Kapitel 1
-Olivia-
Den halben Sommer habe ich ihm hinterhergeheult und ihn verflucht. Ich konnte und wollte einfach nicht akzeptieren, dass er weg war. Zurück in Seoul, während ich hier in London in meinem Leben feststeckte. Ohne ihn. Mit meinem Liebeskummer! Ich wollte ihn wirklich vergessen, wollte die Zeit mit ihm aus meinem Gedächtnis und meinem Herzen verbannen, damit es nicht so sehr weh tut. Doch was mache ich? Statt Tae-sung zum Teufel zu jagen, drücke ich mich gegen die Wand im Backstagebereich der Konzerthalle, in der Hoffnung, nicht vom Sicherheitspersonal entdeckt zu werden, bevor ich eines der Bandmitglieder treffe. Ich benehme mich wie ein verrückter Groupie.
Ich hasse diesen Kerl, weil er mich belogen hat, was seine Identität angeht, und dann einfach abgehauen ist. Doch genau aus diesem Grund liebe ich ihn auch. Denn hätte er mir direkt erzählt, dass er Mitglied einer berühmten K-Pop-Band ist, ich hätte ihn vermutlich nicht an mich herangelassen und mich nicht in ihn verliebt. Okay, vielleicht hätte ich nichts an meinen Gefühlen für ihn ändern können, aber dann wären wir uns nicht so nahegekommen und ich hätte all die schönen Stunden mit ihm, die Küsse und Berührungen, nie erlebt. Denn genau diese Erinnerung ist es, die mich seit Wochen über Wasser hält. Mein Herz schlägt immer noch für ihn. Für Tae-sung und seiner Liebe zu mir. Aber seine Worte des Abschieds sind es, die ich einfach nicht vergessen kann. Deshalb muss ich noch einmal von ihm hören, dass es endgültig vorbei ist zwischen uns. Wie soll ich von vorn beginnen, wenn ich immer noch ununterbrochen an ihn denken muss? Ständig sehe ich ihn im Internet, meine beste Freundin redet pausenlos von Luv Affair und selbst Ava, die nun ebenfalls zu unserer Clique gehört, spricht häufig über diese Musik. Das macht es mir noch schwerer ihn zu vergessen.
Das Konzert ist schon seit Stunden vorbei und auch die letzten Fans haben die riesige Konzerthalle endlich verlassen. Ich drücke mich tiefer in die dunkle Ecke hinter dem Getränkeautomaten, presse meinen Rücken gegen die Wand und versuche mich so unsichtbar wie möglich zu machen. Inständig hoffe ich, dass mein schwarzer Hoodie mir dabei hilft, unbemerkt zu bleiben. Mit wildklopfendem Herzen spähe ich um die Ecke, als einer der Sicherheitsleute mit einem Walkie-Talkie an mir vorbeieilt. Meine Atmung geht flach, ich versuche mich mit keinem Geräusch zu verraten, auch wenn ich so aufgeregt bin wie noch nie zuvor. Die Endorphine jagen wie verrückt durch meinen Körper. Dieses Unterfangen ist verdammt riskant und vermutlich total dämlich, aber wie sonst soll ich an Tae herankommen, der seit Monaten jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen hat?
Die Band ist schon vor Stunden von der Bühne verschwunden und ich hoffe, dass ich noch zumindest einen von ihnen treffen werde. Keine Ahnung, ob sie mich zu Tae bringen oder einfach beim Sicherheitspersonal verpfeifen werden, aber dieses Risiko ist es mir wert. Wenn ich es nicht versuche, dann wären meine waghalsige Aktion und der ganze Aufwand, der damit verbunden ist, völlig umsonst gewesen.
Glücklicherweise ist Chelsea gestern früh zurück nach London geflogen, denn ihr hätte ich unmöglich erklären können, dass ich gerade im Begriff bin, den Backstagebereich der Band zu stürmen, weil einer der Mitglieder mein Ex-Freund ist.
Nachdem ich meiner besten Freundin versprochen hatte, sie zum Konzert zu begleiten, hatte sie die Karten bereits kurz darauf gekauft. Deshalb gab es kein Zurück, keine Ausrede, warum ich nicht mit ihr nach Kalifornien fliegen und mir Luv Affair live ansehen konnte. Gerade wegen meiner Trennung von Tae-sung bestand sie darauf, mich mit diesem Urlaub und dem Konzert aufzuheitern. Hätte sie gewusst, dass sich mein Liebeskummer dadurch verschlimmern würde, hätte sie diese Idee sicherlich verworfen.
Die letzten fünf Tage verbrachten Chelsea und ich gemeinsam bei meiner Tante in Los Angeles. Abigail hat uns herzlich empfangen und sich sehr über unseren Besuch gefreut. Doch statt mit ihr abzureisen, habe ich Chelsea eine Lüge aufgetischt, dass ich meiner Tante ein wenig auf der Pferderanch zu Hand gehen werde, um mir ein bisschen für das Studium dazuzuverdienen. Zwar hat Abigail meine Hilfe abgelehnt, doch wenigstens die Pferdeställe konnte ich morgens ausmisten, denn ich bin gern bei den Tieren im Stall.
