, dass er sich eine humorvolle Bemerkung, etwa, dass wir auf dem Weg zur Riviera falsch abgebogen wären, verkneifen würde.

„Wir waren unterwegs nach Schottland, aber die Straße ist gesperrt“, sagte ich, bevor er antworten konnte.

„Aye. Haben im Radio davon gehört“, sagte sie. „Schätze, es wird ein paar Tage dauern, was? Ihr wollt also ein Zimmer, ja?“

„Genau“, sagte Darcy.

„Hab nur das eine Zimmer“, sagte sie. „Die anderen sind belegt. Ihr seid ein Ehepaar, nehme ich an?“ Sie bedachte uns mit einem strengen Blick und versuchte vermutlich unter meinen Handschuhen einen Ehering auszumachen.

„Selbstverständlich“, sagte Darcy kurz angebunden. „Mr und Mrs Chomondley-Fanshaw. Das wird übrigens ‚Featherstonehaugh‘ geschrieben.“

Ich musste mir Mühe geben, um nicht loszukichern. Sie musterte uns noch immer misstrauisch. „Mir egal, wie es geschrieben wird. In dieser Gegend geben wir nichts auf adligen Dünkel. Solange ehrliche, anständige Leute genug Moneten haben, um uns bezahlen zu können, pfeifen wir darauf, wie viele Bindestriche sie im Namen haben.“

„Nun gut“, sagte Darcy. „Wenn Sie so freundlich wären, uns das Zimmer zu zeigen?“

Sie rührte sich nicht vom Fleck, wies uns aber mit dem Finger die Richtung. „Die Treppe hoch und dann rechts, am Ende des Flurs. Nummer dreizehn.“

Dann griff sie in ein Schubfach und reichte uns einen Schlüssel. „Frühstück von sieben bis neun im Speisesaal. Kostet extra. Oh, und wenn ihr ein Bad nehmen wollt, müsst ihr bis zum Morgen warten. Zwischen zehn und sechs wird das heiße Wasser abgestellt. Baden kostet auch extra.“

Darcy sah mich an, sagte aber nichts. „Ich begleite dich nach oben, dann hole ich die Taschen“, sagte er. „Komm mit.“

Ich folgte ihm die schmale Treppe hinauf. Ein eisiger Luftzug blies uns entgegen.

„Gibt es in den Zimmern Kamine?“ Darcy drehte sich fragend zu der Wirtin um, die noch immer dastand und uns beobachtete.

„Kein Kamin in diesem Zimmer“, sagte sie.

„Und ich nehme an, eine Tasse heiße Schokolade steht außer Frage?“ In seiner Stimme schwang nicht viel Hoffnung mit.

„Die Küche ist ab acht geschlossen.“ Sie wandte uns den Rücken zu und verschwand in der Dunkelheit des Flurs.

„Wir müssen nicht hierbleiben“, flüsterte Darcy mir zu. „In York muss es richtige Hotels geben. Es ist nicht mehr allzu weit.“

„Es ist noch meilenweit entfernt. Und es gibt keine Garantie, dass anderswo noch Zimmer frei sind“, sagte ich. „Wenn alle Straßen, die nach Norden führen, gesperrt sind …“ In Wahrheit war ich den Tränen nahe. Hinter mir lag ein langer Tag, der damit angefangen hatte, dass ich im Kensington Palace der Braut beim Ankleiden geholfen hatte. Danach hatte die Zeremonie für Marina und Prinz George in der St Margaret’s Church in Westminster stattgefunden, anschließend der Empfang im Buckingham Palace und die lange, kalte Fahrt durch den Schnee. Ich wollte mich nur noch zu einer kleinen Kugel zusammenrollen und einschlafen.

Die Dielenbretter knarzten fürchterlich, als wir auf Zehenspitzen den Flur entlang gingen. Nummer dreizehn war zweifellos das trübseligste Zimmer, das ich je gesehen hatte – und ich war in einem schottischen Schloss aufgewachsen, das für seine Tristesse berüchtigt war. Es war klein, mit nicht zusammenpassenden Möbeln vollgestopft und die einzige Wand, die keine Schrägdecke hatte, wurde von einem riesigen geschnitzten Kleiderschrank eingenommen, der den Raum beherrschte. Inmitten dieses Durcheinanders stand ein schmales Messingbett, auf dem eine Patchworkdecke lag. Eine nackte Glühbirne verströmte gerade genug bleiches Licht, um die durchhängenden, fleckigen Vorhänge vor dem Fenster und einen kleinen Flickenteppich auf dem kahlen Boden zu enthüllen.