Wieder schaue ich mich im dämmrigen Flur um. Als ich sicher bin, dass die Luft rein ist, schleiche ich durch den langen Korridor und sehe mich verstohlen nach rechts und links um. An den Türen sind leider keine Schilder befestigt, weshalb ich keine Ahnung habe, was sich dahinter befindet. Vielleicht sollte ich noch einmal versuchen, Tae-sung anzurufen? In den Monaten der Trennung wollte ich seine Nummer immer wieder aus meinem Telefonbuch streichen, doch etwas ließ mich zögern. War es der kleine Funke Hoffnung, dass wir uns möglicherweise wiedersehen könnten? Dass es vielleicht doch noch eine Chance für uns gibt? Zumindest wollte ich mich an seine letzten Worte klammern, nachdem ich meine Wut und Enttäuschung endlich in den Griff bekommen habe.
Bleib stark, Livy. Und glaub an uns. Ich werde es auch tun … Irgendwann werden wir uns bestimmt wiedersehen.
Das Irgendwann wird heute sein, denn ich muss einfach Glück haben und ihm hier begegnen. Dafür habe ich immerhin den langen Flug von London hierher auf mich genommen.
Ich habe wirklich geglaubt, mich mit unserer Trennung abgefunden zu haben. Doch als ich ihn vor zwei Tagen das erste Mal live auf der Bühne gesehen habe, konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten.
Das Konzert war unglaublich! Die Lichter, die Musik, die ganze Bühnenshow und die Choreografie … So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich konnte die Emotionen und die Leidenschaft jedes Bandmitgliedes spüren, als wären es meine eigenen Gefühle, die sie auf der Bühne performten. Ihre Bewegungen und ihre Stimmen, alles war synchron und hatte eine solch dynamische Ausstrahlung, dass ich mich wie in eine andere Welt versetzt gefühlt habe.
Chelsea nahm an, dass meine Tränen von der Begeisterung für die Show herrührten, obwohl ich ihr eigentlich versichert hatte, K-Pop Musik nicht zu mögen. Doch das war, bevor ich mich in Tae-sung verliebt habe. Das Konzert nahm mich wirklich gefangen. Auch ohne Tae-sung zu kennen, wäre ich wohl spätestens jetzt ein riesiger Fan der Band.
Während die sechs Männer auf der Bühne gesungen haben, konnte ich meinen Ex-Freund nicht aus den Augen lassen. Sein Anblick zerriss mir das Herz, während ich zwischen den kreischenden Fans saß, und jede seiner Bewegungen auf den großen Leinwänden verfolgte.
Er sieht so anders auf der Bühne aus. Viel erwachsener, der Gesichtsausdruck ernster. Seine dunkelbraunen Haare sind nun vollkommen schwarz und viel länger als ich sie in Erinnerung habe. Das Piercing in der rechten Augenbraue ist neu und das Augenmake-up, das die blaue Farbe der Iris noch deutlicher zur Geltung bringt, verleiht seinem Aussehen etwas Unnahbares. Trotzdem ist er immer noch mein Tae-sung. Der Mann, in den ich mich verliebt hatte.
Als Luv Affair jedoch das letzte Stück spielte, blieb mir beinahe das Herz stehen. Die Emotionen waren zu viel für mich. Es war das Lied, das Tae-sung mir vor einer gefühlten Ewigkeit auf dem Klavier vorgespielt hatte. Die Erinnerung an Tae-sung am Klavier, wie seine schlanken Finger über die Tasten flogen, ich reglos neben ihm … Diese Szene hat sich in mein Hirn gebrannt – und jedes Mal, wenn ich ihn in den letzten Monaten verflucht hatte, dachte ich an diesen Moment der Zweisamkeit zurück, der mir ein bisschen Trost spendete.
Dieses Lied war jetzt mehr als bloß eine Melodie aus meiner Erinnerung. Es hatte einen Text. Und dieser war so unglaublich schön, dass ich kaum aufhören konnte zu weinen. Ihn dort in diesem weißen Anzug am Klavier sitzen zu sehen, wie er die mir wohlbekannte Melodie spielte und dazu Worte sang, von denen ich nur wenige englische Zeilen verstand, gab mir den Rest. Der Text zeigte deutlich, was ich ihm bedeutet habe. Zumindest hoffte ich inständig, er würde mich damit meinen, während er die Zeilen sang.
Even with all these miles between us, my heart stays by your side.
Diese Worte kreisten noch Stunden später in meinem Kopf herum. Nach dem Konzert war ich total aufgelöst, weshalb sich Chelsea ernsthaft Sorgen um mich machte. Sie musste sogar mit Abigails Wagen zurück zur Ranch fahren, weil ich dazu einfach nicht in der Lage gewesen bin. Nur mit Mühe konnte ich mich beherrschen, nicht vor Sehnsucht nach diesem Mann zusammenzubrechen. Trotzdem verschleierten mir Tränen die Sicht und heftiges Schluchzen schüttelte meinen Körper. Meine Reaktion schob ich auf die Aufregung wegen des Konzertes, denn ich wollte meiner Freundin auf keinen Fall die Wahrheit über meine Gefühle zu Tae gestehen.
Noch am selben Abend kaufte ich mir ein neues, natürlich viel zu überteuertes Ticket, um Tae-sung wiederzusehen. Direkt danach habe ich meinen Rückflug nach London storniert, um meinen Plan, ihn zu treffen, in die Tat umzusetzen. Von Chelsea wusste ich, dass Luv Affair noch zwei weitere Konzerte in L.A. spielen würden, bevor sie ihre Tour weiterführten. Es gab also nur zwei Chancen, um mit Tae-sung zu sprechen.
Völlig in meinen eigenen Gedanken versunken, zucke ich erschrocken zusammen, als ich eine unbekannte Männerstimme hinter mir höre. Erst glaube ich, von der Security erwischt worden zu sein, weil ich den Mann in meiner Panik nicht verstanden habe. Langsam drehe ich mich um und sehe in Tae-sungs Gesicht. Mir bleibt vor Überraschung beinahe das Herz stehen und ich muss mehrmals blinzeln, weil ich nicht daran geglaubt habe, ihm tatsächlich sofort über den Weg zu laufen.
Doch als der Mann fragend die Stirn runzelt, erkenne ich den distanzierten Gesichtsausdruck. So hat mich Tae-sung nie angesehen. Selbst bei unserer Trennung lag ein weicher Ausdruck in seinen Augen. Jetzt wird mir klar, dass es sich hier um Taemin, Tae-sungs Zwillingsbruder, handeln muss.
Besorgnis zeichnet sich in seiner Miene ab, ich bin mir sicher, dass er mich endlich seinerseits erkannt hat. Sicherlich hat Tae-sung ihm von mir erzählt.
»Was tust du hier?«, fragt er leise und in perfektem Englisch, »Du darfst gar nicht hier sein.«
Sofort sinkt mir das Herz in die Hose. Irgendwie habe ich gedacht, mit offenen Armen empfangen zu werden, sobald ich hier auftauche … Das war ziemlich naiv und riskant von mir, denn ich habe nicht richtig über mein Handeln nachgedacht. Trotzdem will ich diese Chance nutzen um Tae zu treffen, statt mich gleich ängstlich zu verziehen.
»Ich … ich möchte zu Tae-sung«, bringe ich stockend hervor, eingeschüchtert von seinem strengen Blick.
»Bist du völlig bescheuert? Du kannst nicht zu Tae-sung!«, fährt er mich plötzlich an und macht einen Schritt auf mich zu, was mich automatisch zurückweichen lässt. Als er die Angst in meinem Gesicht erkennt, räuspert er sich und seine Züge glätten sich. »Du … du weißt ja gar nicht, was du ihm damit antun würdest. Was du überhaupt angerichtet hast. Er ist über dich hinweg – und so soll es auch bleiben. Versteh’ das bitte. Dich zu treffen, würde die Wunde in seinem Herzen wieder aufreißen.«
Seine Hand ruht auf meiner Schulter. Vermutlich will er mich mit dieser leichten Geste beschwichtigen, doch er erreicht genau das Gegenteil. Ich kneife die Augen zusammen, versuche, meine Tränen zu unterdrücken, was mir kaum noch gelingt. Die ganze Zeit über habe ich so sehr auf ein Treffen gehofft, mir in den letzten Wochen vor dem Konzert ausgemalt, wie er mich erneut in seine Arme schließt. Jetzt scheint meine Hoffnung auf ein Wiedersehen wie eine Seifenblase zu zerplatzen, weil sein Bruder denkt, ich könnte Tae-sung schaden. Doch warum sollte ich? Schließlich liebe ich diesen Kerl immer noch.
Ich hole tief Luft und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter.
»Ich möchte noch einmal mit ihm reden. Ich möchte aus seinem Mund hören, dass er mich nicht mehr liebt«, entgegne ich und nun rollt doch noch eine Träne über meine Wange. Taemin seufzt.
»Willst du dir das wirklich antun? Ihr könnt nicht zusammen sein. Das bringt nur noch mehr Schmerz und Tränen«, sagt Taemin mit Nachdruck. »Lass es gut sein und akzeptiere es, genau wie Tae es getan hat.«
Ich sehe in seine Augen, versuche in ihm zu lesen, doch er verschließt seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske. In diesem Punkt hat er Ähnlichkeit mit Tae-sung.
Irgendwie kann ich nicht glauben, dass er unsere Trennung ohne Weiteres akzeptiert hat, wie Taemin es mir weismachen will. Die Erinnerung an mein letztes Gespräch mit Tae-sung ist immer noch so präsent wie an dem Tag, an dem er mich auf der Straße stehengelassen hat und in dieses Taxi gestiegen ist. Natürlich hat er mir gesagt, wir dürften uns nicht mehr sehen und nicht mehr zusammen sein. Doch dass er mich nicht mehr liebt, hat er mit keiner Silbe erwähnt. Und er hat geweint. Die Tränen auf seinem Gesicht haben sich in mein Hirn gebrannt. Sie waren so echt wie meine Gefühle für ihn. Deshalb kann ich mich nicht von ihm lösen, kann nicht mit ihm abschließen und nach vorn blicken. Denn ich liebe ihn immer noch wie am ersten Tag … und ich bin fest davon überzeugt, Tae fühlt dasselbe für mich, obwohl sein Zwillingsbruder etwas anderes behauptet.
»Taemin, bitte. Ich muss ihn sehen und mit ihm reden. Nur ein paar Minuten, dann werde ich euch in Ruhe lassen. Ich muss einfach wissen, wie es ihm geht«, flehe ich den Mann vor mir an. Noch mehr Tränen rinnen über mein Gesicht, sodass ich immer wieder blinzeln muss, um Taemin vor mir erkennen zu können. Er seufzt schwer, fährt sich mit einer nervösen Geste durch die Haare. Seine Fassade bröckelt.