„Allmächtiger!“ Dieser kindische Ausruf entfuhr mir, bevor mir wieder einfiel, dass ich erst kürzlich den Entschluss gefasst hatte, mich kultivierter zu verhalten. „Das ist wirklich grauenvoll, nicht wahr?“

„Es ist verdammt beschissen“, sagte Darcy. „Entschuldige den Kraftausdruck, aber wenn jemals ein Zimmer den Begriff ‚beschissen‘ verdient hat, dann dieses. Lass uns von hier verschwinden, solange wir noch können. Es würde mich nicht wundern, wenn die Wirtin des Nachts ihre Gäste um die Ecke bringt und sie zu Pasteten verarbeitet.“

Der Gedanke brachte mich zum Lachen. „Oh, Darcy. Was tun wir hier?“

„Meine schöne Überraschung“, sagte er kopfschüttelnd, aber auch er lächelte. „Tja, wenn unser gemeinsames Leben unter diesen Umständen beginnt, kann es ja nur besser werden, oder?“

Ich nickte. „Glaubst du, es gibt hier im Gebäude eine Toilette oder befindet sie sich am Rande des Gartens?“

Wir sahen auf dem Flur nach und zu unserer Erleichterung lagen am anderen Ende eine Toilette und ein Badezimmer.

„Ich gehe unsere Taschen holen“, sagte Darcy. „Wenn du dir wirklich sicher bist, dass du bleiben willst.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Kleider ausziehen sollte. Mir würde eiskalt werden.“ Ich dachte darüber nach. „Aber ich schätze, ich sollte mein gutes Ensemble nicht noch mehr zerknittern. Hast du irgendeine Ahnung, was Queenie für mich eingepackt hat?“

„Ich habe ihr gesagt, sie soll ordentliche Reisekleidung einpacken. Und deine Nachthemden.“

„Wie ich Queenie kenne, bedeutet das ein Abendkleid und Reitstiefel.“

Doch als er mit den Taschen zurückkehrte, war ich angenehm überrascht, als ich herausfand, dass sie meinen Kulturbeutel eingepackt hatte, ein warmes Flanellnachthemd und einen Morgenmantel, außerdem mein Tweedkostüm. Sie stieg in meiner Hochachtung beträchtlich. Ich war wirklich sehr zufrieden mit ihr. Sie schlief sicher schon im Kensington Palace, wo die Zimmer Kamine hatten und man nur läuten musste, um heiße Schokolade zu bekommen, während ihre Herrin … Ich sah mich erneut im Zimmer um, aber mir fehlten die Worte. Darcy hatte sich eilig ausgezogen und sah in seinem kastanienbraunen Seidenpyjama unglaublich gut aus. Erst war ich zu schüchtern, um mich vor ihm umzuziehen, aber dann rief ich mir in Erinnerung, dass wir bald Mr und Mrs werden würden.

Ich drehte mich um und knöpfte meine Jacke auf. Dann fiel mir ein, dass mein Kleid am Rücken mit Haken verschlossen wurde. Ich tastete danach, aber sie waren unmöglich zu öffnen. Dann sagte eine Stimme: „Hier, lass mich das machen“ und er hakte sie für mich auf. Seine Finger auf meiner Haut waren mir nur zu bewusst. Er half mir aus dem Kleid, dann legte er seine Hände auf meine Schultern und küsste meinen entblößten Nacken. Es war eine unglaublich verführerische Geste und zu jeder anderen Gelegenheit wäre ich darauf eingegangen. Aber in diesem Augenblick war mir kalt, ich war müde und ein wenig verängstigt. Ich drehte mich zu ihm um und barg meinen Kopf an seiner Schulter.

„Oh, Darcy, was tun wir nur hier?“, fragte ich halb lachend, halb weinend.

Seine Arme umfingen mich. „Ich wollte, dass unsere erste gemeinsame Nacht ganz anders als das hier ist“, sagte er.

„Wir haben schon früher die Nacht gemeinsam verbracht“, rief ich ihm in Erinnerung. „Wenigstens Teile der Nacht.“

„Unsere erste richtige gemeinsame Nacht“, sagte er. „Du weißt, wie ich es gemeint habe. Und das werden wir uns auf jeden Fall für einen besseren Zeitpunkt aufsparen. Ich wette, diese alte Schachtel wird auf jedes Knarzen der Sprungfedern lauschen.“

Das brachte mich zum Lachen. Nachdem ich mich entkleidet hatte, zog ich den Morgenmantel über mein Nachthemd und legte mich ins Bett. Die Decken waren steif und eiskalt.

„Es ist furchtbar kalt“, sagte ich mit klappernden Zähnen.

Darcy umrundete auf Zehenspitzen das Bett, um das Licht zu löschen, und als er neben mir ins Bett kletterte, gaben die Bettfedern in der Tat ein ohrenbetäubendes Quietschen von sich, das uns beide wie Schulkinder kichern ließ.

„Das schließt jegliches Techtelmechtel aus“, sagte er, noch immer schmunzelnd. Er schloss mich in seine Arme. „Noch immer eiskalt?“, fragte er.

„Schon besser“, flüsterte ich. „Viel besser.“