»Scheiße, Olivia, du bringst mich in Teufels Küche. Du dürftest gar nicht hier sein.«
Er kennt meinen Namen – dann muss er mehr über mich wissen! Der Druck auf meine Schulter wird schwächer, bis er den Arm sinken lässt.
»Bitte!«, sage ich noch einmal mit Nachdruck und versuche mich entschlossener zu geben, als ich tatsächlich bin. Taemin seufzt erneut, dann sieht er sich um und zieht mich an der Hand hinter dem Getränkeautomaten hervor zur nächstgelegenen Tür, weil gerade jemand den Gang hinuntergeht. Er drängt mich mit dem Rücken gegen die Wand und schirmt mich mit seinem Körper ab, damit ich unerkannt bleibe. Angespannt verharre ich in dieser Position, dem Sänger so nahe, dass ich seinen Atem an meiner Wange spüren kann. Doch dabei habe ich kein Herzklopfen, kein angenehmes Kribbeln im Bauch, obwohl er Tae-sung zum Verwechseln ähnlich sieht. Schließlich ist es nicht mein Ex-Freund, sondern bloß sein Zwillingsbruder.
Nachdem niemand mehr zu sehen ist, löst er sich von mir und bringt wieder Abstand zwischen uns. Erleichtert atme ich aus. Taemin kramt in seiner Hosentasche und zieht ein Portemonnaie heraus. Dann drückt er mir ein Kärtchen in die Hand.
»Dein Vorhaben ist verdammt riskant und gefährlich, aber ich weiß nur zu gut, was du meinem Bruder bedeutest. Er hat mir alles über dich erzählt. Glaub nicht, dass mir seine Gefühle egal sind, Olivia. Trotzdem solltest du lieber nicht mit in die Garderobe kommen. Es sind zu viele Leute anwesend, die von deiner Existenz nichts wissen dürfen …«, sagt er eindringlich und ich nicke bloß. Er deutet mit einem Kopfnicken auf die Karte. »Das hier ist die Adresse unseres Hotels. Seine Suite liegt direkt neben meiner. Es ist die Nr. 5013 im fünften Stock. Er wird dir öffnen, wenn du unser Klopfzeichen nutzt. Zweimal lang, zweimal kurz. Sei bitte so diskret wie möglich und warte, bis du dir sicher bist, dass dich niemand sieht und dir vor allem niemand folgt. Wenn du auffliegst, kann das Konsequenzen für die ganze Band haben.«
Erneut nicke ich und drücke die Visitenkarte fest an meine Brust. Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich wische mit einer Hand über mein Gesicht, um die Tränen zu trocknen. Das ist meine Chance, ihn wiederzusehen, und mit ihm zu sprechen. Endlich!
»Und jetzt geh, bevor dich jemand bemerkt. Der vordere Eingangsbereich ist bereits versperrt. Du solltest den Hinterausgang nutzen.« Er zeigt mit der Hand den Flur entlang zu einer Tür, die im Dunkeln liegt.
»Danke«, murmele ich und husche so leise wie möglich zum Ausgang.
***
Ich ziehe mir die Kapuze meines schwarzen Hoodies noch tiefer ins Gesicht. Zum Glück ist der Abend kühl, denn ich schwitze bereits vor Aufregung, weil ich befürchte, es könnte irgendetwas schiefgehen. So gelassen wie möglich betrete ich das Foyer des Plaza Hotels und schaue mich verstohlen nach den Menschen in der Halle um. An der Rezeption steht eine junge Frau, die sich mit einem Gast unterhält. Sie achtet nicht auf mich und auch die beiden Männer an der Bar schenken mir keine Beachtung. Diese Gelegenheit nutze ich und husche direkt zu den großen Fahrstühlen gegenüber dem Eingang. Ungeduldig steige ich ein und fahre in die fünfte Etage. Es ist spät und um diese Uhrzeit begegne ich zum Glück niemandem auf dem schwach erleuchteten Flur.
Zaghaft klopfe ich an die Zimmertür. Zweimal lang, zweimal kurz, so wie Taemin es mir gesagt hat. Tatsächlich wundere ich mich darüber, dass die Suiten der Bandmitglieder nicht von Sicherheitspersonal bewacht werden, denn das Eindringen ins Hotel habe ich mir wirklich schwieriger vorgestellt. Vielleicht hat ja Taemin etwas damit zu tun, dass die Flure verlassen liegen und ich keinen der Bodyguards antreffe …
Mit wildklopfendem Herzen warte ich, bis sich die Tür öffnet. Ich höre Schritte und Worte auf Koreanisch. Dann steht ein übermüdeter Tae-sung vor mir, in einem weiten Shirt und Jogginghose, das blauschwarze Haar feucht von der Dusche.
Noch ehe er realisieren kann, wer hier bei ihm aufgetaucht ist, schlüpfe ich blitzschnell ins Zimmer und kicke die Tür mit dem Fuß hinter mir zu, damit er mich nicht sofort abweisen kann und ich selbst nicht meinen Mut verliere. Dann ziehe ich mir die Kapuze vom Kopf, damit er mich besser erkennen kann.
Einige Herzschläge lang geschieht gar nichts. Wir starren uns stumm in die Augen, können uns beide nicht rühren. Mir rauscht das Blut in den Ohren und es klingt so laut, dass es jedes weitere Geräusch im Raum übertönt. Tae-sung blinzelt mehrmals, Erstaunen und Schrecken zeichnen sich gleichermaßen auf seinem Gesicht ab. Mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich unsicherer, ob mein Auftauchen wirklich eine gute Idee gewesen ist. Vielleicht hätte ich mit Chelsea zurück nach Hause fliegen sollen, um ihn endlich hinter mir zu lassen. Doch das kann ich nicht so leicht, obwohl ich es mir immer wieder versucht habe, einzureden. Ich kann ihn nicht vergessen und ich muss einfach mit ihm reden. Vorher werde ich nicht gehen. Ihn hier vor mir zu sehen, zum Greifen nah, lässt alle Dämme brechen. Wieder stehlen sich Tränen in meine Augen, auch wenn ich gedacht habe, kaum noch welche übrig zu haben. Ein Zittern geht durch meinen Körper und ich schlinge sogleich die Arme um mich, um wenigstens etwas von meiner Selbstbeherrschung zu erhalten. Sein Gesicht verschwimmt vor meinen Augen. Ich erkenne die Wärme in seinen braunen Augen, die Überraschung und wie er den Mund öffnet, obwohl doch kein Ton herauskommt.
»Tae-sung …«, murmele ich leise seinen Namen, breche das Schweigen zwischen uns und halte für einen Moment den Atem an. Tae-sung beißt sich auf die Unterlippe. In seinem Gesicht spiegeln sich so viele Emotionen, dass er die undurchdringliche Maske kaum noch aufrechthalten kann. Ein qualvoller Zug erscheint um seinen Mund und er holt tief Luft, als habe er ebenfalls sekundenlang den Atem angehalten. Seine Lippen formen Worte, die ich nicht verstehe, weil mich sein Anblick aus der Bahn wirft. So lange habe ich dieses Treffen herbeigesehnt und jetzt, wo ich ihm tatsächlich gegenüberstehe, überschlägt sich das Herz in meiner Brust.
Ein Ruck geht durch seinen schlanken Körper, er reißt mich so schnell in seine Arme, dass ich ein überraschtes Keuchen kaum unterdrücken kann.
»Olivia. Du bist es wirklich!«, raunt er in mein Ohr und küsst mich ohne Vorwarnung.
Kapitel 2
-Tae-sung-
Ich drücke Olivia gegen die verschlossene Hotelzimmertür und küsse ihre sinnlichen Lippen, als gäbe es kein Morgen. Als wäre dieser Moment nur eine Illusion und könnte verschwinden, sollte ich jemals damit aufhören. Und das habe ich garantiert nicht vor!
Olivia ist hier, obwohl ich nicht im Traum mit einem Wiedersehen gerechnet habe. In der Zeit der Trennung habe ich stets gehofft, sie vergessen zu können. Und dass auch sie mich vergisst. Immer wieder habe ich mir eingeredet, diese Trennung wäre die einzige Möglichkeit ihr ein normales Leben außerhalb des Medienrummels zu ermöglichen.
Viel stürmischer als gedacht erwidert sie meinen Kuss. Wie zwei Ertrinkende klammern wir uns aneinander. Ich beiße in ihre Unterlippe und entlocke ihr ein zufriedenes Keuchen. Liv vergräbt ihre Hände in meinem Haar und zieht mich noch näher zu sich heran. Wie sehr habe ich mich nach dieser Frau gesehnt, mich nach ihr verzehrt und mir gewünscht, sie noch einmal küssen zu können?
Kein einziger klarer Gedanke existiert mehr in meinem Kopf. Mir ist alles egal. Das Label. Die Fans. Die Band. Was auch immer morgen passiert, diese Nacht gehört uns!
Liv schlingt ihre Arme um meinen Hals, presst ihren schlanken Körper noch fester an mich. Ich kann nicht aufhören, sie zu küssen, obwohl ich die Tränen auf ihren Wangen deutlich spüre. Oder sind es meine Eigenen, die sich mit ihren vermischen? Zärtlich küsse ich ihr die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Ich musste dich einfach wiedersehen«, murmelt sie mit tränenerstickter Stimme und kneift dabei ihre Augen fest zusammen. »Ich konnte meine Gefühle zu dir nicht vergessen …«
»Mir ging es genauso. Ich liebe dich, Livy. Ich habe dich immer geliebt und ich werde dich immer lieben, das habe ich dir doch gesagt«, beruhige ich sie und halte sie fest in meinen Armen. Sie presst ihr Gesicht an meine Halsbeuge, sodass ich den Duft ihres Shampoos wahrnehme.
Ihr Schluchzen wird erneut lauter und macht mir das Atmen schwer. Mir wird die Brust eng bei der Erinnerung an unsere Trennung. Ich hätte sie nicht verlassen dürfen – doch ich habe mich für Luv Affair entschieden. Ich habe geglaubt, das Richtige zu tun. Daran halte ich immer noch fest, denn meine Freunde bauen auf mich. Aber was ist mit Liv? Und was ist mit meinen eigenen Gefühlen? Wie lange kann ich mich selbst verleugnen, um ein erfolgreicher Musiker zu sein?
Mit den Fingern streiche ich durch ihr dunkelblondes Haar, von dessen Weichheit ich immer noch jede Nacht geträumt habe, seitdem ich überstürzt aus London abreisen musste. Zärtlich umfasse ich ihr Gesicht mit beide Händen und sehe ihr fest in die Augen. Dass sie hier vor mir steht, gleicht einem Wunder und ich habe Angst, der Moment könnte mit einem unbedachten Wort einfach zerplatzen wie eine Seifenblase.
»Das habe ich nicht gewollt. Glaub mir. Dir das Herz zu brechen war das Letzte, was ich je wollte, doch …« Ich hole tief Luft und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Dann küsse ich sanft ihren Mundwinkel, bevor ich wieder zum Sprechen ansetze. »Durch meinen Vertrag bin ich an das Label gefesselt. Eine Liebesbeziehung ist tabu und wird nicht toleriert. Deshalb muss ich meine Gefühle verleugnen … Wir könnten niemals zusammen sein, solange ich ein Teil von Luv Affair bin. Das Label würde dich nie an meiner Seite akzeptieren.«
Schmerz zeichnet sich in ihrem Gesicht ab und spiegelt auch meinen eigenen. Ich fühle mich wie erschlagen, weil ich so machtlos bin. Olivia oder die Band. Eine andere Option gibt es nicht. Und ich bin zu feige, um mich offen gegen P.I.P zu stellen. Genau aus diesem Grund leide ich – und lasse auch Liv leiden …
»Wie kann jemand nur so grausam sein? Wie kann jemand anderes über dein Glück bestimmen? Der Gedanke, dich auf diesem Konzert zu sehen, war das Einzige, das mich durch die letzten Monate gebracht hat. Ich konnte dich einfach nicht aufgeben, dich nicht ohne eine weitere Erklärung gehen lassen …«
Tränen laufen unaufhaltsam über ihre geröteten Wangen. Auch mein Blick verschwimmt. Erneut verschließe ich ihren Mund mit meinen Lippen. Vielleicht sollten wir reden, doch jetzt will ich einfach nur ihre Nähe genießen. Olivia schiebt ihre Zunge in meinen Mund, lässt mich dadurch den Kummer der Trennung für einen Moment vergessen. Anscheinend hat sie es mit der Aussprache auch nicht so eilig.
Die Leidenschaft kehrt zurück. Mit den Händen streichle ich über ihren Rücken und schiebe eine Hand unter ihren dunklen Hoodie. Sie seufzt mit geschlossenen Augen. Mit den Fingern wandere ich weiter über ihre warme Haut zu ihrem Bauch. Dann schließe ich die Hand um ihre rechte Brust.
Ein Zittern ergreift von ihr Besitz. Unser Kuss wird stürmischer und ich weiß jetzt schon, dass ich mich nicht mehr zurückhalten kann. Und das ich muss auch gar nicht. Denn Liv steht bereits unter Strom. Endlich schiebe ich all meine Bedenken beiseite und schalte meinen Kopf aus, um mich mit allen Sinnen auf Olivia zu konzentrieren. Knutschend taumeln wir durch die Suite und ich dirigiere sie zum Bett. Sie lässt sich rückwärts darauf fallen und zieht mich mit sich, ohne den Kuss zu unterbrechen.
Ich knie über ihr, die Hände in ihrem Haar vergraben und küsse sie leidenschaftlich. Wandere mit meinen Lippen über ihre Schläfe und hinab zum Kiefer. Sie legt den Kopf schief, um noch mehr ihrer hellen Haut freizulegen. Sanft küsse ich ihren Hals, während ich nach dem Saum ihres Hoodies taste und ihn ein Stück hochschiebe. Olivia öffnet die Augen und sieht mich für den Bruchteil einer Sekunde an. Dann lächelt sie und richtet sich auf, damit ich ihr aus dem Kleidungsstück helfen kann. Sie löst den Verschluss ihres BHs. Gebannt betrachte ich ihre wohlgeformten Brüste und den flachen Bauch. Meine Atmung beschleunigt sich. Das letzte Mal, dass wir uns nahe gewesen sind, scheint eine Ewigkeit zurückzuliegen. Dabei sind nur drei Monate vergangen. Drei qualvolle Monate, in denen sich mein Herz täglich immer mehr nach ihr gesehnt hat.
Durch ihr Lächeln ermutigt, ziehe ich mir ebenfalls das Shirt über den Kopf und lasse es achtlos neben das Bett fallen, ehe ich sie wieder in meine Arme schließe. Die Wärme ihrer Haut durchdringt mich und lässt mein Inneres aufgeregt kribbeln. Ich fühle mich, als wäre heute unser erstes Mal. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, während ich mein Gesicht in ihrem Dekolleté vergrabe und mit den Lippen ihre Brüste liebkose.
Liv keucht atemlos. Ihre Fingerkuppen streicheln über meinen Nacken und die Schultern. Immer wieder zeichnet ihr Finger die Konturen meines Tattoos nach und jagt mir wohlige Schauder über den Rücken.
»Tae …«, stöhnt sie leise, als ich ihre Brustwarzen mit den Zähnen necke. Ein Lächeln umspielt meine Lippen und ich sehe kurz zu ihr auf. Ihr wunderschönes Gesicht ist leicht gerötet. Verlangen spiegelt sich in ihren blaugrauen Augen.
»Tae-sung«, seufzt sie noch einmal und sagt dabei meinen vollen Namen. Es fühlt sich seltsam an, ihn zu hören, denn meine Freunde nennen mich nur Tae. Liv legt nun ihrerseits die Hände an meine Brust und streichelt über meinen Bauch hinab zum Bund meiner Jogginghose. Das Verlangen staut sich in mir und sammelt sich zwischen meinen Beinen, was meiner Freundin nicht entgeht. Grinsend schiebt sie eine Hand in meine Hose und entlockt mir ein raues Stöhnen. Ich öffne ebenfalls ihre Jeans und schiebe sie von ihren Hüften, was sie mit einem wohligen Brummen quittiert.
Ihre Finger massieren mich immer weiter und einen Moment gönne ich mir dieses Gefühl von Schwerelosigkeit, bevor ich ihre Hand sanft zurückschiebe, um meine Hose auszuziehen. Dann streife ich auch meine Boxershorts ab und Olivia entledigt sich ihres Slips.
»Du bist so wunderschön«, murmele ich andächtig und lasse meine Finger über die Innenseite ihrer Oberschenkel gleiten. Sie bebt unter dieser Berührung, spreizt die Beine und ich sinke wieder auf sie hinab. Abermals küssen wir uns. Dieses Mal ist der Kuss jedoch langsam und zärtlich, als würde die Zeit um uns herum stehenbleiben. Gefangen in dieser Blase des Glücks will ich den Moment in mir aufsaugen, um ihn für später zu bewahren. Haut an Haut. Lippen an Lippen. Herz an Herz.
Bedächtig küsse ich mich an ihr hinab. Liebkose ihre Brüste und streichle ihren flachen Bauch, was ihr immer wieder verzückte Seufzer entlockt. Dann tauche ich zwischen ihre Schenkel. Olivia vergräbt ihre Hände in meinem Haar und drückt ihren Kopf nach hinten ins Kissen, während ich sie mit meiner Zunge verwöhne.
»Tae«, stöhnt sie meinen Namen. Und dieses Mal macht es mir nichts aus, dass es mein Bandname ist. Denn diese Seite gehört zu mir. Ich gehöre zu Luv Affair. Daran lässt sich nichts ändern. Ich hätte ihr schon viel früher mein Herz ausschütten und von meiner Karriere erzählen sollen, statt diese Last mit mir herumzutragen. Es wäre nicht unbedingt leichter geworden, doch vielleicht hätte ich uns beiden damit viel Leid ersparen können. Hinterher ist man immer schlauer.
Sanft streiche ich mit den Fingerkuppen über die weiche Haut ihrer Oberschenkel. Sie windet sich unter mir, je länger ich meine Zunge kreisen lasse.
»Ich kann nicht mehr«, presst sie atemlos hervor. Sie versucht sich mir zu entziehen, doch ich möchte sie den Orgasmus spüren lassen. Mit sanftem Druck fixiere ich ihre Hüften. Liv sträubt sich nicht lange gegen meine Zärtlichkeit und es dauert bloß einen Moment, bis sie ihren Höhepunkt erreicht.
Lächelnd komme ich wieder zu ihr hoch und küsse sie innig. Sie erwidert meinen Kuss mit derselben Intensität, streichelt dabei immer wieder durch meine Haare.
»Komm«, flüstert sie einladend, »lass mich nicht so lange warten.«
»Das habe ich nicht vor«, entgegne ich ebenso leise, küsse dabei ihren Hals und das Schlüsselbein. »Ich will diesen Augenblick mit dir nur so lange wie möglich auskosten.« Weil er schon bald vorbei sein könnte …
Mit geschlossenen Augen verharre ich einen Moment an ihrer Seite. Atme ihren Geruch ein und genieße die Wärme ihrer nackten Haut. Ich versuche mich zu beherrschen und mir nicht gleich das zu nehmen, wonach es mich schon so lange sehne. Dafür ist mir ihre Nähe viel zu wichtig.
Liv schließt mich in ihre Arme und hält mich schweigend fest. Ihre sanften Berührungen tun mir gut, weil sie mich für einen Moment alle Sorgen vergessen lassen. Ich atme einige Male tief ein und aus, dann löse ich mich aus ihrer Umarmung und richte mich auf, um nach dem Portemonnaie auf dem Nachtisch zu greifen, in dem ich stets ein Kondom dabeihabe. Nicht, weil ich so viel Sex habe – außer Liv gibt es keine Frau, mit der ich schlafen will – doch ab und zu helfe ich meinem Bruder aus. Taemin vergnügt sich gerne mit dem ein oder anderen One-Night-Stand, wobei eine Beziehung für ihn nie infrage käme. Für ihn steht die Band an allererster Stelle. Genau deshalb war er so entsetzt, als ich ihm meine Gefühle für Olivia gebeichtet habe. Immerhin wissen wir beide, was auf dem Spiel steht und dass Liebe für uns eigentlich tabu ist.
Mit einer flinken Handbewegung streife ich das Kondom über. Dann positioniere ich mich erneut zwischen Olivias Schenkeln. Noch einmal sehe ich in ihr Gesicht. Sie lächelt mich aufmunternd an und wirkt dabei völlig entspannt, sodass ich nicht länger zögere und langsam in sie eindringe. Sofort schlingt sie ihre Beine um meine Hüften, um mich noch näher an sich zu ziehen. Ich sinke auf sie, lasse mich von ihr halten, während ich mich in ihr bewege. Meine schnellen Bewegungen entlocken ihr verzückte Laute. Mein Stöhnen wird von unseren leidenschaftlichen Küssen verschluckt.
Hitze breitet sich in meinem Körper aus und pulsiert durch meine Adern. Liv klammert sich an mich, krallt ihre Fingernägel in meine Schultern und drückt keuchend den Kopf ins Kissen. Fasziniert betrachte ich ihr Gesicht. Die Emotionen, die sich darin spiegeln, sorgen bei mir für heftiges Herzklopfen. Ich liebe diese Frau. Mit jeder Faser meines Körpers. Wie konnte ich mir nur vorgaukeln, es wäre anders? Dieses Mal kann ich sie nicht einfach so gehen lassen. Irgendwas muss mir einfallen, um mit ihr zusammen zu sein …
Noch ein paar Mal stoße ich in sie, dann erreiche ich ebenfalls meinen Höhepunkt. Kurz küsse ich sie, bevor ich mich zur Seite rolle und das Kondom entferne. Ich nehme Liv in den Arm. Instinktiv schmiegt sie sich an mich.
»Du hast mir gefehlt«, murmelt sie und küsst meine Schulter. Ich streichle über ihr weiches Haar.
»Du mir noch mehr«, antworte ich wahrheitsgemäß. Mein Herz pocht immer noch schnell in meiner Brust. Ich versuche erst gar nicht, es beruhigen zu wollen, weil ich dieses Gefühl bis zum Ende auskosten will. Olivia bettet ihren Kopf auf meiner Brust und schließt für einen Moment die Augen.
»Ich sollte besser zurückgehen und nicht hier schlafen, oder?«, meint sie nach einer Weile. Ich nicke seufzend. Sie hat recht, doch ich möchte nicht, dass sie geht. Trotzdem kommt nach dem Feuer der Leidenschaft die Ernüchterung. Eigentlich dürfte sie gar nicht hier sein.
»Falls dich jemand hier sieht, könnte es in einer Katastrophe enden …« Nicht nur für mich – auch Liv würde ins Kreuzfeuer geraten. Das darf einfach nicht passieren. Egal, wie sehr ich mit ihr zusammenbleiben will – trotzdem könnte ich es nicht ertragen, wenn sie und ihre Gefühle von den Medien durch den Dreck gezogen werden. Schließlich habe ich das Drama um Sora und Ahri hautnah miterlebt. Mein bester Freund ist ein seelisches Wrack und Ahri kann ihre Karriere als Idol an den Nagel hängen.
Mit einem tiefen Seufzen setze ich mich im Bett auf und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Warum zur Hölle kann ich nicht Musik machen und lieben, wen ich will, ohne dass sich das Label und Lee einmischen?
»Ich wollte dich so gerne treffen und dennoch habe ich gehofft, dich nie wiederzusehen, weil … weil es mir dann noch schwerer fallen würde, dich erneut zu verlassen«, gestehe ich kaum hörbar, denn diese Worte auszusprechen verlangt mir wirklich alles ab. Gerade weil wir uns so nah gewesen sind, fühle ich mich noch verletzlicher. Ich bin hin und her gerissen zwischen meiner tiefen Liebe zu Liv und meiner Loyalität Luv Affair gegenüber.
»Dann verlass mich nicht!«, entgegnet sie mit zitternder Stimme. Olivia legt ihre Hand auf meinen Oberarm. Ihre Wärme lässt mich erschaudern und macht jeden Gedanken an eine Trennung noch schwerer. Wie soll ich mich entscheiden, ohne noch mehr Menschen zu verletzen?
»Du verlangst Unmögliches von mir. Wir können nicht zusammen sein. Unsere Beziehung kann einfach nicht gut gehen. Die Fans, der Medienrummel – es wäre zu viel. Ich könnte dem Druck des Labels nicht standhalten …« Eine eiserne Faust schließt sich um mein Herz, als ich ihr leises Wimmern höre. Meine Freundin ringt um Fassung, doch es fällt ihr nicht leicht. Ich wende ihr erneut mein Gesicht zu, obwohl ich den Schmerz in ihren Augen kaum ertragen kann. Dennoch will ich ihr das Gefühl geben, dass sie mir wichtig ist.
»Ich wünschte so sehr, wir hätten eine Zukunft, Livy. Aber das haben wir nicht. Wie stellst du dir eine Beziehung mit mir vor? Mein Leben spielt sich am anderen Ende der Welt ab. Dort ist mein Zuhause, meine Familie, meine Freunde und … und der Job, der es mir nicht erlaubt, ein normaler junger Mann zu sein. Ständig werde ich von Reportern verfolgt. Fans stehen vor dem Studiogebäude, um ein Autogramm zu bekommen. Wir sind im Fernsehen und in der Presse. Unser Leben ist ein offenes Buch. Darin hat Liebe keinen Platz.«
Sie seufzt und ihre Augen glänzen feucht, doch sie unterdrückt ihre Tränen.
»Wollen wir wenigstens zusammen duschen, bevor ich aus deinem Leben verschwinde?«, fragt sie dann und streicht sich eine Strähne hinters Ohr. Ich kneife die Augen zusammen, stütze meinen Rücken gegen die Lehne des Bettes und nicke.